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Das Dreieck der Gegensätze

Die Zusammenarbeit zwischen Frankreich, Deutschland und Polen und der 30. Jahrestag der Weimarer Erklärung

In den dreißig Jahren seines Bestehens hat das Weimarer Dreieck ganz unterschiedliche Bedeutungen angenommen: Zum einen wurde es zur Hoffnung auf die Öffnung Westeuropas für die Länder des Ostblocks und eine neuartige französisch-deutsch-polnische Zusammenarbeit, zum anderen steht es für unerfüllte Erwartungen und die immer weiter auseinanderdriftenden Zukunftsvorstellungen von der Europäischen Union. Das diesjährige Gründungsjubiläum des Weimarer Dreiecks bietet Anlass, auf seine bisherigen Erfolge zurückzublicken, aber auch zu überlegen, ob es noch eine Chance auf Wiederbelebung hat.

Als am 29. August 1991 der französische, der deutsche und der polnische Außenminister die Erklärung zur Einrichtung des „Komitees zur Förderung der Deutsch-Französisch-Polnischen Zusammenarbeit“ unterzeichneten, allgemein bekannt als „Weimarer Dreieck“, befand sich Europa inmitten eines historischen Umbruchs. Die UdSSR ging ihrem Untergang entgegen und wurde im Dezember 1991 endgültig aufgelöst, während Mitteleuropa nach dem Herbst der Völker noch dabei war, seinen neuen Platz auf der weltpolitischen Landkarte zu finden. Gleichzeitig fanden im westlichen Europa zukunftsweisende Veränderungen statt: Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft befand sich in den abschließenden Verhandlungen für ein neues Abkommen, das als Vertrag über die Europäische Union im November 1993 wirksam wurde. In Anbetracht der Umstände hatte die von den Außenministern Roland Dumas, Hans-Dietrich Genscher und Krzysztof Skubiszewski unterschriebene Erklärung damit eine ganz besondere Bedeutung: Einer der größten mitteleuropäischen Staaten erklärte seinen Willen, sich den Europäischen Gemeinschaften anzuschließen, während die führenden westeuropäischen Länder signalisierten, dass sich die europäische Integration nach dem Kalten Krieg nicht nur thematisch, sondern auch geographisch ausweiten werde.

Mithin wurde Polens Beitritt zur EU zur programmatischen Leitlinie der Dreiergruppe und schließlich zum Meilenstein in deren Aktivitäten: Bis zum 1. Mai 2004 standen vor allem Fragen der Zusammenarbeit Frankreichs und der Bundesrepublik mit Polen mit dem Ziel des polnischen EU-Betritts im Mittelpunkt der Konsultationen. So verfolgte jedes der Länder seine politischen Ziele: Polen gewann die Unterstützung der Schlüsselmitglieder der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft bzw. Europäischen Union für seinen Beitritt, die Bundesrepublik initiierte den Plan, die EU nach Osten hin zu erweitern, während Frankreich die Dreiergespräche nutzen konnte, um seine Beziehungen zu den mitteleuropäischen Ländern aufzufrischen und Einfluss auf die deutschen Erweiterungspläne zu nehmen. Welche gewichtige Rolle die Dreiergruppe annahm, zeigt sich daran, dass 1994 auch die Verteidigungsminister zu den Gesprächen hinzugezogen wurden und deren Rang schließlich ab 1998 durch Konsultationen der Staats‑ und Regierungschefs selbst erhöht wurde.

Nachdem Polen jedoch der EU beigetreten war, verkomplizierte sich die Lage: Der wichtigste Zweck des Weimarer Dreiecks war erreicht, so dass den Mitgliedern fortan ähnlich ambitionierte Aufgaben fehlten, obwohl die Weimarer Erklärung eine Reihe von Gebieten aufführt, auf die der Schwerpunkt hätte verlegt werden können. Darüber hinaus erwies sich in den 2010er Jahren, dass sich die Positionen der drei Ländern nicht weiter aneinander annäherten, sondern in Grundsatzfragen immer mehr auseinandergingen, so insbesondere in der Frage der Weiterentwicklung der EU. Während Frankreich für eine Beschleunigung der europäischen Integration besonders innerhalb der Eurozone eintrat, verfolgte Deutschland unter Führung von Angela Merkel kein eigenes EU-Konzept, stattdessen nur Absichtserklärungen zur Verstärkung der Kooperation, während es bei der Vergemeinschaftung der Schulden eine klare Grenze zog. Polen dagegen setzte sich einer Entwicklung entgegen, an deren Ende die Föderalisierung der Europäischen Union stehen soll.

Auch in Fragen der europäischen Sicherheit war kaum noch ein gemeinsamer Nenner zu finden. Polen und die Bundesrepublik sehen beide die französische Idee strategischer Autonomie kritisch, weil sie mit dem Ausbau des militärischen Potentials der EU die Stärkung des europäischen Pfeilers der NATO anstreben und das Bündnis mit den USA als Bedingung sine qua non für die Sicherheit des Alten Kontinents halten. Auch die Ostpolitik ist ein andauerndes Problem im Verhältnis innerhalb des Weimarer Dreiecks: Frankreich und Deutschland treten für die Beibehaltung der Beziehungen zu Russland zu den bisherigen Bedingungen ein, trotz der Annexion der Krim, des Konflikts im Donbas, der Unterstützung des Regimes von Aljaksandr Lukaschenka in Belarus und des Giftanschlags auf den Oppositionspolitiker Aleksej Nawalnyj sowie seiner anschließenden Inhaftierung. Beide Länder befürworten darüber hinaus die Fertigstellung der Nord Stream 2-Gaspipeline entgegen den Besorgnissen Polens, der Ukraine und der baltischen Länder um die Sicherheit Mitteleuropas.

Die Klimapolitik ist eine ebenso heikle Frage: Frankreich, das 70 Prozent seines Strombedarfs aus Kernenergie deckt, ist mit dem deutschen Konzept zur Energietransformation nicht einverstanden, das die Atommeiler auslaufen lässt. Polen dagegen steht vor der schwierigen Aufgabe, seine Abhängigkeit von der Kohle zu beenden.

Die Geschichte des Weimarer Dreiecks seit 2004 zeigt außerdem, dass in für Europa ausschlaggebenden Fragen das deutsch-französische Duo und nicht das Trio unter Einschluss Polens die EU anführt, wenn es richtig schwierig wird. Ob die Finanzkrise seit 2008, die Migrationskrise von 2015 oder die Bewältigung der Covid-19-Pandemie, stets waren es trotz aller Differenzen Berlin und Paris, die gemeinsam Strategien für die gesamte Europäische Union entwickelten. Selbst während der Ukraine-Krise von 2014 war das Weimarer Dreieck nur kurz bei der Stabilisierung der Lage involviert; denn bereits im Februar 2015 fuhren nur Bundeskanzlerin Angela Merkel und Staatspräsident François Hollande zu den Verhandlungen mit den Präsidenten Petro Poroschenko und Wladimir Putin nach Minsk. Weil sich Polen außerhalb der Eurozone befindet und wirtschaftlich immer noch hinter den alten EU-Mitgliedern liegt, stellt sich das Land aus Berliner und Pariser Sicht als nachrangiger Partner dar und nicht als gleichrangig bei der Entwicklung von Zukunftskonzepten für Europa. Eine Chance zur Durchbrechung dieser Denkweise ergab sich aus dem Brexit, doch hat sich inzwischen gezeigt, dass der britische EU-Austritt keinen Anstoß für eine stärkere Zusammenarbeit mit Polen liefert. Die politischen Energien richteten sich eher darauf, das deutsch-französische Bündnis zu vertiefen und neue Formen der Zusammenarbeit mit dem Vereinigten Königreich zu entwickeln. Auch Frankreichs und Deutschlands Kritik an den polnischen Verstößen gegen rechtsstaatliche Prinzipien wirkt sich deutlich negativ aus.

Hat das Weimarer Dreieck trotzdem noch eine Chance auf Wiederbelebung? Offenbar gibt dafür den Ausschlag, ob Frankreich und Polen ihre Beziehungen erneuern, die Schaden erlitten, als Polen 2016 auf den Ankauf französischer Caracal-Hubschrauber verzichtete. Präsident Emmanuel Macrons Warschau-Besuch vom Februar 2020, dem ein Treffen der Europaminister des Weimarer Dreiecks vorausgegangen war, gab daher Anlass zu Hoffnungen auf eine Erneuerung der Zusammenarbeit im Rahmen der Dreiergruppe. Dazu reicht allerdings nicht allein die Rückkehr zu den regelmäßigen Konsultationen; vielmehr muss die Initiative von 1991 in neuem Licht gesehen werden. Überzogene Erwartungen müssen zurückgeschraubt, die Wirksamkeit der Zusammenarbeit unter Beweis gestellt werden, indem man mit weniger ehrgeizigen Projekten beginnt. Ein Anfang könnte sein, Polen an der Entwicklung des Kampfpanzers der neuen Generation zu beteiligen, den Frankreich und Deutschland innerhalb ihres Main Ground Combat System-Projekts entwickeln. Eine gute Idee wäre, gemeinsame Manöver in Erwägung zu ziehen, zumal die Streitkräfte des Weimarer Dreiecks bereits gemeinsame Erfahrungen gesammelt haben, beispielsweise als sie in der ersten Jahreshälfte 2013 gemeinsam die Führung bei der Europäischen Schnellen Eingreiftruppe innehatten. Ein neues Feld für gemeinsame Projekte könnte der europäische Green New Deal sein: Frankreich, Deutschland und Polen stimmen darin überein, dass die EU-Wirtschaft modernisiert werden muss und dass die Digitalisierung und der Kampf gegen den Klimawandel die wichtigsten Herausforderungen für die EU darstellen.

Anlässlich des 30. Jahrestages des Weimarer Dreiecks wäre es wert, darüber nachzudenken, wie diese Initiative in Erinnerung zu rufen sei, mit der 1991 ein in altetablierten europäischen Grenzen befangenes Denken überwunden wurde. Dies könnte durch die Ausschreibung eines Sonderstipendiums für Schüler und Studierende geschehen, oder auch durch eine Absichtserklärung zur Einrichtung einer gemeinsamen Universität für junge Menschen aus der EU und ihren Nachbarländern. Johann Wolfgang von Goethe zufolge, der 159 Jahre vor der Unterzeichnung der Erklärung in Weimar starb, arbeitet die Zeit für den Geduldigen, der sich im Recht befindet. Dass es das Rechte ist, die Aktivitäten des Komitees zur Förderung der Deutsch-Französisch-Polnischen Zusammenarbeit fortzusetzen, steht außer Frage. Zum 30. Jahrestag seiner Einrichtung ist den Chefs der zugehörigen Länder nur die Geduld und Courage zu wünschen, die den Architekten des Weimarer Dreiecks zu Gebote standen.

 

Aus dem Polnischen von Andreas R. Hofmann

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Lidia Gibadło

Lidia Gibadło

Lidia Gibadło ist Analytikerin beim Polnischen Institut für Internationale Angelegenheiten (PISM). Zu ihren analytischen Arbeitsschwerpunkten zählen Deutschland und das Weimarer Dreieck.

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