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Rückkehr zum Staatseigentum

Ein Nachlass der sozialistischen zentralen Planwirtschaft waren tausende Unternehmen in Staatsbesitz. Meist war ihre Produktionstechnik veraltet, die Belegschaft überbesetzt und die Erzeugnisse von schlechter Qualität. Um diese Betriebe zu modernisieren, ihre Produktivität zu heben und sie an marktwirtschaftliche Standards heranzuführen, mussten sie privatisiert werden. Dazu wurde 1990 ein Ministerium für Eigentumsumwandlung eingerichtet, dessen Aufgabe in der Privatisierung der Staatsbetriebe bestand. 1996 wurden seine Kompetenzen erweitert; das Ministerium hatte die Privatisierung fortzusetzen, nunmehr aber auch Aktien und Anteile an Gesellschaften zu verwalten, die in Staatsbesitz verblieben. Zu dieser Zeit wurde der Name in Ministerium für Staatsvermögen (MSP) geändert.

 

Trotz der beachtlichen Leistungen des Ministeriums für Eigentumsumwandlung bzw. für Staatsvermögen im Zeitraum 1990–2015 ist der Staatsanteil in der polnischen Wirtschaft sehr hoch geblieben. Nach Zahlen aus der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) liegt Polen unter den 34 in dieser Institution vertretenen Staaten in punkto Staatseigentum an der Spitze. Einen ähnlichen Staatsanteil erreichen Rumänien, Kroatien und die Türkei, aber im Vergleich zu Großbritannien, den Niederlanden und Japan liegt er in Polen dreimal höher. Diese Eigentumsstruktur macht erforderlich, die Privatisierung fortzusetzen und für den Privatsektor günstige Bedingungen zu schaffen. Doch die mit den Wahlen von 2015 an die Macht gekommene PiS-Regierung hat eine Reihe von Maßnahmen getroffen, die in die entgegengesetzte Richtung gehen.

 

2016 wurde die weitere Privatisierung praktisch gestoppt, und Anfang 2017 wurde das Ministerium für Staatsvermögen aufgelöst. Die 432 bis zu diesem Zeitpunkt vom MSP verwalteten Gesellschaften wurde in die Zuständigkeit der Fachministerien abgegeben. Davon den Löwenanteil erhielt mit 240 Gesellschaften der Minister für Finanzen und Entwicklung (das später in getrennte Ministerien für Finanzen und für Entwicklung aufgeteilt wurde), der Minister für Infrastruktur und Bauwesen erhielt 47 Gesellschaften, der Energieminister 42; der Verteidigungsminister bekam 20 Gesellschaften, der Minister für Sport und Touristik musste sich mit fünf bescheiden. Bei der Verteilung der Gesellschaften wurde möglichst darauf geachtet, dass ihr Unternehmensprofil in den Kompetenzbereich der jeweiligen Ressorts fiel, was aber nicht immer ganz gelang, und die profitabelsten Betriebe waren heftig zwischen den Ministerien umstritten. In einer Anzahl von Fällen zog das häufig einen Wechsel im Personal der Aufsichtsräte und Unternehmensleitungen nach sich.

 

Doch wurden nicht allein die Privatisierung eingestellt und die staatliche Eigentumsaufsicht erweitert; darüber hinaus wurde die staatliche Unternehmensverwaltung um ein Element bereichert, nämlich die erneute Verstaatlichung bzw. Renationalisierung von zuvor bereits privatisierten Betrieben; zudem gab es sogar Versuche, Unternehmen zu nationalisieren, die immer schon in Privatbesitz gewesen waren.

 

Eine Schlüsselrolle bei der Erweiterung des Staatseigentums spielt der von der Regierung kontrollierte Polnische Entwicklungsfonds (PFR). Dieser entstand 2016 auf der Grundlage der seit 2013 tätigen Polnischen Entwicklungsinvestitionen (PIR), welche zur Förderung wirtschaftlicher Innovationen eingerichtet worden waren. Es ist sehr bezeichnend, dass sich die Nachfolgeorganisation PFR finanziell bisher am stärksten bei der Renationalisierung oder Nationalisierung von Privatfirmen engagiert hat.

 

© istock/BrianAJackson

 

Eine Maßnahme von besonderer Dimension und Bedeutung war es, als die Bank Pekao S.A. im Juni 2017 unter Staatskontrolle gestellt wurde. Der italienische Mehrheitseigner, die UniCredit Group, war in finanziellen Schwierigkeiten und musste seine wertvollsten Aktiva verkaufen, nachdem sie zuvor bereits ein Aktienpaket von zehn Prozent der Pekao S.A. verkauft hatte. Es bot sich also die Gelegenheit förmlich an, die Bank zurückzukaufen. Bei einem Preis von 123 Złoty pro Aktie betrug der Gesamtumfang der Transaktion 10,6 Mrd. Złoty; die staatlich kontrollierten Käufer von polnischer Seite waren der Versicherer PZU S.A. (6,5 Mrd. Złoty) und der Polnische Entwicklungsfonds (4,1 Mrd.). Bedenkt man, dass in den anderthalb Jahren seit dem Ankauf die Börsennotation von Pekao S.A. um mehr als zehn Prozent auf 110 Złoty pro Aktie gesunken ist, belaufen sich die Verluste des PFR allein bei diesem Geschäft auf etwa 400 Mio. Złoty. Unabhängig vom Wertverlust des Aktienpakets ist ein anderer Aspekt der Transaktion noch beunruhigender – die de facto verstaatlichte Bank, deren Minderheitsaktionäre keinen Einfluss auf ihre Leitung haben, ist möglicherweise politischem Druck ausgesetzt, für die Regierung aus Propagandagründen wichtige Projekte zu finanzieren, die allerdings geschäftlich kaum tragfähig sind.

 

Eine andere bedeutsame Unternehmung unter Beteiligung des Polnischen Entwicklungsfonds war die Wiederverstaatlichung des Unternehmens PESA Bydgoszcz S.A., des landesweit größten Produzenten von Schienenfahrzeugen (von Zügen, Straßenbahnen und Lokomotiven). Über Jahre galt PESA als besonders gelungenes Privatisierungsbeispiel. 2001 wurden die kurz vor dem Bankrott stehenden Bromberger Eisenbahnreparaturwerke (Bydgoskie Zakłady Naprawcze Taboru Kolejowego, ZNTK) durch eine Managergesellschaft dem Staat abgekauft; diese Privatgesellschaft entwickelte sich in den anschließenden gut zehn Jahren zu einem Unternehmen mit mehr als 3.500 Mitarbeitern und einem Gewinn von an die zwei Milliarden Złoty im Jahr 2014. Leider gab es einige strategische Fehlentscheidungen durch die Leitung des schnell wachsenden Unternehmens – ein zu großes Auftragsvolumen, Überschreitung von Terminen mit entsprechenden Vertragsstrafen, Beteiligung an zu vielen Ausschreibungen, die Prototypenentwicklung erforderten und an Fachkräftemangel; dies alles führte dazu, dass die Gesellschaft seit 2015 rote Zahlen schrieb. Das Eigenkapital schmolz auf gerade einmal ein Zehntel der Verbindlichkeiten. In dieser finanziellen Schieflage war die Zahlungsunfähigkeit nur noch eine Frage der Zeit. Eine marktwirtschaftlich andere Lösung wäre gewesen, die Gesellschaft von einem starken Investor übernehmen zu lassen. Im Gespräch dafür war unter anderem der tschechische Autobauer Škoda. Schließlich jedoch wurde im Juli 2018 eine Investitionsvereinbarung zwischen PESO Bydgoszcz S.A. und dem Polnischen Entwicklungsfonds getroffen; dieser übernimmt 99,8 Prozent der Aktion (0,2 Prozent bleiben bei den Mitarbeitern) und investiert gezielt 300 Mio. Złoty. Im Ergebnis befindet sich das Bromberger Unternehmen wieder in staatlichem Besitz.

 

Ein Fall der Renationalisierung mit geringerer finanzieller Belastung, dafür aber erheblichem propagandistischen Widerhall ist die Übernahme der Polnischen Seilbahnen durch den PFR; dazu gehört beispielsweise die Seilbahn auf den Kasprowy Wierch in der Tatra. Die Polnischen Seilbahnen wurde 2013 privatisiert, aber im Oktober 2018 schloss der PFR mit dem Fonds Mid Europa Partners eine Vereinbarung über 100 Prozent der Aktien der Gesellschaft Altura, die 99,77 Prozent der Anteile an den Polnischen Seilbahnen hatte; die restlichen 0,23 Prozent befinden sich im Besitz von Lokalverwaltungen im Podhale (Tatravorland).

 

Die Mittel des PFR werden nicht allein für die Renationalisierung eingesetzt. 2018 gab es einen ersten Versuch zur Nationalisierung eines seit Gründung in Privatbesitz befindlichen Unternehmens. Der Versuch gelang nur teilweise und richtete sich auf die Posener Firma Solaris Bus & Coach S.A. Das Unternehmen produziert Autobusse, Trolleybusse und Straßenbahnen, daneben auch Elektrobusse, beschäftigt 2300 Mitarbeiter im Inland und 300 an Auslandsniederlassungen, exportiert erfolgreich in 32 Länder und befindet sich in einer guten finanziellen Situation. Sein Fall weicht insofern von den zuvor genannten ab, als die Posener Firma seit ihrer Gründung 1996 stets in privater Hand war. Hier ging es also nicht um eine Renationalisierung, sondern um einen klassischen Fall von primärer Verstaatlichung. Die Gelegenheit zur Übernahme bot sich, als die Firmengründer und bisherigen Eigentümer beschlossen, sich aus der aktiven Geschäftsführung zurückzuziehen. Der letztendliche Käufer, für den sich die Eigentümer entschieden, war das spanische Unternehmen Construcciones y Auxiliar de Ferrocarriles (CAF), doch der Polnische Entwicklungsfonds schloss mit dem Käufer eine Vorabvereinbarung über den späteren Ankauf von 35 Prozent der Anteile.

 

Im Falle von Autosan in Sanok in Südostpolen, einem Hersteller einer noch aus volkspolnischen Zeiten bekannten Autobusmarke, ging die Renationalisierung mit einer besonders chaotischen Neubestimmung des Produktionsprofils einher. Die Firma war in den 1990er Jahren privatisiert worden und ging damals in den Bestand der Zasada-Gruppe über. 2013 meldete sie Konkurs an. 2016 wurde die Fabrik in Sanok vom Konkursverwalter an zwei Gesellschaften verkauft, die zur Polnischen Rüstungsgruppe (Polska Grupa Zbrojeniowa) gehören, Stahlhütte Wola S.A. und PIT-Radwar S.A., so dass die Fabrik sich nun wieder in Staatsbesitz befindet. Erst nach erfolgter Wiederverstaatlichung begannen Überlegungen, was in dem pleitegegangenen Werk nun eigentlich produziert werden sollte. Der Reihe nach waren im Gespräch Militärautobusse, Transportkabinen für Patriotraketen, schließlich Elektrobusse, aber auch das wäre darauf hinausgelaufen, als Subunternehmer zur Lieferung von Rohchassis für einen deutschen Autobushersteller tätig zu sein. Die neuste Idee für Autosan ist, nochmals den Eigentümer zu wechseln, allerdings weiter im staatlichen Rahmen, nämlich in Form von Übernahme durch die Polnische Energieversorgungsgruppe (Polska Grupa Energetyczna). In dieser Konstellation soll die Fabrik Fahrzeuge zur Wartung von Fernleitungen herstellen. Im Falle von Autosan ist also zu erkennen, dass eine politisch motivierte Entscheidung über die Verstaatlichung eines bankrotten Privatunternehmens jeglicher unternehmensstrategischen Planung vorausging.

 

Ein Fall einer Unternehmensübernahme durch den Staat, auf den das einst gern gebrauchte Wort „Repolonisierung“ besser passt, ist die Übernahme der Anteile von EDF Polska durch die Polnische Energieversorgungsgruppe. „Repolonisierung“ passt hier deswegen besser als „Renationalisierung“, weil EDF Polska zu dem französischen Unternehmen Électricité de France (EDF) gehörte, das zu 80 Prozent dem französischen Staat gehört. Die Situation war also eine besondere insofern, als hier in Polen ein Unternehmen nicht allein von ausländischem Kapital, sondern sogar von ausländischem Staatskapital kontrolliert war, und zwar infolge eines bilateralen Abkommens vom Ende der 1990er Jahre. Durch die im November 2017 finalisierte Übernahme ging also das Unternehmen von ausländischen in inländischen Staatsbesitz über. Die von der Polnischen Energieversorgungsgruppe für 4,3 Mrd. Złoty erworbenen Aktiva der EDF in Polen umfassen das Elektrizitätswerk in Rybnik sowie acht Heizkraftwerke in den größten polnischen Städten. EDF war deswegen bereit, seine Aktiva in Polen zu verkaufen, weil sich der Konzern allmählich aus dem Kohlegeschäft zurückzieht, aber auch wegen der unerwartet hohen Kosten beim Bau des Kernkraftwerkblocks Hinkley Point C in Großbritannien. Bereits 2016 hatte EDF begonnen, seine Aktiva in Polen aufzuteilen und sie partiell an Privatinvestoren zu verkaufen, doch nutzte die polnische Regierung ihre Vollmachten zur Blockierung dieser Geschäfte.

 

Der Renationalisierung der Danziger Werft (der früheren Lenin-Werft) haftet ein besonderer Geruch an. Die Privatisierung der Werft, in deren Folge diese geschäftlich nur noch vor sich hin dümpelte, begann unter der ersten PiS-Regierung im Dezember 2006, als ein anfängliches Aktienpaket von fünf Prozent an den ukrainischen Oligarchen Serhij Taruta verkauft wurde, der damals mit dem Industrieverbund Donbas (ISD) zu tun hatte. Im Verlauf des Jahres 2007 ließ die PiS-Regierung Tarutas Aktienanteil auf 80 Prozent steigen, und der Regierung aus Bürgerplattform (PO) und Volkspartei (PSL) blieb bei ihrem Antritt im November desselben Jahres nichts mehr übrig, als die von der Vorgängerregierung getroffenen Abmachungen hinzunehmen. Im Juli 2018 aber entschloss sich PiS zu einer völligen Umkehrung ihrer Politik von 2006/07 und renationalisierte die Werft, wobei Mittel der Agentur für Industrieentwicklung zum Einsatz kamen. Dies wurde als Umsetzung einer Langzeitstrategie der Regierung hingestellt.

 

Die hier angeführten Beispiele sind keine vollständige Liste der in jüngster Zeit durchgeführten Operationen, die auf die Erweiterung des Staatsanteils in der polnischen Wirtschaft abzielen. Dadurch droht zwar noch keine vollständige Untergrabung der marktwirtschaftlichen Regeln, doch liefern diese Maßnahmen einen guten Eindruck davon, welche wirtschaftspolitischen Präferenzen die aktuelle Regierung in Warschau hat.

 

 

Aus dem Polnischen von Andreas R. Hofmann

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Dariusz Filar

Professor an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Danzig, Redakteur und Publizist des „Przegląd Polityczny“.

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