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Die Achillesferse der deutsch-polnischen Beziehungen

Die diesjährigen Feiern des 100-jährigen Jubiläums der Wiedererlangung polnischer Unabhängigkeit waren gesäumt von mehreren deutsch-polnischen Begegnungen auf höchster Ebene. Den Auftakt machte das spannungsreiche Deutsch-Polnische Forum mit beiden Staatspräsidenten in Berlin, es folgten sachorientierte Regierungskonsultationen in Warschau, schließlich präsentierte der deutsche Außenminister Heiko Maas auf einer hochkarätigen Konferenz im Weltsaal des Auswärtigen Amtes seine Vision der künftigen Linien deutsch-polnischer Kooperation. Diese „Charmeoffensive“ sollte die seit dem Wahlsieg der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) im Jahr 2015 angespannten Beziehungen verbessern. Bisher führten die deutschen Flirts jedoch nur zu Enttäuschungen auf beiden Seiten. Während die polnische Regierung Konflikte anheizt, um Deutschland schmerzhafte Zugeständnisse abzutrotzen, versucht die deutsche Seite, mit weniger kontroversen, gemeinsamen Zukunftsprojekten den Wert der Partnerschaft zu betonen. Hier wie da ohne Erfolg. Für beide Länder ist es ein schwerwiegendes Problem, dass das Verhältnis zu einem so engen Handelspartner und bedeutenden Verbündeten in einer Sackgasse steckt. Die deutsche Politik, trotz Meinungsunterschieden einen gemeinsamen Nenner zu suchen, bleibt der einzig richtige Weg. Er wird jedoch lang und steinig sein.

 

Die tieferliegende Ursache der Krise in den Beziehungen ist der Mangel an gegenseitigem Vertrauen, ohne welches weder bilaterale Kooperation, noch der Dialog über die Zukunft der Europäischen Union gelingen kann. Hindernis für den Aufbau von Vertrauen und gleichsam Achillesferse der Beziehungen ist die weiterhin schwache Einbindung der polnischen Rechten in den deutsch-polnischen Austausch. Dieses politische Lager, das nicht nur die PiS, sondern auch ein breites Spektrum an Thinktanks und Medien umfasst, muss aktiver und konstruktiver Bestandteil der bilateralen Diskussionen werden. Bisherige Bemühungen von deutscher Seite, das Gespräch mit diesem Teil der polnischen Gesellschaft zu suchen, waren nur selten von Erfolg gekrönt. Man wird es weiter versuchen müssen. Es gibt keine andere Chance auf langfristig stabile und effektive Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Polen.

 

Schon einmal, während der ersten PiS-Regierung in den Jahren 2005-2007, gab es zwischen den beiden Nachbarn ähnliche Schwierigkeiten. In Deutschland wurden diese aber in der darauf folgenden Regierungszeit des liberalen, dezidiert pro-europäischen Donald Tusk, in der Polen einen wirtschaftlichen Boom erlebte, als bedauerlicher Zwischenfall auf dem vorbildlichen Weg des Landes nach Westen abgebucht. Die PiS schien ein Relikt zu sein und der Aufbau von Beziehungen zur polnischen Rechten unnötig, ja potenziell schädlich für das gute Verhältnis zu Tusks Bürgerplattform. Dies erwies sich als kurzsichtig. Die Rechte ist – schon historisch – eine der Hauptströmungen der politischen Landschaft Polens. Trotz der voranschreitenden Säkularisierung, Liberalisierung und zunehmenden Heterogenität der polnischen Gesellschaft deutet nicht viel darauf hin, dass sich an diesem Befund in absehbarer Zeit grundsätzlich etwas ändern wird. Gesellschaftlicher Wandel könnte das Bedürfnis nach Halt und Sicherheit bei vielen eher verstärken. Auch hat sich die Rechte in Polen in den vergangenen Jahren als ideologisch anpassungsfähig und dynamisch erwiesen. Unter jungen Menschen sind rechte Anti-Establishment-Parteien überdurchschnittlich beliebt.

 

Eine der größten Hürden ist die auf der polnischen Rechten verbreitete antideutsche Haltung, die historisch, geo- und innenpolitisch begründet wird. Innenpolitisch nutzbares Kapital bleibt das emotional komplexe Geflecht aus dem Leid, das Polen von Deutschen zugefügt wurde, aus Abneigung und Bewunderung, Kränkung und Neid, gewachsen in Jahrhunderten deutsch-polnischer Nachbarschaft. Die PiS rechnet mit diesem Mobilisierungspotenzial. Es aufzugeben würde zumindest auf kurze Sicht einen Teil der Wählerschaft enttäuschen und möglicherweise anderen rechten Parteien Zulauf bescheren. Darüber hinaus wird die Pflege antideutscher Gefühle in Teilen der polnischen Rechten als Ausdruck wohlverstandener nationaler Interessen angesehen. Deutschland, welchem man aus historischer Erfahrung nicht vertraut, wird politisch, wirtschaftlich und mit Blick auf seine Soft Power als deutlich überlegen eingeschätzt. Es herrscht weit über die Grenzen der polnischen Rechten die Überzeugung vor, dass Deutschland ohne weiteres bereit ist, diese Stärke selbst in für Polen existenziellen Fragen zum eigenen Vorteil und zum Nachteil Polens einzusetzen. Die Umgehung Polens mithilfe der Nord-Stream-Erdgaspipeline und ihrer geplanten Erweiterung scheinen diese Befürchtungen zu bestätigen. Angebote der Versöhnung, des Austauschs und der Vernetzung werden aus dieser Sicht als Versuche gewertet, Polens Gesellschaft und politische Klasse zu korrumpieren und ihre Bereitschaft zu schwächen, sich deutscher Vereinnahmung zu widersetzen. Die Aufrechterhaltung von antideutschen Ressentiments gilt in diesen Kreisen entsprechend als rationaler und notwendiger Abwehrmechanismus.

 

Es gilt glaubhaft zu machen, dass Deutschland aus seiner Geschichte die Lehre gezogen hat, dass ein dauerhaft stabiles vereintes Europa nicht durch Dominanz entstehen kann, dass von einer prosperierenden Europäischen Union Sicherheit, Wohlstand und Einfluss Deutschlands abhängen, dass also ein wirtschaftlich starkes und politisch selbstbestimmtes Polen im deutschen Interesse liegt. Auf Deutsche wirken diese Einlassungen wie selbstverständlich und aus der Zeit gefallen. Auf viele Polen (übrigens auch auf nicht wenige andere Europäer) wirken sie hingegen naiv, übertrieben idealistisch und unglaubwürdig. In Deutschland fehlt es an Bewusstsein dafür, welche Gefahr deutsche Alleingänge für den europäischen Zusammenhalt darstellen – sei es in der Flüchtlingskrise oder auch im Zuge der Energiewende. Der deutsche Außenminister Heiko Maas hat verstanden, dass man die Sorgen der Polen ernst nehmen muss. In seiner Grundsatzrede auf der Konferenz zu 100 Jahren deutscher Polenpolitik nannte er Polen „eine unersetzliche Führungskraft in Europa“, gestand Lücken deutscher Erinnerungskultur ein und forderte eine gemeinsame „Europäische Ostpolitik“. Doch Vertrauen wächst nur langsam. Abstimmung mit den europäischen Partnern auf Augenhöhe und Zurückhaltung gegenüber einseitigem Handeln müssen als Kennzeichen deutscher Politik praktiziert und nicht bloß deklariert werden.

 

Der natürliche Partner für den Austausch mit der polnischen Rechten wäre die deutsche Christdemokratie, CDU und CSU mit ihren politischen Stiftungen Konrad-Adenauer- und Hanns-Seidel-Stiftung. Keine andere etablierte politische Kraft in Deutschland ist auf vergleichbare Weise in der Lage, an konservative polnische Diskurse anzuknüpfen, sei es über soziale Marktwirtschaft, die Familie, Patriotismus oder das christliche Menschenbild. Es wird sich jedoch zeigen müssen, ob die PiS ein vertrauenswürdiger Partner für deutsche Konservative sein kann und will. Ein bedeutendes gemeinsames Forum wäre die Europäischen Volkspartei (EVP). Kurz vor dem EU-Beitritt Polens im Jahr 2004 hatte Jarosław Kaczyński eine EVP-Mitgliedschaft der PiS gegenüber deren damaligem Vorsitzenden abgelehnt[1]. Die Antwort der EVP auf jüngste Gerüchte um ein Aufnahmegesuch der PiS machte deutlich, dass heute jegliche Annäherung an eine Lösung des Konflikts zwischen der Europäischen Kommission und der polnischen Regierung geknüpft ist. Diese ist nicht in Sicht. Die beiden EVP-Partnerparteien der deutschen Christdemokraten in Polen, die Bauernpartei PSL und die liberale Bürgerplattform, liegen im Clinch mit der PiS. Zwar könnte eine Vernetzung mit dem Mainstream der europäischen Konservativen der PiS neue Spielräume und Einflussmöglichkeiten in der EU eröffnen. Infolge der Brexit-Entscheidung droht ihrer bisherigen Formation, den Europäischen Konservativen und Reformern, der Bedeutungsverlust. Durch ihre antirussische und proamerikanische Positionierung fehlen der PiS darüber hinaus Anschlussmöglichkeiten an andere Gruppierungen auf der europäischen Rechten. Man darf jedoch kaum darauf hoffen, dass dies die PiS zu einer Mäßigung bewegt. Ein Beitritt zur EVP liegt in weiter Ferne. Für Jarosław Kaczyński und seine Partei zählt zu allererst der innenpolitische Erfolg, dem die Außenpolitik nachgeordnet wird.

 

Es gilt daher, andere Kanäle des Austauschs zu suchen. Es gibt sehr engagierte konservative Think Tanks in Polen, die offen sind für Zusammenarbeit und Dialog. Hervorzuheben sind der Klub Jagielloński, die jüngere Nowa Konfederacja oder auch das Instytut Wolności. Diese debattierfreudigen zivilgesellschaftlichen Institutionen müssen einen festen Platz in der deutsch-polnischen Zusammenarbeit haben. Gerade sie können glaubwürdig Wege aus der festgefahrenen Situation aufzeigen und Brücken bauen. So hat der Klub Jagielloński schon früh die derzeit erfolgende Einbindung Deutschlands in die Drei-Meeres-Initiative gefordert[2]. Der deutschen Christdemokratie können die in geostrategischem Denken – eine in Deutschland seit dem Ende des Kalten Krieges vernachlässigte Disziplin – geschulten polnischen Ideenschmieden zum Beispiel neue Impulse für das transatlantische Verhältnis geben. Der klare proamerikanische Kompass Polens in sicherheitspolitischen Fragen führt oft zu reiferen Einschätzungen als westeuropäische Träume einer Emanzipation von den USA.

 

In der Auseinandersetzung mit ostmitteleuropäischen Perspektiven kann Deutschland viel über sich selbst und seine Geschichte lernen. Erst heute, mit dem Erstarken der AfD vor allem in Ostdeutschland, wächst in der Bundesrepublik das Interesse an den gesellschaftlichen Spätfolgen des Kommunismus sowie den ostdeutschen Transformationserfahrungen. In keinem anderen Mitgliedsland der Europäischen Union treffen gleichzeitig die Erfahrungshorizonte des alten Westens und des einstigen Ostens aufeinander. Die Bedeutung, die diese immaterielle Ressource für den Zusammenhalt Europas haben kann, wird in Deutschland noch immer nicht erkannt. Dank ihr könnte Deutschland spät in die Rolle eines Brückenbauers zwischen östlichen und westlichen Diskursen in der EU hineinwachsen.

 

Die deutsche „Charmeoffensive“ ist das unmissverständliche Signal, dass Deutschland den Beziehungen zu Polen höchste Bedeutung zumisst, unabhängig davon, wer gerade in Warschau regiert. „Nic o was bez was – nichts, was Euch betrifft, ohne Euch!“, das alte polnische Verfassungsprinzip, welches Heiko Maas in seiner Grundsatzrede auf Polnisch zitierte. Wenn es auf beiden Seiten der Oder in Gänze verstanden wird, könnte eine Annäherung gelingen.

 

Dieser Artikel erschien zuerst auf der Seite des Instituts der Freiheit (Instytut Wolności).

 

 

 

[1]https://www.welt.de/politik/ausland/article152089586/Kaczynskis-peinlicher-Besuch-bei-Helmut-Kohl.html

[2] https://klubjagiellonski.pl/2018/01/14/spieszmy-sie-kochac-niemcow-w-przededniu-europejskiego-kryzysu/

Leo Mausbach

Leo Mausbach

Leo Mausbach lebt und arbeitet in Warschau. Er ist Mitgründer des Osteuropa-Netzwerks des Vereins der Altstipendiaten der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.

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