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Zeit der Museen

Die vergangenen Jahre waren eine gute Zeit für die Museen in Polen. Neue wurden gegründet, nicht nur in den großen Städten, auch in den kleineren Orten. Viele bereits bestehende wurden renoviert oder erhielten neue Ausstellungsflächen. Und was das Wichtigste ist, die Zahl der Besucher steigt beständig. Für viele Polen gehört der Museumsbesuch zum Lebensstil.

 

© picture alliance

Die Museen durchliefen in Polen nach 1989 tiefgreifende Veränderungen. Wie andere Kultureinrichtungen auch, mussten sie mit den Hinterlassenschaften des vorangegangenen Systems fertigwerden, mit der schweren Krise des letzten Jahrzehnts Volkspolens und mit den unzureichenden Mitteln, die in der ersten Zeit der Transformation für die Kultur zur Verfügung standen. Sie mussten sich mit verwickelten Eigentumsfragen befassen, einem Erbe des Zweiten Weltkriegs und der Nationalisierung nach dem Krieg, wie auch mit den Veränderungen, die in den Jahrzehnten zuvor weltweit in den Museen vor sich gegangen waren.

 

Eine neue Museumslandschaft

Will man die im letzten Vierteljahrhundert vollzogenen Veränderungen an den Museen richtig einschätzen, dürfen die 45 Jahre kommunistischer Herrschaft nicht außen vor bleiben. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden viele zerstörte Einrichtungen wiederaufgebaut (die Verluste an Infrastruktur und Sammlungen waren verheerend), andere wurden neu gegründet, wobei zum Beispiel vormalige Magnatenresidenzen in Museen umgewandelt wurden. Außerdem wurde das Museumswesen wie auch dessen komplette Finanzierung ausnahmslos der Regierung unterstellt, einschließlich der Einrichtungen, die vorher unter Leitung der lokalen Selbstverwaltungen gestanden hatten.

 

Nach 1989 änderte sich viel: Verwaltung und Aufgaben der Museen, Ausstellungsformen und Konservierungsmethoden, nicht zuletzt der Umgang mit den Besuchern. Das ist im hohen Maße ein Verdienst der Museumsmitarbeiter selbst, was sehr wichtig ist. Doch sind drei Veränderungen zu nennen, die von außerhalb kamen. Die erste war eine Folge der Selbstverwaltungsreform von 1999. Damals wurde die Leitung der meisten Museen von den Selbstverwaltungen übernommen; das Ministerium für Kultur und Nationales Erbe ist seither nur für ganz bestimmte, besonders wichtige Einrichtungen verantwortlich oder mitverantwortlich. Diese Entscheidung fand unterschiedliche Resonanz; nicht überall bewährten sich die Selbstverwaltungen als gute Haushälter, und die aktuelle Regierung übernimmt erneut viele Museen in dem Versuch, den Staat stärker zu zentralisieren. Doch in vielen Städten bewährte sich die Selbstverwaltung als gute Museumsleitung, und die Museen wurden zum festen Bestandteil der lokalen Öffentlichkeit.

 

Neue Orte

Die zweite Veränderung war, dass nach vielen Jahren erstmals wieder neue Institutionen gegründet wurden. Diese neuen Einrichtungen gestalteten nicht nur die polnische Museumslandschaft um, sondern sorgten auch für eine veränderte Haltung von Politik und Öffentlichkeit zu den Museen. Das polnische Hauptamt für Statistik (GUS) gibt in seiner Publikation „Kultur im Jahre 2016“ eine Zahl von 944 aktiven Museen in Polen an, 2015 waren es noch 926. 79,6 Prozent waren öffentliche Museen, von denen die meisten, 80,6 Prozent, unter Leitung der territorialen Selbstverwaltung standen. Allerdings bleibt zu ergänzen, dass trotz des stetigen Anstiegs der absoluten Zahlen die Museumsdichte in Polen immer noch geringer als in einigen Vergleichsländern ist; hier gibt es 2,1 Museen auf 100.000 Einwohner. In Tschechien sind es 4,9, in Deutschland 8,1.

 

Die Gründung neuer Museen war und ist jedoch kein Ergebnis einer auf lange Sicht angelegten Regierungspolitik, sondern das zufällige Ergebnis verschiedenster Initiativen, die von einzelnen Selbstverwaltungen, der Regierung in Warschau oder bestimmten Gruppen und Einzelpersonen ausgingen. 2003 wurde das im Folgejahr eröffnete Museum des Warschauer Aufstands gegründet. 2004 begannen die Vorarbeiten für das Museum für Zeitgenössische Kunst (MOCAK) in Krakau, das 2011 eröffnet wurde. Beide Einrichtungen gehen auf Initiativen der Selbstverwaltung zurück. 2005 gründeten die Warschauer Stadtregierung, das Ministerium für Kultur und Nationales Erbe und der Verein Jüdisches Historisches Institut das Museum für die Geschichte der Polnischen Juden POLIN [Polin ist der hebräische und jiddische Name für Polen; A.d.Ü.]; Anstrengungen zur Gründung dieser Einrichtung waren bereits seit 1995 gemacht worden. Im selben Jahr legte die Hauptstadtverwaltung die Grundlagen für ein Museum für Zeitgenössische Kunst. 2006 wurde das Museum für die Geschichte Polens in Warschau gegründet. Seit 2008 liefen die Vorarbeiten für das Museum des Zweiten Weltkriegs in Gdańsk.

 

Die Neugründungen umfassten vorrangig zwei Museumstypen: historische und solche für moderne Kunst. So ging man daran, eine spürbare Lücke zu schließen. Die neuen Einrichtungen sollten von dem Teil der Geschichte erzählen, der in Volkspolen tabuisiert oder nur unter einem bestimmten Blickwinkel gezeigt worden war. Andere wurden der Kunst aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und der Gegenwart gewidmet; solche Museen hatte es in Polen überhaupt noch nicht gegeben, mit Ausnahme des Kunstmuseums in Łódź, das allerdings das gesamte 20. Jahrhundert ebenso wie ältere kunstgeschichtliche Epochen abdeckt. Somit geschah gleichzeitig eine Hinwendung zur Vergangenheit wie zur Gegenwart, was vielleicht sehr vielsagend für das heutige Polen ist. Die Hinwendung zur Gegenwart, die in der öffentlichen Debatte etwas weniger Aufmerksamkeit erfährt, ist sehr wesentlich, denn das Museum, wie vor einigen Jahren die Leiterin des Museums für Zeitgenössische Kunst, Joanna Mytkowska, betonte „wurde in seiner langen, bürgerlichen Tradition immer zu dem Zweck eingerichtet, damit die Menschen sich in einer neuen Lage besser einfinden konnten“.

 

Ganz wichtig für die polnische Museumslandschaft war die Eröffnung des Museums des Warschauer Aufstands 2004, die der Anfang einer ganzen Strömung sogenannter narrativer Museen war. Den Kuratoren des Aufstandsmuseums ist es gelungen, eine für den Besucher außergewöhnlich überzeugende und emotional sehr ansprechende Ausstellung zu schaffen. So entstand einer der wichtigsten Orte in der Warschauer Kulturlandschaft. Vor allem belebten das Museum des Warschauer Aufstands wie auch die später entstandenen narrativen Museen, wie der Historiker Robert Traba meint, „eine narrative Wüste im kulturellen Gedächtnis Polens“. Er fügt hinzu: „[Das Museum des Warschauer Aufstands] reagierte auf einen zweifachen Bedarf in der Gesellschaft, der aus der Tagespolitik und einem in unserer Zeit aufgekommenen Bedürfnis nach einem neuen Narrativ der polnischen Geschichte im 20. Jahrhundert rührt.“

 

Die Besucherzahlen belegen, welchen Stellenwert das Museum des Warschauer Aufstands hat. Im Jahr 2016 allein verzeichnete es 554.500 Besucher. Das von den Kuratoren entwickelte Ausstellungsmodell, das sich an früheren, vor allem US-amerikanischen Expositionen orientiert, legt das größte Gewicht auf den Einsatz von Multimedia und setzt Originalobjekte nur in begrenztem Umfang ein; es wurde damit zum Vorbild für weitere Einrichtungen dieser Art, doch glücklicherweise nimmt man inzwischen wieder Abstand von der Auffassung, authentische Objekte seien überflüssig.

 

Der Bericht „Die Aufgabe moderner narrativer Museen in der Stadtentwicklung“ unterstreicht, dass diese Museumsform wesentlich zum Anwachsen der Besucherzahlen beigetragen hat. Das Frédéric-Chopin-Museum, das Museum für die Geschichte der polnischen Juden POLIN, das Museum des Warschauer Aufstands „haben einen Anteil von 11 Prozent aller Museumsbesucher in Warschau“. Nach der Eröffnung des Museums der Emigration in Gdyniastieg die Zahl der Museumsbesucher dort um 30 Prozent, nach der Eröffnung der „Tore Posens“ ICHOT in Poznań dort um 41 Prozent.

 

Doch hat vor allem die Eröffnung des Museums des Warschauer Aufstands sehr viel dazu beigetragen, das Image der polnischen Museen zu verändern. Vom Zeitpunkt seiner Gründung bis 2015 erschienen mehr als 10.000 Pressemitteilungen. Museen sind unterdessen zum Gegenstand öffentlicher Debatten geworden, und die Politik hat ihr Potential für sich entdeckt (manche brachten Lech Kaczyńskis Sieg bei den Präsidentschaftswahlen von 2005 damit in Verbindung, dass er als Stadtpräsident von Warschau das Aufstandsmuseum auf den Weg gebracht hatte). Man hat erkannt, dass Museen in der Tagespolitik eine wichtige Rolle spielen, aber noch wesentlicher, dass sie ein Instrument der Meinungsbildung sein können.

 

Es ist kein Zufall, dass eine der heftigsten politischen Auseinandersetzungen der letzten Jahre um das Museum des Zweiten Weltkriegs geführt wurde. Diese im vergangenen Jahr eröffnete Einrichtung wurde von Fachleuten und Medien der unterschiedlichsten Ausrichtung sehr wohlwollend aufgenommen, mit breiter Übereinstimmung von links nach rechts, von der Regierung nahestehenden Gruppierungen einmal abgesehen; vor allem aber reagierte das Publikum sehr positiv; die Dauerausstellung wurde in den ersten sechs Monaten von 300.000 Besuchern gesehen. Doch die Kuratoren wurden von der Regierung der PiS-Partei entlassen, und ihre Ausstellung wird allmählich abgebaut. Der Fall des Museums in Gdańsk zeigt vielleicht in paradoxer Weise, welche Bedeutung die Museen in Polen erlangt haben.

 

Nicht nur neue Bauten

Die dritte wesentliche Veränderung betrifft die merkliche Erhöhung der staatlichen Zuwendungen für die Museen. Die Zentralregierung ebenso wie die Selbstverwaltungen haben erkannt, wie wichtig es ist, in Museen zu investieren, und nach Polens Beitritt zur EU standen außerdem EU-Mittel zur Verfügung. In den letzten Jahren gab es einen großen Investitionsboom. Erstmals seit den Zeiten der Zweiten Republik (1918–1939) werden neue Museumsbauten errichtet. 2013 wurde der Bau des Museums der Polnischen Juden POLIN in Warschau fertiggestellt, ein Jahr darauf seine Dauerausstellung eröffnet. 2014 wurden das Schlesische Museum in Katowice und der Neubau des Europäischen Solidarność-Zentrums in Gdańsk zur Nutzung freigegeben. 2016 wurde das Dialogzentrum „Przełomy“ („Umbrüche“, CDP) in Szczecin eröffnet. Noch im Bau sind die neuen Sitze des Museums der Geschichte Polens und des Museums für Zeitgenössische Kunst. Als Dreingabe sind die neuen Bauwerke häufig auch architektonisch sehr ansprechend. Das Gebäude für das jüdische Museum wurde von Rainer Mahlamäki (Lahdelma & Mahlamäki Architects) entworfen und 2014 vom Verband Polnischer Architekten (SARP) als bestes aus öffentlichen Mitteln finanziertes Bauwerk ausgezeichnet. Der Umbrüche-Bau wurde von Robert Konieczny und dem Architektenbüro KWK Promes entworfen und erhielt den European Prize für Urban Public Space 2016.

Dialogzentrum „Przełomy“ in Szczecin / © Oczajdusza!_Michal-Wojtarowicz

 

Noch wichtiger, es wurden auch Mittel für die Instandsetzung schon bestehender Objekte bereitgestellt. Das Nationalmuseum Katowice konnte 2007–2013 seine Abteilungen renovieren, darunter das jahrzehntelang für die Öffentlichkeit geschlossene Hutten-Czapski-Palais mit seiner einzigartigen Münzsammlung. Seit etlichen Jahren sind am Palastensemble in Wilanów äußerst sorgfältige Konservierungsarbeiten im Gange. Unter anderem wurde das Raczyński-Palais in Rogalin saniert, eine Abteilung des Nationalmuseums Poznań, sowie die Palais der Lodzer Industriellen Poznański und Herbst, Sitze des dortigen stadtgeschichtlichen und des Kunstmuseums. Auch Mittel zur Sammlungserweiterung wurden aufgebracht, etwa zur zeitgenössischen Kunst. In den letzten Jahren ist es gelungen, Werke hervorragender polnischer, aber auch ausländischer Künstler anzukaufen, etwa von Kader Attia, Geta Brătescu, Sarah Lucas, Wolfgang Tillmans oder Ai Weiwei. Besonders wichtig ist, dass die Unterstützung der Museen konsequent von den letzten Regierungen einschließlich der PiS-Regierung betrieben wurde, trotz der Kontroversen beispielsweise um das Museum des Zweiten Weltkriegs. Die aktuelle Regierung hat die Czartoryski-Sammlung angekauft, die wichtigste historische Sammlung in Polen überhaupt, zu der Werke vom Range der „Dame mit dem Hermelin“ von Leonardo da Vinci und der „Landschaft mit dem barmherzigen Samariter“ von Rembrandt gehören. Das Schloss in Gołuchów mit der darin befindlichen Sammlung wurde aufgekauft, das vormalige Krakauer Hotel Cracovia, in dem sich die Designsammlung des dortigen Nationalmuseums befindet. Unlängst stellte die Regierung Mittel zum Erwerb des Hauses des namhaften Architekten und Kunsttheoretikers Oskar Hansen in Szumin bereit, das als Außenstelle in das Warschauer Museum für Zeitgenössische Kunst eingegliedert wurde. Es gibt jedoch ein Problem, das über viele Jahre nicht gelöst werden konnte: Die Gehälter der Museumsmitarbeiter verharren seit langer Zeit auf einem sehr niedrigen Niveau.

 

Das Publikum

Die wohl wichtigste Veränderung in den polnischen Museen ist die Zahl der Besucher. Im Lauf eines Jahrzehnts ist sie um 50 Prozent gewachsen: 2016 waren es 36,1 Millionen, 2007 noch 20,4 Millionen. Diese Entwicklung ist an einzelnen Einrichtungen gut abzulesen. Das Staatliche Museum Auschwitz-Birkenau wurde 2007 von 1.270.000 Personen besucht, 2016 waren es bereits 2.054.000; Das Königsschloss auf dem Wawel in Krakau hatte 2016 1.073.000 Besucher und 2007 noch 1.073.000 Besucher; das Nationalmuseum in Warschau hatte 2016 nicht weniger als 689.000, 2007 waren es noch 262.000. Auch die zeitweiligen Ausstellungen finden viel Publikumszuspruch. Um nur einige Beispiele aus dem vergangenen Jahr zu nennen: „Die Sirene, dein trügerisches Wappenschild“ [die „Syrenka“ ist die Wappenfigur von Warschau; A.d.Ü.] im Warschauer Museum für Zeitgenössische Kunst hatte 44.000 Besucher; „Biedermeier“ im Warschauer Nationalmuseum 46.000; „Wyspiański“ im Nationalmuseum in Krakau 57.500. Nicht ohne Bedeutung ist auch, dass selbst die kleineren Einrichtungen wie etwa das Regionalmuseum in Stalowa Wola interessante Ausstellungen anbieten.

 

Unter all den Publikumszahlen fällt eine besonders ins Auge. Die polnischen Museen haben heute Bildung zu ihren zentralen Aufgaben gemacht. Wenn man Ausschau nach einer echten Revolution hält, hat sie auf diesem Gebiet stattgefunden. Diverse edukative Veranstaltungen wie etwa Vorlesungen wurden 2016 von 8,3 Millionen Menschen besucht.

 

Seit 1989 haben die polnischen Museen versucht, sich in der neuen Situation zurechtzufinden. Auf der Suche nach einem Platz in der Gegenwart privilegieren sie die einen Aufgaben, während sie die anderen als weniger wichtig einstufen. Darin fließen verschiedenste Vorstellungen ein: das Museum als Ort der öffentlichen Debatte, als Ort der Unterhaltung, als Bildungszentrum, als Ort ästhetischen Innehaltens. Das wichtigste ist, dass die Vielfalt der polnischen Museumslandschaft erhalten werden konnte. In der pluralistischen Gesellschaft von heute ist sie unverzichtbar. Etwas ganz Wichtiges ist eingetreten, wovon die Besucherzahlen zeugen: Die Museen haben sich als Einrichtungen des öffentlichen Lebens etablieren können. Sie haben es geschafft, sich an die Zeit anzupassen und doch das Vertrauen der Öffentlichkeit und ihre Geltung zu wahren.

 

Aus dem Polnischen von Andreas R. Hofmann

Piotr Kosiewski

Piotr Kosiewski

Piotr Kosiewski ist Historiker, Kunstkritiker und Publizist. Er schreibt regelmäßig für die polnische Wochenzeitschrift „Tygodnik Powszechny” und das Magazin „Szum".

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