Arkadiusz Szczepański: Das Zustandekommen des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrags von 1991 muss vor dem Hintergrund der vorangegangenen Ereignisse betrachtet werden, die das Antlitz Europas und der Welt veränderten: die friedlichen Revolutionen von 1989. Wie erinnern Sie sich an diese Umbruchszeit?
Cornelia Pieper: Die Wendezeit war eine Zäsur für die deutsche Geschichte und für Europa – auch für mich ganz persönlich. Ich bin in Halle an der Saale geboren, habe in Leipzig studiert und war Anfang der 1980er Jahre zum Studienaufenthalt in Warschau gewesen. In der DDR habe ich bis zum Fall der Mauer gelebt. Keiner hat 1989 daran geglaubt, dass die Mauer tatsächlich fallen und es so schnell zur deutschen Einheit kommen würde, und doch war es der Lebenstraum vieler Deutscher in Ost und West. Für mich war es eine großartige Erfahrung, ich war damals knapp 30 Jahre alt und erhielt die Chance, mein eigenes Land mit aufzubauen. Wann erlebt man schon solch ein historisches Glück? Die deutsche Einheit, aber auch die europäische Integration, waren nicht selbstverständlich, auch wenn es heute aus der Retrospektive vielen so erscheinen mag.
Der Weg dahin war schwierig und von unbekannten Variablen begleitet. Eine ganze Generation von Politikern hat, oftmals gegen erhebliche Widerstände, den Weg zur Einheit geebnet. Letztendlich erwies sich das Festhalten am Dialog, die Kontinuität der Ostpolitik von Willy Brandt und Walter Scheel als richtig, die bis heute die Grundlage der deutschen Außenpolitik bildet.
Sie sind 1990 in die FDP Hans-Dietrich Genschers, dem damals dienstältesten Außenminister Europas, eingetreten. Welche Beweggründe waren für Sie ausschlaggebend?
Als ich Hans-Dietrich Genscher kennengelernt habe, war ich fasziniert von seinen Ideen, seinem Engagement, seiner Leidenschaft. Er, der in Zeiten des Kalten Krieges die DDR immer – auch privat –besucht und wirklich an die deutsche Einheit geglaubt hat, war für viele im Osten ein Hoffnungsträger.
Was meine Beweggründe betrifft: Es war in erster Linie das liberale Gedankengut, was mir sehr nahe lag. Wenn man in der DDR gelebt hat, dann weiß man, wie eine Ideologie Menschen verformen kann, wie es ist, in einem Staat ohne Meinungs- und Versammlungsfreiheit zu leben, dann sehnt man sich nach freiheitlichen Werten. Das Programm der FDP lag mir daher sehr nahe, denn es brachte eben jene Werte am deutlichsten zum Ausdruck: Grundrechte, Freiheit des Individuums. Aber auch die Idee der deutschen und europäischen Einheit. Beides gehörte nämlich zusammen, das hatte auch Hans-Dietrich Genscher immer wieder betont, indem er sagte, man dürfe kein deutsches Europa anstreben, sondern ein europäisches Deutschland.
Diese Botschaft verbreitete er weltweit bei seinen Treffen mit verschiedenen Außenministern. Es war also nicht nur das Programm der FDP, das mich motiviert hat, in die Politik zu gehen, sondern auch Personen, Vorbilder wie Genscher oder auch die Grande Dame der Liberalen Hildegard Hamm-Brücher, die stets zu ihrer Meinung stand und auch gerne gegen den Strom in der eigenen Partei schwamm. Sie hat mich damals sehr inspiriert und gab mir später auch geistigen Halt, als ich in der FDP auf Bundesebene manchmal mit meiner Meinung in der Minderheit war.
Einer der wichtigsten Meilensteine in der deutschen Außenpolitik war die Annäherung an Polen. Wie wurde die Unterzeichnung des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrags von 1991 damals wahrgenommen? Gab es eine breite Resonanz?
Der deutsch-polnische Nachbarschaftsvertrag hatte eine Vorgeschichte: der Einigungsvertrag, der Zwei-plus-vier-Vertrag und der deutsch-polnische Grenzvertrag. Polen saß bei dem Zwei-plus-vier-Vertrag nicht mit am Tisch. Krzysztof Skubiszewski, der damalige polnische Außenminister, hat Genscher gegenüber immer wieder die Sorge betont, dass Polen wieder übergangen werde. Für die polnische Seite war es wichtig zu wissen, was die Wiedervereinigung Deutschlands für Polen bedeuten würde. Genscher hatte immer wieder betont, dass die deutsche Einheit nicht zu Polens Schaden, sondern letztlich auch die volle Souveränität Polens bedeuten würde. So ist es dann auch eingetreten. Die deutsche Einheit stand nicht im Widerspruch zur polnischen Staatsraison, das hatten in den 1980er Jahren bereits die Gründungsväter und Gründungsmütter der Solidarność-Bewegung in ihren außenpolitischen Überlegungen geäußert. Die Solidarność hatte sich nie gegen eine künftige deutsche Wiedervereinigung ausgesprochen.
Der deutsch-polnische Nachbarschaftsvertrag war quasi der krönende Abschluss der außenpolitischen Neuausrichtung. Im Vertrag wurden viele Punkte festgehalten, die die bilateralen Beziehungen auf ein neues Fundament stellten, das insbesondere auch von der Zivilgesellschaft getragen werden sollte. Dies muss betont werden. Die Rolle der Zivilgesellschaften beider Länder wurde mit diesem völkerrechtlichen Vertrag ungemein aufgewertet und sollte die politischen Beziehungen flankieren. Deutschland wollte seinem östlichen Nachbarn auf Augenhöhe begegnen, ein ähnliches Verhältnis schaffen, wie es in den deutsch-französischen Beziehungen bereits etabliert war. Ich denke, dass dies leider bis heute noch nicht ganz gelungen ist, weshalb wir in naher Zukunft noch weiter an dieser Herausforderung arbeiten müssen. Es gibt noch viele Punkte, die mit Leben gefüllt werden müssen. Wir dürfen den Nachbarschaftsvertrag nicht als historisches Dokument betrachten, als etwas Abgeschlossenes.
Nun kann man rückblickend festhalten, dass Europa sich damals in einer Aufbruchsstimmung befand. Deutschland und Polen rückten politisch und gesellschaftlich immer näher, Deutschland unterstützte Polens erfolgreichen Weg in die westlichen Strukturen, die europäische Integration schien unaufhaltsam zu sein. Von dieser Aufbruchsstimmung ist heute nicht mehr viel übrig. Wo ist der Punkt auszumachen, an dem die Zukunftseuphorie in Europa in einen „Dauerkrisenmodus“ umschlug?
Wir täten vielleicht besser, Krisen als Chancen wahrzunehmen und aus unseren Fehlern zu lernen. Wenn ich auf die Zeit der Pandemie blicke – bei allen negativen Folgen und Herausforderungen, die wir noch zu bewältigen haben –, so sehen wir bereits zukunftsorientierte Handlungen in der EU, die mich optimistisch stimmen, etwa eine stärkere Fokussierung auf das Gesundheitswesen, den Ausbau der Digitalisierung und mehr Investitionen für die Forschung. Es freut mich sehr, dass gerade in diesen Bereichen sehr viel in Bewegung gekommen ist, denn es zählt seit Jahren zu den Kernforderungen der europäischen Liberalen, mehr Mittel in Forschung und Innovation denn in andere Subventionen zu leiten. Das sind übrigens auch Themen, die ganz speziell das deutsch-polnische Verhältnis betreffen – hier kann nämlich Polen als Vorbild für Deutschland dienen, etwa im Hinblick auf die Digitalisierung der Verwaltung oder im Bereich des E-Learning, wo Polen einen erheblichen Vorsprung vor Deutschland aufgebaut hat.
Was die Aufbruchsstimmung in Europa betrifft, so wurde diese vor allem durch die Finanzkrise von 2008 und ihre Folgen gedämpft, weitere Herausforderungen folgten: die Migrationskrise und der Brexit. Ob die EU ihre Krisen optimal bewältigt hat? Sicherlich nicht. Vieles könnte zügiger und unbürokratischer erfolgen, die Notwendigkeit zu grundsätzlichen Reformen wird immer offenkundiger. Dass wir keine europäische Verfassung haben, empfinde ich persönlich genauso wie viele Europäerinnen und Europäer als rückständig. Doch wir sollten immer auch die Gesamtbilanz im Auge behalten. Die europäische Integration ist insgesamt gelungen, wovon gerade auch die deutsche Wirtschaft profitiert. Wir sollten öfter nach vorne blicken und uns stets vergegenwärtigen, dass wir eine europäische Schicksalsgemeinschaft bilden. Um noch einmal an Hans-Dietrich Genscher anzuknüpfen: Europa ist unsere Zukunft, sonst haben wir keine.
Nach vorne zu blicken und die EU zu stärken bedarf einer engen Kooperation, die auf gemeinsamen Werten und Zielen basiert. Um diese ist es jedoch in den letzten Jahren nicht immer gut bestellt. Ein Phänomen, das vielerorts in der EU an Boden gewinnt, ist die Kritik am Liberalismus…
Wir dürfen es uns hinsichtlich unserer demokratischen Werte, die in den Verfassungen der Mitgliedsstaaten der EU verankert sind, nicht allzu bequem machen. Vielmehr bedarf es eines Bewusstseins, dass unsere als selbstverständlich erachteten Freiheiten verteidigt und stets aufs Neue errungen werden müssen – dies hat sich in der Pandemiezeit besonders deutlich gezeigt. Der Liberalismus ist nicht in der Defensive, sondern erlebt gerade neuen Aufschwung.
Das bedeutet nicht, dass es keine Angriffe gegen den Liberalismus gibt. Wir erleben überall in Europa Zuwachs an populistischen Bewegungen, die einen starken Staat heraufbeschwören wollen. Diese Bewegungen fokussieren sich in erster Linie auf die Kritik am politischen Establishment, die von vielen Bürgerinnen und Bürgern geteilt wird. Für die etablierten demokratischen Kräfte in Europa sollte dies ein Weckruf sein, gerade auch in Deutschland. Selbstreflexion, das Eingestehen von Fehlern sowie eine neue Bürgernähe sollten zum Credo für viele Parteien werden. Dazu braucht es auch mehr authentisches Spitzenpersonal – das ist ein Bereich, auf den man heute den Finger in die Wunde legen kann. Die Grünen und die FDP sind heute die einzigen Parteien, die auf eine junge Führungsspitze gesetzt haben.
Und noch eine wichtige Reflexion drängt sich auf: Die Politik sollte wieder lernen, den Menschen mehr Verantwortung zuzutrauen, statt den Staat immer weiter auszubauen und auf weitere Lebensbereiche der Menschen auszuweiten. In der Pandemie hätte ich mir beispielsweise mehr Vertrauen in die Vernunft der Bürgerinnen und Bürger gewünscht, statt alles staatlich regeln zu wollen, gerade im Hinblick auf die schleppend vorangehende Impfkampagne. Freiheit und Eigenverantwortung sind die zwei Säulen eines liberalen Rechtsstaates, die muss wieder stärker in das Bewusstsein gerückt werden.
Eine Rückbesinnung auf die Traditionen der Aufklärung also. Der freiheitliche Gedanke wird gerne auch als Argument herangezogen, wenn es darum geht, die staatliche Souveränität vor äußeren Einflüssen zu verteidigen. Solch ein Gedankengang ist aus dem Regierungslager in Polen und ihm nahestehender Medien immer wieder zu vernehmen, gerade im Hinblick auf die Beziehungen zu Deutschland. Wie schätzen Sie den Zustand der bilateralen Beziehungen heute ein?
Trotz einiger Differenzen, die in den letzten Jahren die deutsch-polnischen Beziehungen medial geprägt haben, ist das bilaterale Verhältnis sehr gut und ist sogar vorbildhaft für andere Länder weltweit. Was Deutsche und Polen im Bereich der Versöhnungspolitik erreicht haben, ist ein nachahmungswürdiges Beispiel. Ich erinnere mich an meinen Aufenthalt in Japan, wo ich dienstlich das dortige Parlament besucht habe. Dort erfuhr ich, dass eine japanisch-polnische Parlamentariergruppe gegründet wurde. Ich fand das erstaunlich und wollte mehr über die Beweggründe erfahren. Die japanischen Abgeordneten erklärten mir, dass die Gründung der Gruppe von der deutsch-polnischen Aussöhnungsgeschichte inspiriert wurde und man sich erhoffte, von den Erfahrungen der polnischen Kolleginnen und Kollegen zu lernen, um die japanisch-koreanischen-chinesischen Beziehungen zu verbessern.
Was Deutsche und Polen betrifft, so dürfen wir nicht immer nur mit der politischen Brille auf die Beziehungen blicken. Dass beide Länder sich heute so gut verstehen, ist ein großes Verdienst beider Gesellschaften. Seit Unterzeichnung des Nachbarschaftsvertrages sind es vor allem die Akteure der Zivilgesellschaft, die Brücken bauen. Wir haben ein sehr dicht geflochtenes Netz an Städtepartnerschaften, wissenschaftlichen Kooperationen, kultureller Zusammenarbeit, Jugendaustausch, die vielen Deutsch-Polnischen und Polnisch-Deutschen Gesellschaften.
Es darf beklagt werden, dass wir nicht noch mehr in diese Bereiche investieren. Die Förderung des deutsch-französischen Jugendaustausches etwa ist immer noch doppelt so hoch, wie die des deutsch-polnischen. Das ist nach 30 Jahren Nachbarschaftsvertrag unverständlich und nicht gerechtfertigt. Beide Regierungen sollten sich auf diesem Felde stärker engagieren, denn unsere künftigen Beziehungen werden einmal von jenen geprägt werden, die jetzt in ihren jungen Jahren so viel wie möglich in Kontakt mit ihren Altersgenossinnen und Altersgenossen im jeweils anderen Land stehen sollten. Nur so kann nachhaltig vermittelt werden, wie wichtig die deutsch-polnischen Beziehungen sind.
Natürlich gibt es auf politischer Ebene immer wieder Kommunikationsschwierigkeiten zwischen der deutschen und polnischen Regierung. Wir haben jedoch mittlerweile eine lange Beziehungsgeschichte hinter uns und genügend Kanäle aufgebaut, die uns einen Dialog und Austausch ermöglichen. Die deutsch-polnische Freundschaft ist fest genug, von politischen Differenzen lässt sie sich nicht so leicht erschüttern. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat während des letzten Deutsch-Polnischen Forums weise gesagt, dass Regierungen kommen und gehen, aber die Beziehungen zwischen den Menschen bestehen bleiben. Ich bin daher auch für die Zukunft optimistisch, dass die deutsch-polnischen Beziehungen sich weiterhin gut entwickeln werden.
Immer wieder wird Kritik geäußert, dass die deutsch-polnischen Beziehungen zu sehr im historischen Kontext verhaftet sind, statt sich stärker auf die Zukunft zu orientieren. Teilen Sie diese Kritik?
Die Ergebnisse des jüngst vorgestellten neuen Deutsch-Polnischen Barometers zeigen ganz klar, dass sich die Mehrheit der Befragten für Zukunftsthemen in den bilateralen Beziehungen ausspricht. Es liegt also jetzt an der Politik, solche Signale wahrzunehmen und die – wenn auch nur repräsentativen – Erwartungen zu erfüllen. Heute merken wir, wie sehr uns solche Persönlichkeiten wie Władysław Bartoszewski fehlen. Gerade Bartoszewski, der aufgrund seiner Biografie allen Grund dazu gehabt hätte, als damaliger Koordinator für die polnisch-deutschen Beziehungen auf erinnerungspolitische Schwerpunkte zu setzen, war ein ungebrochener Optimist und Visionär, der sich ganz klar zu Zukunftsthemen bekannt hat, um die Annäherung zwischen der jungen Generation auf einen neuen, der Zukunft Europas ausgerichteten Weg zu bringen.
Wir sollten auch nicht nur immer rein bilateral denken, sondern europäischer. Dabei können wir auch auf bereits etablierte Strukturen zurückgreifen und diese mit neuem Leben füllen, etwa das Weimarer Dreieck – der politische Wille hierzu ist in allen drei Ländern vorhanden. Auch hierbei sollten wir uns nicht auf eine rein politische Kooperation beschränken, sondern die Zivilgesellschaften im Rahmen dieses trilateralen Formats aktivieren. Dies liegt mir sehr am Herzen, weshalb ich mich für die Gründung des „Weimarer Dreiecks der Frauen“ einsetzte sowie jüngst des „Weimarer Dreiecks der Geschäftsfrauen“, um auch die wirtschaftliche Komponente stärker in den Vordergrund zu bringen und u.a. auch Frauen dazu zu animieren, technische Berufe zu erlernen.
Und das nächste Projekt lässt nicht lange auf sich warten: Künstlerinnen und Künstler aus Polen und Frankreich bereiten eine Ausstellung in der Danziger Werft zur Identität von Frauen vor. Nun werden noch deutsche Künstler zur Beteiligung eingeladen. All das zeigt, dass solche trilateralen Aktionen viel Potential besitzen. Und viele weitere Themen liegen derzeit noch brach, weswegen wir unsere vorhandenen zivilgesellschaftlichen Netzwerke ausbauen müssen, was durch gezielte Finanzierung unterstützt werden kann.
Und doch bleibt die Vergangenheit ein dominierendes Thema. Aus den Reihen des Regierungslagers in Polen wird immer wieder der Ruf nach Kriegsreparationen laut, regierungsnahe Medien bedienen sich antideutscher Stimmungsmache, die bei einem nicht unerheblichen Teil der polnischen Gesellschaft auf fruchtbaren Boden stößt. Deutsche Spitzenpolitiker besuchen Polen oft nur an kriegsbezogenen Jahrestagen. Und überhaupt, eines der wenigen in der Öffentlichkeit wahrgenommenen bilateralen Themen in jüngster Vergangenheit war die in Deutschland geführte Debatte rund um das „Polen-Denkmal“. Auch Sie zählen zu den Erstunterzeichnerinnen dieser Initiative. Wie bewerten Sie den Stand der Debatte heute? Ein Denkmal im klassischen Sinne wird wohl nicht entstehen…
Nun, ich hoffe doch sehr, dass es ein Denkmal wird. Der Bundestag hat vergangenes Jahr beschlossen, dass ein Ort des Erinnerns und Gedenkens in Berlin entstehen soll. Man einigte sich begrifflich auf einen „Gedenkort“, um einen konsensfähigen Beschluss zu fassen, der den vielen verschiedenen Vorschlägen zur Erinnerung an das Leid Polens, aber auch anderer Völker während des Zweiten Weltkriegs gerecht würde.
Als Mitinitiatorin möchte ich meine Erwartung an dieser Stelle ganz klar formulieren: Es sollte nicht nur ein Ort der Begegnung und Bildung entstehen, an dem historische Aufarbeitung, Wissensvermittlung und Forschung erfolgen, sondern ich hoffe, dass es bewusst ein Denkmal wird. Ein Ort, zu dem man hingehen und an dem man gedenken kann, gerade der zivilen Opfer, die Polen durch den deutschen Überfall und Besatzung zu beklagen hatte und die im kollektiven Bewusstsein der Deutschen leider nicht allzu präsent sind. Ich bin zuversichtlich, dass solch ein Ort entstehen wird, jedoch dürfen wir nicht erwarten, dass dies schnell erfolgt. Solche Vorhaben brauchen Zeit. Denken wir nur an das Freiheits- und Einheitsdenkmal – die Diskussionen und Planungen haben zwei Jahrzehnte in Anspruch genommen. So lange sollte es natürlich im Falle des neuen Gedenkortes aber nicht dauern.
Den deutschen Entscheidungsträgern möchte ich ins Bewusstsein rücken, dass Denkmäler in Polen eine andere Bedeutung haben als in Deutschland. In Polen haben Denkmäler einen viel höheren Symbolwert. In dieser Frage muss die deutsche Perspektive eine empathische sein, wir müssen uns bei dem Projekt viel stärker in die polnische Sichtweise hineinversetzen. Es sollte ein Denkmal entstehen, dass unsere Verantwortung und unser Mitgefühl sichtbar zum Ausdruck bringt. Diese emotionale Komponente sollte im Vordergrund stehen.
Frau Generalkonsulin, ich bedanke mich für das Gespräch.
Cornelia Pieper war von 2001 bis 2005 Generalsekretärin und von 2005 bis 2011 stellvertretende Bundesvorsitzende der FDP, von 2009 bis 2013 war sie Staatsministerin im Auswärtigen Amt (Koordinatorin für die deutsch-polnische zwischengesellschaftliche und grenznahe Zusammenarbeit). Seit 2014 ist sie Generalkonsulin der Bundesrepublik Deutschland in Danzig.
Arkadiusz Szczepański studierte Slawistik, Geschichte und Kulturwissenschaft in Leipzig und Berlin. Redakteur beim DIALOG FORUM, Übersetzer und Redaktionsmitglied des Deutsch-Polnischen Magazins DIALOG.