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Wie weiter mit dem Weimarer Dreieck?

Da war es wieder, das Weimarer Dreieck. Bei seinem Antrittsbesuch am 16. März 2018 in Warschau sprach sich der neue deutsche Außenminister Heiko Maas zusammen mit seinem polnischen Amtskollegen Jacek Czaputowicz für eine „Wiederbelebung des Weimarer Dreiecks“ aus. Maas ergänzte nach seinem Treffen mit dem polnischen Außenminister, das Weimarer Dreieck sei ein gutes Mittel, um zu zeigen, dass die Reform der EU nicht nur ein deutsch-französisches Vorhaben sei, sondern dass sie auch im Gespräch mit den Partnern in Mittel- und Osteuropa entwickelt werde. Nur drei Tage später bekannte sich dann auch Bundeskanzlerin Angela Merkel bei Ihrem Antrittsbesuch in Warschau zum Weimarer Dreieck.

 

Das Weimarer Dreieck gehört sicher zu den scheuesten Rehen der europäischen Politik. Kaum wagt es sich aus der Deckung und erscheint in Form von politischen Gipfeltreffen oder offiziellen Deklarationen, ist es meist auch schon wieder verschwunden. Es hat bislang kaum dauerhafte Spuren hinterlassen und ist trotzdem immer wieder Gegenstand politischer Erwartungen und intellektueller Debatten. Es waren die drei Außenminister des wiedervereinigten Deutschlands, Frankreichs und Polens, Hans-Dietrich Genscher, Roland Dumas und Krzysztof Skubiszewski, die das Weimarer Dreieck bei ihrem Treffen am 28. August 1991 in Weimar mit Hilfe einer feierlichen Erklärung aus der Taufe hoben.[1] Das bis heute lesenswerte Dokument atmete noch den hoffnungsvollen Geist der revolutionären Umwälzungen von 1989 und lies sich als Ausdruck der gemeinsamen Wertebasis und der besonderen europapolitischen Verantwortung Deutschlands, Frankreichs und Polens in einer Zeit des Umbruchs lesen. Damals ging es vor allem darum, Polen und die neuen Demokratien Mittel- und Osteuropas auf ihrem steinigen Weg in die Europäische Gemeinschaft (und in die NATO) zu unterstützen. Es ist umstritten, welchen konkreten Beitrag das Weimarer Dreieck jenseits aller Symbolik zum erfolgreichen Beitritt Polens zur EU geleistet hat. Fest steht, dass es seit der Osterweiterung der EU im Jahr 2004 und der damit verbundenen Erfüllung seines primären politischen Zieles nicht mehr gelungen ist, dem Dreieck ein klares politisches Profil zu geben. Dabei bekannten sich unmittelbar vor dem polnischen EU-Beitritt die drei Staats- und Regierungschefs auf ihrem Gipfel in Breslau noch zum Weimarer Dreieck als einer „Impulse gebenden, gestaltenden Kraft im Dienste der erweiterten Union“.[2] Die Gründe für das Scheitern sind vielfach analysiert worden.[3]  Der Umstand, dass es nicht gelungen ist, die hochfliegenden Erwartungen zu erfüllen und das Weimarer Dreieck als politisches Rückrad der erweiterten EU bzw. als „Motor Europas“ zu erfüllen, führte dazu, dass es immer wieder belächelt und in regelmäßigen Abständen für politisch tot erklärt wurde. Zuletzt erklärte der damalige polnischen Außenminister Witold Waszczykowski im Jahr 2016 die trilaterale Kooperation mit Berlin und Paris für „erschöpft“.

 

Die verbreitete Kritik am Weimarer Dreieck übersieht allerdings zwei entscheidende Punkte. Zum einen beinhaltet es neben der politischen auch eine umfassende kulturelle Dimension. Diese beinhaltet den Rahmen für vielfältige kulturelle Aktivitäten, zivilgesellschaftliche Initiativen und Austauschprojekte (u.a. in Form von Städtepartnerschaften und des Jugendaustauschs) und Kooperationen im Bildungs-, Wissenschafts- und Medienbereich. Hierbei leistet das Weimarer Dreieck einen aktiven und nachhaltigen Beitrag zur europäischen Verständigung zwischen Deutschland, Frankreich und Polen. Diese stehen vielleicht nicht immer im Scheinwerferlicht der öffentlichen Aufmerksamkeit, erfüllen aber dafür gerade in politisch konfliktreichen Umbruchzeiten eine wichtige stabilisierende Funktion.  Zum anderen verleiten die Größe und Bedeutung der drei beteiligten Länder des Weimarer Dreiecks immer wieder zu völlig überzogenen Ambitionen und verkennen seinen Charakter als nach wie vor relativ loses Gesprächsformat. Da wird nicht nur erwartet, dass es in einzelnen Fragen Konflikte zwischen den Mitgliedstaaten löst und so zur konkreten Entscheidungsfindung in der EU beiträgt. Es soll auch aktiv Agendasetting betreiben und der EU entscheidende Impulse für ihre strategische Entwicklung geben. Schließlich sollte es gleichzeitig politische Steuerungs- und Führungsaufgaben übernehmen und natürlich auch noch den Zusammenhalt der EU im Allgemeinen und zwischen westlichen und östlichen Mitgliedstaaten im Besonderen garantieren.  Die Liste ließe sich noch verlängern aber auch so wird schnell deutlich, dass es sich hierbei vielmehr um eine Reflexion über die strukturellen Probleme und Defizite der Europäischen Union handelt als um eine realistische Aufgabenbeschreibung für ein Format, das über keinerlei institutionellen Unterbau und keine eigene finanzielle Mittel verfügt. Enttäuschungen sind da praktisch vorprogrammiert. Mit Henry Kissinger könnte man die genauso boshafte wie entlarvende Frage stellen: „Wen soll ich anrufen, wenn ich mit dem Weimarer Dreieck sprechen möchte?“.

 

Die notwendige Kritik an den oft überzogenen Erwartungen basiert auf einem nüchternen Blick auf die Möglichkeiten und Begrenzungen des Weimarer Dreiecks als loses und dadurch auch flexibles Gesprächsforum. Ein solcher Blick ist Voraussetzung für eine effektive Verteidigung des Dreiecks gegen seine zahlreichen Kritiker und gegen seine vermeintlichen Unterstützer, die es oft zu gut mit ihm meinen und ihm damit immer wieder schaden. Denn eins steht außer Frage und muss hier mit aller Deutlichkeit gesagt werden: Das Weimarer Dreieck ist heute nötiger den je. Wenn es nicht schon existieren würde, Deutschland, Frankreich und Polen wären dringend aufgerufen, es aus der Taufe zu heben.

 

Das Weimarer Dreieck wurde ursprünglich als ein Instrument zur Gestaltung eines fundamentalen politischen Übergangs gegründet. Knapp 30 Jahre nach 1989, dem europäischen annus mirabilis, steckt Europa wieder mitten in einem grundlegenden europäischen Umbruch. Die vielfältigen und anhaltenden Krisenerfahrungen der letzten Jahre lassen unwillkürlich an Antonio Gramscis Definition des Begriffs „Krise“ denken. Nach dem Verständnis des italienischen Publizisten und Philosophen umschreibt eine „Krise“ eine Situation, „in der das Alte stirbt und das Neue noch nicht zur Welt kommen kann.“ Anders als 1989 ist der aktuelle Umbruch diffuser in seinen Ursachen, widersprüchlicher in seinen Erscheinungsformen und unklarer in seiner Zielrichtung. Wurde damals das mittlerweile sprichwörtliche „Ende der Geschichte“ ausgerufen und westliche Ordnungsvorstellungen von Demokratie, Rechtsstaat und Marktwirtschaft als gemeinsame ideelle Grundlage zur „Wiedervereinigung“ des Kontinents in Form der EU als „immer engere Union“ angesehen, werden heute alle diese Elemente in Zweifel gezogen. Es verwundert daher nicht, dass die verbreiteten Hoffnungen und der Optimismus von 1989 mittlerweile vielerorts neuen Ängsten und einer allgemeinen Verunsicherung gewichen sind.  Wir erleben einen tiefgreifenden politisch-kulturellen Wandel, der sich in Polen 2015 in dem doppelten Wahlsieg der Partei PiS bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen niedergeschlagen hat und 2016 (dem annus horribilis des Westens) mit der Brexit-Entscheidung und der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten seinen zwischenzeitlichen Höhepunkt erlebte. Der anschließende Sieg von Emmanuel Macron in Frankreich und das mit ihm verbundene Versprechen einer „Neugründung Europas“ lässt sich durchaus als unmittelbare Reaktion auf die Erfahrung von Kaczyński, Brexit und Trump lesen und zeigt wie sehr Europa und der Westen jenseits der Ökonomie auch durch enge politisch-kulturelle Interdependenzen miteinander verbunden sind.

 

Deutschland, Frankreich und Polen stehen im Zentrum der beschriebenen Spannungen und der damit verbundenen Widersprüche, deren Ausgang die Zukunft Europas bestimmen werden.  Alle drei Länder sind gleichzeitig für sich Schauplätze der neuen tiefgreifenden Auseinandersetzungen. Polarisierungen, parteipolitische Fragmentierungen und eine neue Gereiztheit bestimmen die innenpolitischen Debatten und führen zu gegensätzlichen Dynamiken in den bi- und trilateralen Beziehungen. Deutschland befindet sich in dieser aufgeheizten Lage wieder einmal zwischen allen Stühlen. Einerseits ist es aufgerufen, die historische Chance zu ergreifen, die Macron bietet und nach Jahren des kleinteiligen und reaktiven Krisenmanagements den deutsch-französischen Motor wieder anzuwerfen und eine umfassende Reform der EU zu verwirklichen. Nachdem sich Deutschland lange hinter einem vermeintlich reformresistenten und schwächelnden Frankreich verstecken konnte, ist es nun aufgerufen, seine europapolitischen Interessen zu definieren und endlich Farbe zu bekennen. Bislang war von Berlin immer zu hören, dass der Zusammenhalt der EU als ganzes oberste Priorität habe. Dieser Grundsatz wird für sich genommen nicht mehr ausreichen, um die Zukunft der EU politisch zu gestalten. Zweieinhalb Jahre nach dem Machtwechsel in Polen ist die politische Entfremdung zwischen Berlin und Warschau mittlerweile unübersehbar. Zum einen hat insbesondere die sogenannte Migrationskrise zu einer neuen Ost-West-Spaltung innerhalb der EU geführt, die alte historisch-kulturelle Differenzen sichtbar macht.[4] Zum anderen stellt der  innenpolitische Transformationsprozess der PiS-Regierung („guter Wechsel“) mit seinen ambitionierten Reformprojekten in den Bereichen Justiz, Medien und Zivilgesellschaft die gemeinsame Wertegrundlage der EU faktisch in Frage. Hinzu kommt, dass die französisch-polnischen Beziehungen aktuell einen Tiefpunkt durchleben.

 

Anders als noch in den 90er Jahren gibt es daher heute weder eine klare Zielperspektive für die EU noch einen festen Konsens hinsichtlich des gemeinsamen Wertefundaments. Vielmehr konkurrieren zurzeit offen oder implizit gegensätzliche Verständnisse von „Demokratie“, „Rechtsstaat“, „Europa“ und „Nation“. Jetzt rächt sich, dass man die europäische Integration zu lange als primär wirtschafts- und finanzpolitisches Projekt behandelt hat und den politischen Kernfragen auf europäischer Ebene zu oft durch technokratische Governance-Strukturen und Verfahren aus dem Weg zu gehen versuchte. Das Weimarer Dreieck ist daher der ideale Ort, die überfällige Debatte zur Zukunft Europas als gemeinsames politisches Projekt zu führen. An der Schnittstelle zwischen Ost und West bzw. zwischen EU-28 und Eurozone treffen hier die unterschiedlichen Ideen, Wahrnehmungen und Grundkonzepte für die Zukunft Europas aufeinander. Es ist genau die richtige Zeit, das Weimarer Dreieck in diesem Sinne „wiederzubeleben“, indem man es als transnationalen politischen Raum für die große europäische Zukunftsdebatte über Grundlagen und Zielvorstellungen, Werte und Interessen bzw. über die geeigneten Strukturen und die zentralen Herausforderungen der EU etabliert und dabei sowohl auf die politische als auch auf die kulturelle Dimension des Dreiecks setzt.

 

 

 

 

[1] Siehe Auswärtiges Amt: Gemeinsame Erklärung der Außenminister von Deutschland, Frankreich und Polen zur Zukunft Europas, Weimar, 29. August 1991, abrufbar unter: https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/europa/zusammenarbeit-staaten/weimarer-dreieck-node/weimarerdreieckerklaerung-node (letzter Zugriff: 18.03.2018).

[2] Siehe die Erklärung zur Zukunft der Zusammenarbeit im Rahmen des Weimarer Dreiecks, Treffen der Staats- und Regierungschefs Frankreichs, Polens und Deutschlands am 9. Mai 2003 in Breslau.

[3] Siehe z.B. zuletzt: Martin Koopmann: Europa braucht Weimar: Perspektiven des Weimarer Dreiecks in Krisenzeiten, Genshagener Papier Nr. 18, 2016.

[4] Vgl. dazu: Ivan Krastev: Europadämmerung, Berlin 2017.

Stephen Bastos

Stephen Bastos

Stephen Bastos ist Europa- und Polen-Experte der Stiftung Genshagen. Er ist dort Projektleiter im Bereich „Europäischer Dialog - Europa politisch denken

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