Eine Polin? Schön, stark, fleißig, klug, katholisch und sexy. Eine Frau, die sich selbstlos für andere opfert und für ihre Familie alles tut. Hin- und hergerissen zwischen dem Mythos der Mutter Polin, der selbstbewussten modernen Partnerin und der Feministin. Aber stimmt das Bild?
„Bei einer Polin, kannst du ja nichts falsch machen“, hörte Christian von seinen Kumpels in Berlin, als er eine WG-Partnerin suchte. Unkompliziert seien sie, die Frauen aus dem Osten und dazu noch vorzeigbar. Ein Vorurteil? Statistisch gesehen nicht. Bei binationalen Ehen entscheiden sich deutsche Männer an erster Stelle für Polinnen. Tendenz steigend. „Der Polin Reiz bleibt unerreicht. Die Polin hat von allen Reizen die exquisitesten vereint. Womit die andern einzeln geizen, bei ihr als Bukett erscheint“ – das Lied aus der Operette „Der Bettelstudent“ wird in diesem Zusammenhang gern zitiert.
Magdalena Przedmojska sitzt in ihrem Büro im Zentrum Warschaus und rollt mit den Augen. „Ja, ja… Schön und unkompliziert.“ Es ist Freitagnachmittag und gleich geht es mit dem Schwarzen Protest los. Erneut marschieren polnische Frauen auf den Straßen mit Transparenten, um für ihre Rechte zu kämpfen. Genau vor 100 Jahren taten sie es auch. Sie wollten politisch mitentscheiden dürfen, wie die Männer. Und sie hatten Erfolg: Das Frauenwahlrecht wurde 1918 in Polen und in vielen anderen europäischen Ländern eingeführt. Nun wollen die Polinnen nichts anderes als eine Wahlfreiheit zu haben, in einem sensiblen Bereich der Familienplanung, wozu auch die Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruchs zählt. „Legal und sicher“, sagt Przedmojska, und stellt klar: „Wir wollen nicht eine Abtreibung auf Zuruf haben. Keine Frau will einen Abort. Aber die Wahl, es tun zu dürfen, wenn es in einer Krisensituation notwendig ist.“ Es könne nicht sei, empört sich die junge Frau, dass im 21. Jahrhundert in einem europäischen Land jemand eine Frau gesetzlich dazu verpflichten will, dass sie ein lebensunfähiges krankes Kind, auch mit dem Risiko das eigene Leben zu verlieren, gebärt, damit es getauft werden kann. „Das ist barbarisch“, sagt Przedmojska, die hart mit der Kirche ins Gericht geht. Diese bestimme mit ihren verkrusteten Strukturen und Vorstellungen die gesellschaftliche und politische Debatte.
„Es wird uns Frauen in Polen ein Bild aufgezwungen, man sagt uns was wir zu wollen haben“, erklärt sie. Es sei eine sehr patriarchale Vorstellung – und durchaus bequem für den männlichen Teil der Gesellschaft. Gerade habe sie gesehen, dass man in einer Fernsehsendung diskutiere, ob ein Mann, der zuhause putzt, weniger männlich sei. „Das ist doch absurd! Warum fragen wir solche Sachen, die im 21. Jahrhundert selbstverständlich sein sollten?“ Die Zeiten haben sich geändert, die Arbeitsmodelle erfordern es auch, dass Pflichten – etwa im Haushalt – gleich verteilt werden. Dass darüber wieder einmal diskutiert werden muss, verstehe die Warschauerin beim besten Willen nicht.
Es gäbe schließlich nicht mehr nur den einen Lebensentwurf, den traditionellen und von der Kirche bevorzugten. Frau und Mann lernen sich kennen, heiraten früh, haben Kinder. „Wer will, gern. Aber ich will es selbst bestimmen, ob das auch für mich infrage käme, und mir nicht dieses Modell aufzwingen lassen“, sagt Przedmojska, die mit ihrem Freund auch eine Familie gründen will. In ihrem Freundeskreis sieht sie verschiedene Wege, auch die konservativen. „Jeder soll wählen dürfen. In jedem Lebensbereich.“ Deswegen finde sie die Proteste auch so wichtig. „Es ist an der Zeit. Wir haben das Bedürfnis für uns zu kämpfen“, sagt sie. Gegen das Aufdrängen von einem bestimmten Weg. „Das ist unser Feind. Dieses von oben, von einigen Männern, von der Kirche, von der Politik verordnete. Wir versammeln uns bewusst für die Wahlfreiheit.“
Selbstbewusst, kämpferisch, gebildet…. Trotzdem sehen sich viele Frauen in einem Zwiespalt zwischen dem, was sie gern leben würden und den gesellschaftlichen Vorstellungen, die tief in ihnen verankert sind. Oft unbewusst. Es ist der Mythos, der manch einer jungen Polin im Weg steht, meint Joanna Mielewczyk. Der Mythos der Mutter Polin. Einer unverwüstlichen Frau. Einer bis zur Gnadenlosigkeit opferbereiten Mutter, die Moral und christliche Werte verteidigt, sich dem Wohl der Familie und der Nation verschreibe. Konserviert und symbolisiert wird der Mythos seit Jahrhunderten im Marienkult und dem der leidenden Mutter Gottes. Das Bild der Schwarzen Madonna von Tschenstochau steht exemplarisch dafür. Zwar seien die polnischen Frauen emanzipiert und stark, doch die überlieferten Weiblichkeitsmodelle, basierend auf dem genannten Mythos, belasten und blockieren sie. „Es sind diese Erwartungen“, sagt die 39-Jährige. Von außen und an sich selbst. Eine Matka Polka (Mutter Polin) sollte doch alles im Griff haben. Sich, die Kinder, den Haushalt, den Mann, die Karriere etc. Wie präsent dieses Bild in der Gesellschaft ist, zeigt ein Zitat der ehemaligen Premierministerin Beata Szydło, die im Interview sagte: „Privat koche und putze ich, bin einfach eine glückliche Mutter Polin“.
Dieses Spannungsverhältnis erfuhr Mielewczyk, als sie selbst Mutter wurde. „Ich hatte ein Szenario für mein Mutterdasein“, sagt sie. Doch die Mutter Polin in ihr verifizierte vieles. Plötzlich waren Schuldgefühle da, weil nicht alles perfekt lief, wie in der Werbung oder dem überlieferten Bild. Sie war müde, gereizt, überfordert. Und fühlte sich zwischen der Realität und dem Bild der idealen Mutter Polin, die sich klaglos aufopfert und dabei noch blendend aussieht, gefangen. Mit „Mutter Polin-Feministin“ startete sie im Radio eine Sendung, bei der sie dem Thema nachging. Gespräche mit Experten, mit anderen Müttern, mit Vätern, mit Familien. Über Rollenvorstellungen, Klischees, über Mythen und Kirche. Warum aber Feministin? Weil die Frauen bewusst und reflektiert sind, was ihre Rechte angeht. Zugleich vergessen sie aber ihre Bedürfnisse, können keine Grenzen setzen, erlauben sich nicht, bestimmte Erwartungen nicht zu erfüllen, verlieren sich darin, Muster zu leben, die nicht ihren Wünschen entsprechen. „Der Preis, den eine Frau zahlt um dem Mythos der Mutter Polin gerecht zu werden, ist sehr hoch und entspricht nicht mehr der gesellschaftlichen Realität“, sagt die gebürtige Breslauerin, die jetzt mit ihrer Familie in München lebt. Sie wünschte sich mehr Aufklärung und eine offene Diskussion darüber, was Frauen wirklich wollen. Die derzeitige polnische Politik konzentriere sich aber vor allem darauf, das traditionelle Familienmodel zu unterstützen. Erst vor wenigen Tagen versprach die regierende PiS-Partei weitere Vergünstigungen für Familien mit Kindern und Prämien für weitere Kinder.
Das findet Olga Dolesniak-Harczuk gerade richtig. Die Journalistin ist gläubige Katholikin und arbeitet für nationalkonservative Medien in Polen. Frauen in Polen seien frei und ihre Rechte würden in keinerlei Weise eingeschränkt werden, sagt die 38-Jährige überzeugt. Damit zielt sie vor allem auf die neuesten Proteste gegen die Verschärfung des Abtreibungsgesetzes. „Wir haben die Wahlfreiheit, aber im Rahmen der christlichen Werte und ethischen Regeln, die befolgt werden sollen“, betont sie. Anders als Magdalena Przedmojska sieht die Warschauerin die Rolle der Kirche nicht so kritisch. „Im Gegensatz zu West-Deutschland, wo lange Zeit die drei K regierten (Kinder, Küche, Kirche), hat die Kirche in Polen die Frauen nie in ihrem Fortkommen gehindert“, betont sie. Sie gebe Orientierung in einer unübersichtlich gewordenen Welt.
Und dass die Polin, vor allem als Mutter bereit ist, sich zu opfern, sei in ihren genetischen Code quasi eingeschrieben. „Das bringt die Geschichte des Landes mit sich. Die Frauen trugen die große Verantwortung für die Familie, während die Männer auf den Kriegsschauplätzen dieser Welt für die Freiheit kämpften oder diese verteidigten“, erzählt Dolesniak-Harczuk. Daher rühre die Stärke der polnischen Frauen und ihre Selbstlosigkeit. Bei manchen Männern gäbe es eine Krise der Männlichkeit, und wieder seien es die Frauen, die die führende Rolle in den Familien übernehmen. „Für mich sind es Heldinnen des Alltags“, sagt sie. „Sie sind stark und perfekt darin, was sie machen, als Mütter, und auch beruflich.“ Das würde polnische Frauen kennzeichnen, dass sie multifunktionell in allen Lebensbereichen gleichzeitig funktionieren und das grandios meistern.
„Aber zu welchem Preis geschieht es“, fragt Mielewczyk empört. Die Frauen sind ein Nervenbündel, ausgepowert und die Kliniken werden voller, weil sie ausgebrannt sind. Sie appelliert: Lasst die Frauen doch einfach leben und nicht als Mutter Polin zusammenbrechen.
Magdalena Przedmojska glaubt an die Macht der Frauen. Die Politiker erkannten die Kraft, die von den Protesten ausgeht. Einen Rückschritt werde es nicht geben, meint sie. Dafür seien die Frauen zu selbstbewusst, zu emanzipiert. Was noch fehle, sei aber die richtige Bildung und Aufklärung. Die Debatte „Me too“ zeigte etwa, dass viele Frauen in Polen nie gelernt haben, ihre Grenzen – auch bei körperlichen Übergriffen – aufzuzeigen. Ein Mädchen werde zur Nettigkeit erzogen, sagt die 33-Jährige. „Es soll aber auch sagen dürfen, dass es etwas nicht will! Eine Wahl haben!“