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Bringt Corona die Globalisierungsdämmerung?

„Eine Welt ohne globale Arbeitsteilung wäre eine weniger erfolgreiche“. Es ist niemand Geringeres als der Daimler-Vorstandschef Ola Källenius, der sich im März dieses Jahres im Interview mit dem „Spiegel“ genötigt sieht, das Gespenst der Deglobalisierung an die Wand zu malen. Grund für die Sorge des Mercedes-Manns ist die Corona-Krise. Weltweit führte sie Unternehmen schmerzhaft die Verwundbarkeit ihrer globalen Lieferketten vor Augen. Firmen kommen in Lieferschwierigkeiten, weil auf der anderen Seite des Globus der Zulieferer eines Lieferanten seine Fabrik schließen muss. Dennoch wäre es „der falsche Weg, wenn künftig jedes Land für sich wirtschaftet“, warnt Källenius.

Stimmt das Bild einer drohenden Globalisierungsdämmerung? Es ist zumindest nicht zu früh, festzustellen, dass die Welt Abschied von der Perspektive eines unaufhaltsamen Fallens aller Handelsschranken genommen hat. Schuld daran ist nicht nur Corona. Martin Laudenbach, Aufsichtsratsmitglied bei der polnischen Ciech S.A., sieht in diesem Kontext das Virus vielmehr als „Katalysator, (…) der bestimmte Entscheidungen beschleunigt hat“.

Jahrzehntelang galt die Globalisierung als eine Art Naturgesetz, eine Naturgewalt. „In einer globalisierten Welt…“ wurden unzählige Politikerreden eingeleitet, um den Wählern die Beschränkungen politischen Handelns vor Augen zu führen. Höchstens könne man den Druck auf den Arbeitsmarkt und das Bildungswesen erhöhen, pardon: sie „fit machen“ für die harte globale Konkurrenz. Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder begründete 2003 im Bundestag die einschneidenden Reformen der Agenda 2010 damit, das europäische Sozialmodell „gegen die Stürme der Globalisierung wetterfest“ machen zu wollen. Deutschland blieb konkurrenzfähig.

Neue Globalisierungskritik

Doch immer weniger Menschen teilen die Überzeugung, dass am Ende alle gleichermaßen von weltweitem Freihandel profitieren. Viele fragen sich, ob es nicht an der Zeit sei, sich statt „Wetterfestigkeit“ einen Regenschirm zuzulegen. Die Globalisierungsdynamik ist ins Wanken geraten, weil ihr Ausgangspunkt und Stützpfeiler, der Westen und besonders die USA, selbst den Glauben an die ungeteilten Vorzüge des freien Welthandels verliert.

Chinas expansiver Staatskapitalismus übergeht schon seit langem die Regeln der Welthandelsorganisation WTO, um so noch schneller auf seinen „rechtmäßigen“ Platz als führende Volkswirtschaft zurückzukehren. Der begehrte Zugang zum riesigen Markt Chinas wird so zum Beispiel durch Joint-Venture-Zwang an Technologietransfers an chinesische Unternehmen geknüpft. Die USA, der Noch-Spitzenreiter unter den Volkswirtschaften, erkennen dies als Bedrohung. Der amtierende US-Präsident Donald Trump ruft den Handelskrieg aus, erzwingt mit Strafzöllen Sonderkonditionen für amerikanische Exporteure und droht mit einem Austritt aus der WTO, der Hüterin des Welthandels.

Auch Deutschland will sich schützen

In Deutschland verabschiedete der Bundestag im Juni mit einer breiten Mehrheit ein verschärftes Außenwirtschaftsgesetz, das strengere Kontrollen von Firmenübernahmen vorsieht. Der Verkauf des deutschen Robotik-Pioniers Kuka nach China hatte 2016 eine Diskussion über „Einkaufstouren“ chinesischer Investoren bei deutschen und europäischen Hochtechnologie-Unternehmen ausgelöst. Der deutsche Wirtschaftsminister Altmaier warnte nun im Bundestag vor „unfairem Wettbewerb, vor unzulässigem Technologietransfer und vor dem Aufkauf durch staatlich subventionierte Konkurrenz“, ohne freilich China beim Namen zu nennen. Aus polnischer Perspektive interessant ist, dass deutsche Prüfbehörden nach der Gesetzesnovelle nun angehalten sind, die Sicherheitsinteressen anderer EU-Mitgliedstaaten mit in Betracht zu ziehen, etwa beim Verkauf von kritischer IT-Infrastruktur. Doch nicht nur gegenüber China, auch gegenüber Digitalriesen aus den USA will man sich in Berlin besser schützen. Anfang September stimmte die deutsche Regierung einem Reformentwurf zu, der zusätzliche Befugnisse für das Bundeskartellamt bei Wettbewerbsverzerrungen durch Firmen wie Google, Amazon oder Facebook vorsieht.

Ein guter „Deal“?

Es ist aber nicht nur die Sorge um Hochtechnologie, die westliche Staaten daran zweifeln lässt, ob die Globalisierung in ihrer jetzigen Form für sie ein guter „Deal“ ist. Bei einer Wahlveranstaltung in Minnesota kündigte Donald Trump im August an, Steuererleichterungen für Firmen zu schaffen, die Jobs aus China nach Amerika zurückholten. Der Wahlsieg des Außenseiters Trump war überhaupt erst möglich geworden, weil das „Offshoring“, die Auslagerung der Produktion in Niedriglohnländer, zum Niedergang traditioneller Industriestandorte in den USA geführt hatte. Dass die weltweite Arbeitsteilung gleichzeitig Wohlstandsgewinne durch sinkende Preise von Konsumgütern brachte, schaffte nur einen scheinbaren Ausgleich. Man kaufte in der neuen Shopping-Mall günstig in Asien gefertigte Produkte, weshalb nach der Fabrik auch die lokale Ladenzeile schließen musste. An die Stelle des gutbezahlten Industriearbeitsplatzes trat für viele eine Beschäftigung im Dienstleistungssektor. Der Abstieg ganzer Regionen hatte nicht nur ökonomische Folgen, sondern hinterließ auch ein emotionales Trauma, von dem unter anderem J. D. Vance in Hillbilly Elegy einfühlsam erzählt. Während die Metropolen als Sitze globaler Konzerne, Unternehmensdienstleistungen, IT-Firmen sowie Forschung und Entwicklung von der internationalen Effizienzoptimierung profitierten, mussten sich die Menschen im deindustrialisierten „rust belt“ den desinteressierten Vorwurf anhören, sie hätten eben nicht die Weichen falsch gestellt. Auch der Brexit war eine Entscheidung gegen den Geist einer entgrenzten Welt und das Gefühl nationalstaatlicher Ohnmacht gegenüber den Kräften der freien Märkte; allen Parolen vom „wahrhaft globalen Großbritannien“, das man nun anstrebe, zum Trotz.

Linke Antwort auf „untersteuerte Globalisierung“

Indem die politische Linke gesellschaftliche Liberalität und grüne Utopien über den wirksamen Schutz von Industriearbeitsplätzen stellte, verlor sie diese Wähler an die populistische Rechte. Trumps politische Losung des „fair trade“ ist ja ursprünglich ein linker Begriff. In Deutschland will die Sozialdemokratie nun mit einem Lieferkettengesetz eine progressive Antwort auf die Schattenseiten der Globalisierung geben. Es zeigt sich seit längerem, dass sich die Hoffnungen auf den gleichzeitigen Export von Waren und Werten, die schrittweise Angleichung von Menschenrechts- und Sozialstandards, kaum erfüllt haben. Der Politikwissenschaftler Klaus Segbers spricht offen vom „empirische[n] Scheitern des politischen Teils der Modernisierungserwartung, zumindest in den Fällen China und Russland“. Umgekehrt drohten Deutschlands ökonomische Bindungen zu Autokratien unter den Bedingungen einer „untersteuerte[n] Globalisierung“ zu „politischen Fesseln“ zu werden, so der Gründer des Center for Global Politics an der Freien Universität Berlin. Konrad Popławski, Experte für deutsche Wirtschaft am Warschauer Thinktank OSW, hält die deutschen Beteuerungen von „Wandel durch Handel“ schlichtweg für „einen Vorwand zur Verfolgung einer Geschäftsagenda“.

Das Lieferkettengesetz soll deutsche Unternehmen nun auch im Ausland und mit Blick auf ihre Zulieferer zur Einhaltung menschenrechtlicher, sozialer und umweltpolitischer Mindeststandards verpflichten. Das Wirtschaftsforum der SPD fordert, die Initiative auch europaweit im Rahmen der laufenden deutschen EU-Ratspräsidentschaft voranzutreiben. Doch bisher ist das Projekt in der Bundesregierung selbst noch kontrovers. Die Frontstellung der Ressorts lässt die Argumente erahnen. Das Entwicklungshilfeministerium begrüßt das Gesetz als bindendes Instrument zur Erreichung entwicklungspolitischer Ziele. Das Arbeitsministerium sieht die Möglichkeit, die hohen arbeitsrechtlichen und umweltpolitischen Standards in Deutschland zum positiven Standortfaktor zu machen. Das Wirtschaftsressort hingegen befürchtet ausufernde Bürokratie und unzumutbaren Mehraufwand für die Unternehmen sowie Einbußen bei der internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Es bleibt abzuwarten, ob sich Deutschland mitten in der Corona-Wirtschaftskrise zu einem solchen Schritt durchringt.

Polen profitiert

Nicht erst seit dem Ausbruch des Coronavirus also sind Unternehmen aufgefordert, eine neue Risikobewertung ihrer globalen Lieferketten vorzunehmen. Damit gewinnt der Wirtschaftsstandort Polen an Attraktivität: Nicht nur für europäische Unternehmen, die Alternativen zu Fernost in „best-cost Europe“ suchen, sondern auch für internationale Firmen, die den EU-Markt beliefern und deren Kunden noch mehr als bisher kurze Transportwege fordern. Michael Stietz, Chefeinkäufer des deutschen Körber-Konzerns, empfiehlt die Diversifizierung der Zuliefererbasis, das Anlegen von Lagerbeständen sowie regionale und lokale Bezugsquellen als Antwort auf die Lieferkrise.

Es zeigt sich: Ein Ende der globalen Arbeitsteilung, vor dem Daimler-Chef Källenius warnt, erwartet uns nicht. Richtig ist aber, dass Unternehmen höhere Kosten tragen werden, um gegen Risiken vorzubeugen. Die Lieferketten und Produktionslinien müssen stärker regional aufgestellt werden, die Effizienz der Wirtschaft sinkt. Das hat nicht nur Nachteile. Wo zwei Werke in Europa und Asien leisten, was sonst in einer Fabrik produziert würde, haben im besten Fall doppelt so viele Menschen Arbeit. Ein Lieferkettengesetz auf EU-Ebene wäre ein Schritt hin zu einer wirksamen Einflussnahme auf globale Sozial- und Umweltstandards.

Voraussetzung ist, dass Europa bereit ist, in einem raueren Welthandel selbstbewusst für sein Wirtschaftsmodell einzustehen. Das meint die polnische Wirtschaftsministerin Emilewicz wenn sie davon spricht, dass vor dem Hintergrund „realer Deglobalisierungsprozesse“, „Ziel und Sinn der Europäischen Union neue Bedeutung“ gewinnen werden. Auch Martin Laudenbach glaubt, dass angesichts weltweiter Handelskonflikte für die EU der Moment gekommen ist, sich neben den USA und China als dritte große Wirtschaftsmacht zu positionieren.

Leo Mausbach

Leo Mausbach

Leo Mausbach lebt und arbeitet in Warschau. Er ist Mitgründer des Osteuropa-Netzwerks des Vereins der Altstipendiaten der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.

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