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Filmkritik: Zwei Staffeln, null Treffer

Ende des Sommers kam es zu einer in der polnischen Filmbranche noch nicht dagewesenen Konstellation. Wer womöglich schon seit Jahren darauf gewartet hatte, dass endlich einmal die Heldengeschichte der polnischen Piloten im Zweiten Weltkrieg auf die Leinwand gebracht würde, bekam nun gleich eine doppelte Portion an Kriegsfilmen verabreicht. In kaum zweiwöchigem Abstand starteten in den Kinos zwei Filme über die Staffel 303 (die polnische 303 Squadron der Royal Airforce): Am 17. August hatte „Hurricane: Squadron 303” („303. Bitwa o Anglię“) Premiere, am 31. August „Staffel 303. Die wahre Geschichte“ („Dywizjon 303. Historia prawdziwa“). Während die 1940 berühmtgewordene Einheit im Luftraum über Großbritannien um den Fortbestand des Landes kämpfte, mussten sich ihre Filmversionen des Jahres 2018 ein erdgebundenes Duell um die Gunst des Zuschauers liefern.

 

Im Sturzflug gegen die Realität

Um diese kuriose Koinzidenz zu verstehen, müssen wir gut zehn Jahre zurückgehen, denn der Traum von einem mit einem Mammutbudget ausgestatteten, effektvollen polnischen Historienkino reicht bis zu den Anfängen des Polnischen Instituts für Filmkunst (Polski Instytut Sztuki Filmowej) zurück. Als 2006 das Gerücht durch die Medien ging, Mel Gibson wolle einen Film über den Entsatz von Wien 1683 machen, in dem er die Rolle des polnischen Königs Johannes III. Sobieski übernehmen würde, waren neben den Filmleuten und ‑verleihern auch gleich die Kinogänger ganz aus dem Häuschen. Aus der Idee wurde nichts – zwar wurde ein Film über die Schlacht am Kahlenberg tatsächlich gedreht („Bitwa pod Wiedniem“, Die Schlacht von Wien, Titel im deutschen Verleih: „Die Belagerung. September Eleven 1683“, 2012), aber ohne Mel Gibson, und das Ergebnis war so daneben, dass es einfach nur zum Schämen ist. Doch der Traum vom ganz großen Kino zur Verherrlichung polnischen Heldentums geisterte weiter durch die polnische Öffentlichkeit und wurde immer mal wieder von der Politik oder von Filmproduzenten aufgewärmt.

 

„Staffel 303“ sollte den Wunschtraum endlich wahr werden lassen. Ein besseres Sujet ließe sich kaum finden: Ein Häuflein tapferer Polen kämpft um die Zukunft gleich ganz Europas. Die Verfilmung von Arkady Fiedlers berühmter Reportage, welche die Heldenstücke der polnischen Kampfpiloten von Tag zu Tag nacherzählt, sollte ein Riesenbudget und eine internationale Besetzung haben. Noch 2016 kündigte die britische Firma  Carnaby International, zuständig für den internationalen Vertrieb des Streifens, an, zur Verstärkung der polnischen Besetzung würden Leinwandstars engagiert wie Jude Law, daneben der aus den „Expendables“ bekannte Jason Statham sowie Benedict Cumberbatch, seines Zeichens Sherlock Holmes aus der erfolgreichen BBC-Serie; ferner sollte als Geliebte des Piloten Jan Zumbach Olga Kurylenko auftreten, vor allem bekannt als Bondgirl in „Ein Quantum Trost“.

 

Doch genauso wenig wie Mel Gibson die „Schlacht bei Wien“, beehrte diese internationale Starriege die „Staffel 303“ mit ihrer Mitwirkung. Das Projekt von Filmproduzent Jacek Samojłowicz, noch in Erinnerung unter anderem wegen seiner Beteiligung an der von der Kritik völlig versenkten polnischen Filmkomödie „Kac Wawa“ (2011), aber auch an „Wojna polsko-ruska“ (Der polnisch-russische Krieg, 2009) nach dem Roman von Dorota Masłowska, geriet immer wieder in Turbulenzen. Zuerst schmiss Regisseur Łukasz Palkowski hin, der bei „Bogowie“ (Götter, 2014), einem Biopic über den Kardiologen Zbigniew Religa, die Regie geführt hatte. Dann übernahm Wiesław Saniewski, gab aber nach einem Schlaganfall seine berufliche Laufbahn gleich ganz auf. Schließlich führte Denis Delić die Regie, ein aus Kroatien stammender Absolvent der Lodzer Filmhochschule, der in Polen unter anderem die ungeheuer erfolgreiche romantische Komödie „Ja wam pokażę!“ (Ich werd’s euch zeigen, 2006) gedreht hatte.

 

Die Premiere musste immer wieder verschoben werden – unterdessen fiel das Budget mit der Rasanz, mit der die deutschen Piloten im Kampf gegen die titelgebende Staffel vom Himmel stürzten. 2016 kündigte Kino Świat seinen Vertrag, der größte Filmverleiher in Polen, der vierzig Prozent des inländischen Marktes beherrscht; als Begründung wurden die Abweichungen des vielfach umgeschriebenen Drehbuchs von den historischen Fakten angegeben. Schließlich landete das Budget von „Staffel 303“ bei nicht mehr als vierzehn Millionen Złoty (etwa 3,24 Millionen Euro nach aktuellem Stand ). Für einen Historienfilm ist das ein lächerliches Budget, für das in den Vereinigten Staaten vielleicht gerade einmal ein Zweipersonen-Psychodrama gedreht wird. Im polnischen Kino der jüngsten Zeit hat es bereits sehr viel teurere Produktionen gegeben: Agnieszka Hollands „W ciemności“ (In der Finsternis, 2011) kostete zwanzig Millionen Złoty, „Miasto 44“ (Warschau ’44, 2014) von Jan Komasa 25 Millionen, und „Quo Vadis“ (2001) von Jerzy Kawalerowicz hält mit 76 Millionen (nicht inflationsbereinigt) den Rekord.

 

Der Konkurrenzstreifen „Hurricane: Squadron 303“ ist ebenfalls ein viel teurerer Film, denn das Budget dieser polnisch-britischen Koproduktion wird auf etwa zehn Millionen US-Dollar geschätzt. Allerdings ist seine Entstehungsgeschichte auch sehr viel weniger aufsehenerregend als bei Samojłowicz’ „Staffel 303“. „Hurricane“ entstand im Auftrag von Rakuten TV, eines internationalen Videostreaming-Service mit Sitz in Barcelona, der nach dem Vorbild von Netflix begonnen hat, unter dem Label „Rakuten Cinema“ eigene Filmproduktionen zu vermarkten. Der Film wurde schnell und professionell unter Beteiligung polnischer Schauspieler abgedreht, darunter besonders prominent der auf den Filmplakaten zu sehende Marcin Dorociński; die Regie führte der britische Regisseur David Blair. In Polen läuft der Film unter dem Titel „303. Bitwa o Anglię“ (auf deutsch: „303. Schlacht um Großbritannien“), der der polnischen Produktion „Staffel 303“ („Dywizjon 303. Historia prawdziwa“) zum Verwechseln ähnelt. Außerhalb Polens läuft der Film unter dem Namen „Hurricane“, nach den gleichnamigen britischen Jagdflugzeugen, und wird gleichzeitig in den Kinos und als Video-on-Demand vermarktet. Der polnische Verleih hat jedoch beschlossen, ein ganz besonderes Bohei um den Streifen zu machen.

 

Krieg ums wahre Polentum

Nachdem Kino Świat aus Überdruss über die ständigen Probleme und Verzögerungen bei der Produktion den Vertrieb von „Staffel 303“ aufgegeben hatte, unterschrieb Samojłowicz eine Vereinbarung mit der Firma Mówi Serwis, die bei der Werbung von der Polsat-Gruppe unterstützt wird. Der ursprüngliche Verleiher blieb derweil nicht untätig, sondern kaufte die Rechte für „Hurricane“ und legte die Premiere des Streifens auf einen Termin zwei Wochen vor derjenigen von „Staffel 303“. Auf dem Forum „Wokół Kina“ (Rings ums Kino), einem halbjährigen Treffen von Filmleuten und Verleihern, wurde groteskerweise von Mówi Serwic der eine, von Kino Świat der andere der Staffel-Filme promotet.

 

Rasch entwickelte sich ein kurioser Kleinkrieg, über den sich die sozialen Medien genüsslich ausließen. Die Plakate für „Hurricane“ wurden so gestaltet, dass sie denen für „Staffel 303“ so ähnlich sahen wie nur möglich. Mówi Serwis reagierte darauf mit dem Slogan „Verwechsle nicht den Film“, der auf das bereits fertig produzierte Plakat geklebt wurde. Der Vertrieb von Samojłowicz’ Film unterstrich auch besonders gerne, dass es bei ihm um eine inländische Produktion gehe und keineswegs einen Importfilm; daher wurde der Untertitel „Die wahre Geschichte“ hinzugefügt, und bei Youtube wurde ein Clip eingestellt mit dem bezeichnenden Titel „Der Film ‘Staffel 303’ – schau dir an, wieso ihn jeder Pole sehen muss“. Kino Świat returnierte mit einem Plakat mit der Parole „Ruhm den Helden“.

 

Filmplakat zu „Hurricane: Squadron 303” („303. Bitwa o Anglię“)
Filmplakat zu „Staffel 303“ („Dywizjon 303. Historia prawdziwa“) © Film Media S.A.

Dieser mit wenig subtilen Mitteln geführte und an Geschmacksverirrung leidende Krieg um den Beweis des größeren Patriotismus wurde von „Staffel 303“ gewonnen. Im Augenblick, da ich dies niederschreibe (3. Oktober 2018), hat „Hurricane“ 391.109 Eintrittskarten verkauft, „Die wahre Geschichte“ dagegen fast dreimal soviel, nämlich 1.115.174. Besonders wichtig ist, dass „Staffel 303“ immer noch in fast zweihundert Kinos in ganz Polen läuft und ein häufiges Ziel von Schulausflügen ist, daher hat der Film eine realistische Chance, die Kinoauswertung mit etwa 1,5 Millionen verkauften Karten zu beenden. Die „polnische“ Staffel 303 hat also unbedingt einen überwältigenden Sieg bei den Einspielergebnissen davongetragen. Allein aus der künstlerischen Luftschlacht ist niemand als Sieger hervorgegangen.

 

Filmische Luftnummern

„Staffel 303. Die wahre Geschichte“ ist ein altertümlicher und unzeitgemäßer Film. Die berühmten Piloten aus Fiedlers Buch, allen voran Jan Zumbach, Witold Łokuciewski und Mirosław „Ox“ Ferić, werden als eine Gruppe unbekümmerter, tapferer Burschen dargestellt, die ebenso behände feindliche Flugzeuge vom Himmel holen, wie sie  rüpelhafte Streiche aushecken und mit unterkühlten Engländerinnen flirten. Auch wenn uns permanent vermittelt wird, das Schicksal der Alliierten liege in den Händen der 303 Squadron, so ist der Ernst der Lage im Film eigentlich nirgends auszumachen. Völlig ungenutzt bleibt ebenso das Potential der dramatischen Situation, in der sich die polnischen Piloten in Großbritannien befanden, zumal sie nicht wussten, ob ihre Angehörigen unter der deutschen Besatzung überhaupt noch am Leben waren. Die Helden der Staffel 303 pflegen ihre Liebschaften, trinken Whisky auf Kosten von General Sikorski und hin und weder setzen sie sich tatsächlich sogar ins Cockpit, um Messerschmitts mit ihren Bord-MGs zu beharken. Dabei bleiben sie ohne jedes individuelle Profil und der Zuschauer erfährt rein gar nichts über ihre inneren Seelenqualen, einmal abgesehen von Zumbachs Liebeskummer.

 

Die Schuld daran trägt überwiegend das missratene Drehbuch, das in erster Fassung von dem legendären Autor Jerzy Skolimowski verfasst, dann aber von Krzysztof Burdza, Tomasz Kępski und Jacek Samojłowicz umgeschrieben wurde (letzterer tritt außerdem in einer Nebenrolle als Hermann Göring auf). Dem Skript fehlt eine Struktur, die der Geschichte Kontur geben und dem Zuschauer gestatten würde, sich für das Schicksal der Flieger zu interessieren; es gibt weder einen die Handlung vorantreibenden Erzählstil noch einen auf einen Höhepunkt zusteuernden Spannungsbogen. Deutsche Flugzeuge abzuschießen erscheint so leicht wie ein Spiel auf der Playstation, und die ständigen Zitate von Vorbildern des Kriegs‑ und Actionfilms, allen voran das „Dreckige Dutzend“ (The Dirty Dozen, 1967) und „Agenten sterben einsam“ (Where Eagles Dare, 1968) sind den Autoren auch nicht sonderlich gelungen. Bezeichnenderweise spielen mit Rücksicht auf das bescheidene Budget mehr Szenen in englischen Pubs, in denen die Polen auf ihre siegreichen Luftkämpfe anstoßen, als in der Luft.

 

Wenn der Film endlich doch einmal von der Startbahn abhebt, ist überraschenderweise dennoch „Staffel 303“überzeugender als der dreifach teurere „Hurricane“. Wenn noch Bedenken hinsichtlich der in Polen gefertigten Special Effects bestehen sollten, kann der Kinogänger ganz beruhigt sein: Die Cockpits wurden sorgfältig und realistisch nachgebildet, die Luftkämpfe haben das richtige Tempo und sind gut geschnitten. Leider lässt sich das von dem Konkurrenzfilm nicht behaupten: Die Actionszenen in „Hurricane“ hätten bereits in den siebziger Jahren niemanden mehr vom Hocker gerissen. Die in Graubrauntönen gehaltenen Luftkampfsequenzen sind wegen ihrer billigen Computereffekte einfach nur ärgerlich, und die Maschinen selbst sehen aus wie aus einem alten Flugsimulator.

 

Zurück auf festem Boden punktet „Hurricane“ dann schon eher. Die Zuschauer werden allerdings enttäuscht sein, denn der auf den Plakaten prangende Marcin Dorociński hat in der Rolle des Witold Urbanowicz nur einen winzigen Kurzauftritt. Dafür aber ist der aus „Game of Thrones“ bekannte Iwan Rheon ganz großartig, der hier Jan Zumbach spielt. Seine Darstellung ist viel interessanter und nuancierter als das Spiel von Maciej Zakościelny in „Staffel 303“. In den Schlussszenen kommt auch die Bitternis der polnischen Flieger sehr gut herüber, wenn sie im Jahr 1946 bereits allesamt in Großbritannien zur Persona non grata geworden sind, obwohl die britische Presse sie doch vorher auf den Titelseiten in den höchsten Tönen bejubelt hatte.

 

Unter dem Radar

Die beiden Filme erzählen zum Verwechseln ähnliche Geschichten, beide haben ihre Stärken und Schwächen, aber keiner von beiden erfüllt seine politischen und gesellschaftlichen Zwecke – keiner der beiden Filme ist die Megaproduktion, die auch im Ausland ein Millionenpublikum anziehen und ein Loblied auf das polnische Heldentum singen könnte, keiner hat auch nur die geringste Chance, gegen Filme wie Christopher Nolans „Dunkirk“ (2017) zu bestehen. Der Traum vom großen Kino zur Bewerbung Polens hat sich ein weiteres Mal in Luft aufgelöst, ganz wie im Falle der „Schlacht bei Wien“ oder „1920. Die Schlacht von Warschau“ (1920. Bitwa Warwzawska, englischer Verleihtitel: „Battle of Warsaw 1920“, 2011). Filmproduzenten und Politik bleibt nur, weiter davon zu träumen, dass eines Tages doch noch Mel Gibson auf dem weißen Pferd dahergeritten kommt, um den Polen einen Film auf Hollywoodniveau zu finanzieren.

© istock/RichVintage

Man sollte jedoch einen Augenblick innerhalten und sich überlegen, ob das überhaupt so wünschenswert wäre. Die Politik übersieht nämlich, dass das Hollywoodkino so eben nur in den Vereinigten Staaten funktioniert. Sämtliche europäischen Versuche, dem nachzueifern, sind bisher fehlgeschlagen; ein Musterbeispiel hierfür ist „Enemy at the Gates“ (2001) mit Jude Law, Ed Harris und Rachel Weisz in den Hauptrollen, der in Konkurrenz zu Filmen wie Steven Spielbergs „Saving Private Ryan“ (1998) treten sollte, aber kaum Zuschauer in die Kinos lockte und schnell vergessen wurde. Das europäische Kino ist weniger konzentriert, finanziell schlechter ausgestattet und eignet sich schlicht nicht für epische Großproduktionen.

 

Während die beiden Verleihfirmen ihren Kleinkrieg begannen, kam „Zimna Wojna“ (2018, in Deutschland wird er als „Cold War – Der Breitengrad der Liebe“ erscheinen) von Paweł Pawlikowski in die Kinos, der schon vorher den Regiepreis beim Filmfestival von Cannes gewonnen hatte. Die in schwarz-weiß gedrehte und als Kammerspiel inszenierte Liebesgeschichte vor dem Hintergrund großer historischer Umwälzungen lockte nicht allein 800.000 Zuschauer in die polnischen Kinos, sondern begeisterte auch Publikum und Kritik im Ausland und gelangte in mehreren Dutzend Ländern in den Verleih. Wie sich zeigt, bewirbt das bescheiden ausgestattete Drama, das ganz ohne Schießereien und Luftkämpfe auskommt, die polnische Kultur sehr viel besser als die beiden Staffel-Filme zusammengenommen.

 

Es bleibt nur die Hoffnung, dass, wer auch immer weiterhin vom großen Leinwandepos über das polnische Heldentum träumt, daraus eine simple Lehre zieht: Die polnische Kultur ist nicht auf Budgets à la Hollywood und Mel Gibson angewiesen; vielmehr braucht sie gebührende Unterstützung für diejenigen Filme, die es wirklich wert sind.

 

 

Aus dem Polnischen von Andreas R. Hofmann

 

Grzegorz Fortuna Jr.

Grzegorz Fortuna Jr.

Grzegorz Fortuna Jr. ist Publizist und Doktorand an der philologischen Fakultät der Universität Danzig.

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