Dass Außenminister Heiko Maas zum Trimarium-Gipfel und Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Gipfel der Visegrád-Gruppe fuhren, belegt den hohen Stellenwert Ostmitteleuropas in der deutschen Außenpolitik, gerade in wirtschaftlicher Hinsicht. Die deutsche Bereitschaft, mit der Region zusammenzuarbeiten, ist auch von der steigenden Bedeutung der Trimarium-Initiative (auch bekannt als Drei-Meere-Initiative) motiviert, nachdem diese die Unterstützung der USA gewonnen hat, und ihrer starken politisch-institutionellen Verschränkung mit der Europäischen Union.
Im September 2018 fand in Bukarest das dritte Gipfeltreffen der Trimarium-Initiative statt. Dazu gehören die zwischen Adria, Ostsee und Schwarzem Meer gelegenen Länder Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Österreich, Slowenien, Kroatien, Rumänien und Bulgarien. Die Trimarium-Idee wurde 2016 von Polen und Kroatien ins Leben gerufen. An dem Bukarester Gipfel nahm erstmals der Präsident der Europäischen Kommission Jean-Claude Juncker teil, daneben die Chefs der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, der Europäischen Investitionsbank und Bundesaußenminister Maas. Das Interesse Berlins an der Veranstaltung ist damit zu erklären, dass sich die Initiative als eine der wichtigsten Plattformen für regionale Zusammenarbeit in Europa hat etablieren können. Im Juli 2018 wurde das Regionenforum des Trimarium inauguriert, zu dem auch Privatunternehmen und öffentliche Institutionen aus EU-Ländern eingeladen wurden, die nicht der Initiative angehören: aus dem Westbalkan, Georgien, Moldawien, der Ukraine, der Türkei und den USA. Auf dem Bukarester Gipfel wurde der Trimarium-Fonds eingerichtet. Es besteht die Absicht, diesen bis auf fünf Milliarden Euro anwachsen zu lassen; er soll für Investitionen in wichtige Infrastrukturprojekte zur Verfügung stehen. Daneben wurde die Zusammenarbeit der Handelskammern der Länder der Region vereinbart sowie ein Businessrat der Trimarium-Staaten. Besonders wichtig ist, dass die Initiative Unterstützung seitens der Vereinigten Staaten gewonnen hat. Im Juli 2017 war Donald Trump Sondergast des Trimarium-Gipfels in Warschau. Am Bukarester Gipfel nahm der US-Energieminister Rick Perry teil.
Ein zusätzlicher Impuls war für Deutschland, dass die Trimarium-Länder die Europäische Kommission dazu bewegen konnten, die Schirmherrschaft über die Initiative zu übernehmen. Anfänglich befürchtete Berlin, die Initiative werde die Institutionen der EU untergraben. Diese Vorbehalte rührten aus der proamerikanischen Außenpolitik Polens, der eigentlichen Triebkraft hinter dem Trimarium, und den Spannungen zwischen Warschau, Brüssel und den wichtigsten EU-Mitgliedern. Doch schließt die zentrale Bedeutung der Wirtschaft und folglich auch der Beziehungen zu anderen EU-Mitgliedern und gerade zu Deutschland innerhalb der Trimarium-Initiative eine solche nachteilige Entwicklung aus.
Andererseits schwanden deutsche Bedenken, die Trimarium-Initiative könnte die eigene Stellung in Region und EU beeinträchtigen, als die Grenzen der Initiative selbst sichtbar wurden. Dem Trimarium-Fonds traten Finanzinstitutionen aus Kroatien, Tschechien, Lettland, Polen, Rumänien und der Slowakei bei, also lediglich aus der Hälfte der Trimarium-Länder. Die tatsächlichen Einzahlungen bleiben selbst im Falle Polens (zehn Prozent des vorgesehenen Budgets) weit unter den Erwartungen. Auf der Prioritätenliste des Trimarium befinden sich fünfzig Projekte in den Bereichen Energiewirtschaft, Digitalisierung und Verkehr. Bisher wurden die meisten Projekte von Kroatien (17) und Polen (11) initiiert. Die übrigen Länder haben sehr viel weniger Projekte initiiert: Litauen und Rumänien je sechs, die Slowakei, Ungarn und Slowenien je fünf, Estland vier. Tschechien und Österreich, gemessen am nominellen BIP nach Polen die wirtschaftlich stärksten Länder des Trimarium, haben gar keine Projekte angemeldet. Aus unterschiedlichen Gründen wie ihrer Randlage in der Region, ihrer mitteleuropäischen Orientierung oder der negativen Haltung des tschechischen Präsidenten zu der Initiative, haben diese Länder bislang die größte Distanz zum Trimarium gezeigt, Tschechien sogar noch mehr als Österreich. Der tschechische Präsident nahm an keinem der Gipfeltreffen teil, während der österreichische Präsident erst nach Bukarest gekommen ist. Auf dem Warschauer Gipfel von 2017 war Österreich nur durch seinen Botschafter vertreten und damit durch den niedrigrangigsten Repräsentanten aller Teilnehmerstaaten.
Das deutsche Engagement für die Trimarium-Initiative geht auch auf objektive ökonomische Faktoren zurück. Der deutsche Handel mit den wichtigsten Trimarium-Ländern Österreich, Tschechien, Polen, Rumänien, Slowakei und Ungarn ist viel umfangreicher als mit China und den USA. Unter den zwanzig wichtigsten Handelspartnern Deutschlands befinden sich fünf Trimarium-Länder. Die Slowakei hat sich hier ganz weit nach vorn geschoben. Polen ist der größte Handelspartner Deutschlands aus der Trimarium-Region und damit ein fast so wichtiger Markt für deutsche Unternehmen wie Großbritannien oder Italien. Noch dazu ist das deutsch-polnische Handelsvolumen fast doppelt so groß wie das deutsch-russische. Die deutschen Auslands-Direktinvestitionen liegen insgesamt in Mitteleuropa (Visegrád-Gruppe, Österreich) viel höher als in Frankreich, Italien und Spanien zusammengenommen. Mit Blick auf diese starken Wirtschaftsbeziehungen und seine zentrale geographische Lage bekleidet Deutschland eine Schlüsselposition bei den wichtigsten Infrastrukturprojekten des Trimarium, die zum Transeuropäischen Verkehrsnetzwerk (Trans-European Transport Networks, TEN-T) gehören. Die TEN-T-Verbindungen in Nord-Süd-Richtung sind in den Trimarium-Ländern sehr viel weniger ausgebaut als die Verbindungstrassen in anderen Regionen der EU. Nach Angaben der Europäischen Kommission dauert eine Fahrt auf der Nord-Süd-Achse durch die Trimarium-Länder zwei‑ bis viermal so lang wie eine Fahrt über dieselbe Entfernung in West‑ oder Nordeuropa. Unter den großen EU-Wirtschaften wird Deutschland am meisten vom Ausbau der Verkehrsinfrastruktur im Trimarium profitieren.
In Deutschland beginnen drei Verkehrswege, die es mit dem Trimarium verbinden: Orient/Mittlerer Osten, Nordsee/Ostsee sowie Rhein-Donau. Der Verkehrsweg Orient/Mittlerer Osten verläuft von den deutschen Häfen Bremen, Hamburg und Rostock über Berlin, Magdeburg und Dresden, dann durch Tschechien, die Slowakei, Österreich und Ungarn bis nach Rumänien und Bulgarien, schließlich nach Griechenland und Zypern. Die Trasse Nordsee/Ostsee verläuft in Ost-Westrichtung durch Deutschland und verbindet die niederländischen und belgischen Häfen sowie Bremen und Hamburg mit Polen, biegt anschließend nach Norden in die baltischen Staaten und schließlich nach Finnland ab. Ebenfalls in Ost-West-Richtung verläuft die Trasse Rhein-Donau, die Baden-Württemberg und Bayern über Österreich, Tschechien, die Slowakei, Ungarn und Rumänien mit dem Schwarzen Meer verbindet. Im Trimarium kreuzen sich auch für Deutschland wichtige Verbindungswege. In Budapest kreuzen sich Rhein-Donau sowie Orient/Mittlerer Osten mit der Mittelmeertrasse, die durch Kroatien und Slowenien, Italien und Spanien verläuft und bei Gibraltar endet. Alle erwähnten, durch Deutschland führenden Trassen kreuzen sich in Mitteleuropa mit dem Verbindungsweg Adria-Ostsee, der Norditalien über Kroatien, Österreich, Tschechien und die Slowakei mit Polen verbindet.
Zieht man diese engen wirtschaftlichen Verschränkungen Deutschlands mit Ostmitteleuropa in Betracht, ist Kanzlerin Merkels Teilnahme am Gipfel der Visegrád-Gruppe in Bratislava vom Februar 2019 nicht weiter verwunderlich. Neben Österreich zählen die V4-Länder zu den wichtigsten Wirtschaftspartnern Deutschlands, auch im Rahmen der Trimarium-Region. Die Slowakei als Schauplatz des V4-Gipfels unter deutscher Beteiligung war symbolisch, insofern die Slowakei als einziges Land der Region zur Eurozone gehört und folglich institutionell am stärksten mit der deutschen Wirtschaft integriert ist. Die Wirtschaft war das wichtigste Gesprächsthema des Gipfels; dazu zählten die neue langfristige EU-Finanzperspektive sowie die wirtschaftlichen Folgen des Brexits für die EU. Kanzlerin Merkel erklärte Deutschlands Bereitschaft, die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den V4 zu erweitern, besonders in der Automobilindustrie. Die Kooperation soll umweltfreundliche Antriebsarten und die Digitalisierung im Straßenverkehr umfassen.
Der Bratislaver Gipfel bestätigte, dass der sehr hohe Grad der wirtschaftlichen Verflechtung zwischen Deutschland und Mitteleuropa bei Streitfragen positiven und mäßigenden Einfluss haben kann. Dafür liefert das von Deutschland und den V4 angekündigte gemeinsame Entwicklungsprojekt in Marokko einen Beleg, der die Migration von dort nach Europa eindämmen helfen soll. Das Projekt wurde trotz der tiefgreifenden Unterschiede zwischen Deutschland und der Visegrád-Gruppe in der Flüchtlings‑ und Migrationspolitik initiiert.
Die deutsche Haltung zum Trimarium hängt vor allem von der weiteren Entwicklung der EU ab, in deren Rahmen sich das Projekt bewegt. Es ist eine Vertiefung der europäischen Integration unter deutscher und französischer Führung innerhalb der Eurozone zu erwarten, was Risse zwischen den Trimarium-Ländern entstehen lässt. Zurzeit gehört nur die Hälfte der Trimarium-Länder zur Eurozone, nämlich Estland, Lettland, Litauen, die Slowakei, Slowenien und Österreich. Möglicherweise werden sich weitere Trimarium-Länder anschließen. Jedoch werden höchstwahrscheinlich einige wichtige Länder wie Polen, Ungarn und Tschechien mindestens auf mittlere Sicht außerhalb der Eurozone bleiben. Eine weitere Belastung des deutschen Verhältnisses zum Trimarium könnte eintreten, wenn weiterhin die Rechtsstaatlichkeit in wichtigen Ländern abgebaut wird, das heißt in Polen, Rumänien und Ungarn; diese Entwicklung ist im letzteren am weitesten fortgeschritten. Es sollte nicht vergessen werden, dass Ungarn Anfang 2019 in die Kategorie der nur teilweise freien Staaten abgestuft wurde, was in der Geschichte der EU ohne Beispiel ist. Diese negativen Entwicklungen in Ostmitteleuropa haben dazu geführt, dass die für das Funktionieren der EU fundamentale Rechtsstaatlichkeit zum zentralen Thema für die öffentliche Debatte und die Auseinandersetzungen in der EU geworden ist. Dieser Konflikt beeinträchtigt auch die Beziehungen zwischen den Mitgliedsländern Deutschland sowie Polen, Ungarn und Rumänien sehr wesentlich. Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass sich diese negativen Entwicklungen in den genannten Ländern fortsetzen, was möglicherweise die Zusammenarbeit mit Deutschland im Rahmen des Trimarium erschwert.