Die deutsch-polnischen Beziehungen durchliefen in den letzten Jahren unter der Regierung von „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) eine schwere Belastungsprobe; jedenfalls haben sie sich im Vergleich mit der Regierungszeit der Bürgerplattform (PO) merklich verschlechtert. Zurzeit ist die Lage bereits deutlich entspannter, doch noch längst nicht so, wie sie vor dem Wahlsieg von PiS war.
Als ich zur Vorbereitung dieses Beitrags erfahrene Beobachter der deutsch-polnischen Beziehungen danach fragte, wie sie das bilaterale Verhältnis aktuell einschätzen, erhielt ich wortreiche, meist wenig konkrete, um nicht zu sagen gewundene Antworten. Sollte ich dafür einen gemeinsamen Nenner finden, der am besten das Verhältnis zwischen Warschau und Berlin beschriebe, so wäre das passende Wort wohl „so lala“.
Polen und Deutschland verhalten sich ein wenig wie ein altes Ehepaar, das sich nach Jahren vertrauensvoller Nähe heftig zerstritten hat, aber in der Einsicht, sich weder scheiden lassen zu können noch zu wollen, noch auch einen vernünftigen Grund dafür zu haben, weil es ohnehin keinen neuen Partner gibt, sich doch dazu entschließt, es weiter miteinander zu versuchen. Allein, nach den Streitereien ist das Paar nicht etwa zu dem alten, vertrauensvollen Miteinander zurückgekehrt, sondern pflegt jetzt Schweigen und wachsende Gleichgültigkeit. So führen Polen und Deutschland politisch nur noch eine Vernunftehe.
Wenn man sich Warschau einmal aus Berliner Sicht anschaut, wird verständlich, wieso die Deutschen meinen, mit einem von „Recht und Gerechtigkeit“ regierten Polen lasse sich nicht so leicht eine Verständigung finden. Das ist auch gar nicht so verkehrt, denn die PiS-Partei empfindet keine sonderliche Zuneigung zu Deutschland, und selbst wenn sie sich verständigen will, tut sie das so linkisch und ungeschickt und sendet derart gemischte Signale, dass es der deutschen Außenpolitik schwerfällt zu begreifen, was die Polen denn nun eigentlich wollen, wenn es allein nach Logik und Sachverstand ginge.
Die Deutschlandpolitik von PiS lässt sich größtenteils nicht von Kalkül und Interessen leiten, sondern von situativen Reflexen, Ressentiments und instinktiver Abneigung, verbunden mit Ängsten vor dem Nachbarland. Die politische Klasse in Polen ist sich selbstverständlich bewusst, dass das Deutschland von heute nicht mehr dem Deutschland der Geschichte gleicht; die Versöhnung mag zwar schon weit vorangeschritten sein, richtete sich aber vor allem an jene, die bereits miteinander versöhnt waren, und nicht an diejenigen, die dem anderen misstrauten.
Man könnte sich freilich der Meinung vieler anschließen, PiS bestehe halt nur aus Paranoikern, während die Versöhnung einwandfrei verlaufen sei; da aber die deutschlandfeindliche Propaganda immer noch auf große Teile der polnischen Gesellschaft wirkt, sollten die Architekten der Versöhnung vielleicht doch etwas bescheidener sein, wenn sie ihr Werk begutachten.
Ein Problem im bilateralen Verhältnis besteht im mangelnden Realitätssinn der regierenden polnischen Rechten. Diese hat ein emotionales Verhältnis zur Politik und schätzt das reale, insbesondere das ökonomische Potential Polens nicht zutreffend ein. Selbst wenn die Rechte mit Deutschland zu einer Vereinbarung gelangen will, tut sie das sehr ungeschickt und überschätzt Polens Potential.
Ein hierfür sowie für den völligen Realitätsverlust prägnantes Beispiel gab der polnische Präsident, als er nach Joe Bidens Wahlsieg bei den amerikanischen Präsidentschaftswahlen dem gewählten Präsidenten ostentativ die Gratulation verweigerte. Während sich Polen noch auf Kollisionskurs mit Russland befand, legte es sich also gleichzeitig mit Deutschland und der neuen US-Administration an. Unabhängig davon, wie man den Streit mit Deutschland sieht, lässt sich dessen politische Ratio noch nachvollziehen, solange Warschau Unterstützung aus Washington hat und durch gute Beziehungen zu den USA seine Verhandlungsposition gegenüber der Bundesrepublik verbessern kann. Sich gleichzeitig mit Berlin und Washington zu überwerfen, ist aber nur noch politischer Irrsinn.
Ein anderes Beispiel für politischen Irrsinn war die Reparationsfrage, wobei es nicht um den Sachverhalt als solchen geht, sondern um die Methode, wie das Thema aufgebracht wurde. Die PiS-Regierung verhielt sich in der Angelegenheit unseriös und beschränkte sich darauf, darüber zu sprechen, ohne konkrete Forderungen vorzubringen. Ganz zynisch gesagt, wäre es vielleicht sinnvoll gewesen, die Reparationsfrage anzuschneiden (auch wenn es sicher vernünftiger gewesen wäre, von Entschädigungen zu sprechen) und dafür politische Turbulenzen in Kauf zu nehmen, wenn das irgendeinen Nutzen in Aussicht gestellt hätte. Einen Nutzen wird es jedoch nicht geben, weil Forderungen praktisch ausblieben.
Dieses Beispiel zeigt am besten, wie PiS eher situativen Reflexen gehorcht als politischem Kalkül. Auf rhetorischer Ebene ist PiS zu vielem bereit, aber in der Realität bleibt es dann doch nur bei Worten. Ob sich das von PiS regierte Polen nun um Verständigung mit Deutschland bemüht oder, wie in diesem Falle, den Streit sucht, – es täuscht Aktivität nur vor. Es ist leicht einzusehen, wieso Berlin einen solchen Gesprächspartner nicht allzu ernst nimmt.
Entgegen dem Anschein hat aber nicht allein Berlin Grund, ohne sonderlichen Enthusiasmus nach Warschau zu blicken. Die deutsche Leserschaft des DIALOG FORUMS wird es vielleicht überraschen, aber Polens Politiker – auch die aus der Opposition – merken sehr wohl, mit welcher ostentativen Missachtung Deutschland auf Polen blickt.
Selbstverständlich verurteilen führende Oppositionspolitiker öffentlich die Regierungspartei wegen der Verschlechterung der Beziehungen zu Deutschland, aber im Privatgespräch sagen sie, Deutschland habe seit Jahren Polen kein Entgegenkommen bewiesen, sondern wie im Falle der Erdgaspipeline Nord Stream 2 zentrale polnische Sicherheitsinteressen dauerhaft missachtet. Im Gespräch mit dem Autor dieses Beitrags stellte einer der namhaftesten Berater des früheren Präsidenten Bronisław Komorowski fest, die Deutschen könnten aus der PiS-Regierung die Lehre ziehen, mit Polen nur dann Vereinbarungen zu treffen, wenn Polen Deutschland wohlgesonnen ist.
Nord Stream und Nord Stream 2 sind leider nicht die einzigen Beispiele dafür, wie Berlin polnische Interessen ignoriert; erinnert sei an den jahrelangen Widerstand der Bundesrepublik gegen die Stärkung der NATO-Ostflanke, an die Forcierung einer für Polen äußerst nachteiligen Klimapolitik, an die Einführung von für polnische Speditionsunternehmen sehr nachteilhaften Rechts‑ und Steuerbestimmungen, an die fehlende Balance in der Minderheitenpolitik usw.
Selbst symbolpolitische Gesten wie die Errichtung eines Denkmals für die polnischen Opfer des Zweiten Weltkriegs fallen den Deutschen schwer, und solche Gesten müssen erst mühselig ausgehandelt werden, was ihnen das nimmt, was eigentlich ihren Wert ausmacht, nämlich die Authentizität.
Aus Warschauer Sicht sieht es so aus, als ob man unwichtig sei, denn ob Polen Berlin nun entgegenkommt oder nicht, Berlin verfährt in jedem Fall nach eigenem Gusto und achtet nicht auf Einwände aus Warschau. Das gilt für eine Konstellation, in der das stärkere Land sich gegenüber dem anderen im Gefühl der Überlegenheit wiegt.
Den Deutschen ist wohl überhaupt nicht klar, dass ihre Unnachgiebigkeit nicht nur von der gelinde gesagt nicht allzu deutschfreundlichen regierenden Rechten wahrgenommen wird, sondern auch von der der Bundesrepublik wohlgesonnenen Opposition. In der öffentlichen Debatte in Polen gilt als ausgemacht, dass man sich aus der Opposition heraus unbedingt positiv über EU, Brüssel und Berlin äußern muss. Öffentliche Äußerungen sind jedoch etwas anderes als abseits von Kameras und politischem Tagesgeschäft vertretene Meinungen.
Ein weiteres Problem sind einige prodeutsche Lobbyisten in Polen, die derart verbissen prodeutsch sind, dass sie in ihrem Enthusiasmus gar die deutsche Botschaft überbieten. Aus unerfindlichen Gründen bevorzugt Deutschland in Polen extrem prodeutsche Lobbyisten, denen heute niemand zuhört, aber die auch früher schon von niemandem ernstgenommen wurden, gegenüber kritischen Freunden. Nur dass die Idee einer deutschen Lobby gänzlich an dem von Eigensinn geprägten polnischen Nationalcharakter vorbeigeht.
In der Politik liegt die schlimmste Krise wohl hinter uns. Es ist nur schade, dass sowohl Berlin als auch Warschau die indifferente Beliebigkeit offenbar für den einzig möglichen Zustand des bilateralen Verhältnisses halten. Diese Feststellung gilt glücklicherweise nur für die Politik. Beim Blick auf die wirtschaftliche Zusammenarbeit und die privaten Beziehungen zwischen den Menschen zeigt sich nämlich ein völlig anderes Bild; hier sind die deutsch-polnischen Beziehungen geradezu ausgezeichnet.
In gewissem Sinne lässt sich sagen, die Lage insgesamt erinnert etwas an die Situation in Nachkriegsitalien, wo politisch permanent Chaos und Krise herrschten, während mit der Zeit Wirtschaft und Gesellschaft ihren geregelten, wenn auch zugegeben vielleicht etwas schmalen Gang gingen. Die polnische Wirtschaft ist dank enger Kooperation mit der deutschen ziemlich gut gegen kommende Krisen immunisiert, aber es ist auch zu bedenken, dass es sich so verhält, weil Polen sich zwar innerhalb der Europäischen Union befindet, aber anders als zum Beispiel Griechenland außerhalb der Eurozone. Einmal abgesehen von den pandemiebedingten Einschränkungen, reisen die Menschen in beide Richtungen und sind zumindest für ein Weile der schlechten politischen Atmosphäre nicht ausgesetzt.
Es lohnt sich zu fragen, wie es sich mit der Rückkoppelung zwischen Politik auf der einen und Wirtschaft sowie privaten Beziehungen auf der anderen Seite verhält. Erfahrungsgemäß verhielt es sich in internationalen Beziehungen stets so, dass ein schlechtes politisches Verhältnis auf Dauer negative Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft hatte. Gegenwärtig ist davon nichts zu spüren. Anderseits deutet leider auch nichts darauf hin, dass gute Wirtschafts‑ und Privatbeziehungen zur Korrektur des politischen Verhältnisses beitragen könnten.
Um die Last der Geschichte ein für alle Male abzuwerfen, müssen Polen und Deutschland dafür sorgen, dass sich die bilateralen Beziehungen auf allen drei Gebieten harmonisch entwickeln können und der zum Außenseiter wird, wer in Polen noch die antideutsche Karte ausspielt; umgekehrt muss in Deutschland die Vorstellung, man brauche unter keinen Umständen auf Polen Rücksicht zu nehmen, endgültig abgelegt werden.
Zu diesem Zweck muss jemand eine Größe beweisen, die womöglich nicht den nächsten Wahlsieg, aber sehr wohl Eingang in die Geschichte verschafft. Eine Seite muss sich politisch zu mehr als nur Dialog durchringen. Die deutsch-polnischen Beziehungen bedürfen der nachhaltigen Pflege, der über das politische Tagesgeschäft hinausgehenden großen Geste. Weil sich Polen innenpolitisch im Kalten Krieg befindet, ist in Anbetracht der politischen Verhältnisse in Deutschland und der in wenigen Monaten stattfindenden Bundestagswahlen eine solche Geste eher von der deutschen Seite zu erwarten. Bei der Geschichte solcher Gesten ist es geradezu unausweichlich, dass sie von Deutschland kommen wird. Dazu ist ein erzwungener, abgequälter, ausgehandelter Verzicht auf die Fertigstellung von Nord Stream 2 nicht geeignet.
Sollten jedoch die Grünen in Berlin an die Regierung kommen und sich dazu entschließen, könnte das Verhältnis zwischen Warschau und Berlin in der Politik schließlich genauso gut sein wie in Wirtschaft und Privatleben. Vorausgesetzt natürlich, die neue Bundeskanzlerin wird nicht gleich nach dem Verzicht auf Nord Stream 2 in Brüssel eine energiepolitische Revolution durchzudrücken versuchen, die natürlich auch für Warschau unausweichlich ist, aber im ärmeren und kohleabhängigen Polen mehr Zeit braucht.
Aus dem Polnischen von Andreas R. Hofmann
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