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Die „Fliegende Akademie“ des Deutschen Polen-Instituts

Ideen für eine aktive und aktivierende Bildungsplattform zur deutschen Besatzung Polens 1939-1945 und zur deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte

 

Seit einiger Zeit wird öffentlich darüber diskutiert, wie in Deutschland angemessen an die deutsche Besatzung Polens 1939-1945 erinnert werden kann. Zu den Konzepten zählen das 2017 erstmals angeregte „Polendenkmal“[1] in der Mitte Berlins, ein Projekt, das das Deutsche Polen-Institut seitdem eng begleitet, sowie ein damit mehr oder weniger zusammenhängendes Dokumentationszentrum. Ein wesentlicher Bestandteil  kommt bei all den Vorschlägen stets zu kurz, nämlich das Ansinnen, durch die Bildungsarbeit einer „Fliegenden Akademie“ des Deutschen Polen-Instituts Wissen über deutsche Verbrechen im besetzten Polen in die deutsche Gesellschaft hineinzutragen.

Es fällt leichter, darüber zu streiten, wie ein Denkmal, eine künstlerische Dauerinstallation oder ein musealer Bau aussehen könnten und was davon sich besonders wirksam in Szene setzen kann. Die eher schwammige „Bildung“ ist hingegen ein breites Feld. Dabei beinhaltet sie großes Potenzial, wenn es um die Erschaffung eines „lebenden“ erinnerungskulturellen Projektes geht: Ein Projekt, das keinen Schlussstrich ziehen möchte, sondern Perspektiven eröffnet, indem es einer möglichst breiten Öffentlichkeit Wissen vermittelt. Bildung hilft dabei, emotionale Zugänge zu einem Thema zu entwickeln, denn erst, wer Bescheid weiß und verstanden hat, kann überhaupt Empathie empfinden. Und genau das ist der springende Punkt bei dem Thema: In der deutschen Gesellschaft fehlt es massiv an Wissen und Empathie bezüglich des Leids der Polen im Zweiten Weltkrieg, das durch den deutschen Überfall und die grausame Besatzungsherrschaft  mit all ihren Spezifikationen verursacht wurde – und das in Polen bis heute stark nachwirkt. Den Erstunterzeichnern des Polendenkmal-Aufrufs war es aber ein Kernanliegen, eben jenes Wissen und jene Empathie zu schaffen.

Was kann Bildungsarbeit leisten?

Bei der erinnerungskulturellen Bildungsarbeit kommt der menschliche Faktor ins Spiel. Menschen begegnen anderen Menschen – ob persönlich oder in der virtuellen Welt –, sie bilden sich (weiter) – und das zuvorderst in einer institutionalisierten Form. Sie wird oft professionell initiiert und gelenkt, findet je nach der eigentlichen Bildungssituation aber oft auch freiwillig bzw. ehrenamtlich statt. Modernes, nachhaltiges Lernen erfolgt zugleich möglichst partizipativ und erfahrungsbasiert und dockt nah an das bestehende Wissen von Menschen in ihrer jeweiligen Lebenswelt an. Als Mehrwert können und sollen thematische Netzwerke entstehen, um inhaltliche Synergien zu erzeugen und lange nach der konkreten Bildungssituation noch positive Nachwirkungen zu stimulieren.

Der Bildungsaspekt ist eine selbstverständliche Ergänzung zum traditionellen Gedenkort und entspricht dem Zeitgeist. Denn es liegt auf der Hand, dass dies notwendig ist, um ein bestimmtes Anliegen klarer und breiter in der Öffentlichkeit zu verdeutlichen. Und dies wiederum unabhängig von dem jeweiligen zeitlichen Kontext, auch über Generationen hinweg, wenn Zeitzeugen nicht mehr am Leben sind oder Zeremonien nicht mehr ausgerichtet werden. Gewissermaßen löst sich also durch Bildungsarbeit der Wesenskern der objektivierten Erinnerung – etwa einem Denkmal – und verselbständigt sich; er geht langsam vom kommunikativen ins kulturelle Gedächtnis, in den aktuellen Bildungskanon einer Gesellschaft über. Da dieser Bildungskanon im Zeitverlauf aber nicht starr, sondern flexibel gestaltbar ist, wirkt die Bildungsarbeit wiederum auf den neuen Bildungskanon prägend ein.

Bei meiner mehrjährigen Begleitung der Arbeit an der „Polendenkmal“-Initiative habe ich immer mehr den Eindruck gewonnen, dass das angestrebte erinnerungskulturelle Ziel, Leerstellen des historischen Bewusstseins zu schließen, alleine schon durch die intensive Auseinandersetzung mit dem Thema Gestalt angenommen hat. Das „Polendenkmal“ hat sich in den Köpfen der deutschen Öffentlichkeit als potenzielles Projekt des Verstehens und der Verständigung festgesetzt. Insofern entstand inzwischen also schon ein „virtuelles“ oder „geistiges Denkmal“, das vor allem durch die immer wieder vom Deutschen Polen-Institut organisierten öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen, zahlreichen Interviews und publizierten sowie regelmäßig versendeten Informationsmaterialien an Wirkung und Strahlkraft gewonnen hat. Zudem formen die Unterstützer und Unterstützerinnen der Denkmalinitiative, Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen sowie Journalisten und Journalistinnen ein hilfreiches deutsch-polnisches Netzwerk, das die Entwicklung des Projektes zumeist wohlwollend, aber auch konstruktiv-kritisch begleitet.

Die „Fliegende Akademie“

Was ist nun aber konkret mit einer „Fliegenden Akademie“[2] des Deutschen Polen-Instituts gemeint, die wir im Rahmen der „Polendenkmal“-Initiative angeregt haben und gerne in Zukunft umsetzen würden? Welche Einzelthemen könnte diese beispielsweise aufgreifen? Welche Zielgruppen könnte die Akademie in den Blick nehmen und welche Aktivitäten auf den Weg bringen? Und wozu wäre das am Ende gut?

Das Deutsche Polen-Institut will eine Plattform schaffen, die Bildung und Informationen zu Polen im Zweiten Weltkrieg vermittelt. Dabei soll es sich um interdisziplinäre Angebote für eine breite Öffentlichkeit in Deutschland im Sinne eines „zivilgesellschaftlichen Bildungsauftrags“ (Konzept einer „civic / citizenship education“) handeln.  Zugleich soll diese Plattform ein Netzwerk für bereits bestehende Angebote sein und vorhandene Expertise verbinden, indem sie möglichst nichts dupliziert, sondern kreativ an diese Angebote anknüpft. Die „Fliegende Akademie“ würde vom Deutschen Polen-Institut koordiniert und sollte im Idealfall mit einem mehrköpfigen Team von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, ergänzt durch einen Kreis von Beraterinnen und Beratern von ausgewiesenen wissenschaftlichen Experteninnen und Experten zu Polen und dem östlichen Europa, in der gesamten Bundesrepublik sowie darüber hinaus aktiv werden.

Gerade die beiden zuletzt genannten Ansprüche sind kaum ohne ressourcensparende Kooperationen mit bereits auf diesem Feld tätigen Institutionen aus dem In- und Ausland denkbar. Daher muss die „Fliegende Akademie“ noch vor Beginn der Aufnahme ihrer Tätigkeit die Fühler ausstrecken. Stiftungen, Vereine und Verbände sowie Akademien und Träger der gesellschaftspolitischen Bildung kommen als Teile des Netzwerks in Betracht. Erste Recherchen brachten bereits eine interessante Erkenntnis zu Tage: Geschichtliche Formate stellen bei den meisten Akademien der gesellschaftspolitischen Bildung in Deutschland derzeit keinen ausgewiesenen thematischen Schwerpunkt dar[3], und zur deutschen Besatzungszeit in Polen existieren nur vereinzelt Angebote. Im Sinne einer aktivierenden Bildung, die sich künftig auf die deutsch-polnische Verständigung und die Zukunft der Demokratie und Zivilgesellschaft positiv auswirken sollte, wäre es aber wünschenswert, dass dies anders aussieht. Hier könnte das Deutsche Polen-Institut daher mit der angeregten „Fliegenden Akademie“ alsbald einspringen.

Die konkreten Einzelthemen, die die Akademie aufgreifen könnte, wären natürlich vorrangig geschichtlicher Natur: angefangen von der Faktenvermittlung über die deutsch-polnische Beziehungsgeschichte, deutsche Besatzungsherrschaft in den besetzten Gebieten Polens (sowie in den Nachbarstaaten), Zwangsmigrationen/„Vertreibungen“, Zwangsarbeit und Zwangsgermanisierung, das Schicksal von Polen in Konzentrationslagern, Displaced Persons aus Polen und dem östlichen Europa in Deutschland bis hin zu weiteren von der Besatzung gezeichneten Menschen in Polen 1939-1945, auch im grenzüberschreitenden Vergleich. Sie könnten davon ausgehend erinnerungskulturelle Felder wie die Fülle an polnischen (und anderen) Erinnerungsorten an den Zweiten Weltkrieg in Deutschland oder etwa polnische Gewalterfahrungen in den Fokus nehmen, aber auch deren Nachwirkungen in diversen europäischen Ländern und Gebieten. Weitere interdisziplinäre Bezüge zur Nachkriegszeit und Gegenwart sind denkbar.

Bildung für wen?

Bildungsangebote selbst können dabei für unterschiedliche Zielgruppen entstehen, wie etwa für Multiplikatorinnen und Multiplikatoren der Erwachsenenbildung, für Jugendliche, für Lehrerinnen und Lehrer, Pädagoginnen und Pädagogen der außerschulischen Bildung sowie für Wissenschaftler.

Je nach Zielgruppe würden unterschiedliche Materialien und Methoden ausgewählt und genutzt und eigene, neue nach Bedarf erstellt werden. Digitale sowie hybride Angebote (eine Mischung aus Präsenz- und digitalem Format) könnten zusätzlich zu reinen „Präsenzveranstaltungen“ auch über die aktuelle Corona-Pandemiezeit zum Einsatz kommen. Aber auch gut ausgearbeitete traditionellere Bildungsinstrumente wie Publikationen und Tafelausstellungen wären nach wie vor gefragt.

Beim Deutschen Polen-Institut existieren längst Tätigkeitsfelder, an die eine „Fliegende Akademie“ nahtlos ansetzen kann: Wie schon erwähnt, finden für die interessierte Öffentlichkeit zahlreiche Begleitveranstaltungen im Rahmen des „Polendenkmal“-Projektes statt. Aus der letzten Zeit sei die Durchführung einer Gedenkstunde am 1. September 2020 in Berlin (auch online[4]) oder die Vorführung des teilweisen animierten Filmes „POLEN 39. Wie deutsche Soldaten zu Mördern wurden“ mit Diskussion zur deutschen Erinnerung an den Überfall auf Polen und Beginn des Zweiten Weltkriegs[5] inkl. Facebook-Streaming genannt. Bei der schulischen Bildung kann das Deutsche Polen-Institut an die Kompetenz und die Erfahrungen anknüpfen, die es mit der Online-Plattform „Polen in der Schule“[6] und dem „Polenmobil“[7] bundesweit gesammelt hat.

Fliegende Akademie als „Zukunftsort“

Und wofür wäre die Arbeit der „Fliegenden Akademie“ nun am Ende gut? Erst sie würde das „Polendenkmal“-Projekt nachhaltig lebendig und aktivierend gestalten. Bereichert durch die praktischen Bildungsangebote der „Fliegenden Akademie“ und zahlreiche menschliche Begegnungen wäre der neu eingerichtete Ort der Erinnerung an die deutsche Besatzung Polens nicht nur ein Gedenkort, sondern auch ein hoffnungsvoller „Zukunftsort“, an dem ausgehend vom von dort aus vermittelten Wissen an die grausame deutsche Besatzung Polens die Weichen für die gemeinsame, friedvolle deutsch-polnische Zukunft in Europa gestellt werden und an dem man bestenfalls demokratiefördernde Erkenntnisse insgesamt erwerben könnte.

 

[1] Denkmal für die Opfer der deutschen Besatzung Polens 1939-1945 in der Mitte Berlins, s. www.polendenkmal.de.

[2] Der Name geht auf den Begriff „fliegende Universität“ (Auf Poln.: uniwersytet latający) zurück, der auf eine Praxis des Studierens und Lernens vor allem im polnischen Untergrundstaat zurückgeht, die Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts begonnen hat und zu kommunistischen Zeiten im Sinne der Demokratieerziehung durch oppositionelle Kreise wiederaufgegriffen wurde.

[3] Siehe: www.adb.de/arbeitsfelder.

[4] Siehe: www.polendenkmal.de/termine/archiv/gedenken-an-den-dt-ueberfall-auf-polen-2.

[5] Siehe www.polendenkmal.de/termine/archiv/film-polen-39-wie-deutsche-soldaten-zu-moerdern-wurden-und-diskussion.

[6] Siehe www.poleninderschule.de.

[7]Siehe www.poleninderschule.de/polenmobil.

 

Emilie Mansfeld

Emilie Mansfeld

Master of European Studies, wiss. Mitarbeiterin und Projektkoordinatorin "Polendenkmal" im Berliner Büro des Deutschen Polen-Instituts

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