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Ob das Vertriebenenmuseum Erika Steinbach gefallen wird?

Nach mehr als 20 Jahren Diskussionen und Streitigkeiten wurde in Berlin ein Museum eröffnet, das der Zwangsumsiedlung von Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg sowie anderen Migrationen und ethnischen Säuberungen als Folge bewaffneter Konflikte im Europa des 20. Jahrhunderts in Europa gewidmet ist. Das Museum im historischen Deutschlandhaus in der Nähe des Potsdamer Platzes ist seit dem 23. Juni für das Publikum geöffnet.

Ist das Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung, wie der offizielle Name der neuen Einrichtung lautet, ein Erfolg von Erika Steinbach? Ich halte diese These für völlig falsch, auch wenn es stimmt, dass dieses Zentrum ohne sie wahrscheinlich nie zustande gekommen wäre.

Deutschland hat gezeigt, wie selbst die schwierigsten Probleme in einem so sensiblen Bereich wie der deutsch-polnischen Geschichte durch Kompromisse gelöst werden können. Polen wiederum bewies Hartnäckigkeit, wenn es nötig war, hielt aber Abstand und verlor nie die Ruhe. Die Tatsache, dass sowohl der polnische Botschafter Andrzej Przyłębski als auch der heutige BdV-Vorsitzende Bernd Fabritius an der Eröffnungsfeier teilnahmen, spricht für sich.

Als Erika Steinbach, die damals frischgebackene Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen (BdV), Ende der 1990er Jahre die Idee hatte, in der Hauptstadt des wiedervereinigten Deutschlands ein Zentrum gegen Vertreibungen zu errichten, schien niemand zu ahnen, welche katastrophalen Folgen dieser scheinbar harmlose Vorschlag für die deutsch-polnischen Beziehungen haben würde.

Nach der deutschen Wiedervereinigung und der Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze geriet der BdV, die zentrale Organisation der deutschen Landsmannschaften, ins Abseits des politischen Lebens in der Berliner Republik. Der Autor dieses Kommentars war der einzige Journalist, der im Herbst 1999 am Tag der Heimat in Berlin teilnahm. Weder die deutschen noch die ausländischen Medien interessierten sich für Steinbachs Auftritt, die den größten Teil ihrer Rede für die Angriffe auf Joschka Fischer, den grünen Außenminister, verwendete und ihn als „Schoßhündchen“ der Vereinigten Staaten bezeichnete.
Steinbach, CDU-Bundestagsabgeordnete und gelernte Geigerin, schaffte es in kurzer Zeit, den Bund der Vertriebenen von einer Vereinigung „ewig Gestriger“ zu einer effizienten Organisation zu machen, mit der zu Beginn des 21. Jahrhunderts alle wichtigen politischen Kräfte in Deutschland rechnen mussten. Politikerinnen und Politiker auf allen Kontinenten könnten von ihrer politischen Wirkkraft lernen. Ausgerechnet das Projekt des Zentrums entpuppte sich als Instrument zur Sicherung des wachsenden Einflusses Steinbachs auf die Regierung und passte perfekt zur Stimmung, die nach der Wiedervereinigung in Deutschland herrschte. Nach einer langen Zeit der Selbstkritik, nach einer beispielhaften Abrechnung mit den Verbrechen der Nationalsozialisten, die in der Errichtung des Holocaust-Mahnmals im Zentrum Berlins gipfelte, war es dem geltenden Narrativ zufolge an der Zeit, sich „endlich“ mit dem eigenen Leid zu befassen: mit den Opfern der alliierten Luftangriffe und der Seeevakuierung aus Ostpreußen, den Opfern der Vertreibung aus Mittel- und Osteuropa, den von Rotarmisten vergewaltigten Frauen.

Eine Lawine von Büchern, Fernsehserien und Filmen zu diesem Thema ist im Buchhandel, im Fernsehen und in den Kinos erschienen. 2003 warnte der renommierte Historiker Hans-Ulrich Wehler seine Landsleute vor einer Rückkehr des „deutschen Opferkults“ aus der Anfangszeit der Bundesrepublik Deutschland. Die um die Jahrhundertwende regierenden Sozialdemokraten waren zunächst nicht in der Lage, sich Steinbachs Offensive entgegenzustellen, und einige SPD-Politiker wie Peter Glotz oder der damalige Innenminister Otto Schily unterstützten sogar das Projekt des Zentrums. Die christdemokratischen Parteien CDU/CSU, die traditionell die Landsmannschaften unterstützen, standen hinter dem Vorschlag. Steinbach stärkte systematisch ihre politische Position, sammelte Gelder für das Projekt, suchte einen geeigneten Standort für das Zentrum und provozierte immer wieder Polen und die Tschechische Republik.

Ihre Äußerungen über die Mitverantwortung Polens für den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges oder ihre in einem Presseinterview erwähnte Anregung, um Polen zu Zugeständnissen zu zwingen, sei es nicht notwendig, Bomber zu schicken, sondern es reiche aus, dem Land die Aufnahme in die Europäische Union zu verweigern, heizten die Spannungsspirale an. Entschädigungsforderungen der Preußischen Treuhand gossen Öl ins Feuer.

Die eskalierenden Spannungen, welche die deutsch-polnischen Beziehungen bedrohten, veranlassten die Deutschen schließlich zu einem entschiedeneren Vorgehen. Nach der Bundestagswahl 2005 kündigte zwar die CDU/CSU-SPD-Koalitionsregierung von Angela Merkel das Gedenken an die Opfer der Vertreibung in Form eines „Sichtbaren Zeichens“ an, entschloss sich aber, Steinbach den entscheidenden Einfluss auf die Gestaltung des geplanten „Sichtbaren Zeichens“ zu entziehen. Im Jahr 2008 hat der Bundestag die Bundesstiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung gegründet. Der Staatsminister für Kultur im Bundeskanzleramt erhielt das ausschlaggebende Mitspracherecht in Fragen des Gedenkens an die Vertriebenen. Seit 2013 wird dieses Amt von Monika Grütters (CDU) ausgeübt.

Versuche Steinbachs, in den Vorstand der Stiftung einzutreten und ihren Einfluss auf die Gestaltung des Projekts zu erhalten, scheiterten. Władysław Bartoszewski, der damals Bevollmächtigter von Premierminister Donald Tusk für die Kontakte mit Berlin war und in deutschen Regierungskreisen großes Ansehen genoss, hatte erheblichen Anteil daran, Steinbachs Ambitionen zu stoppen. Der seit 2009 amtierende Chef der deutschen Diplomatie, der FDP-Politiker Guido Westerwelle, sprach sich öffentlich gegen Steinbachs Anwesenheit im Vorstand der Stiftung aus.

Steinbachs Entmachtung führte zu einer Entspannung der deutsch-polnischen Beziehungen, aber das Dokumentationszentrum, das unter Schmerzen gegründet wurde, blieb lange Zeit in den Schlagzeilen. Die Stiftung hatte kein Glück mit ihren Direktoren, die einer nach dem anderen unter skandalbehafteten Umständen zurücktraten. Mehrere Historiker verließen den wissenschaftlichen Beirat der Stiftung, darunter die polnischen Historiker Tomasz Szarota, Krzysztof Ruchniewicz und Piotr Madajczyk. Erst die Ernennung von Gundula Bavendamm im Jahr 2016, einer Museologin, die sich zuvor nicht mit dem Thema Zwangsmigration beschäftigt hatte, erwies sich als Erfolg. Madajczyk kehrte in den Beirat zurück.

Die Ausstellungsmacher haben die ihnen von der Bundesregierung und der Stiftung übertragene Aufgabe erfüllt, das Schicksal von fast 14 Millionen Deutschen, die nach den Grenzveränderungen aus Mittel- und Osteuropa geflohen oder vertrieben worden sind, in einem historischen und europäischen Kontext darzustellen.

Angela Merkel bekräftigte bei der Eröffnung des Museums noch einmal diesen historischen Kontext: „Ohne den von Deutschland im Nationalsozialismus über Europa und die Welt gebrachten Terror, ohne den von Deutschland im Nationalsozialismus begangenen Zivilisationsbruch der Shoah und ohne den von Deutschland entfesselten Zweiten Weltkrieg wäre es nicht dazu gekommen, dass zum Ende des Zweiten Weltkriegs und danach Millionen Deutsche Flucht, Vertreibung und Zwangsumsiedlung erleiden mussten.“

Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung © Wikipedia

Auf den Zusammenhang zwischen dem vom Dritten Reich entfesselten Krieg sowie den deutschen Verbrechen und dem Nachkriegsschicksal der Deutschen wies auch Bavendamm hin, die allerdings den Vorbehalt anbrachte, dass trotz der von den Deutschen begangenen Verbrechen ihre Vertreibung aus Mittel- und Osteuropa „Unrecht“ gewesen sei. Derselbe Begriff wurde von Anfang an von Steinbach und den Landsmannschaften verwendet.

Der Aufbau der Ausstellung folgt dem gängigen Konzept der Europäisierung der Migrationsproblematik. Das gesamte erste Stockwerk ist dem Schicksal der vielen verschiedenen Nationen sowie ethnischen und religiösen Minderheiten gewidmet, die im letzten Jahrhundert Vertreibung, Verfolgung oder sogar, wie im Fall der Armenier, den Völkermord erlitten haben. Die Deutschen sind hier neben den Syrern, den Bewohnern des Balkans und des indischen Subkontinents nur eines von vielen Beispielen für Opfer von Kriegen und Konflikten.

Die Ausstellung im zweiten Stock befasst sich mit dem Schicksal der Deutschen – ihrer Flucht vor der Roten Armee, ihrer Zwangsumsiedlung nach Kriegsende und den schwierigen Versuchen, sich nach der Aussiedlung eine neue Existenz aufzubauen. Die Autoren haben jedoch darauf geachtet, den historischen Kontext darzustellen, indem sie die Ereignisse, die dem Exodus der deutschen Bevölkerung vorausgingen – den Überfall auf Polen im Jahr 1939, die deutschen Verbrechen im besetzten Polen, einschließlich der Umsiedlung aus der Region Zamość, das Schicksal der Warschauer Bevölkerung während des Warschauer Aufstands –, zuverlässig berücksichtigt haben.

Obwohl die Ausstellung aus polnischer Sicht mehr als korrekt ist, bleiben viele Fragen offen. Darf man die Schicksale der Armenier und der Deutschen in einen Topf werfen, obwohl die Gründe für ihre Vertreibung so unterschiedlich waren? Ist es nicht eine Relativierung der deutschen Schuld, wenn man syrische Flüchtlinge und deutsche Vertriebene in einem Raum zeigt?
Was mir schwerfällt, ist die Bewertung der Charta der deutschen Heimatvertriebenen von 1950, die von deutscher Seite, und nicht nur von den Landsmannschaften, als große Geste der Versöhnung angesehen wird. Dass die deutschen Heimatvertriebenen fünf Jahre nach dem vom Dritten Reich entfesselten Krieg und den begangenen Verbrechen feierlich „auf Rache und Vergeltung verzichten“, grenzt meines Erachtens an Hohn, zumal sich in der Nachkriegsführung des Bundes der Vertriebenen eine Reihe von Personen befand, die stark in den Nationalsozialismus verstrickt waren. Dies ist nur eines der Beispiele für die unterschiedlichen Sensibilitäten von Polen und Deutschen.

„Alles in allem ist es eine gute Ausstellung, die genauso gut in Wrocław hätte entstehen können, wenn wir vor einem Vierteljahrhundert genug Fantasie und Mut gehabt hätten“, schreibt Adam Krzemiński in der Wochenzeitung „Polityka“. „Entgegen aller Befürchtungen ist das Dokumentationszentrum kein Mausoleum des deutschen Leids“, urteilt Professor Paweł Machcewicz. Dies ist ein gutes Zeichen für die Zukunft. Das Erdgeschoss des Museums ist für Wechselausstellungen, möglicherweise auch aus Polen, reserviert.

Steinbach erhielt keine Einladung zur Ausstellungseröffnung, und die Redner erwähnten sie mit keinem Wort. Die Mauer des Schweigens wurde nur von Angela Merkel durchbrochen, die daran erinnerte, dass Erika Steinbachs Idee dank viel Arbeit, Mühe und Geduld zu einem „weithin akzeptierten Projekt“ wurde.

Es besteht kein Zweifel, ohne Steinbachs Engagement und Klugheit wäre das Museum niemals gebaut worden. In der Politik gibt es jedoch keine Gerechtigkeit. Irgendwann wurde sie zu einer Belastung für das Projekt und musste gehen. Die ehemalige BdV-Vorsitzende verließ die CDU und schloss sich der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD) an, einer Gruppierung, die sich nicht scheut, die Geschichte zu relativieren.

Es ist nicht bekannt, ob Steinbach die Ausstellung bereits gesehen hat. Wenn ja, hat sie das Museum wahrscheinlich enttäuscht verlassen. Die endgültige Form der Ausstellung hat nur noch wenig mit der ursprünglichen Idee gemein. Der Boom des deutschen Opferkults ist vorbei. Ob das für immer so bleibt?

Jacek Lepiarz

Jacek Lepiarz

Jacek Lepiarz ist Germanist, Historiker und Journalist. Er arbeitet mit der Deutschen Welle zusammen. Zuvor war er Berlin-Korrespondent der Polnischen Presseagentur sowie Warschau-Korrespondent der DPA.

2 Gedanken zu „Ob das Vertriebenenmuseum Erika Steinbach gefallen wird?“

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  2. Die große Frage ist doch, warum die Initiative einer Politikerin aus der dritten Reihe zur Staatsaffäre werden konnte. Wie konnte es passieren, dass in einer Umfrage der Rzeczpospolita von 2004 über die „gefährlichsten Politiker der Welt“ Steinbach auf dem zweiten Platz landete – zwischen Putin und dem iranischen Präsidenten Ahmadenischad? Die Korrespondenten der NYT, von Le Monde und El País konnten es nicht fassen, wie fast ganz Polen in Wallung geriet, und schrieben unbarmherzig von „kollektiver Hysterie“.

    Warum waren all die deutsch-polnischen Gremien und Institutionen so schwach, dass sie dies nicht verhindern konnten? Warum hat man im rot-grünen Kabinett Schröder/Fischer nicht begriffen, dass die Dämonisierung Steinbachs nur den Kaczynski-Zwillingen nützt (zumal ja Persönlichkeiten, an deren Integrität kein Zweifel bestehen konnte, Steinbach unterstützt haben: Imre Kertesz, Bischof Karl Lehmann, Györgi Konrad, Joachim Gnauck, Hans Maier, Michael Wolffsohn etc.) ? Irena Lipowicz, Deutschland-Beauftragte der letzten sozialdemokratischen Regierung in Warschau, hat es auf den Punkt gebracht: Ohne den unreflektierten Umgang deutscher Politiker mit dem ZgV hätte es nicht den überraschenden Doppelsieg der Zwillinge 2005 gegeben.

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