Wie der Reichtum verteilt ist, bleibt nach wie vor umstritten, denn Einkommensverhältnisse sind niemals gleich. Es gibt viele Kriterien, nach denen sozioökonomische Ungleichheit bemessen wird, so insbesondere die Einkommensverteilung. Eines der vielleicht am einfachsten zu verstehenden Kriterien besteht in dem Quotienten, der das Verhältnis des durchschnittlichen Einkommens in der Gruppe der zwanzig Prozent der Wohlhabendsten zum Durchschnittseinkommen der zwanzig Prozent der Ärmsten in der jeweiligen Gesellschaft ausdrückt. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts zeigte dieser Quotient im internationalen Vergleich erhebliche Unterschiede.
Zu den Ländern mit den geringsten Einkommensunterschieden zählte Japan, wo der Quotient bei 3,4 lag; das bedeutet, dass dort auf einen Yen des Durchschnittseinkommens der zwanzig Prozent der ärmsten 3,4 Yen der zwanzig Prozent der reichsten Japaner kamen. Diese verhältnismäßig egalitäre Einkommensverteilung ist auf die traditionellen, in Japan immer noch sehr wirksamen kulturellen Bindungen zurückzuführen, die eine lebenslange Laufbahn innerhalb eines Arbeitsverhältnisses und allmähliche und maßvolle Einkommenserhöhungen proportional zur Anstellungsdauer bevorzugen. Ein etwas höherer, bei etwa 4 liegender Quotient ist in den ökonomisch und sozial stabilen skandinavischen Ländern zu beobachten (Finnland: 3,8; Norwegen: 3,9; Schweden: 4; Dänemark: 4,3). Mit 7,9 beziehungsweise 8,4 lag der Quotient in den innovativen und dynamischen Wirtschaften von Israel und der USA etwa doppelt so hoch. In Lateinamerika überschreitet der Quotient die Marke 10 und liegt in einigen Fällen über 20 (Mexiko: 12,8; Chile: 15,7; Argentinien: 17,8; Brasilien: 21,8). Das Land mit der weltweit höchsten Einkommensungleichheit liegt in Afrika; es ist Namibia, wo der Quotient den Wert 56,1 erreicht, was praktisch bedeutet, dass ein erheblicher Teil der Bevölkerung in tiefer Armut lebt. In den Nachbarländern von Namibia liegt der Quotient ebenfalls sehr hoch, überschreitet aber mit einer Ausnahme nicht den Wert 20, während in einem anderen Fall keine Schätzung möglich war (Sambia: 15,3; Südafrika: 17,9). Polen liegt mit einem Quotienten von 4,6 dicht bei vielen anderen Ländern der Europäischen Union (Ungarn: 4,3; Frankreich: 4,4; Deutschland: 4,5; Irland: 4,6).
Es ist wesentlich, dass die angeführten Quotienten die Durchschnittseinkommen zueinander in Beziehung setzen, wie sie von bestimmten Gruppen der jeweiligen Gesellschaft erzielt werden. Obwohl dieser Aspekt von Ungleichheit nach wie vor starke Beachtung findet, scheint sich doch der Schwerpunkt der Ungleichheitsdebatte zu Beginn des 21. Jahrhunderts etwas verlagert zu haben. Gegenwärtig liegt der Fokus der Diskussion nicht so sehr bei den laufenden Einkommen als vielmehr bei dem akkumulierten Vermögen, wobei hier nicht die Durchschnittsvermögen herangezogen werden, sondern einzelne, besonders große oder exorbitant große Vermögen, über die eine winzige Gruppe von Multimilliardären verfügt. Das US-amerikanische „Forbes Magazine“, das seit 35 Jahren jährlich eine Liste der reichsten Menschen der Welt zusammenzustellen versucht, nannte in der Ausgabe vom April 2021 die Namen von 2755 Personen, deren Vermögen bei mehr als einer Milliarde US-Dollar lag. An der Spitze des Rankings befindet sich Jeff Bezos, Gründer der Internet-Handelsplattform Amazon, mit einem Gesamtvermögen von 177 Milliarden Dollar. Dahinter lag Elon Musk, Mitbegründer und CEO der Firmen PayPal, Tesla und SpaceX, dessen Vermögen auf 151 Milliarden Dollar geschätzt wird. An dritter Stelle stand der Eigentümer des Luxuswarenhandels LVMH Bernard Arnault mit einem Vermögen von 150 Milliarden Dollar. Auf den vierten Platz kam Bill Gates, Mitbegründer der Microsoft Corporation, mit einem Vermögen von 124 Milliarden Dollar, an fünfter Stelle Mark Zuckerberg, der Gründer von Facebook, mit 97 Milliarden Dollar. Zum Zeitpunkt der Erstellung der Statistik vom April 2021 betrug das Gesamtvermögen der von „Forbes“ aufgeführten 2755 Milliardäre 13,1 Billionen Dollar.
Den überwiegenden Anteil an diesen größten Vermögen machen weltweit notierte Aktienpakete aus. Infolgedessen können Kursschwankungen an den Börsen im Handumdrehen ihren Wert steigern oder senken. So hat der starke Anstieg der Börsennotierung von Tesla, Inc. im November 2021, bei dem die Aktie den Wert von 1100 US-Dollar überschritt, das Vermögen des Hauptanteilinhabers Elon Musk auf eine historische Rekordhöhe von über 300 Milliarden Dollar steigen lassen und ihn zum reichsten Mann der Welt gemacht.
Weil Milliarden und Billionen völlig jenseits des Vorstellungsvermögens des durchschnittlichen Einkommensbeziehers liegen, ist es sinnvoll, sie zu bestimmten anderen Werten in Beziehung zu setzen. Der Marktwert des größten polnischen Brennstoffhersteller und ‑vertreibers PKN Orlen beträgt etwa 35 Milliarden Złoty, was bei einem Dollarkurs von 3,95 Złoty nicht ganz neun Milliarden Dollar entspricht. Elon Musk allein könnte also, falls ihm der Sinn danach steht, für sein Vermögen dreiunddreißig Unternehmen wie PKN Orlen kaufen.
Der Gesamtwert der im polnischen Staatsbesitz befindlichen Anteile an Aktiengesellschaften, die an der Warschauer Wertpapierbörse (GPW) notiert sind, beträgt etwa 100 Milliarden Złoty oder etwas mehr als 25 Milliarden Dollar. Aus der Forbes-Liste geht hervor, dass weltweit mindestens 65 Personen ein Privatvermögen desselben oder eines höheren Wertes besitzen.
Die Kapitalisierung aller 425 Aktiengesellschaften, die an der GPW notiert sind, beträgt 1,3 Billionen Złoty oder 330 Milliarden Dollar. Verfielen Bezos und Arnault auf den Gedanken, ihre Vermögen zu verflüssigen und gemeinsam einzusetzen, könnten sie alles kaufen, was an der Warschauer Börse umgesetzt wird.
Das bereits seit 1917 erscheinende Magazin „Forbes“ verbindet seine Programmlinie konsequent mit der kapitalistischen Wirtschaft und ihrer Orientierung auf den freien Markt. Die Zeitschrift zielt vor allem auf „Geschäftsleute, dynamische, aktive und für weltweite Trends offene Personen“ sowie „Investoren auf der Suche nach ungewöhnlichen Möglichkeiten der Kapitalmehrung“ als Leser ab. Von dieser Warte aus bildet die Liste der reichsten Menschen der Welt eine unzweideutige Bestätigung ihrer Erfolge; sie singt das Hohelied auf ein Unternehmertum, das mit erfolgreichen Geschäftsideen triumphiert und ungeheure Vermögen anhäuft.
Wenn wir uns für den Augenblick auf denselben Standpunkt stellen, ist bemerkenswert, dass ein beträchtlicher Prozentsatz der größten Vermögen infolge kreativer Nutzung des technischen Fortschritts entstanden ist. Bezos, Musk, Gates, Zuckerberg, Dell, Ma Huateng, Masayoshi Son, Zheng Huang und hunderte oder tausende weitere wurden gewahr, was sie mit ihrem Wissen und unternehmerischen Talenten schaffen konnten, bevor sie Milliardäre wurden. Viele von ihnen kamen aus nicht vermögenden, manche sogar aus ausgesprochen armen Familien. Die Forbes-Autoren stellen gerne heraus, wie viele von den vorgestellten Unternehmern besonders talentierte und fleißige Selfmademen seien und suggerieren, die großen Vermögen seien keineswegs das Privileg einer geschlossenen Elite. In Vermögensungleichheit sei eher eine Motivation für kreatives Handeln als ein Ausdruck von sozialer Ungerechtigkeit zu sehen.
Dieser von „Forbes“ propagierte Blick auf die Milliardäre trifft in der Öffentlichkeit nicht auf ungeteilte Zustimmung. Eine diametral entgegengesetzte Sicht wird besonders von der Wohltätigkeitsorganisation Oxfam formuliert und verbreitet. Das Oxford Committee for Famine Relief wurde 1942 in Großbritannien gegründet und entwickelte sich zu einer globalen Bewegung, die nach eigenem Verständnis „die Beendung der Ungerechtigkeit der Armut anstrebt. Das heißt die Beseitigung der Ungleichheit, die Menschen in Armut hält“. Zu den Aktivitäten der Organisation gehört die Erstellung von Berichten zu Ungleichheit und Armut, die dann zu Kampagnenslogans verdichtet werden, mit denen Oxfam eine breite Öffentlichkeit erreicht. Unter den in den letzten Jahren in Umlauf gebrachten Slogans fanden die größte Resonanz: „Seit 2015 besitzt das oberste eine Prozent der Menschheit ein größeres Vermögen als die 6,9 Milliarden Menschen der untersten Besitzschichten“; „Von dem neuen Reichtum, der jedes Jahr geschaffen wird, gehen 82 Prozent an das eine Prozent der Reichsten, während die unteren 50 Prozent der Menschheit keinen Zuwachs des eigenen Besitzstandes vermerken“; „Nach Schätzungen der Weltbank lebt fast die Hälfte der Weltbevölkerung von weniger als 5,5 Dollar am Tag;“ „Eine Anzahl von nicht ganz 3000 Milliardären besitzt ein größeres Vermögen als sechzig Prozent (4,6 Milliarden) der Erdbewohner“; „Es reichten neun Monate, damit die eintausend reichsten Leute der Welt vollständig die von Covid-19 verursachten Verluste ausgleichen konnten. Die Milliarden Armen werden dazu Jahrzehnte brauchen“.
Die tausend reichsten Menschen der Welt, die 2755 Milliardäre oder selbst das vermögendste Prozent der Weltbevölkerung (ca. 78 Millionen Personen) sind aus Sicht von Oxfam weit entfernt von den Problemen und Werten, die für die Gesellschaften wirklich wichtig sind und um die das Leben der 99 Prozent kreist. Eine fehlgeleitete Regierungspolitik versorgt eine winzige, ja marginale Splittergruppe der Menschheit mit den Voraussetzungen für die nie endende Jagd nach Profit und Reichtum, während die progressive Besteuerung der großen Vermögen eine wesentliche Verbesserung der Lebensbedingungen der Allgemeinheit sicherstellen könnte.
Die gewaltigen Vermögensungleichheiten und die Möglichkeiten, die einer schmalen Schicht der weltweit Reichsten im Gegensatz zu den gewöhnlichen Sterblichen zur Gebote stehen, geriet im Jahr 2021 mit dem Weltraumtourismus noch stärker in den Fokus. Der Weltraumtourismus als solcher ist gar kein ganz neues Phänomen; er begann 2001 mit dem Flug der US-amerikanischen Millionärs Dennis A. Tito, der an Bord des russischen Raumschiffes Sojus zur Weltraumstation Mir gelangte, wo er länger als eine Woche zubrachte. Die dafür an die Russische Raumfahrtagentur bezahlte Summe betrug 20 Millionen Dollar. In den Folgejahren absolvierten noch mehrere weitere Millionäre ähnlich Flüge auf russischen Raumschiffen. Das Neue der touristischen Raumflüge von 2021 besteht darin, dass sie außerhalb staatlicher Raumforschungsprogramme stattfanden und sie ausschließlich von privater Hand finanziert und organisiert wurden.
Das mit einem Raketenmotor ausgestattete Raumfahrzeug VSS Unity, gebaut von der Firma Virgin Galactic, die der Richard Branson gehörenden Virgin Group angehört, wurde am 11. Juli von einem Trägerflugzeug in eine Höhe von 16 km geschleppt, von wo aus es seinen Flug selbständig bis in eine Höhe von 85 km fortsetzte, um dort fünf Minuten zu verharren, wodurch es den Passagieren vier Minuten der Schwerelosigkeit verschaffte. Der gesamte Flug dauerte von der Abkoppelung der VSS Unity vom Trägerflugzeug bis zur Landung auf dem Kosmodrom Spaceport America im US-Bundesstaat New Mexico etwa fünfzehn Minuten. Teilnehmer des Flugs waren die beiden Piloten des Raumfahrzeugs und vier Passagiere, darunter Branson selbst. Bereits 600 Personen haben Tickets für weitere Flüge für Vorzugspreise zwischen 200.000 und 250.000 Dollar erworben. Anhand der Anzahl der Passagierplätze sind also in der nächsten Zeit 150 Starts zu erwarten. Für weitere Passagiere soll der Ticketpreis für die VSS Unity 450.000 Dollar betragen.
Etwas mehr als eine Woche nach dem Flug von Bransons Raumfahrzeug, am 20. Juli, begab sich die Rakete New Shepard auf die Höhe von etwa 100 km über der Erde; diese Rakete ist ein Erzeugnis der Firma Blue Origin, eines der Unternehmen im Besitz von Jeff Bezos. Außer diesem selbst fanden in der autonomen Raketenkapsel noch drei weitere Passagiere Platz. Die gesamte Weltraumreise vom Start in der texanischen Wüste bis zur Landung der Kapsel an drei mächtigen Fallschirmen an einem nicht weit vom Startplatz entfernten Ort dauerte zehn Minuten 25 Sekunden, aber die Schwerelosigkeit dauerte so wie beim Flug von Bransons VSS Unity vier Minuten. Der Preis eines Tickets für einen Raumausflug an Bord der New Shepard lässt sich nur annäherungsweise anhand der Quote bestimmen, auf die sich der anonyme Teilnehmer bei der Vergabe der Passagierplätze einließ, der seinen Flug dann aber auf einen späteren Termin verschob. Diese Quote betrug 28 Millionen Dollar. Das hinderte die Marketingleitung von Blue Origin nicht daran zu versichern, es gebe eine ungeheure Nachfrage nach Plätzen für die nächsten Flüge, und Interessierte zur baldestmöglichen Buchung ihrer Plätze zur ermuntern.
Der dritte Touristenflug in den Weltraum begann in der Nacht vom 15. auf den 16. September. Doch die Mission SpaceX Inspiration 4 unterschied sich in vielerlei Hinsicht von den beiden vorangegangenen. Die vier Amateurastronauten – zwei Frauen und zwei Männer – beschränkten sich nicht darauf, für wenige Minuten die Erdatmosphäre zu verlassen, sondern wurden in der Kapsel Crew Dragon von der Rakete Falcon 9 in eine Umlaufbahn gebracht, wo sie drei Tage verbrachten und einige Dutzend Erdumkreisungen vollzogen. Die Falcon 9 startete vom John F. Kennedy-Raumfahrtzentrum in Florida, und die Crew Dragon-Kapsel landete im Atlantik. Das Unternehmen SpaceX, das Raketenantriebe, Trägerraketen und Raumfahrzeuge baut, zu denen Crew Dragon und Falcon 9 zählen, wurde 2002 von Elon Musk gegründet, der aber anders als Branson und Bezos nicht an dem von seiner Firma durchgeführten Raumflug teilnahm. Jared Isaacman finanzierte die Plätze für sich und die drei weiteren Teilnehmer; jeder einzelne wird auf 50 Millionen Dollar geschätzt. Isaacman besitzt ein Vermögen von 2,4 Milliarden Dollar und steht auf der Forbes-Liste an 1362. Stelle.
Der heute 38-jährige Isaacman begann bereits mit 14 Jahren, sich mit Computerreparatur und ‑instandhaltung unternehmerisch zu betätigen. Zwei Jahre später erfand er das Zahlungsverrechnungssystem United Bank Card; dieses entwickelte sich mit der Zeit zu der Firma Shift4 Payments, die an der New Yorker Börse notiert ist und 200.000 Kunden betreut. Nebenher ging Isaacman seiner Leidenschaft für das Fliegen nach. Er ließ sich zum Düsenflugzeugpiloten ausbilden. 2009 stellte er mit einer düsengetriebenen Cessna CJ2 mit h 61:51:15 einen Rekord im Weltrundumflug auf. 2012 gründete er das Unternehmen Draken International, das Piloten ausbildet, so auch Piloten der US Air Force; diese Firma verkaufte er acht Jahre später für fast eine Milliarde Dollar an den Investitionsfonds Blackstone.
Die Mission SpaceX Inspiration 4, zu deren Gesicht Isaacman wurde, hatte ernsthaftere Zwecke, als nur das Gefühl der Schwerelosigkeit zu erfahren und sich die Erde aus dem Weltraum anzuschauen. Sie sollte vor allem zu einer Spendenaktion zugunsten des St. Jude Children’s Research Hospital in Memphis/Tennessee beitragen, das auf die Behandlung von Tumorerkrankungen bei Kindern spezialisiert ist. Als Isaacmans Gast war eine medizinische Assistentin Mitglied der Crew, die in diesem Krankenhaus arbeitet und in ihrer Kindheit von Knochenkrebs geheilt wurde. Ein weiterer Platz wurde per Verlosung vergeben, bei der 72.000 Personen Lose kauften, die zwischen fünf und 5000 Dollar kosteten und eine Teilnahme von einer bis zu zahlreichen Ziehungen sicherten, genau wie beim Kauf von Losen beim Toto. Bis zum Tag der Beendung der Mission wurden so 60 Millionen Dollar gesammelt; Isaacman erklärte, diesen Betrag um weitere 100 Millionen Dollar aufzustocken, woraufhin Musk seinerseits 50 Millionen zuschoss. Die Dragon-Kapseln werden in Missionen benutzt, die SpaceX im Auftrag der NASA ausführt. Bei Inspiration 4 wurden dieselben Verfahren angewandt und weitere wertvolle Erfahrungen in diesem Bereich gesammelt. Und schließlich nutzen die Amateurastronauten den dreitägigen Aufenthalt im Weltraum, um den eigenen Organismus zu untersuchen und Änderungen bei Verhalten und Erkenntnisfähigkeit zu beobachten.
Selbst bei nur oberflächlicher Kenntnis der Weltraumunternehmungen Bransons, Bezos’ sowie des Projekts von Isaacman und Musk ist doch nicht zu übersehen, dass letzteres sehr viel seriöser ist. Doch ist es ein Kennzeichen unserer Zeit, dass dieses sehr viel weniger Interesse der Medien und Internetportale auf sich zog als die Frage, ob Branson oder Bezos zuerst seinen Kunden einen Weltraumaufenthalt von ein paar Minuten verschaffen würde. Bransons Sieg und Bezos’ Erklärungen zu seiner Niederlage wurden unglaublich oft kommentiert; die Zwecke des Isaacman‑ und Musk-Projekts dagegen lösten kaum vergleichbare Resonanz aus.
Doch kann man in diesem Projekt, dass die Erfahrung für einige wenige Ausgewählte mit einer Wohltätigkeitsaktion für kranke Kinder verbindet, ein neues Muster der Nutzung von Reichtum sehen, eine gewisse Form der Umsetzung von Ideen, die auf Philosophie und Religion beruhen. Der Philosoph John Rawls übertrag seine Vorstellung von Gerechtigkeit in die Wirtschaftswissenschaften in seinem auf der Jahresversammlung der American Economic Association von 1973 präsentierten Beitrag „Some Reasons for the Maximin Criterion“. Darin formulierte er ein Prinzip der Reichtumsteilung, wonach die Bessergestellten auf ihre privilegierte Position unter der Bedingung nicht verzichten müssen, dass sie diese möglichst zur Besserung der Lage der in der ökonomischen Hierarchie ganz unten Befindlichen einsetzen. Dies war ein Ansatz, der sich sowohl von der egalitär-redistributiven als auch der Ideologie des freien Marktes unterschied. Rawls schreibt, es gebe keine Gründe, um die natürlichen Unterschiede völlig aufzuheben, ganz zu schweigen dafür, außergewöhnliche Talente zu unterdrücken. Im Gegenteil seien natürliche Unterschiede als Chance zu begreifen, zumal sie „oft komplementär“ seien „und die Grundlage für sozialen Zusammenhalt bildeten.“ Daher sei alles erlaubt, was die vollständige Nutzung von Begabungen und Fähigkeiten ermögliche, mit der Einschränkung, dass die sich daraus ergebenden Unterschiede nur so groß sein dürften, damit sie einen entsprechenden Nutzen für die weniger Privilegierten generieren. „Die Gesellschaft kann sagen, dass die Talentierteren ihre Lage nur unter der Bedingung verbessern dürfen, dass sie anderen helfen.“ Dieses Prinzip der Reichtumsteilung bezeichnet Rawls als Maximin-Regel.
Fast ein halbes Jahrhundert später findet sich eine ähnliche Gedankenführung in Papst Franziskus’ Enzyklika „Fratelli Tutti“. Er schreibt darin: „Das Recht einiger auf Unternehmens- oder Marktfreiheit kann nicht über den Rechten der Völker und der Würde der Armen stehen […]. Die Unternehmertätigkeit ist in der Tat eine edle Berufung, »die darauf ausgerichtet ist, Wohlstand zu erzeugen und die Welt für alle zu verbessern«. […] In jedem Fall aber sollten diese Fähigkeiten der Unternehmer, die ein Geschenk Gottes sind, klar auf die Entwicklung anderer Menschen und auf die Überwindung der Armut ausgerichtet sein, insbesondere durch die Schaffung vielfältiger Beschäftigungsmöglichkeiten. Immer gibt es neben dem Recht auf Privatbesitz das vorrangige und vorgängige Recht der Unterordnung allen Privatbesitzes unter die allgemeine Bestimmung der Güter der Erde und daher das allgemeine Anrecht auf seinen Gebrauch.“
Rawls und Franziskus richten eine ähnliche Botschaft an die Menschen, die fähig sind, großen Reichtum zu schaffen. Ohne deren Talente abzustreiten, betonen sie doch, dass der materielle Erfolg mit der Verpflichtung einhergehen sollte, diejenigen Mitmenschen daran teilnehmen zu lassen, denen das Schicksal weniger günstig ist. Die Berufung des Reichtums besteht darin, zur Verbesserung der Lebensumstände derer beizutragen, deren Bestimmung die Armut ist. Ich habe keine Ahnung, ob Jared Isaacman und Elon Musk sich jemals mit Rawls’ oder Franziskus’ Überlegungen bekannt gemacht haben. Doch insgesamt brachte die Mission SpaceX Inspiration 4 eine Einlösung ihrer Vorschläge. Es bleibt eine offene Frage, wie viele Nacheiferer die Initiatoren der Mission werden finden können.
Der vorstehende Text wurde am 18. Oktober 2021 auf den Open Eyes Economy Summit in Danzig vorgetragen.
Aus dem Polnischen von Andreas R. Hofmann