Im frühen Stadium der Systemtransformation hatte die Unterteilung der belarussischen politischen Elite in Herrschaftselite und Gegenelite mehr mit Symbolik als mit der Realität zu tun. Heute zeigen beide Gruppen Eigenschaften des homo postsovieticus und fügen sich nahtlos in das postsowjetische Modell der politischen Kultur ein. Allerdings haben Lukaschenkas Transformation und autoritäre Modernisierung die Unterstützung der Öffentlichkeit gewonnen, während das von der Gegenelite propagierte Modell sich als ineffektiv erwiesen hat.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 spielte die politische Elite eine Schlüsselrolle bei der Systemtransformation in den postsowjetischen Ländern; Belarus war darin keine Ausnahme. Die ersten Jahre der Unabhängigkeit bildeten eine sehr wichtige Etappe, in der die Formierung der politischen Elite darüber entschied, wie die politische, ökonomische und soziale Entwicklung weiter verlaufen würde. Die Aktivitäten von Elite und Gegenelite (das heißt Opposition) wirkten beide auf die Dynamik der soziopolitischen Veränderungen in Belarus ein.
Belarussische Idiosynkrasien
In politikwissenschaftlichen Untersuchungen der belarussischen Transformation, die als noch nicht abgeschlossen gelten sollte, sind Begriffe wie „belarussisches Transformationsmodell“ oder „belarussisches soziopolitisches Modell“ geläufig. Das ist insofern gerechtfertigt, als Belarus in der Tat einem eigenen, eigentümlichen Modell politischer und wirtschaftlicher Entwicklung folgt. Dieses ist offenbar nicht darauf ausgerichtet, eine stabile Demokratie und den freien Markt zu etablieren, sondern ist charakterisiert durch die Durchsetzung einer relativ stabilen, gelenkten Wirtschaft, die Konzentration politischer Macht, aber ohne Staatspartei mit Machtmonopol, eine passive Zivilgesellschaft und das Fehlen von Oligarchen.
Umstrittener sind Begriffe wie „letzte Diktatur in Europa“ oder „souveräne Demokratie“, die ebenfalls im Diskurs zur belarussischen Systemtransformation in Gebrauch sind. Diese Begriffe sind eher üblich bei westlichen Journalisten und politischen Kommentatoren, die darin ihre negative Einschätzung des gegenwärtigen Regimes einkleiden.
Alles in allem lässt sich das politische System von Belarus wohl am besten als hybride Form von Autoritarismus und Sultanat beschreiben. Diese Umschreibung trifft die wichtigsten Eigenschaften seiner Funktionsweise und des Verhaltens der Herrschaftselite, nämlich sich oft zu verändern und an die geopolitischen Bedingungen anzupassen. Erwartungsgemäß weist dieses Hybrid Züge von Demokratie wie Autoritarismus auf. Er verfügt über eine konsolidierte Machtstruktur mit einem klar erkennbaren Zentrum, dem Präsidenten und seinem engeren Kreis, und einer schwachen und fragmentierten Gegenelite als Opposition. Daneben gibt es ein anpassungsfähige Staatsideologie und eine vielschichtige Identität. Wie erwähnt, hat die Transformation die Stabilität des sozioökonomischen Systems nicht sonderlich beeinträchtigt, aber eine kontrollierte Modernisierung ermöglicht.
Auch das gegenwärtige Regime weist auf einige der Idiosynkrasien hin, die sich im Ergebnis der Transformation entwickelt haben. Vor allem ist die Meinungsvielfalt im Parlament seit den 1990er Jahren erheblich zurückgegangen und dient heute nur noch als Dekor. Ferner sind die für eine Demokratie schließlich zentralen Wahlen inzwischen fast bedeutungslos geworden, sie werden nur noch als Mittel zum Zweck gesehen. Insbesondere Lokalwahlen gelten bei Regierung wie Opposition als völlig unwichtig. Einen etwas höheren Stellenwert haben noch die Parlamentswahlen, weil dabei Parteien konkurrieren, die die Regierung entweder unterstützen oder ablehnen. Die Präsidentschaftswahlen gelten als die noch unzweifelhaft wichtigsten Wahlen.
Drittens arbeitet das belarussische Parlament, ohne dass darin wie in wirklichen Demokratien Politik und Parteiauseinandersetzungen zum Tragen kommen. Die meisten seiner Abgeordneten sind parteilos. Ebenso wichtig ist, dass der kleine Anteil von weniger als zehn Prozent der Mandate, die noch über Parteilisten vergeben werden, gewöhnlich an Mitglieder von ausgesprochenen Lobbyparteien entfällt, die Lukaschenkas Politik insgesamt unterstützen.
Die Machtelite
Im frühen Stadium der Systemtransformation hatte die Unterteilung der belarussischen politischen Elite in Herrschaftselite und Gegenelite mehr mit Symbolik als mit der Realität zu tun. Tatsächlich benutzten beide Gruppen ähnliche Slogans und rhetorische Floskeln. Infolge mangelnder demokratischer Erfahrung waren ihre politischen Programme oft schwammig, sehr allgemein und vage. Die politischen Profile beider Seiten haben sich erst seit 1995 klarer herausgebildet. In jenem Jahr ermöglichte eine Volksabstimmung eine Verfassungsänderung zugunsten des Präsidenten. Seither hat Lukaschenka die Befugnis, das Parlament aufzulösen, wodurch seine Macht erheblich gewachsen ist. Dadurch hat sich die Herrschaftselite ideologisch stärker integriert. Praktisch läuft ihre Ideologie darauf hinaus, an der Macht bleiben zu wollen.
Was die Struktur der Herrschaftselite angeht, so bilden der Präsident und sein innerer Zirkel den harten Kern, innerhalb dessen alle wichtigen Entscheidungen getroffen werden. Der Präsident gibt nicht allein die Richtung vor, sondern ist Schirmherr und Schlichter in einer Person. Er entscheidet darüber, wie die verschiedenen Interessengruppen in seiner direkten Umgebung funktionieren. Das gibt ihm die Möglichkeit, die einen zu bevorzugen und die anderen zu schwächen. Er entscheidet auch darüber, wie Begünstigungen und Privilegien unter ihnen verteilt werden.
Anders als manche Experten meinen, ist die herrschende Klasse in Belarus keineswegs ein unbeweglicher Monolith. Einige ihrer Eigenschaften gleichen denen eines entwickelten Klientelsystems mit seinen horizontalen und vertikalen Beziehungen; innerhalb dieses Systems können teilautonome Clans bestehen. Diese Gruppierungen bekämpfen sich untereinander, um privilegierten Zugang zum Schirmherrn zu erhalten. Die wichtigste und dominante ist die sogenannte Schklou-Mahiljou-Gruppe, deren Name sich auf die beiden Städte bezieht, in denen Lukaschenka seine Laufbahn begann. Diese Gruppe umfasst Personen, die Lukaschenka kannten und mit ihm arbeiteten, bevor er Präsident wurde. Bis vor kurzem galten die silowiki, also die Repräsentanten der Streitkräfte und Polizei, als mächtigster aller Clans im Umfeld des Präsidenten. Als jedoch ihr Einfluss zu groß wurde, schwächte Lukaschenka sie. Dazu brauchte er beinahe zehn Jahre (1999 bis 2008), aber Lukaschenka scheint es zu mögen, Schachfiguren auf dem Brett zu verschieben. So sorgt er für die Machtbalance zwischen Personen und Gruppierungen innerhalb der Herrschaftselite.
Eine andere einflussreiche Gruppe besteht aus den Technokraten. Sie gehören größtenteils der Regierung an, sind höher‑ oder niederrangige Staatsbeamte, die in den frühen 2000er Jahren in die Politik gingen. Letztere gewannen mit dem Machtschwund der silowiki Kontrolle über den Finanzsektor und die Sicherheitskräfte. Das machte sie zu einem der mächtigsten Clans. Die Clans und Interessengruppen innerhalb der Machtelite befinden sich miteinander in einem permanenten Konkurrenzkampf. Der Präsident als Schirmherr des Systems sorgt dafür, dass niemand zu stark wird. Dies erreicht er durch starke Personalfluktuation in den höchsten staatlichen Positionen.
Zudem gibt es Medien und Kultureinrichtungen , die der Regierung zu Diensten stehen, und eine Gruppe von Unternehmern mit Verbindungen zur Regierung. Diese sind allerdings keine Oligarchen mit direktem Einfluss auf die Politik, wie wir sie aus Russland und der Ukraine kennen. Belarussische Unternehmer verfügen über keine eigene Machtbasis, ihr wirtschaftlicher Erfolg hängt weitgehend von Willen und Nachfrage der Regierung ab. Zum System der Herrschaftselite gehören auch regierungsnahe Parteien, die nicht mit unabhängigen politischen Akteuren verwechselt werden sollten und die nur während der Parlaments‑ und Präsidentschaftswahlen aktiviert werden.
Die Belaja Rus
Wie bereits erwähnt, Belarus unterscheidet sich dadurch in charakteristischer Weise von den meisten postsowjetischen Staaten einschließlich Russlands und der Ukraine, dass es keine Staats‑ und Regierungspartei gibt. Daher ist der Verein „Belaja Rus“ (Weiße Rus) ein besonders interessanter Fall. Er ist mit 170.000 Mitgliedern die größte politische Gruppierung in Belarus. Der Verein wurde 2007 gegründet und ist seither die für die belarussische Nomenklatur wichtigste Organisation geworden. Die Vereinsführung gehört zu Lukaschenkas innerem Kreis der Macht. Ziel des Vereins ist es, die Politik des Präsidenten zu unterstützen. Seit seiner Gründung war die Annahme, die Belaja Rus würde sich rasch weiterentwickeln und eines Tages zur Staats‑ und Regierungspartei werden. Diese Transformation ist noch nicht erfolgt, was wahrscheinlich an der paternalistischen Machtstruktur in Belarus liegt.
In seinen öffentlichen Reden kritisiert Lukaschenka vielmehr Belaja Rus des Öfteren und behauptet, „aus ideologischen Gründen“ niemals einer politischen Partei angehören oder sie führen zu wollen, und er werde jeden innerhalb des Machtapparates überprüfen, der „irgendeiner Form von Organisation“ angehört. Sollte aus Belaja Rus oder einer anderen Organisation jemals eine Regierungspartei werden, würde deren Führung eine Bedrohung für den Präsidenten darstellen. Die Parteispitzen könnten beispielsweise die staatlichen Ressourcen verwenden, um sich gegen Lukaschenka in Position zu bringen, oder sie könnten sich über eine Parteiliste ins Parlament wählen lassen, was der Präsidentenzirkel zu vermeiden versucht.
Offenkundig hegen Belarussen keine uneingeschränkte Bewunderung für Lukaschenka und seine Regierung. Die Gesellschaft verhält sich eher opportunistisch und passt sich den gerade obwaltenden Bedingungen an. Diese Haltung rührt daraus, dass die Menschen keine Möglichkeit sehen, Einfluss auf die Politik zu nehmen, aber auch keine reale Alternative erkennen. Lukaschenkas System ist zwar nicht demokratisch, aber es garantiert den meisten Menschen Stabilität und ein Auskommen, das ihre Grundbedürfnisse abdeckt.
Während die Regierung für diese wesentlichen Bedürfnisse sorgt, bietet sie außerdem eine simple Ideologie an. Sie verwendet eine Sprache, welche die Menschen verstehen und sichert ihnen auch für die Zukunft stabile Verhältnisse zu. Für die meisten Belarussen ist das wichtiger als die unverständlichen Slogans der Opposition, die sie als realitätsfern wahrnehmen. Anders als die Gegenelite versteht es die Machtelite, sich an wechselnde Umstände anzupassen, auch wenn die Ergebnisse nicht immer optimal sind.
Die in der Gesellschaft bestehende Unzufriedenheit mit der Regierung, die nach Umfragen auf zwanzig bis dreißig Prozent geschätzt wird, hat sich noch nicht in Unterstützung für die Opposition verwandelt. Tatsächlich fällt die Zustimmung für einzelne Oppositionsparteien in den Bereich der statistischen Fehlermarge. Daher ist die belarussische Machtelite zurzeit sehr stabil und es sieht nicht danach aus, dass die Opposition ihre Machtbasis in naher Zukunft wird untergraben können.
Die Gegenelite
Die belarussische Gegenelite, das heißt die Opposition, ist schwach und fragmentiert. Dies passt nicht besonders in das Bild, das sich der Westen von Belarus macht und in dem eine brutale, undemokratische Herrschaftselite einer demokratischen, proeuropäischen, unterdrückten Opposition gegenübersteht. Die belarussische Gegenelite lässt sich am besten als Summe einer Reihe objektiver Umstände verstehen: von Machtmonopol, Abwesenheit wirklichen politischen Wettbewerbs und natürlich von Repressionen. Dazu kommen allerdings noch einige subjektive Faktoren, die im selben Maße bestimmen, wie die belarussische Opposition funktioniert. Im Folgenden seien einige der wichtigsten dieser Faktoren benannt.
Interne Reproduktion und begrenzter innerer Personalwechsel. Die in den 1990er Jahren entstandene Opposition hat sich bis heute kaum verändert. Ihre wichtigsten Parteien stammen aus den frühen Jahren der Unabhängigkeit. Gegenwärtig hat sie Imageprobleme aufgrund ihres Versagens in der Vergangenheit und ihres Mangels an charismatischen Führungspersönlichkeiten.
Generationskonflikt. Die Oppositionsparteien haben meist mit einem internen Generationskonflikt zu tun. Die meisten Aktiven der Parteien sind Veteranen der ersten Stunde und arbeiten innerhalb einer von altmodischen Strategien geprägten Parteistruktur. Beides beschwört erhebliche Konflikte mit jüngeren Parteimitgliedern herauf, die gern eine aktivere Rolle übernehmen würden.
Ineffiziente Mitgliederwerbung. Die Oppositionsparteien verstehen es dementsprechend auch nicht, neue und insbesondere jüngere Mitglieder für sich zu interessieren. Die Mitgliederwerbung ist umso schwieriger, als die Bevölkerung größtenteils politisch indifferent ist und zur Regierung keine gangbare und klare Alternative sieht.
Geringe Konsolidierung und schwaches Mobilisierungspotential. Fakt ist, dass die Opposition mehr als zwanzig Jahre damit verbracht hat, über die Notwendigkeit von Konsolidierung und Einigkeit zu reden, weil nur vereinte demokratische Kräfte eine reelle Chance im Machtkampf hätten. Dieser Ansatz erscheint zwar logisch und nachvollziehbar, hat aber nicht vermocht, eine wirksame Alternative zu Lukaschenkas Regime zu formieren. Seit den Präsidentschaftswahlen von 2006 ist die Einigkeit der Opposition sogar noch weiter geschwunden.
Ideologische Konflikte. Die belarussische Gegenelite umfasst eine Anzahl von Parteien und Organisationen mit sehr unterschiedlichen Zwecken und Wertesystemen. Die allermeisten befürworten Rechtstaatlichkeit, Demokratie, Menschenrechte, bürgerliche und individuelle Freiheiten und die EU. Doch sind auch Organisationen darunter, die offenbar etwas ganz anderes anstreben als eine westliche, liberale Demokratie.
Konflikte auf persönlicher Ebene. Einige der genannten Probleme haben schwerwiegende Konflikte innerhalb der Gegenelite ausgelöst. Der Mangel an Einigkeit wirkt destruktiv und ist die Achillesferse der belarussischen Opposition. Leider finden die persönlichen Ambitionen von Oppositionsführern meist mehr Publizität als die eigentliche Arbeit ihrer Gruppierungen.
Mangelnde gesellschaftliche Einbettung. Zwischen den Oppositionsparteien und dem Rest der Gesellschaft gibt es eine spürbare Distanz. Das ist umso problematischer, als es während der Transformation überwiegend die Oppositionsparteien waren, die Modelle für das belarussische Regierungssystem entwarfen.
Erstaunlich ähnlich?
Schaut man sich die Rhetorik der belarussischen Opposition einmal näher an, fällt auf, dass ihr besonderes Missfallen durch eine angebliche „sowjetische“ Regierungsweise und die homo sovieticus-Mentalität der Regierenden erregt wird. Die Gegenelite hat sich dagegen stets als Gegner des sowjetischen Lebensstils präsentiert, unter dem sie Kollektivismus, Unterwürfigkeit, Opportunismus, Prinzipienlosigkeit und mangelnden Respekt vor dem Gesetz versteht. Ganz besonders richtet sich die Opposition gegen die Personalisierung von Macht, die in Anbetracht der Tatsache unübersehbar ist, dass Lukaschenka seit 1994 ununterbrochen Präsident ist.
Sieht man sich die Opposition jedoch genauer an, stellt sich heraus, dass sie sich strukturell gar nicht so sehr von den Machthabern unterscheidet. Anatol Ljabedska beispielsweise ist seit achtzehn Jahren Chef der oppositionellen Vereinigten Bürgerpartei von Belarus. Er wurde neunmal hintereinander zum Parteivorsitzenden gewählt. Sjarhej Kalakin ist seit 1994 Vorsitzender der belarussischen Linkspartei „Gerechte Welt“, also genauso lang, wie Lukaschenka an der Macht ist. Sjanon Pasnjak steht bereits fast dreißig Jahre lang, nämlich seit 1989, an der Spitze der Belarussischen Volksfront. Angesichts dieser Tatsachen sprechen belarussische Politikwissenschaftler oft von „Diktaturen im Miniaturformat“ innerhalb der Gegenelite, die der Machtelite fast spiegelbildlich entsprechen. Infolgedessen sind etliche Oppositionsparteien zu einer Art von politischem Erbhof ihrer Vorsitzenden geworden.
Das alles sorgt für das schlechte Image der Opposition und das mangelnde Vertrauen in sie. Anscheinend besitzt ein beträchtlicher Teil der belarussischen Opposition genau dieselbe homo postsovieticus-Mentalität wie die Machtelite. Der einzige Unterschied besteht darin, dass die Regierung kein Hehl aus ihren Absichten und Überzeugungen macht und sich immer wieder sowjetnostalgisch äußert, um ihre Positionen zu legitimieren.
Es stehen Entscheidungsjahre bevor
Es gibt keine erkennbaren Anzeichen dafür, dass sich an der beschriebenen Situation in naher Zukunft etwas ändern könnte. Sowohl Herrschaftselite als auch Gegenelite weisen Merkmale des homo postsovieticus auf, wie sie für die postsowjetische politische Kultur charakteristisch sind. Während jedoch Lukaschenkas Form von Transformation und autoritärer Modernisierung die Unterstützung der Öffentlichkeit gewonnen hat, erweist sich das von der Gegenelite propagierte politische Modell als nicht ausreichend populär. Es biete keine wirkliche Alternative für den Status quo.
Die nächsten Parlaments‑ und Präsidentschaftswahlen in Belarus stehen 2020 an und die nächsten beiden Jahre werden offenbar über das Schicksal der Gegenelite entscheiden. Gegenwärtig verfügt diese über ein erweitertes Spektrum an Möglichkeiten und Instrumenten, um ihre Ideen zu verbreiten. Unter der Voraussetzung, dass die Opposition die notwendigen Vorkehrungen trifft, um die homo-sovieticus-Krankheit zu besiegen, werden die Kräfte der Demokratie eine Überlebenschance haben.
Zum Abschluss möchte ich jedoch auf ein interessantes Phänomen aufmerksam machen, dass sich innerhalb der Gegenelite entwickelt, allerdings außerhalb der politischen Parteien. Es geht um die zahlreichen Gruppen und Bewegungen der Zivilgesellschaft, die sich im Laufe der Zeit in eine attraktivere Gegenelite weiterentwickeln könnten. Gegenwärtig wollen sie meist nicht mit der Regierungsseite noch der Opposition in Verbindung gebracht werden. Sie sind überwiegend lokal aktiv und konzentrieren sich auf bestimmte Sachgebiete wie Umwelt, Sprache oder Stadtentwicklung. Aber ihre Präsenz macht sich zunehmend bemerkbar und gerade weil sie auf direkte politische Aussagen verzichten, sind sie recht wirksam. Ihre Rolle könnte mit der Zeit noch wachsen, wobei der Staat und das Verhalten der gegenwärtigen Opposition dafür mitbestimmend sein könnten.
Aus dem Englischen von Andreas R. Hofmann