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Europäischer Aufbruch oder europäische Bigotterie?

Was wird aus dem deutsch-französischen Tandem?

Nicht Konsens, sondern Streit war immer der große Treiber der deutsch-französischen Beziehungen. Vergessen ist, dass weder der Binnenmarkt, geschweige denn der Euro ein Pony-Ritt waren, eher im Gegenteil. „Siebenjähriger Krieg“ nannte ein französischer Journalist in den 90er Jahren das deutsch-französische Raufen um den Euro, seinen Namen, die Statute und den Sitz der EZB. In der Wissenschaft nannte der berühmte Politologe Stanley Hofmann das die „Symmetrie der Asymmetrie“: der Widerspruch führte zur Einigung. Vielleicht ist das die Chance für das Merkel-Macron-Duo, das jetzt, wo die deutsche Regierung im Sattel sitzt, endlich in die Gänge zu kommen scheint. Denn im Gegensatz zu Hollande – dem „deutschen Pudel“ – widerspricht Macron Merkel oder will doch etwas Anderes für Europa – zumindest „mehr“ – als die GroKo. Zumindest scheinen die deutsch-französischen Beziehungen derzeit eine Art „dialektischen Moment“ zu durchleben: Deutschland ist zugleich Partner und Widerpart von Macron, der sich überhaupt auf Dialektik zu verstehen scheint und von allem stets das eine, aber auch ein bisschen das Gegenteil will: z.B. seine neue Partei LREM als zivilgesellschaftliche Bewegung von unten und zugleich starke Führung.

Mit Blick auf Europa dürfte folgender Satz aus Macrons Sorbonne-Rede als zentral gelten können: „Ein Staat kann eine Krise nicht alleine durchstehen, wenn er nicht mehr über seine Währungspolitik entscheidet. Aus all diesen Gründen brauchen wir einen stärkeren Haushalt im Zentrum Europas, im Zentrum der Eurozone. Darüber hinaus müssen wir darüber nachdenken, in diesen Haushalt zumindest teilweise eine Steuer einfließen zu lassen, zum Beispiel die Körperschaftssteuer, sobald ihre Harmonisierung erfolgt ist. Ein Haushalt kann nur einhergehen mit einer starken politischen Steuerung durch einen gemeinsamen Minister und eine anspruchsvolle parlamentarische Kontrolle auf europäischer Ebene.“

Brüssel, Angela Merkel und Emmanuel Macron bei einer gemeinsamen Pressekonferenz nach der Frühjahrstagung des Europäischen Rates am 23. März © picture alliance

„Démocratie, unité et souverainité européenne“ sind wiederkehrende Schlagwörter in Macrons Reden, die sich auch sprachlich vom bisherigen Politjargon in Europa abheben und die die Frage der Parlamentarisierung Europas in den Mittelpunkt der Debatte stellen. Es geht um die Input-Legitimität, also die Neuordnung der parlamentarischen Grundlage, die ein Euro-Budget oder einen Euro-Finanzminister erst möglich machen würde, denn ein Finanzminister muss gegenüber einem Parlament, nicht gegenüber einem ECOFIN-Council verantwortlich sein.

Macrons Vorschläge sind weder weitreichend noch radikal, sondern eher alter Wein in neuen Schläuchen. Wenn derzeit darüber spekuliert wird, ob die Eurozonen-Reform nun endlich in die Gänge kommt, dann muss zunächst festgestellt werden, dass es hier nicht etwa um eine neue, überraschende Dynamik geht, sondern eher um eine Art fahrlässige Reformverschleppung, die seit Jahren überfällig ist. Macrons Pläne entsprechen fast eins zu eins jenen Plänen einer Genuine Monetary and Economic Union (GMEU), die bereits im Juni 2012 von der EU-Kommission vorgelegt, dann im „Fünf-Präsidenten-Bericht“ der EU im Dezember 2012 verabschiedet und schließlich vor allem wegen deutscher Obstruktion in sehr abgeschwächter Form im Juni 2015 neu aufgelegt wurden. Zentral geht es dabei um die Weiterentwicklung der Eurozone und ihrer vier „Building-Blocks“: eine Haushalts-, Wirtschafts-, Fiskal- und Politische Union mit ihren Kernbegriffen Eurozonenparlament, Eurozonenbudget und Eurozonen-Finanzminister, was im deutschen Diskurs immer verkürzt als Weg in die „Haftungsgemeinschaft“ oder „Transferunion“ wiedergegeben wird.

In akademischen Zirkeln häuften speziell in jüngerer Zeit die Vorschläge, wie eine solche zu gestalten sei. Es gibt eher minimalistische Forderungen nach der Einrichtung eines europäischen Notfallfonds (EWF) für krisengeplagte Staaten zuzüglich Wachstums- und Innovationsstrategien einer Gruppe Ökonomen, die trotzdem die strukturelle Instabilität der Eurozone unterstreicht: „Die Europäische Währungsunion hat nach wie vor erhebliche Schwächen, ihre institutionelle und finanzielle Architektur ist instabil.“ Es gibt aber auch sehr weitreichende Vorschläge von jenen, die die der Überzeugung sind, dass, wenn die Eurozone nicht schnell grundlegend reformiert wird, anstatt gerade nur eben am Leben erhalten zu werden, sie politisch untragbar wird. Bei diesen Vorschlägen geht es zentral um die Neuverortung der politischen  Legitimität in Europa, die Aufwertung des Europäischen Parlamentes und der demokratischen Verantwortung von Entscheidungen: Das aber ginge weit über den Koalitionsvertrag hinaus, auch wenn der Europa fett im Titel führt, der hier aber weitaus evasiver bleibt: „Um diese Ziele zu erreichen, wollen wir die EU in ihrer Handlungsfähigkeit stärken, insbesondere auch das Europäische Parlament. Wir wollen die EU finanziell stärken, damit sie ihre Aufgaben besser wahrnehmen kann.“ (Koalitionsvertrag, S. 6-11)

Damit aber scheint es nicht mehr nur um eine deutsch-französische time-line zu gehen, sondern um etwas viel Grundsätzlicheres, nämlich darum, ob – allem Anschein zum Trotz – Deutschland und Frankreich überhaupt noch die geeignetsten Partner sind, um eine Euro-Governance-Reform zu lancieren. Oder ob Macron sich anschickt, die europäische Politik in ganz anderer Form aufzumischen: Die CDU ist nach Marcons eigenem Bekunden nicht mehr bester europapolitischer Partner. Zudem formuliert der Elysée mit Macron einen Machtanspruch in Europa, den in Deutschland lange Zeit niemand mehr gewohnt war. Macron scheint zu wissen, was er will. Neu für das Tandem wäre, dass er es notfalls auch ohne oder in Umgehung von Deutschland durchzusetzen bereit scheint. Ein europapolitischer Konflikt innerhalb der großen Koalition scheint damit vorprogrammiert oder zumindest möglich. Anders formuliert: Wie hältst du es mit Europa? wird zur neuen Gretchenfrage. Wer ist europapolitisch bigott und wer vertritt eine wirklich konsequent transnationale Politisierung Europas?

© istock/AlexLMX

In der Essenz werden jetzt noch die vor noch wenigen Jahren als vernünftige und vor allem politisch neutrale institutionelle Reformvorschläge mit Blick auf die Eurozone gehandelte Forderungen, die von Deutschland 2012 mitentwickelt und mitgetragen wurden, mit politischen Kampfbegriffen wie „Transferunion“ oder „Schuldengemeinschaft“ belegt.

Es greift also viel zu kurz, von einem deutsch-französischen Schulterschluss zu sprechen. Der Riss geht auch nicht nur durch die neue deutsche Regierungskoalition. Eher geht es darum, ob die gesamte derzeitige Parteienstruktur in Europa u.a. an der Frage der Eurozonen-Reform zerschellen könnte. Von einer ‚Neuordnung der Parteiengrenzen’ auf europäischer Ebene war in Gesprächen in Brüssel bereits die Rede – was die CDU de facto als politischen Angriff wertet (Vgl. SPIEGEL, 12. März 2018, S. 36). Längst ist La République en Marche in Brüssel angekommen und hat dort nicht nur Netzwerke aufgebaut. Sondern es wird Ausschau gehalten, wen bzw. welche Parteien oder Personen man europaweit für einen großen europäischen Wurf gewinnen könnte. Anders formuliert: Macrons Pläne gehen über das deutsch-französische Tandem hinaus.

Macron plant eine europaweite Liste („Europe en Marche“), für deren Erfolg es entscheidend darauf ankommen dürfte, ob er Teile der europäischen Sozialdemokratien, der europäischen Grünen und den sozial-liberalen Teil der ALDE-Gruppe (im Gegensatz zum liberalen und neo-liberalen Teil von ALDE) für sich gewinnen kann. Um die 70 Mitglieder des EP soll er prinzipiell schon für seine Pläne gewonnen haben. Wer aus Deutschland dabei wäre, ist indes schwer zu sagen. Im Zweifel niemand, während sich gerade in Italien die Partei von Matteo Renzi und sogar Cinque Stella, in Spanien Ciudadanos, in Rumänien die USR (Uniunea Salvați România), in den Niederlanden die D66 (der Counterpart zu Ruttes VVD) und wahrscheinlich einige mehr für Marcons Pläne mit Blick auf die Europawahlen im Mai 2019 einsammeln lassen.

Macron ist davon überzeugt, dass das europäische Parteiensystem aufgebrochen und Platz für eine europäische Sammlungsbewegung geschaffen werden muss, damit es institutionelle Fortschritte in Europa geben kann, die die Frage der Legitimität und der Souveränität europäischer Entscheidungen neu regeln.

Wo Macron also transnationale Listen im Zuge der Aufteilung der britischen Sitze anstrebt, insistiert die EVP/CDU wiederum auf Spitzenkandidaten, für die aber nur bestehende Parteien im EP Kandidaten nominieren können, weswegen Macron dagegen ist. Die ‚Spitzenkandidaten’ versus ‚transnationale Listen’ wird so zu einem verdeckten deutsch-französischen Machtkampf in und um Europa. An der Abstimmung über die transnationalen Listen im Europäischen Parlament am 7. Februar 2018 ist klar zu sehen, dass bei dieser Entscheidung das rechts-links-Schema längst aufgehoben ist. Sie geht mitten durch alle Parteien. Europa ist damit aber auch keine Frage der klassischen deutsch-französischen Zusammenarbeit mehr. Das Tandem hat gleichsam strukturell nicht mehr die Kraft, europäische Fortschritte auf den Weg zu bringen. Für die Demokratisierung Europas ist das perspektivisch gut; für das deutsch-französische Tandem eher nicht.

 

Quelle: http://europa.blog/das-europaische-parlament-stimmte-gegen-eu-weite-wahllisten/

 

Quelle: http://chrisbeck.de/transnationale-listen-sind-notwendig-als-gegengewicht-zum-rat-der-mitgliedstaaten/

Ulrike Guérot

Ulrike Guérot

Ulrike Guérot ist seit 2016 Professorin an der Donau-Universität Krems und Leiterin des dortigen Departments für Europapolitik und Demokratieforschung. Sie ist Gründerin des European Democracy Labs in Berlin. Zuletzt veröffentlichte sie „Der Neue Bürgerkrieg – Das offene Europa und seine Feinde“.

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