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Polen in Irland – Ein Porträt

Irland und Polen. Auf den ersten Blick verbindet diese beiden Länder in den entgegengesetzten Ecken von Europa wenig. Die historischen Verbindungen scheinen marginal und rar: Auf einem Bild, das Teilnehmer einer Dubliner Demonstration zur Unterstützung eines Streiks in der Rank’s Paper Mill in Clondalkin im Jahr 1983 zeigt, hält ein Mann ein Schild mit der Aufschrift „Verhaftete Arbeiter: Polen 1982, Irland 1983“ – eine Anspielung auf das gegen die Demokratiebewegung und Solidarność gerichtete Kriegsrecht, das dort zwei Jahre zuvor eingeführt wurde. Aus heutiger Sicht betrachtet, wirkt diese Solidaritätsbekundung fast prophetisch.

Polen in Irland - Ein Porträt (Marcel Krueger)
Demontranten zur Unterstützung eines Streiks in der Rank’s Paper Mill in Clondalkin im Jahr 1983, Foto © Paul Billings (Bearbeitung: DIALOG FORUM)

Seit den frühen 2000er Jahren hat sich die gesellschaftliche Beziehung zwischen den beiden Ländern radikal geändert. Nach dem Beitritt Polens zur Europäischen Union 2004 war Irland zusammen mit Schweden und dem Vereinigten Königreich eines von drei EU-Mitgliedern, das seinen Arbeitsmarkt für Polen öffnete. Irland wurde schnell zu einem wichtigen Ziel für auswandernde Polen: Ryanair bot täglich Flüge zwischen den Ländern an, 2004 erhielt eine Website, die irische Jobs in polnischer Sprache anbot, am ersten Tag über 170.000 Zugriffe.

Die erste Welle von Auswanderern begann oft im Niedriglohnsektor zu arbeiten, als Bauarbeiter für Zeitarbeitsfirmen oder im Dienstleistungs-, Gastgewerbe- oder Gesundheitssektor. Aber selbst diese Jobs bedeuteten für polnische Arbeiter in Irland, das zu jenem Zeitpunkt den „Keltischen Tiger“-Wirtschaftsboom durchlebte, vier- bis fünfmal mehr zu verdienen als in Polen – so dass sie es sich nicht nur leisten konnten, eine Familie in Irland zu unterhalten, sondern auch noch überschüssiges Geld nach Hause zu schicken.

Ein Beispiel dafür ist die Geschichte von Marcin Piotrowski, der 2004 zunächst für einen Sommerjob von Gorajec in Polen nach Irland trampte und 2007 vollständig auf die Insel zog. Zusammen mit seiner Frau Marina ließ er sich in Ennis in der Grafschaft Clare nieder und arbeitete in zwei Jobs, tagsüber bei Lidl und nachts in einer Fabrik, um Geld zu sparen und ein verlassenes Gebäude in Gorajec zu einer Bed & Breakfast-Unterkunft umzubauen. Seine drei Kinder wurden alle in Irland geboren, und Martin wurde für seine kulturelle Arbeit, die er neben der Arbeit betreibt und die Polen und Iren miteinander verbindet, zur „jungen polnischen Person des Jahres 2016“ ernannt. Nach seiner Rückkehr nach Polen beschrieb er das Gefühl des Dazwischen-Seins in einem Interview mit der Irish Times: „Mein Plan war es immer, zurück nach Polen zu kommen. Ich bin nach Irland gegangen, um Englisch zu lernen, Geld zu verdienen, die Kultur kennenzulernen und Menschen zu treffen. Aber ich vermisse Freunde aus Irland. Mein ganzes Erwachsenenleben habe ich in Irland verbracht, ich bin in Ennis aufgewachsen.“

Das änderte sich mit dem Wirtschaftscrash 2008, der Irland besonders hart traf und zu einem fast vollständigen Stopp jeglicher Bautätigkeit führte, bis dahin der Hauptmotor der irischen Wirtschaft. In den Jahren nach 2008 ging die Zahl der Polen in Irland etwas zurück. Heute aber ist die polnische Community in Irland eine der größten ausländischen Gemeinschaften hier und weithin sichtbar. Den Sklep Polski – einen polnischen Laden – gibt es überall in Irland, darunter mindestens vier in meiner Heimatstadt Dundalk mit ihren 30.000 Einwohnern. Häufig sieht man auf den Straßen ein Auto mit polnischen Nummernschildern oder Aufklebern in polnischer Sprache.

Nach Angaben des Nationalen Statistikamtes von Irland und basierend auf der Volkszählung von 2016 hat sich die polnische Bevölkerung in Irland zwischen 2006 und 2011 fast verdoppelt und ist dann zwischen 2011 und 2016 mit 122.585 bzw. 122.515 Personen fast unverändert geblieben. Polen machen also fast 3 % der Bevölkerung der Republik Irland mit ihren etwas mehr als vier Millionen Einwohnern aus. Dies ist erstaunlich, da Irland traditionell ein Auswandererland ist und es in der hiesigen Gesellschaft lange Zeit fast keinen wahrnehmbaren Ausländeranteil gab.

Obwohl es vereinzelte Vorfälle von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit gegenüber Polen in Irland gibt, ist das Niveau der Akzeptanz und Integration von Polen sehr hoch – die polnische Community wird hier fast durchweg positiv wahrgenommen. Vielleicht ist einer der Gründe dafür, dass sich die hauptsächlich weißen Polen in einem übermäßig katholischen Land gut integrieren und ihre ausgeprägte Arbeitsmoral in der traditionell von Arbeitern und Kleinbauern geprägten irischen Gesellschaft großen Anklang fand und findet.

Heute gibt es rund 40 polnische Schulen im ganzen Land, darunter fünf, die unter der Schirmherrschaft des Bildungsministeriums in Warschau arbeiten. Sie bieten Wochenendunterricht in polnischer Sprache, Geschichte und Kultur sowie außerschulische Aktivitäten wie Pfadfinderkurse und Kunstunterricht an. Von 2015 bis 2019 wurde das PolskaÉire Festival veranstaltet, ein landesweites Fest der irisch-polnischen Kultur mit Konzerten, Ausstellungen und Musik. Außerdem gibt es das Forum Polonia, eine kooperative Online- und Offline-Plattform, die Vertreter verschiedener polnischer Gemeindeorganisationen in Irland zusammenbringt, und sogar eigene polnische Nachrichtenplattformen wie Irlandia News. Im Jahr 2015 hielt der ehemalige polnische Präsident Aleksander Kwaśniewski einen vielbeachteten Gastvortrag an der Dublin City University mit dem Titel „New Global Challenges: Was ist die Zukunft Europas?“

Die Wahrnehmung der Polen in der irischen Gesellschaft hat sich in den letzten Jahren erneut gewandelt: Schien man sie anfangs vor allem als billige Arbeitskräfte für die Bauindustrie oder als Servicepersonal für Cafés, Bars und Hotels wahrzunehmen, sind polnische Migranten heute Teil jeder Schicht der irischen Gesellschaft. Nach einer Teilzeitbeschäftigung als Au-pair kam etwa Ewelina Stopka 2007 nach Irland, um an der Dublin City University zu studieren, und arbeitet heute für einen internationalen Finanzkonzern in Dublin:

„Mein […] Plan war, so viel Englisch wie möglich in Polen zu lernen, im Januar das Bewerbungsformular auszufüllen, nach Irland zu ziehen, sobald ich angenommen wurde, und nur drei Jahre in Irland zu verbringen, um ,eine bessere Englischlehrerin‘ zu werden. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich keine Ahnung, dass ich fast 15 Jahre oder länger hier bleiben würde. Ohne überhaupt darüber nachzudenken, fand ich mich [dann] in der Unternehmenswelt wieder. Ich begann in einer Einstiegsposition, […] bin immer weiter aufgestiegen, habe meine Position gewechselt, mehr Geld verdient und schließlich die Rolle bekommen, die ich immer erreichen wollte und die mit dem Bereich meines Studiums zu tun hat.“

In einer zunehmend vernetzten Welt sind irische Polen natürlich immer noch mit dem verbunden, was in Polen vor sich geht. Ewelina erklärt: „Ich betrachte mich als Bürgerin beider Länder und kümmere mich um Ereignisse, die in Polen stattfinden, als ob ich noch dort leben würde. Ich nehme immer an den polnischen Präsidentschaftswahlen hier in Dublin teil. Auch wenn ich mich selbst nicht wirklich für Politik interessiere, verfolge ich die Nachrichten und agiere als Botschafter Polens in Irland. Ich spreche mit Stolz von Polen, empfehle meinen ausländischen Freunden gerne Orte, die sie besuchen können, und erzähle von meiner Kultur. Allerdings würde ich mir wünschen, dass Polen selber aufgeschlossener, inklusiver und toleranter wird.“

Wie alle EU-Bürger können auch irische Polen an den polnischen Wahlen teilnehmen, und wie Ewelina sehen auch andere die gegenwärtige Politik der PiS-Regierung kritisch. Bei den polnischen Präsidentschaftswahlen im vergangenen Jahr zum Beispiel stimmten nach Angaben der polnischen Botschaft in Dublin mehr als 77 Prozent der in Irland lebenden Polen für den liberalen Präsidentschaftskandidaten Rafał Trzaskowski.

Spürbar ist heute in der polnischen Gemeinschaft in Irland ein Gefühl der Hoffnung, zusammen mit der gelebten Akzeptanz von zwei Identitäten und Heimatländern als Norm und nicht als Ausnahme. Karolina Siwakowska hat sich in Dublin eine Eigentumswohnung gekauft und lebt hier mit ihrem polnischen Mann, ihre beiden Kinder sind in Irland geboren. Karolina hat vor einigen Jahren die irische Staatsbürgerschaft beantragt: „Es mag ein Klischee sein, aber wie cool ist es, Irin zu werden? Außerdem dachte ich, dass es für mich sinnvoll ist, die irische Staatsbürgerschaft zu beantragen. Ich lebte bereits einige Jahre hier und hatte nicht vor, woanders hinzugehen. Ich wollte das Wahlrecht haben und die Möglichkeit, hier zu bleiben, falls die Europäische Union auseinanderfällt.“

Ewelina Stopka hat eine ähnliche Einstellung dazu: „Ich fühle mich sowohl in Irland als auch in Polen wohl und ich würde nicht gerne in ein anderes Land ziehen und alles von vorne beginnen. Es ist, als hätte ich zwei Häuser oder zwei Kinder – und ich liebe beide gleichermaßen. Ich habe noch keine langfristigen Pläne und weiß nicht, ob ich für immer in Irland bleibe oder eines Tages zurück nach Polen ziehe. Mal sehen, was die Zukunft bringen wird, sie ist immer voller Überraschungen. Ich betrachte mich als eine Glückliche, die zwei Orte hat, die ich ,Zuhause‘ nennen kann.“

Aber auch für die polnische Community in Irland bedeutet die Corona-Pandemie Einschnitte, und es bleibt abzuwarten, wie sich der Ausfall von Flugverbindungen und Familienbesuchen auf die polnischen Menschen hier auswirken wird. Dazu meint Karolina Siwakowska: „Ich kann es kaum erwarten, mein Heimatland zu besuchen, sobald die Situation besser wird und das Reisen einfacher ist. Ich liebe es, in Irland zu leben, aber ich vermisse Polen, besonders in diesem Augenblick.“

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Marcel Krueger

Marcel Krueger

Marcel Krueger ist Schriftsteller und Übersetzer. 2019 hat er als offizieller Stadtschreiber von Allenstein/Olsztyn im Rahmen eines Stipendiums des Deutschen Kulturforums östliches Europa über das Leben in Ermland-Masuren berichtet. Auf Deutsch erschien von ihm zuletzt „Von Ostpreußen in den Gulag“ (2019).

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