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Emmanuel Macrons Wettlauf mit der Zeit

Der Beginn des Herbstes zeigt sich für Emmanuel Macron spannungsgeladen. Die vergangenen Wochen haben ihm mit der Affäre um seinen Sicherheitsmann Benalla den ersten Skandal seiner Amtszeit beschert. Umweltminister Nicolas Hulot hat als beliebtestes Mitglied der Regierung seinen Rücktritt erklärt und dem Präsidenten fehlende Konsequenz vorgeworfen. Die Opposition hat im Parlament ihren ersten wirklichen Sieg erreicht, indem sie die geplante Reform der Institutionen verschoben hat. All dies wäre für sich genommen nicht besonders problematisch, wenn nicht immer mehr Franzosen an der Umsetzung des Kernversprechens von Macron zweifeln würden: am wirtschaftlichen Aufschwung.

 

Trotz der Vielzahl von teils umgesetzten, teils laufenden Reformvorhaben steigt die Unzufriedenheit der Wähler mit ihrem Präsidenten. Kritiker werfen ihm vor, statt der Verbindung liberaler und sozialer Maßnahmen lediglich den ersten Teil zu erfüllen. Diese Unzufriedenheit hat Macron mit seinem Programm in Kauf genommen und sich dabei eine gewisse Unbeirrbarkeit zur Devise gemacht. Dazu gehört, Konflikte durchzustehen und sich nicht von Gewerkschaften oder Demonstranten von seinem Reformkurs abbringen zu lassen. Er spekuliert darauf, gegen Ende seiner Amtszeit substantielle Erfolge vorweisen zu können. Doch Macron läuft die Zeit davon. Die Europawahlen im kommenden Mai sind für ihn der erste wichtige Gradmesser innen- aber auch außenpolitischer Erfolge. Deren Ausgang ist umso wichtiger, als Macron mit seinem anderen großen Reformprojekt – der Reform der Europäischen Union – noch nicht so wie geplant vorangekommen ist.

 

Reformieren unter Spannung

Eng getaktet setzte die Regierung unter Premierminister Edouard Philippe in den letzten zwölf Monaten bereits eine Vielzahl von Reformen um, darunter auch in Bereichen, die bislang als „nicht reformierbar“ galten. Dazu zählt insbesondere die Reform der französischen Eisenbahngesellschaft SNCF. Neben ihrer Teilprivatisierung gelten bisherige arbeitsrechtliche Sonderrechte für Eisenbahner nicht mehr. Dass gerade in diesem in der Vergangenheit so sensiblen Bereich die Versuche der Gewerkschaften und der Linken, eine frankreichweite Mobilisierung durch Streiks und Demonstrationen gegen die Reform zu erreichen, ins Leere liefen, kann von Macron als Erfolg verbucht werden. Auch andere Bereiche wie eine Flexibilisierung des Arbeitsrechts sowie neue Regelungen zum Hochschulzugang wurden nicht von Protesten gebremst. Hauptgründe dafür sind Differenzen zwischen den um Mitglieder konkurrierenden Gewerkschaften, die keine gemeinsame Linie finden konnten, sowie Macrons Strategie der Gleichzeitigkeit: Die Vielzahl der gleichzeitig laufenden Reform- und Gesetzesprojekte zu ganz unterschiedlichen Themen verhindern die Möglichkeit zu einer breiten Mobilisierung dagegen.

 

Diese Strategie könnte jedoch bald nicht mehr wirken, um die großangelegte „Transformation“ des Landes ohne allzu viel Gegenprotest weiterzuführen. Die Zufriedenheit der Franzosen mit Macron ist nach dem Sommer auf einem Tiefststand angelangt. Unzufriedenheit empfindet eine wachsende Zahl von Franzosen weniger gegenüber Sachfragen bezüglich konkreter Maßnahmen, sondern vielmehr hinsichtlich der Gesamtausrichtung der Reformen: Eine Abgabenerhöhung trifft vor allem Rentner; Kürzungen beim Wohngeld treffen viele junge Menschen. Kritisiert wird zudem Macrons allgemeiner Führungsstil, der von einer Mehrheit der Franzosen als autoritär wahrgenommen wird. Der politische Schaden der Benalla-Affäre, bei der ein enger Sicherheitsmitarbeiter Macrons gegenüber Demonstranten gewalttätig wurde, liegt insbesondere in der fehlenden Bereitschaft des Präsidenten begründet, öffentlich die Verantwortung für den Fall zu übernehmen und ihn nicht als „Sturm im Wasserglas“ abzutun.

 

Für die kommenden Monate stehen weitere bedeutende Reformen bevor, darunter große Themen wie Rente, Arbeitslosenversicherung und die zuletzt aufgeschobene Reform der Institutionen. Letztere soll unter anderem das Parlament verkleinern und einen kleinen Anteil der Sitzvergabe über das Verhältnis- anstelle des Mehrheitswahlrechts einführen. Außerdem soll eine „soziale Wende“ erfolgen: Nun hat Macron den lang erwarteten und mehrmals verschobenen “plan pauvreté” vorgestellt, der Maßnahmen zur Bekämpfung von Armut beinhaltet. Im Rahmen seiner Amtszeit sollen dafür zusätzlich 8 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt werden; außerdem sollen verschiedene Maßnahmen die Rückkehr Arbeitssuchender ins Erwerbsleben erleichtern – vor allem junger Menschen. Damit will er dem Vorwurf, seine Politik werde vor allem auf dem Rücken derjenigen ausgetragen, die ohnehin schon benachteiligt sind, entgegenwirken. Dies alleine wird nicht zu einem Imagewechsel des Präsidenten führen. Hierzu bräuchte es spürbare Veränderungen im Alltag. Die größten Prioritäten sehen Franzosen nach wie vor bei den Themen Arbeitslosigkeit, Kaufkraft und sozialer Ungleichheit. Deuteten zu Beginn des Jahres steigende Wachstumszahlen und die seit zehn Jahren erstmalige Unterschreitung der Defizitgrenze erste Erfolge an, lässt der Aufschwung nun nach und die Regierung musste ihre für 2019 geplanten Einnahmen im neuen Haushalt nach unten korrigieren. Der psychologisch so wichtige Optimismus, der sich erst kürzlich in Frankreich eingestellt hatte, ist also fragil – aber für Macrons Politik umso wichtiger, da sich Reformerfolge nur selten kurzfristig messen lassen.

 

© istock/z_wei

Nur kleine Schritte in der Europapolitik

Innenpolitische Erfolge sind für Macron eng mit seiner Europapolitik verknüpft. Größtes außenpolitisches Projekt seiner Amtszeit ist die Reform der EU: Ein gemeinsamer Haushalt mit einem EU-Finanzminister zur Stabilisierung der Eurozone, ein europäisches Asylamt, mehr Investitionen in Digitalisierung sind Kernpunkte, die Frankreichs Präsident immer wieder öffentlich in diversen Reden ausgeführt hat. Er braucht dafür Unterstützung und Zugeständnisse, ganz besonders von Deutschland. Dafür, so kündigte er schon im Wahlkampf an, werde er mit innenpolitischen Reformerfolgen Frankreichs Glaubwürdigkeit wiederherstellen.

 

Seitdem haben Macron und Angela Merkel wie zuletzt in Marseille regelmäßig gemeinsame Schritte und Einigkeit bekräftigt, doch können die Darstellungen deutsch-französischer Freundschaft nach außen nicht darüber hinwegtäuschen, dass noch immer fundamental unterschiedliche Sichtweisen bestehen – vor allem in den Fragen eines EU-Haushalts und der Zusammenarbeit in der Sicherheitspolitik. Gerade hinsichtlich Sicherheit und Verteidigung möchte sich Frankreich beim Schritt hin zu mehr Unabhängigkeit Europas von den USA nicht mehr allzu sehr auf Deutschland verlassen: Mit einer europäischen Interventionsinitiative lancierte Macron eine Struktur außerhalb der EU, die auch das Vereinigte Königreich nach dem EU-Austritt einbeziehen und bei Militäreinsätzen schneller handlungsfähig sein soll. Deutschland hat sich nur zögerlich dazu bereiterklärt, Teil dieser Initiative zu sein. Ob Eurozone oder Verteidigung: Paris nimmt Berlin immer mehr als Bremse wahr; die Notwendigkeit für grundlegende Reformen werde nicht erkannt, beklagt die französische Seite.

 

Macron versucht derweil, auch woanders Unterstützer zu finden. Er hat dabei zweierlei Interessen: Zum einen will er Zustimmung unter EU-Partnern zu den Reformmaßnahmen erhalten. Zum anderen bereitet er mögliche Allianzen im Europaparlament vor, mit denen seine neu ins Parlament einziehende Bewegung La République en marche mehrheitsfähig werden soll. Mit seinem Sieg bei den Präsidentschaftswahlen hat er das französische Parteiensystem und insbesondere die traditionelle Rechts-Links-Spaltung zunächst einmal erfolgreich aufgebrochen. Wiederholen, was bei den Präsidentschaftswahlen in Frankreich funktioniert hat: Das scheint auch bei den Wahlen zum Europaparlament sein Ziel zu sein. Mit einer kürzlich ausgerufen „Allianz der Progressiven“ möchte er über die klassischen politischen Gruppierungen im EP hinweg ein Bündnis für ein liberales Europa schmieden, das wachsenden nationalistisch-protektionistischen Gruppen entgegentritt. Von der konservativen Fraktion EVP (Europäische Volkspartei) im Europaparlament, der auch die CDU angehört, erwartet er eine deutliche Abgrenzung von ihr ebenso zugehörigen rechtspopulistischen Strömungen und Parteien wie Victor Orbáns Fidesz.

 

Mit der offenen Kontroverse gegenüber Orbán oder dem italienischen Innenminister Matteo Salvini wählt Macron eine ganz andere Taktik gegen den wachsenden Rechtspopulismus als Merkel. Diese Spannungslinie fügt sich nun im Vorfeld der EU-Wahlen den schon bestehenden Differenzen zwischen Frankreich und Deutschland hinzu. Wie die beiden in den kommenden Monaten mit diesen Spannungen umgehen werden und wie Macron mit dem wachsenden innenpolitischen Druck umgeht, wird sich unweigerlich im Ergebnis der Europawahlen niederschlagen. Deutlicher kann kaum gezeigt werden, dass die Zeiten endgültig vorüber sind, in denen nationale Politik abgekoppelt von europäischer Politik geführt werden kann.

 

 

Julie Hamann

Julie Hamann

Julie Hamann ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Programm Frankreich/deutsch-französische Beziehungen der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).

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