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Dialog in Gefahr?

Polen und Europa werden bald schon einer wichtigen Prüfung unterzogen. Im Vordergrund werden nicht nur europäische, sondern auch bilaterale Fragen stehen, die etwa die deutsch-polnischen Beziehungen betreffen. Das Ergebnis dieser Prüfung wird nicht zuletzt durch die bevorstehenden Wahlen zum Europaparlament und die polnischen Sejmwahlen beeinflusst. Derzeit scheint es, dass sich die deutsche und polnische Seite der bevorstehenden Herausforderungen noch nicht recht bewusst sind, oder es vorziehen, darüber zu schweigen. Keiner traut sich, diese als erster mutig und verantwortungsvoll anzusprechen. Ist der Dialog immer noch auf Eis gelegt?

 

Immer mehr Reibungspunkte in den deutsch-polnischen Beziehungen

 

In den letzten Jahren ist immer deutlicher geworden, dass beide Länder zwar versuchen, die direkte Auseinandersetzung zu vermeiden, und wenigstens für die Öffentlichkeit behaupten, wie gut die wechselseitigen Kontakte immer noch seien, doch sind die deutsch-polnischen Beziehungen keineswegs mehr freundschaftlich, oder sie sind auf bestem Wege, es nicht mehr zu sein. Die Differenzen haben in der jüngsten Zeit zugenommen. Die schärfste Trennlinie verläuft in Angelegenheiten Europas und der Bilateralität. Die Bilanz der Wechselbeziehungen ließ sich am Ende der Koalitionsregierung von Bürgerplattform (PO) und Polnischer Bauernpartei (PSL) als gut bezeichnen. Zwar gab es eine heftige Debatte um die Aufnahme von Flüchtlingen, doch gelang letztlich eine Verständigung. Die anschließende Regierungsübernahme in Warschau durch die Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) änderte den deutschlandpolitischen Kurs Polens. Die anfangs angekündigten Veränderungen lösten noch keine besondere Besorgnis aus und wurden von deutscher Seite aus als selbstverständliche Übergangserscheinungen angesehen – die neue Regierung musste nach den Wahlen schließlich erst einmal in der neuen gesellschaftlich-politischen Lage Fuß fassen.

 

Als auf die Unzufriedenheitsäußerungen und die scharfe Polemik erste konkrete Schritte folgten, wurde das in Berlin zunächst mit Verwunderung, dann mit Besorgnis aufgenommen. Insbesondere die angekündigten und dann auch umgesetzten Veränderungen in den Bereichen Justizwesen und Medien gaben Anlass zur Beunruhigung. Es wurde deutlich, dass in Anbetracht wachsender rechtspopulistischer Bewegungen, auch in Deutschland selbst, dem eigenen Land und ganz Europa ein Partner abhanden zu kommen drohte, der wichtig für die Stabilität in Ostmitteleuropa war, sei dies nun für die Sicherheitspolitik, das Funktionieren der Demokratie oder auch für den Wirtschaftsaustausch.

 

Natürlich kam die Politik von „Recht und Gerechtigkeit“ nicht ganz unerwartet. Die Deutschen lieferten nicht selten Anlass zu Kritik, und Differenzen wurden nicht wirklich ausdiskutiert. Zu den strittigen Themen gehören nach wie vor die Flüchtlingsfrage, die Sicherheits- und Energiepolitik (Nordstream 1 und 2).

 

Es bleibt unklar, weshalb die Agenda von 2011 zur Weiterentwicklung der deutsch-polnischen Beziehungen aufgegeben wurde. Darin war eine Reihe von anzugehenden Schwerpunktproblemen aufgelistet. So lässt sich der Eindruck nicht ganz vermeiden, beide Seiten seien eigentlich gar nicht so unglücklich darüber, ihre Kontakte herunterzufahren. Die Deutschen können ohne weiteres Polen vorwerfen, die europäischen Werte zu missachten, umgekehrt steht bei den Polen auf der Beschwerdeliste ganz oben, die Deutschen würden die besondere Lage ihres Landes verkennen oder sich gar in ihre inneren Angelegenheiten einmischen. Solche Vorwürfe sind längst zur Litanei geworden. Von polnischer Seite kommen noch die üblichen historischen Themen hinzu, mit denen erfahrungsgemäß insbesondere bei den konservativen Wählern innenpolitisch gepunktet werden kann.

 

Schwimmen in seichten Gewässern

Wenn die Deutschen behaupten, mit den Polen könne keine Verständigung erzielt werden, ist das ein bequemer Vorwand, um gar nicht erst richtig ins Gespräch zu kommen. Das könnte ja gegebenenfalls alles nur noch schlimmer machen. Allerdings hat die polnische Seite in letzter Zeit auch nicht allzu viel getan, um solche Auffassungen zu widerlegen. Historikern der Zukunft wird die interessante Aufgabe zufallen herauszufinden, wieso die beiden Nachbarn sich eigentlich voneinander entfernt haben. Der Eindruck stellt sich ein, beide Seiten seien gar nicht sonderlich daran interessiert, den Dialog wiederzubeleben, oder sie seien für eine effizientere Europapolitik auch gar nicht darauf angewiesen. Berlin kann ganz darauf verzichten, denn es gibt immer noch Paris und andere Partner. Aber Warschau? Das eigene Konzept für einen Regionalblock hat nicht viel gebracht, die Annäherung an die Rechtspopulisten unterschiedlicher Färbung aus anderen europäischen Ländern hinterlässt einen eher jämmerlichen Eindruck. Eine polnische Europapolitik ist wohl eher inexistent. Würde ein Regierungswechsel in Polen daran etwas ändern? Ist das passive Verhalten Berlins etwa eine Strategie, schwierige Zeiten auszusitzen, um den Nachbarn nicht unnötig zu reizen?

Anscheinend würde ein Regierungswechsel nicht so sehr viel ändern. Denn das Problem reicht viel tiefer.

 

Geschichtspolitik

Eines der Kernprobleme im deutsch-polnischen Verhältnis sind die Differenzen in der Geschichtspolitik. Warschaus Forderungen der Zahlung angeblich ausstehender Reparationen durch Deutschland wurden von Berlin unzweideutig abgelehnt. Dieser Schritt zog jedoch keine breitere Reflexion nach sich. Ähnlich verhält es sich mit dem deutschen Vorhaben, im Zentrum von Berlin ein Denkmal zum Gedenken an die im Zweiten Weltkrieg vom nationalsozialistischen Regime verfolgten polnischen Staatsangehörigen zu bauen. Die in den Medien geführte Diskussion zeigt, dass es in Deutschland nicht viel Wissen um und Sensibilität für die Geschichte Polens unter deutscher Besatzung gibt. Ich habe darüber schon vielmals geschrieben und wiederhole es an dieser Stelle: Wäre eine solche negative Haltung zur Geschichte, eine solche Ignoranz gegenüber der schlimmsten Phase im deutsch-polnischen Verhältnis des 20. Jahrhunderts denkbar gegenüber Frankreich? Ich war vor einigen Tagen in Paris und sah mir ein Denkmal des französischen Präsidenten Charles de Gaulles an, von dem eine Replik in Warschau steht. In Konrad Adenauers Wohnort Rhöndorf steht eine Skulptur der beiden Staats- und Regierungschefs, denen es gelang, die „Erbfeindschaft“ ihrer Länder zu überwinden. Hat die deutsch-polnische Versöhnung kein menschliches Gesicht? Sind die Protagonisten der Versöhnung so schnell in der staubigen Rumpelkammer der Geschichte verschwunden?

 

Unwissen und Gleichgültigkeit

In den deutsch-polnischen Beziehungen lassen sich also schon längere Zeit beunruhigende Entwicklungen feststellen, etwa zunehmendes Unwissen, das stets mit Gleichgültigkeit einhergeht. Liegt das etwa daran, dass in die seit Jahren zum Zweck des deutsch-polnischen Dialogs eingerichteten Institutionen nach dem polnischen Regierungswechsel von 2015 Personen berufen wurden, die aus dem Umfeld der jetzigen Regierung stammen oder mit dieser sympathisieren? Was sollen Menschen tun, die seit Jahrzehnten trotz aller Schwierigkeiten über Trennlinien hinweg immer wieder den Dialog aufgenommen haben? Welchen Sinn hat es, ein gemeinsames deutsch-polnisches Schulgeschichtsbuch herauszugeben, wenn dieses nicht allgemein und kritisch diskutiert wird? Vielleicht werden wir bald erleben, wie das deutsch-polnische Potential vergeudet wird, das mit solcher Mühsal aufgebaut wurde. Sind sich Polen und Deutschen dessen überhaupt bewusst?

 

Vor der Bewährungsprobe

Die Wahlen zum Europaparlament und zum polnischen Sejm und Senat bieten eine gute Gelegenheit, die aktuellen Probleme Polens, Deutschlands und Europas mutig und verantwortungsvoll zugleich anzugehen und nach einem Weg zu suchen, den Dialog wieder aufzunehmen. Vorerst scheint sich jedoch niemand auch nur die Mühe zu machen. Dieses Jahr begeht Polen den 15. Jahrestag seines Beitritts zur Europäischen Union. Lässt sich das positive Narrativ von Europa, von Polens und Deutschlands Platz darin, das vor Jahren Polen und Deutsche doch so begeisterte, nochmals unter die Leute bringen? Lässt es sich noch einmal mit Leben füllen? Zum Glück sind multi- und bilaterale Beziehungen längst nicht mehr allein davon abhängig, wie eine Regierung zufällig gerade zusammengesetzt ist. Die Zivilgesellschaft muss stellvertretend die Initiative übernehmen. Nur so kann sich Europa gemäß unseren Vorstellungen verändern und ein Projekt bleiben, das immer noch umsetzenswert ist. Polen braucht dazu ein verantwortungsbewusstes Deutschland, ganz so wie Deutschland einen berechenbaren Nachbarn im Osten.

 

 

Aus dem Polnischen von Andreas R. Hofmann

Krzysztof Ruchniewicz

Krzysztof Ruchniewicz

Historiker, Professor an der Universität Wrocław und Direktor des dortigen Willy-Brandt-Zentrums für Deutschland- und Europastudien.

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