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Amerika ist zurück, Europa wartet nicht

Joe Biden will die Beziehungen zu Westeuropa verbessern. Die ersten Monate seiner Amtszeit zeigen jedoch, dass das nicht leicht wird.

„Vor zwei Jahren, als ich das letzte Mal in München sprach, […] sagte ich: Wir kommen wieder. Und ich habe Wort gehalten. Amerika ist wieder da.“ Diese Worte richtete US-Präsident Joe Biden auf der virtuellen Münchner Sicherheitskonferenz im Februar an die Europäer. Nach vier Jahren turbulenter Regierung von Donald Trump wird es in den transatlantischen Beziehungen wieder sonniger.

In den ersten Monaten ihrer Amtszeit hat die neue amerikanische Regierung (hauptsächlich durch Biden und Außenminister Antony Blinken) versucht, die europäischen Politiker davon zu überzeugen, dass man angesichts der Bedrohungen seitens Chinas und Russlands solidarisch sein müsse. Es sei notwendig, die gemeinsamen demokratischen Werte gegen die Bedrohung durch Autokratien zu verteidigen und im Kampf gegen den Klimawandel die Kräfte zu bündeln. Biden hat die europäischen Staatsoberhäupter zu einem virtuellen Klimagipfel eingeladen und die Staatschefs der größten demokratischen Staaten zu einem Treffen. In diesem Sinne ist das alte Amerika tatsächlich zurück. Angela Merkel und Emmanuel Macron, die nach dem amerikanischen Präsidenten das Wort ergriffen, waren sichtlich froh darüber, sich in der Diskussion mit dem Präsidenten der USA endlich auf das Inhaltliche konzentrieren zu können, und nicht auf die Form.

Lukasz Gadzala Transatlantische Beziehungen USA und EU

Aber in der Politik begnügt man sich nicht damit, einander auf die Schultern zu klopfen. Die schwierigen Themen und Missverständnisse in den Beziehungen Washingtons zu den westeuropäischen Staaten verschwinden nicht wie durch Zauberhand. Die meisten europäischen Staaten teilen die Befürchtungen im Hinblick auf Russland und China nicht in gleichem Maße wie die USA. Paris und Berlin sowie das europäische Brüssel sprechen immer häufiger von der Notwendigkeit einer strategischen Autonomie, weil sie eine größere Rolle in der internationalen Arena spielen wollen (oder, wie sie meinen, müssen) als dies in den vergangenen 75 Jahren der Fall war. Bidens Amerika kommt zurück in eine Welt, die es nicht kennt: in eine Welt, in der Amerika nicht mehr die einzige Großmacht auf der Welt ist und in der dem kulturell verwandten Europa die Rolle des Juniorpartners der Vereinigten Staaten langsam nicht mehr ausreicht.

Die ersten Monate von Bidens Amtszeit zeigen, dass Amerika derzeit keine schlüssige Idee hat, wie es diesen Wandel für die Stärkung der eigenen Position und der transatlantischen Beziehungen nutzen kann.

Über Demokratie und das Klima lässt sich leicht reden

Es ist charakteristisch, dass Bidens Regierung bei der Verbesserung der Beziehungen zu Europa mit Gesprächen begonnen hat, in denen es vor allem um das Klima und die Demokratie ging. Im Februar ist sie zum Klimaabkommen von Paris zurückgekehrt, was nicht nur in ihrem eigenen Interesse lag, sondern auch eine Geste des guten Willens Europa gegenüber war. Selbst wenn die USA und Europa zu Details des Programms zur Bekämpfung des Klimawandels unterschiedliche Ansichten haben, haben sie in letzter Zeit zumindest gezeigt, dass sie bereit sind, in den gleichen institutionellen Formaten zusammenzuarbeiten. Ähnlich ist es mit den Bemühungen um den Schutz und die Stärkung der Demokratie. Die Staaten Westeuropas und die USA sind sich darüber einig, dass die liberale Demokratie schwierige Zeiten durchlebt, in vielen Orten der Welt wird der Rechtsstaat angegriffen und westliche Werte von autokratischen Tendenzen verdrängt. In einer weiteren gutwilligen Geste haben sich die USA der EU angeschlossen, die chinesische Beamte aufgrund deren Verantwortlichkeit für die Verfolgung der Uiguren in Xinjiang mit Sanktionen belegt hatte. So konnten Washington und Brüssel eine gemeinsame Front gegen China bilden, ohne sich dabei auf wirtschaftlich-technologische Themen zu beziehen, in denen sie sich am wenigsten einig sind.

Doch Tatsache ist, dass das Klima und der Schutz demokratischer Grundwerte Themen sind, für die die USA und Europa am leichtesten eine gemeinsame Basis finden. Obwohl Biden die europäischen Staatschefs zum Klimagipfel und zu einem Weltdemokratiegipfel eingeladen hat, sind derzeit keine Gipfel geplant, auf denen man beispielsweise  die Schaffung der Transatlantischen Freihandelszone (TTIP) oder Details einer energetischen Zusammenarbeit besprechen könnte.

Brüssel und Washington haben sich dazu entschlossen, den Dialog in Sachen China weiterzuführen, aber das bedeutet vorerst keine gemeinsame antichinesische Front, sondern lediglich Konsultationen und Zusammenarbeit im Bereich Menschenrechte und zur Gewährleistung der Stabilität im Indopazifik.

Für ernsthafte Gespräche – insbesondere zu wirtschaftlichen und technologischen Themen – ist es für Biden wahrscheinlich zu früh, weil man im Pentagon noch immer mit der Neubewertung der Chinapolitik beschäftigt ist. Erst wenn diese abgeschlossen sein wird – wahrscheinlich im Juni – wird es neue Empfehlungen geben, auf deren Basis die neue Regierung eine schlüssige Politik entwerfen und konkrete Angebote machen wird, auch für Europa. Dass Washington vorerst keine schwierigeren Themen anspricht, folgt allerdings auch daraus, dass die distanzierte Haltung der Europäer als Imageniederlage Bidens interpretiert werden könnte.

Ein neuer Kalter Krieg?

Und das kann sich der neue Hauptmieter des Weißen Hauses nicht gleich zu Beginn leisten, weil während seiner Amtszeit die Chinapolitik ein zentrales Element in den transatlantischen Beziehungen sein wird. Mehr noch, im Vordergrund bleiben Themen, auf die Trump bei seinen Kontakten mit den Europäern gedrängt hatte. Blinken sagte letztens in Brüssel, er wolle nicht, dass Europa in der amerikanisch-chinesischen Rivalität dazu gezwungen werde, eine Wahl nach dem Motto „wir oder sie“ zu treffen. Dabei hatte er selbst schon vorher darauf verwiesen, dass Washington – ähnlich wie zu Trumps Zeiten – weiterhin versuchen werde, die europäischen Staaten dazu zu bewegen, die Zusammenarbeit mit Huawei aufzugeben. Die Amerikaner werden auch nicht aufhören, die Europäer von einer engeren finanziellen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Peking abbringen zu wollen.

Diese Vorgehensweisen bedeuten, dass Bidens Regierung vorhat, gegenüber Europa Trumps Linie in zivilisierter Form weiterzuführen. Die Bündnispartner werden nicht mehr ermahnt, man wird sich nicht mehr in Invektiven gegen sie ergehen und auch keine Zölle mehr erheben. Dennoch haben wir es mit der Forcierung einer „neuen Optik des Kalten Krieges“ zu tun, die der vorangegangene Präsident in Washington eingeführt hat. Die Amerikaner sehen es so, dass wieder zwei feindliche Blöcke einander gegenüberstehen und dass sich Europa für eine Seite entscheiden muss. Genau das will Biden vermitteln, wenn er in jeder Rede vor den Bündnispartnern von der Notwendigkeit spricht, einen demokratischen Block zu schaffen, der sich den Autokratien entgegenstellt.

Aber obwohl die Vereinigten Staaten durch ihr Militär und den Dollar weiterhin eine enorme Wirkungskraft haben, deutet nichts darauf hin, dass diese Herangehensweise Früchte tragen könnte.

Erstens trägt die Rivalität der beiden stärksten Großmächte keine Merkmale eines neuen Kalten Krieges: Die Welt ist nicht in Blöcke geteilt, die Ideologie spielt keine so wichtige Rolle wie früher, und China ist eine große globale Wirtschaftsmacht, wie es die Sowjetunion nie war. Wenn also die Amerikaner weiterhin auf das Repertoire aus Zeiten des Kalten Krieges zurückgreifen werden, setzen sie sich dem Risiko aus, dass nicht nur China und Russland enger zusammenarbeiten, sondern auch die Beziehungen zwischen Europa und China aktiver werden. Im Jahr 1987 hat Blinken ein interessantes Buch über Krisen in den transatlantischen Beziehungen geschrieben (Ally Versus Ally: America, Europe, and the Siberian Pipeline Crisis). Darin kritisiert er die Regierung Reagans für die seiner Meinung nach falsche Herangehensweise an die europäischen Bündnispartner, die gegen Amerikas Willen gemeinsam mit der UdSSR eine Gaspipeline von Sibirien nach Westeuropa bauten. Die Amerikaner hatten die Europäer damals mit Sanktionen belegt und verlangt, die Bauarbeiten einzustellen. Doch die Gaspipeline ist trotzdem entstanden, und die transatlantischen Beziehungen sind in ein Tief geraten.

Zweitens lehnen die Staaten Westeuropas eine neue bipolare Vision der Welt wie zu Zeiten des Kalten Krieges ab. Sie wollen weiterhin sowohl von der Sicherheit, die ihnen die USA garantieren, profitieren, als auch von den Vorteilen, die ihnen der Handel mit China bringt. Da genügt es, Emmanuel Macron zuzuhören, der während des diesjährigen Weltwirtschaftsforums in Davos sagte, eine Situation, in der Europa und die USA zusammen gegen China auftreten, sei ein Szenario mit dem größtmöglichen Konfliktpotenzial. Eine solche Herangehensweise sei kontraproduktiv. Diese Sichtweise teilt die Mehrheit der EU-Staaten sowie die EU-Zentrale selbst. Als die Europäische Union im Dezember 2020, ohne die Amtseinführung Bidens abzuwarten, das Investitionsabkommen mit China finalisierte, machten sich manche Beobachter darüber Gedanken, wie die Tatsache, dass die Europäische Kommission kaum ein Jahr zuvor Peking zum „Systemrivalen“ erklärt hatte, damit zu vereinbaren sei. Die Antwort ist ganz einfach. In dem gleichen Dokument wird China auch „strategischer Partner“ Europas genannt. Berlin, Brüssel und Paris betreiben eine zweigleisige Chinapolitik und wollen dies nicht ändern. Sie werden Peking in Menschenrechtsfragen weiter mit dem Finger drohen, haben aber nicht die Absicht, auf die für sie vorteilhafte wirtschaftliche Zusammenarbeit zu verzichten.

Zu diesen Ambitionen passt die hauptsächlich von Macron und der Europäischen Kommission beworbene Idee der „strategischen Autonomie“. Dabei geht es nicht um den Aufbau einer gemeinsamen europäischen Armee oder andere ähnliche Projekte, die eher zur politischen Fiktion als zur politischen Realität gehören. Im Vordergrund steht hierbei, dass die EU sich schrittweise von problematischen Lieferungen strategischer Produkte aus China, aber auch aus den USA unabhängig macht. Anfang März hat Brüssel davon gesprochen, dass es bis 2025 bei der Herstellung von LithiumIonenBatterien unabhängig sein will. Bis 2030 plant es sogar, die derzeitige Produktion von Halbleitern zu verdoppeln, die in allen elektronischen Geräten eingesetzt werden, und deren Bedeutung mit dem Wachstum der Produktion von beispielsweise elektrischen Autos steigen wird. Bereits zu Beginn der Pandemie hatte die EU angekündigt, sie wolle Gesichtsmasken und andere grundlegende medizinische Ausrüstungen selbst herstellen. Die Idee für diese eigentümliche europäische Reindustrialisierung ist nicht neu, denn bereits vor der Pandemie hatten unter anderem die Portugiesen dafür geworben, die sich damals auf die EU-Ratspräsidentschaft vorbereiteten.

Und weiter?

Das alles bedeutet nicht, dass Europa sich eine Form der Gleichgewichtspolitik gegenüber den USA und China wünscht. Die USA garantieren weiter nukleare Sicherheit; in dieser Frage hat sich seit Jahren nichts geändert und es wird sich auch in absehbarer Zukunft daran nichts ändern. Die Staaten der Europäischen Union fühlen sich den USA deutlich näher und dabei ist es unbedeutend, ob hier von Fragen der kulturellen Verwandtschaft die Rede ist oder von demokratischen Regierungsformen.

Die letzten vier Jahre haben die globale Position Amerikas ungünstig beeinflusst, und deshalb muss Biden jetzt die amerikanische Außenpolitik mit mehr Verständnis für die Interessen und Bedürfnisse seiner Bündnispartner kalibrieren. Seiner Bündnispartner, die außerdem befürchten, dass es sich bei der Amtszeit des demokratischen Präsidenten lediglich um eine Anomalie handeln könnte, nach der wieder der Nationalismus á la Trump in Washington Einzug hält.

Witold Jurasz hat im DIALOG FORUM kürzlich geschrieben, dass „der Westen als solcher noch immer das großartigste Gebilde in der Geschichte ist“. Das stimmt. Deshalb müssen die Amerikaner alles tun, um seine politische Kompaktheit zu erhalten. Und das erfordert, dass sie schrittweise ablassen von der Rhetorik des Kalten Krieges zugunsten eines stärkeren Engagements für gemeinsame Projekte mit den Bündnispartnern. In dem bereits erwähnten Buch schreibt Blinken, „dass das Bündnis der westlichen Staaten sich für seine Sicherheitsgarantie seine eigene Kondition ansehen muss, ohne sich nur auf äußere Gefahren zu konzentrieren“. Für Biden und sein Team müsste das ein wertvoller Hinweis sein.

Zweifelsohne würde es dem Bündnis der westlichen Staaten zu mehr Stärke verhelfen, würde man für ein komplexes Handelsabkommen an den Verhandlungstisch zurückkehren, und würden die USA wieder in das Atomabkommen mit dem Iran einsteigen (und im Folgenden dessen Einhaltung prüfen), statt die Europäer zu nötigen, auf die Dienstleistungen von Huawei zu verzichten. Eine gute Gelegenheit für die Suche nach Gemeinsamkeiten wären auch Versuche, die Welthandelsorganisation zu reanimieren, oder die Gespräche zu minimalen Steuersätzen großer internationaler Firmen. In letzterer Sache hat Europa auf die Initiative Washingtons bereits positiv geantwortet, und Biden hat nicht ausgeschlossen, dass die USA der Besteuerung am tatsächlichen Geschäftsort für amerikanische Giganten wie beispielsweise Facebook zustimmt.

Wenn Amerika sich für all diese strategisch wichtigen Angelegenheiten ernsthaft einsetzt, würde es damit nicht nur Europa mehr Argumente für eine engere Zusammenarbeit geben, sondern auch sein eigenes ökonomisches Potenzial und seinen diplomatischen Handlungsspielraum erweitern, vor allem im Hinblick auf die Rivalität mit China. Im Gegensatz zu dem, was man so hört, wäre dies kein Beweis für die Schwäche Amerikas, sondern die Bestätigung seiner Vitalität, seiner adaptiven Fähigkeiten angesichts neuer Realitäten und seiner Verbundenheit mit den Werten, auf denen das Bündnis der westlichen Staaten aufgebaut ist.

 

Aus dem Polnischen von Antje Ritter-Miller

Łukasz Gadzała

Łukasz Gadzała

Łukasz Gadzała, Redakteur beim polnischen onlineportal onet.pl, Absolvent der Warschauer Universität und der University of Birmingham. Seine Interessengebiete sind die Politik der Großmächte und die Theorie der internationalen Beziehungen.

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