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Trump, Biden und Europa: Gespräch mit Radosław Sikorski

„Ich bin nicht sicher, ob die amerikanische Demokratie eine zweite Kadenz von Donald Trump überstanden hätte“, sagt Radosław Sikorski im Gespräch mit Tomáš Klvaňa.

 

Tomáš Klvaňa: Wie nimmst du die Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen in den Vereinigten Staaten wahr und wie kann die Zukunft der europäisch-amerikanischen Beziehungen aussehen?

Radosław Sikorski: Nach den europäischen Prinzipien, mit proportionalem und gleichem Wahlrecht, hätte Joe Biden einen bedeutenderen Sieg errungen. Der Unterschied liegt bei sechs bis sieben Millionen Stimmen und das ist ein überzeugender Sieg. Biden ist ein „Atlantiker“ im alten Stil, ein Amerikaner mit europäischer Herkunft und der zweite katholische Präsident in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Ich vermute, dass er persönlich an den Verbindungen zu Europa interessiert sein wird, sogar mehr als Barack Obama. Ich erwarte, dass die bissigen Kommentare aufhören, dass Amerikas Handelskrieg aufhört, der gleichzeitig an zwei Fronten geführt wird: gegen China und gegen die Europäische Union, und dass wir uns wie Erwachsene zu Gesprächen zusammensetzen. Wir, als Europa, machen den Vereinigten Staaten Angebote für eine neue Öffnung.

Ich weiß, dass die Vereinigten Staaten ebenfalls Angebote für die Zukunft planen. Ich bin sicher, dass viele davon einander ergänzen werden. Ich hoffe, dass wir die Demokratie zurückgewinnen und eigentlich intensivieren in einer Zeit, wo Nicht-Demokratien unser System ausbeuten. Ich freue mich sehr, dass das Wahlergebnis genau so und nicht anders ausgefallen ist. Ich hoffe, dass das eine Abwendung vom globalen Populismus bedeutet, nicht nur in den Vereinigten Staaten.

Sollten wir uns also über Bidens Sieg freuen, oder sollte es uns Sorge bereiten, dass Trump über 73 Millionen Stimmen erhalten hat und die Politik nicht in absehbarer Zeit verlassen wird?

Wir wissen nicht, ob er der Politik den Rücken kehren wird oder nicht. Ganz offensichtlich will er die Politik nicht verlassen. Aber ich glaube, ihm stehen mehrere Gerichtsprozesse und Anklageschriften bevor. Das wird ihn sehr beschäftigen. Vergiss nicht, dass er zwei Wochen vor der Wahl andeutete, dass er, sollte er die Wahl verlieren, gezwungen sein könnte, das Land zu verlassen.

Es ist gut für die amerikanische Demokratie, dass Biden gewonnen hat, weil die Zerstörung von konstitutionellen Regeln und die Verletzung mancher Kontroll- und Gleichgewichtsmechanismen, deren Zeugen wir geworden sind, jetzt ein Ende haben. Ich bin nicht sicher, ob die amerikanische Demokratie eine zweite Kadenz von Donald Trump überstanden hätte. Ich glaube, diese Situation hat die Schwäche der amerikanischen Konstitution gezeigt. Nehmen wir beispielsweise die Institution des Wahlkollegiums. Es ist dafür gedacht zu verhindern, dass Demagogen an die Macht kommen, selbst wenn sie die allgemeinen Wahlen gewinnen. Aber es hat genau das Gegenteil bewirkt: 2016 hat Trump die allgemeinen Wahlen verloren, und ist trotzdem Präsident geworden.

Das wirft die Frage nach der Zukunft der Republikanischen Partei auf. Siehst du zumindest die geringste Chance, dass sie zu einer stärker den Standards verpflichteten Politik zurückfindet?

Die Republikanische Partei hat ein Problem. Die Unterstützung für den ethnischen Populismus in den Vereinigten Staaten muss verringert werden. Die Stimme ländlicher Konservativer in Vorstädten und außerhalb der Städte ist in den Vereinigten Staaten überrepräsentiert, so wie überall auf der Welt. Diese Überrepräsentation nimmt inzwischen groteske Züge an, insbesondere bei den Rennen um die Senatsmandate. Soweit ich weiß, stimmen für die demokratischen Senatoren-Kandidaten etwa 40 Millionen Menschen mehr als für die Republikaner, und trotzdem bleibt der Senat republikanisch. Das wirkt undemokratisch. Ein besonderes Problem der Republikanischen Partei ist es, die Wählerschaft zu erhalten, wenn die Gesellschaft differenzierter wird. George Bushs Methode bestand in dem Versuch, die konservativen, religiösen Latinos und Afroamerikaner für sich zu gewinnen. Dieses Mal scheint die Idee der GOP (Grant Old Party, umgangssprachliche Bezeichnung für die Republikanische Partei in den USA, Anm. d. Red.) in der Unterdrückung des Minderheitswählers und in noch mehr sogenanntem Gerrymandering zu bestehen, sprich in der Manipulation von Wahlkreisen, was ungesund ist.

Bist du etwa kein Optimist in Sachen Zukunft der Republikanischen Partei?

Es gibt Menschen, die sich Präsident Trump mit Verspätung entgegenstellen, und ihm sagen, er solle das Amt wie ein Mann verlassen, sich anständig verhalten und Klasse zeigen, aber das ist eine kleine Minderheit. Man könnte darüber nachdenken, zu wem die Republikanische Partei jetzt gehört.

Welchen Einfluss wird Trumps Niederlage auf ähnliche politische Parteien in Europa haben, solche wie PiS in Polen, Fidesz in Ungarn, aber auch auf westliche Populisten?

PiS in Polen ist die letzte Schanze des Trumpismus. Eine der letzten Parteien auf der Welt, die viele Wochen nach den Wahlen Bidens Sieg noch immer nicht anerkannt hat. Im polnischen Fernsehen kamen Meldungen, dass dies noch nicht das Ende der Wahlen sei, während das Ende für den Rest der Welt klar war. Der polnische Präsident hat Joe Biden lange ganz eindeutig nicht gratuliert. Er sagte, dass wenn Biden gewinnt, Polen starke Meinungsverschiedenheiten mit der kommenden amerikanischen Regierung haben werde. Statt eine ganz normale Geste zu tun, die wir selbst bei Staatsoberhäuptern gesehen haben, die Trump unterstützen, wie Benjamin Netanjahu aus Israel, oder sogar Wladimir Putin, haben sich die polnischen Populisten verschanzt. Für sie wird die Welt jetzt einsam werden.

Trumps Sieg im Jahr 2016 hat solche Parteien enorm gestärkt. Meinst du, dass seine Niederlage im Jahr 2020 bedeuten könnte, dass sich die Lage verändert hat?

Hoffentlich. Die polnische Regierungspartei hatte die Gelegenheit sich zu positionieren: nein, wir waren auf der Seite der Vereinten Nationen und nicht auf Trumps Seite – um zu versuchen, bestmögliche Beziehungen zu der neuen Regierung zu knüpfen. Aber es sieht danach aus, dass sie dazu nicht fähig ist, sie riskiert, zum Ziel von Bidens Kritik zu werden. Und wer in Polen von den Vereinigten Staaten kritisiert wird, gewinnt keine Wahlen. Die Regierungspartei geht dieses Risiko ein, weil ihr rechter Fundamentalismus einfach zu stark ist.

Es gibt deutliche Ähnlichkeiten zwischen rechten Populisten in verschiedenen Ländern, aber auch recht wesentliche Unterschiede zwischen ihnen. Wie wirksam werden Versuche sein, sie zu vereinigen? Wir konnten beobachten, wie Steve Bannon versucht hat, eine Art Plattform für Nationalisten zu schaffen.

Ich glaube, das Bannon jetzt Geschichte ist. Es denkt nicht nur niemand mehr, dass er weiterhin irgendwelche Verbindungen zum Weißen Haus hat, sondern ab Januar kann das Weiße Haus kaum stärker „nicht-bannonisch“ sein, mehr noch: Bannon wurde vorgeworfen, kriminell zu sein. Den Höhepunkt seiner politischen Einflüsse und seiner ideologischen Attraktivität haben wir bereits gesehen.

Aktivisten wie er engagieren sich stark in sozialen Medien, indem sie Desinformation verbreiten. Was für ein großes Problem sind soziale Medien als solche?

Das ist etwas, was wir regeln müssen. Wir arbeiten im Europäischen Parlament daran, weil wir jetzt wissen, dass die Algorithmen dieser Privatfirmen, hauptsächlich der amerikanischen, so gemacht sind, dass sie deine Aufmerksamkeit binden, und am besten bindet deine Aufmerksamkeit Polarisierung, die Wut auf Mitbürger. Mit anderen Worten, die Form dieser Streitigkeiten regt tatsächlich dazu an, unsere Gesellschaft zu spalten und unsere Demokratien zu zerstören. Wir haben das Recht zu intervenieren und das werden wir tun.

Ist also unsere Sorge um die Demokratie selbst ein Wert, der über einem anderen steht, der Meinungsfreiheit?

Nein. Das ist keine Meinungsfreiheit. Das ermutigt die Menschen, zu streiten und einander zu bekämpfen. Warum sollte das ein Geschäftsmodell sein? Warum sollen Konzerne Milliarden Dollar daran verdienen, indem sie uns alle gegeneinander aufbringen? Dabei geht es weder um Menschenrechte noch um Handelsrechte.

Twitter und Facebook haben unterschiedliche Herangehensweisen. Twitter hat versucht, Trumps Lügen zu markieren, während Facebook eher laissez-faire damit umgegangen ist. Was ist besser?

Ich spreche nicht davon, ob sie Lügen überwachen oder kennzeichnen. Der Algorithmus an sich ist schlecht.

Ich verstehe. Ich weiß, dass der Algorithmus versucht, uns so lange wie möglich auf ihren Internetseiten zu halten, und dass es der Kern ihres Geschäftsmodelles ist, unsere Wut aufrecht zu erhalten und sogar mit unserer Eitelkeit zu spielen. Ich frage nach etwas anderem: Was sollen wir mit offensichtlichen Lügen und Desinformationen machen? Wessen Herangehensweise ist klüger? Hatte Twitter recht?

Ja, aber sie haben zu spät damit angefangen. Hätten sie damit vor zehn Jahren begonnen, hätten wir wahrscheinlich weder den Brexit noch Trump gehabt.

Trump und andere Populisten waren gut darin, echte Probleme zu identifizieren, die von Mainstream-Politikern vernachlässigt wurden. Holen die Hauptparteien diese Versäumnisse auf?

So sieht das normalerweise aus, nicht wahr? Wenn das Establishment etwas vernachlässigt, was die Menschen lebhaft spüren, entstehen populistische Parteien für ein Problem und schieben es in den Vordergrund. Später einverleibt das Establishment einen Teil eines solchen Problems und findet vernünftige Lösungen für tatsächliche Probleme. Zweifelsohne haben wir ein reales Problem mit der Regulierung der Migration und damit, Migranten zu guten Bürgern zu machen. Wir haben das Problem, dass sich zu viel Vermögen auf die Finanzbranche konzentriert, es besteht auch die Frage der Verdienste in dieser Branche, die in keinem Verhältnis zum Nutzen stehen, den dieser Sektor für die Menschen hat. Wir müssen uns damit befassen und ich denke, wir haben das noch nicht gemacht.

Was Trumps China-Politik betrifft, scheint man sich darüber einig zu sein, dass er etwas identifiziert hat, das …

… hör auf! Trump hat überhaupt nichts identifiziert. Die transpazifische Freihandelszone hat Barack Obama vorgeschlagen. Schon seine Regierung hatte die Frage erkannt, aber nicht viel Aufhebens darum gemacht.

Zurecht.

Er hat von einer Hinwendung nach Asien gesprochen, statt China zu eliminieren – du weißt, was ich meine. Ja, das, was Populisten als Medizin anbieten, ist für gewöhnlich schlimmer als die Krankheit selbst. Ich hoffe, dass es gelingt, eine sinnvolle Zusammenarbeit zwischen den Vereinigten Staaten und anderen Demokratien anzuknüpfen, nicht nur in Europa, das versucht, China zu beeinflussen. China ist nicht die Sowjetunion. In Ordnung, es ist kommunistisch, aber es ist wirtschaftlich mit uns verbunden und wir wollen diesen Markt nicht verlieren. Wir würden China lieber davon überzeugen, sich weiterzuentwickeln und aufzuhören, das System überzustrapazieren. Wenn wir gemeinsam agieren, haben wir vielleicht noch eine Chance.

Ist die Hoffnung, dass Biden zur transpazifischen Partnerschaft zurückkehrt, real?

Das wurde ohne die Vereinigten Staaten gemacht, deshalb denke ich, ja, die USA sollten das machen, was in ihrem Interesse ist. Wir sollten auch die Diskussion über eine transatlantische Freihandelszone wieder aufgreifen.

Wie nimmst du nach dem Brexit den Vertrag zwischen Großbritannien und der Europäischen Union wahr?

Ich habe gegen den Ausstiegsvertrag gestimmt, nur deshalb, um zu signalisieren, dass der Brexit eine ganz schlechte Idee ist. Jetzt habe ich leider auf eine Weise Recht behalten, da der Ausstiegsvertrag von britischer Seite verletzt wird. Wir reden am 18. November 2020 miteinander, das heißt einen Monat nachdem die Deadline, die sich Großbritannien selbst gesetzt hat, abgelaufen ist, und sechs Wochen bevor das Verbot zur Verlängerung der Übergangsphase erlischt, das sich die Briten selbst auferlegt haben. Und in diesem Moment haben wir den Entwurf für ein Abkommen, das noch nicht vollständig abgestimmt ist und über tausend Seiten hat. Man erwartet, dass selbst, wenn die Briten es annehmen [sie haben es zum Jahresende angenommen, Anm. d. Red.], wir innerhalb weniger Tage oder Wochen im Europäischen Parlament tausend Seiten analysieren und ratifizieren müssen, was normalerweise viele Monate dauert! Das ist meiner Meinung nach ein weiterer Hinweis darauf, wie unverantwortlich dieser Prozess war.

Du klingst ziemlich deprimierend.

Wir wissen bereits, dass in London mehrere Tausend Arbeitsplätze weg sind. Das ist viel, denn über 100.000 polnische Staatsbürger haben Großbritannien verlassen. Großbritannien hat die Europäische Arzneimittel-Agentur und die Europäische Bankenaufsichtsbehörde verloren, es hat die Abgeordneten des Europäischen Parlaments verloren, den Kommissar der Europäischen Union, es hat das Vetorecht in Brüssel verloren… Großbritannien hat vier Millionen Bürgern der Europäischen Union in Großbritannien Probleme gemacht, indem es sie dämliche Formulare ausfüllen lässt. Sag mir, was daran positiv ist!

Zum Schluss noch eine Frage zur NATO. Es besteht Einigkeit darüber, dass Biden zu einer vernünftigeren Rhetorik zum Thema NATO zurückkehrt und dass die Gefahr des Zerfalls gebannt ist, zu dem es gekommen wäre, wenn Trump gewonnen hätte. Was erwartest du von einer echten, sachlichen NATO-Politik der neuen US-Regierung?

Wir Europäer sollten das Thema Verteidigung ernster nehmen, auch unter dem Schild der NATO: Wir sollten das zahlen, wozu wir uns verpflichtet haben, das heißt zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Das ist eines der Dinge, in denen Trump recht hatte, nicht nur inhaltlich, sondern auch was seinen Stil betrifft, als er uns angegriffen hat. Denn als Bush und Obama höflich davon gesprochen haben, hat das keine Wirkung gezeigt. Aber wir sollten unsere eigene Verteidigung genauso ernst nehmen, unabhängig von der NATO, weil wir nicht wissen können, ob sich die Beziehungen der Vereinigten Staaten zu China nicht verschlechtern. Wenn sich die Vereinigten Staaten auf etwas Schwerwiegenderes als einen Handelskrieg mit dem Fernen Osten einlassen, werden sie Streitkräfte brauchen, die jetzt in Europa sind, und wir bleiben dann uns selbst überlassen. Deshalb sollten wir eine zweite Versicherungspolice haben, für den Fall, dass die erste zurückgenommen wird.

 

Aus dem Polnischen von Antje Ritter-Miller

 

Das Gespräch erscheint in der kommenden Ausgabe der Quartalszeitschrift Aspen Review 1/2021.

 


Radosław Sikorski (1963) ist Abgeordneter im Europäischen Parlament, wo er Vorsitzender der Delegation für die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten ist. Von 2005 bis 2007 war er Verteidigungsminister und von 2007 bis 2014 Außenminister der polnischen Regierung, von 2014 bis 2015 war er Sejmmarschall.

 

 


Dr. Tomáš Klvaňa (1966) ist Gastprofessor an der University of New York in Prague. Er war Pressesprecher und politischer Berater des Präsidenten der Tschechischen Republik sowie Regierungsbeauftragter für Öffentlichkeitsarbeit über die Stationierung eines US-Radars.

 

 

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