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Der Blick dazwischen: Emilia Smechowskis „Rückkehr nach Polen“

Dass ihr Jahr in Polen so enden würde, hatte Emilia Smechowski wohl nicht vorhergesehen. Es ist Januar 2019, als der Danziger Bürgermeister und frühere Solidarność-Aktivist Paweł Adamowicz bei einem öffentlichen Auftritt ermordet wird. Eine Zäsur für Polen. Und für Smechowski das Ende eines Jahres, für das sie in ihr Geburtsland Polen zurückgekehrt war – die Grundlage für ihr neues Buch „Rückkehr nach Polen“. Das Land verlässt sie mit einer traurigen Erkenntnis: Der Riss, der durch Polen geht, erscheint tiefer zu sein als zunächst angenommen.

 

Emilia Smechowski wurde 1983 in Wejherowo, einem kleinen Ort in der Nähe von Danzig, geboren. Mit fünf Jahren – nur ein Jahr vor den ersten freien Wahlen seit der Machtübernahme der Kommunisten – emigrierte sie mit ihrer Familie nach Deutschland. Seitdem lebt sie in Berlin und schreibt heute für verschiedene deutsche Medien. Vor zwei Jahren erschien ihr erster Roman „Wir Strebermigranten“, in dem sie von ihrer Kindheit in Deutschland, der möglichst unbemerkbaren Assimilation in die deutsche Gesellschaft und dem Druck, immer besser als die anderen zu sein, erzählt.

 

2018 zog Smechowski gemeinsam mit ihrer fünfjährigen Tochter für ein Jahr zurück in ihr Heimatland Polen. Was sie dort erlebt hat, beschreibt sie in ihrem neuen Buch „Rückkehr nach Polen“. Der Titel ist eine bewusste Anlehnung an die autobiografische Analyse „Rückkehr nach Reims“ des französischen Schriftstellers Didier Eribon. Eribon erzählt darin von seiner Kindheit im Arbeitermilieu in Reims und der Rückkehr als schwuler Intellektueller an diesen Ort, in dem die rechtsextreme Partei Front National inzwischen Höchstwerte erzielen konnte.

 

Parallelen gibt es tatsächlich – zumindest oberflächlich. Auch Smechowski kehrt an einen ihr heute fremden Ort zurück. Ein Land, das sie verließ, als die Gewerkschaft Solidarność für ein friedliches Ende des Sozialismus kämpfte, die Menschen in Euphorie versetzte und das heute, knapp 30 Jahre später, so gespalten wie nie erscheint. Ein Land. in dem jeder vorsichtig austestet, auf welcher Seite sein Gegenüber steht, wie Smechowski es beschreibt, politisch links oder rechts, und in dem die Medien diese Spaltung oft noch befeuern.

 

Was ist seit 1989 geschehen? Was ist aus den Versprechen von Freiheit und Wohlstand geworden? Und wie kommt es, dass die rechtsnationale Partei PiS so erfolgreich ist?

 

Das scheinen zunächst die großen Leitfragen des Buchs zu sein. Um nach Antworten zu suchen, reist Smechowski durch das Land, trifft einen Milchbauer im Osten Polens – dem sog. rückständigeren Polen-B  –, nimmt an einer Feier der Tataren teil, porträtiert den Posener Oberbürgermeister, einen (ehemaligen) Hoffnungsträger der Liberalen, begleitet einen Guide bei einer Führung durch das ehemalige KZ-Ausschwitz oder schaut eine Woche lang die Nachrichten im öffentlich-rechtlichen Sender TVP. Und: Sie bestreitet ihren Alltag in Danzig. Denn gleichzeitig handelt dieses Buch von viel persönlicheren, viel subtileren Fragen, Fragen nach Heimat, nach Wurzeln, nach dem Hin- und dem Dazugehören.

 

Eribon schreibt bei seiner Rückkehr nach Reims von der Erfahrung, „gleichzeitig zu Hause und in einem fremden Land zu leben.“ Ähnlich geht es Smechowski, als sie in ihre Danziger Wohnung zieht. Die Zurückgezogenheit der Nachbarn, die strengen und für sie ungewohnten Regeln und Rituale in der Kita und die Sprache, mit der sie zwar aufgewachsen ist, die ihr aber trotzdem immer wieder Schwierigkeiten bereitet – vieles ist ihr fremd in dem Land, in dem sie geboren wurde und in das sie nun gemeinsam mit ihrer fünfjährigen Tochter zurückgekehrt ist.

 

„Es fühlt sich fast so an, als wäre die Sehnsucht aus der Ferne all die Jahre sehr bequem gewesen“, schreibt Smechowski. In Polen muss sie nun feststellen, dass die Realität viel komplexer ist als ihre Erinnerungen und Vorstellungen. Dass dieses Land der Gegensätze auch für eine Rückkehrerin nicht gleich greifbar ist.

 

Das spiegelt sich auch in der Sprache des Buchs wieder. Wenn sie von ihren persönlichen Erfahrungen im Alltag berichtet, erinnert der Stil ein wenig an den ihres letzten Buchs, „Wir Strebermigranten“, der noch fließender ist, irgendwie sanfter. Jetzt klingt das manchmal noch etwas holprig, die Übergänge zwischen den Kapiteln sind härter, ganz so, als gäbe es keine glatte Sprache für das Ankommen in einem Land, in dem das Gefühl der Fremde noch überwiegt.

 

Das liegt auch daran, dass sie ständig die Rolle wechselt. Mal ist sie Reporterin, mal Mutter, mal Freundin und dann wieder die „Polen-Erklärerin“. Das wirkt manchmal noch ungewohnt, fast verwirrend. Und gleichzeitig ist diese Vielfalt auch die Stärke des Buchs. Da ist man plötzlich mittendrin und vergisst die Verwunderung. Wenn sie beispielsweise den ehemaligen Präsidenten Lech Wałęsa in seinem Danziger Büro besucht und sie während des Interviews merkt, dass dieser den Bezug zur Gegenwart verloren hat. Oder als sie ihre ehemalige Nachbarin aus Wejherowo, Dorota Masłowska trifft (der vielleicht wahrhaftigste Moment ihrer „Rückkehr“), die heute eine bekannte Schriftstellerin ist und feststellen muss, dass sie sich nicht mehr an sie erinnern kann.

 

In diesen intimen Momenten ist das Buch am kraftvollsten. Dagegen wirken die Sprünge zur großen Politik oft zu konstruiert, zu künstlich. Als müssten ihre Erlebnisse im Nachhinein in eine politische Erzählung eingebettet werden – jetzt, nur zwei Monate vor den Parlamentswahlen in Polen.

 

Zum Beispiel als sie von einer Begegnung in einem Einkaufszentrum mit der Rentnerin Bogumila schreibt, die Smechowski – in Alexejewitschesker Manier – einfach sprechen lässt. Über ihre Rente, den krebskranken Mann und die Lebensumstellung in der Wendezeit. Da bekommt man einen Einblick in die Welt derer, die sich nicht zu den Gewinnern der politisch-wirtschaftlichen Transformation nach 1989 zählen. Es sind die authentischsten Momente des Buches, die mehr erzählen als jede Wahlstatistik. Da wünscht man sich mehr davon, bevor die (ebenso wichtige) geschichtliche Einordnung folgt.

 

Eribon schreibt in „Rückkehr nach Reims“: „Ich wusste, dass ein solches Projekt – von der Rückkehr zu schreiben – nur durch die Vermittlung, ich sollte sagen, durch den Filter kultureller, das heißt literarischer, theoretischer und politischer Referenzen gelingen konnte“. Diese würden helfen, „die emotionale Aufladung zu neutralisieren.“ Vielleicht braucht auch Smechowski diese Einordnungen, um eine gewisse Distanz zu bewahren.

 

Denn ihr kommt neben der Erzählung ihrer persönlichen Rückkehr die schwierige Aufgabe zu, den Deutschen das Nachbarland zu erklären. Über „die Polen“ zu schreiben, das ist nicht einfach, da landet mal schnell bei Klischees, bei „die sind so und so“, aber Smechowski spricht nie von oben herab, ist nie belehrend, selbst dann nicht, wenn sie knallhart klingt („Manchmal wundere ich mich nicht, dass das Land auf dem Weg ist in totalitäre Strukturen“). Sie schreibt mit Anteilnahme. Denn es ist auch ihre Erfahrung, es ist auch Teil ihrer eigenen Identität.

 

Und sie ist selten anklagend. Stattdessen schafft sie es immer wieder zu zeigen, warum die regierende Partei PiS so erfolgreich ist, indem sie beispielsweise die Versäumnisse der anderen Parteien beschreibt oder erklärt, dass PiS als einzige Partei Sozialpolitik betreibt – und die Linke keine Antwort darauf hat. Oder indem sie die Frage nach dem Wohlstand thematisiert. Man könnte doch denken: Den Menschen geht es viel besser als vor 1989. Warum beschweren sie sich? Smechowski schreibt: „Die Menschen vergleichen das Leben nicht mehr mit dem Kommunismus (…). Sie vergleichen es mit dem Westen.“

 

Durch die neugierigen und unvoreingenommenen Augen ihrer Tochter gewinnt nicht nur Smechowski, sondern auch der Leser zusätzlich einen frischen Blick auf dieses Land, seine manchmal merkwürdigen Traditionen und Rituale. Solche, die aus westlicher Perspektive oft veraltet und rückwärtsgewandt wirken und die wir oft im Vorhinein verurteilen und ablehnen, ohne uns wirklich mit ihnen auseinanderzusetzen. Da geht es um Osterkleider für Mädchen, die Matka Polka oder um Jesus. Wie erklärt man das einem fünfjährigen Kind? Da stößt auch Smechowski auf Schwierigkeiten und muss gleichzeitig ihr eigenes Weltbild hinterfragen.

 

Einmal schreibt sie: „So ein Vergleich ist auch immer eine Frage der Perspektive.“ Welche ist ihre eigene? Eine deutsche, eine polnische, die einer Auswanderin, einer Rückkehrerin? Und ist das überhaupt wichtig? Wahrscheinlich hat sie – so wie sie Polen als „Land dazwischen“ bezeichnet – eine Perspektive irgendwo dazwischen. Das macht vieles schwieriger. Dieses Gefühl nicht hier und nicht da dazugehören. Aber das gibt ihr auch diesen feinen Blick, der immer etwas darüber schwebt ohne von oben herabzuschauen. Der vieles klarmachen kann, ohne zu moralisieren.

 

Erst am Ende ihres Jahres, als der Danziger Oberbürgermeister ermordet wird, weiß sie es plötzlich, da verliert Smechowski wieder ihre Rolle als Reporterin, diese Rolle, die sie sich nur einige Male übergestreift hatte, da steht sie zwischen den Trauernden und bemerkt: „Zum ersten Mal seit einem Jahr fühle ich mich als Polin, als Danzigerin. “

 

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Paul Toetzke

Paul Toetzke

Paul Toetzke arbeitet als freier Autor und Fotograf in Berlin. Er beschäftigt sich vor allem mit Zentral- und Osteuropa und schreibt am liebsten Reportagen.

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