Er liebt sie, sie ihn nicht. Sie findet ihn interessant, er ignoriert sie. Egal, wie man es dreht und wendet, sie kommen einfach nicht zusammen. So in etwa sieht das deutsch-polnische Verhältnis zurzeit aus. Das ergab – vereinfach gesagt – eine Untersuchung, die es in der Form bereits seit 2000 gibt, das deutsch-polnische Barometer. Das Warschauer Institut für öffentliche Angelegenheiten macht diese Stimmungsaufnahme in Zusammenarbeit mit verschiedenen Partnern. Diesmal waren die Konrad-Adenauer-Stiftung und die Körber Stiftung mit an Bord. Die finanzielle Unterstützung übernahm wie in den Vorjahren die Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit.
Die Ergebnisse der als repräsentativ geltenden Studie sorgten medial für große Aufmerksamkeit. Der Tenor: Deutsche und Polen verstehen sich nicht; es gibt Desinteresse einerseits, der Wunsch nach mehr Kontakt andererseits; die Sympathien der Polen werden nicht erwidert, auch wenn bei offiziellen Anlässen, die Verbundenheit und Freundschaft der beiden Völker stets betont wird.
Fakt ist: Zwei Drittel der Deutschen haben ihr Nachbarland im Osten noch nie besucht. Eine Zahl, die auch Gabriele Woidelko überrascht hat. Sie leitet den Bereich Geschichte und Politik bei der Körber Stiftung in Hamburg und verantwortete die Studie mit. „Mein Eindruck ist, dass es nicht an der geographischen Distanz liegt, sondern viel mehr an den mentalen Landkarten. In Deutschland haben wir, was den Abbau der Mauern in den Köpfen angeht, Nachholbedarf“, sagt die Expertin. Ihrer Meinung nach liege es mitunter daran, dass es nach 1989 offensichtlich noch nicht ganz geschafft wurde, Polen als größten Nachbarn in Mittelosteuropa in eben diese mentale Landkarte einzuprogrammieren. „Für viele Deutsche wirkt Polen weiter weg als es ist, weil fast 30 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs die ehemalige Blockgrenze in den Köpfen immer noch mitschwingt.“
Diese Grenze sieht auch Gerhard Gnauck. Der Journalist, der seit mehr als 20 Jahren aus Polen berichtet, zuletzt als Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, möchte die Zahl der deutschen Nicht-Besucher trotzdem nicht überbewerten. „Auch zwei Drittel der Polen waren noch nie in Deutschland“, sagt er, schränkt aber zugleich auch ein: „Wobei allerdings die Polen nicht damit angeben, ´Reiseweltmeister` zu sein.“ Er verweist in diesem Zusammenhang auf eine andere Studie, die einige Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung erstellt wurde: „Diese Untersuchung brachte zu Tage, dass zwei Drittel der Westdeutschen noch nie die neuen Bundesländern besucht haben.“
Das allgemeine Problem bleibe aber in der Tat bestehen: „Der östliche Nachbar in Europa ist immer der graue, wenig interessante, unangenehme, nicht im Trend liegende Nachbar.“ Ein Problem, dass der Westen im Allgemeinen mit dem Osten habe, sagt Pierre-Frédéric Weber. Der französischstämmige Politologe und Historiker lehrt an der Universität in Stettin und beschäftigt sich seit Jahren mit den deutsch-polnisch-französischen Beziehungen. Eine feindliche Einstellung der Deutschen gegenüber Polen würde er ihnen nicht unterstellen, auch wenn nur 29 Prozent von ihnen die polnischen Sympathien, die mit 56 Prozent in der Analyse angegeben werden, erwidern. Vielmehr schwinge hier eine Art Desinteresse mit, was Polen aus Deutschland erfährt. Das Land werde nicht wahrgenommen als Nachbar und als Partner. Weber zieht hier gern den Vergleich zu Frankreich: „Es ist ein gemütliches Nebeneinander der Deutschen und der Franzosen, geprägt durch Banalität und Desinteresse.“ Von daher sollte auch diese gewisse Ignoranz zwischen Berlin und Warschau nicht überbewertet werden. Hier spiele Asymmetrie eine gewisse Rolle, meint Weber und erklärt: „Für viele Deutsche ist Polen viel mehr auf Deutschland angewiesen als umgekehrt. Das ist ein Stereotyp und eine gewisse Arroganz aus Unkenntnis.“
Ein sichtbares Zeichen für die gegenseitigen Beziehungen sei die Zahl der Schüler, die jeweils die Sprache des Nachbarn lernen. Immer weniger Franzosen lernen Deutsch. Ein ähnliches Missverhältnis gebe es zwischen den Deutsch- und Polnischlernenden. Eine Million Polen lernen Deutsch und nur 20.000 Deutsche Polnisch, so die Schätzungen.
Die Ergebnisse des Barometers beeindrucken Weber wenig. „Das sind keine Großwetterlagen, sondern eher Wellen auf der Fläche des Ozeans – und als solche sollen sie gesehen werden.“ Das sei eine Momentaufnahme und die Schärfentiefe fehle bei dieser Art von Schnappschuss. „Die Studie ist nicht belanglos, aber ich würde mir wegen der Zahlen, die da auftauchen, keine großen Sorgen machen. In einem halben Jahr kann es komplett anders aussehen“, sagt der Experte. Zumal die politische Lage große Auswirkung auf die Gemütsschwankungen habe.
„Das Problem ist, dass das Polenbild vieler Deutscher stark von den Medien geprägt wird – von daher ist es eher auf Politik und Regierungsebene fixiert.“ Die politische Situation in Polen sei gerade wie sie sei und die Berichterstattung in den westeuropäischen Ländern dementsprechend nicht sehr positiv. Im Gegensatz dazu, auch wenn polnische Medien über Deutschland und die deutsche Politik negativ berichten, gebe es viele Polen, die direkten Kontakt zu Deutschen und Deutschland haben. Weil sie das Land besucht haben, dort arbeiten, studieren etc. „Dadurch fällt das Deutschlandbild vieler Polen differenzierter und somit oft positiver aus als umgekehrt, wenn die Begegnung fehlt und vor allem die mediale Perspektive tonangebend ist“, sagt Weber.
Das ergab auch das Barometer. Die Ergebnisse zeigten zum Beispiel, wie gespalten die polnische Gesellschaft ist, was die historischen Fragen angeht, wie etwa die nach den Reparationen. „Das hat mich deshalb überrascht, weil wir, wenn wir aus der Perspektive der Medienberichterstattung von Deutschland nach Polen schauen, dabei oft den Eindruck haben, als gäbe es in unserem Nachbarland eine große Mehrheit, die hinter der Regierung und ihrer Politik stünde. Dabei gehen die Nuancen verloren“, sagt Gabriele Woidelko. „Positiv war von daher für mich zu sehen, dass ein großer Teil der polnischen Bevölkerung sagt, die Reparationen sollten keine Priorität haben. Und noch viel wichtiger: ein großer Teil sagt, Polen und Deutschland sollen sich in ihrer Zusammenarbeit vielmehr auf die Gegenwart und Zukunft im Rahmen der EU konzentrieren und nicht auf die Vergangenheit.“
Wenn es um die Zukunft geht, dann liefert die Umfrage scheinbar ein Patentrezept für die bilateralen Beziehungen: Mehr Begegnung. Unter denjenigen Deutschen, die nach 1989 regelmäßig in Polen waren, gaben 70 Prozent an, dass sie Sympathien empfänden. Die regelmäßigen polnischen Deutschlandbesucher sagen das zu 68 Prozent. Regionale Unterschiede sind in der Studie nicht bemerkbar. Egal ob es die Grenzregion war oder weiter entfernte Bundesländer.
Begegnungen schaffen, aber wie? „Tourismus kann man nicht aufzwingen“, meint dazu Weber. „Wenn es jemandem besser gefällt, den Urlaub auf Gran Canaria zu verbringen als an der polnischen Ostseeküste, dann ist es so.“ Der Osteuropaexperte würde auf eine andere Stärke setzen: „Die Attraktivität Polens hängt stark von der ökonomischen Attraktivität ab. Je mehr Polen als wichtiger wirtschaftlicher Partner auftritt und nicht als Absatzmarkt, umso besser wirkt sich das auf das Polenbild aus. Auch in den breiteren Teilen der Bevölkerung.“ Diese Lobbyarbeit sollten Wirtschafsverbände übernehmen und polnische Produkte bei deutschen Konsumenten besser sichtbar machen. „Dass der Deutsche weiß, dass er gerade polnische Produkte verwendet – etwa Schuhe – und dass diese auch gute Qualität haben. Über Konsum und Wirtschaft kann man viel erreichen. Und den Kunden auch somit für das Land interessieren.“ Ein Argument, das durch die Quantität des bilateralen Handels bekräftigt wird: Das Handelsvolumen zwischen Polen und Deutschland beträgt laut der letzten Erhebung 110 Milliarden Euro, mehr als mit Russland mit 60 Milliarden Euro.
Zahlen und Fakten sind das eine, das andere die Befindlichkeiten. Und diese wollten die Wissenschaftler mit ihrer Studie erfassen: „Mit der Befragung wollten wir genauer hinsehen. Um das diffuse Bild, das wir haben und das uns den Eindruck vermittelt, Polen entferne sich zunehmend von Deutschland, aber auch innerhalb der EU, zu verifizieren. Wir wollten wissen, was an der Wahrnehmung wahr ist. Und was die Menschen in beiden Ländern über zentrale Fragen denken, welches Europabild sie haben und wie sie zu den historischen Fragen sowie zu der Geschichtspolitik, wie sie betrieben wird, stehen. Es geht darum, die große Nachrichtenlage und die Berichterstattung zusammenzubringen mit dem, was die Leute denken. Es lohnt sich genauer hinzusehen, denn aus den Ergebnissen kann man konkrete Lösungsvorschläge machen“, sagt Gabriele Woidelko. „Dabei wäre es wichtig zu betonen, dass es nicht um Parteinahme geht und auch nicht darum, mit dem Finger auf den einen oder anderen Politiker zu zeigen. Unser Ziel ist es, zu einem konstruktiven Austausch zurückzukommen. Das wollen die Menschen auch, wie das Barometer zeigt.“
Und was die unerwiderte Liebe als Sinnbild für den Zustand der deutsch-polnischen Beziehungen angeht? So ganz stimmt es wohl doch nicht. Denn auf der zwischenmenschlichen Ebene funktioniert es. Vor allem zwischen ihr und ihm, wenn man sich die steigende Zahl der binationalen Ehen in Deutschland anguckt. Die meisten von ihnen sind deutsch-polnisch, die polnischen Frauen sind als Ehepartnerinnen sehr beliebt. Die Legende von der stolzen Polin Wanda, die sich in die Fluten der Weichsel stürzte, weil sie einen Deutschen nicht heiraten wollte, muss wohl umgeschrieben werden. Zwischen Helmut und Wanda – da läuft es ziemlich gut. Ein positives Zeichen für das kriselnde deutsch-polnische Verhältnis. Die Koordinatorin der polnischen Regierung für deutsch-polnische Zusammenarbeit und Beziehungen, Renata Szczęch, paraphrasierte dahingehend eine polnische Redewendung und sagte vor einigen Wochen in Berlin bei dem Treffen mit ihrem Kollegen aus Deutschland, Dietmar Woidke, mit viel Augenzwinkern: Wo der Teufel selber nichts mehr ausrichten kann, da schickt er eine Frau. Frei nach dem Motto: Wir Frauen werden es schon hinbekommen, auch wenn manch eine Situation zu festgefahren zu sein scheint.