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Was bedeutet eine Ampel-Koalition für Frankreich und Europa?

Der Abschied von Angela Merkel war herzlich. Bei einer persönlichen Gala in einem Schloss mitten in der Weinregion Burgund überreichte ihr Frankreichs Präsident Emmanuel Macron das Große Kreuz der Ehrenlegion, mit dem auch schon einige ihrer Vorgänger ausgezeichnet worden waren. Die ehemaligen Partner hielten sich lange in den Armen und Macron bedankte sich mit einem Augenzwinkern bei der mehr als zwanzig Jahre älteren Merkel: „Danke, dass du mir so viel beigebracht hast und dass du diesen jungen, ungestümen Präsidenten, der alles aufrütteln wollte, akzeptiert hast.“

In der Tat trat Macron 2017 sein Amt mit der Vision an, die EU zu reformieren. Doch aus Berlin gab es nur selten Antwort auf seine Vorstöße. Merkel galt in Frankreich als Bremserin, die eine Entwicklung hin zu einem handlungsfähigeren, souveräneren Europa verhinderte. Wichtige Streitpunkte waren der Grenzschutz, kollektive Rüstungsprojekte und der Handelswettbewerb mit China. Erst mit der Corona-Pandemie und dem gemeinsamen Vorschlag für ein 500 Milliarden schweres Hilfspaket, kam der deutsch-französische Motor in Europa wieder in Gang. Bei allem Respekt für die noch amtierende deutsche Kanzlerin können unsere französischen Nachbarn deshalb ihre Erleichterung über einen Politikwechsel in Deutschland kaum verbergen. Nach 16 Jahren Angela Merkel und konservativ geführter Regierungen besteht die Hoffnung, dass eine Ampel-Koalition frischen Wind in die deutsche Europapolitik bringt.

Ebenso wie in Deutschland setzt man in Frankreich darauf, dass sich die voraussichtlichen Koalitionspartner aus SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen möglichst schnell auf einen Koalitionsvertrag einigen. Denn Frankreich wird im Januar 2022 für sechs Monate die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen. Um in diesem Rahmen Vorhaben durchzusetzen, die schon lange auf der Agenda des Elysée-Palasts stehen, braucht das Land einen starken und vor allem politisch stabilen Partner. Ein Machtvakuum in Deutschland würde aus Sicht der Franzosen erneut jeglichen Fortschritt ausbremsen.

Zudem stehen in Frankreich wichtige Wahlen an. Im April 2022 wird sich entscheiden, ob Präsident Emmanuel Macron wiedergewählt wird, was angesichts der Zersplitterung der französischen Parteienlandschaft und des Aufstiegs radikaler Kandidaten wie des rechtsgerichteten Journalisten Eric Zemmour alles andere als gesichert ist. Sollte Macron Erfolge auf europäischer Ebene vorweisen können, würde ihm das mit großer Wahrscheinlichkeit einige Stimmen einbringen.

Zwar gibt bis zur Vorstellung des Koalitionsvertrag keine Gewissheit über die politischen Linien der möglichen Ampel-Koalition, jedoch wurde in Paris das bisher veröffentlichte Sondierungspapier grundsätzlich positiv aufgenommen. Nicht unbemerkt blieb ein Satz, der sich explizit an die französischen Nachbarn richtet: „Wir wollen eine aktive Europapolitik betreiben – auch entlang einer starken deutsch-französischen Partnerschaft“. Clément Beaune, der französische Staatssekretär für europäische Angelegenheiten, bestätigte nach einem Besuch in Berlin gegenüber der Tageszeitung Le Monde, dass es mit allen drei Ampel-Koalitionären Überschneidungspunkte hinsichtlich europäischer Fragen gebe. Zudem sei der wahrscheinliche Kanzler in spe, Olaf Scholz, ein wahrer Verfechter des deutsch-französischen Tandems.

Auf das klare Bekenntnis zu einer deutsch-französischen und proeuropäischen Politik folgen im Sondierungspapier allerdings wenige konkrete Vorhaben. Es bleibt bei eher unpräzisen Formulierungen. Eine davon: Die drei Parteien möchten Europa mehr „strategische Souveränität“ zugestehen. Auf solch eine Ankündigung reagierte man in Frankreich ebenso erfreut wie überrascht. Denn schon lange fordert Paris eine dem Europaparlament unterstellte europäische Armee – ein Thema, das es zum Kernthema seiner Ratspräsidentschaft machen will. Sicher, die Deutschen bei diesem Projekt auf seiner Seite zu haben, ist man sich im Elysée-Palast trotzdem nicht. Schließlich betont das Sondierungspapier ebenfalls die Bedeutung des transatlantischen Bündnisses und der NATO für die Sicherheit Deutschlands. Außerdem weiß man, dass sowohl bei der SPD als auch bei den Grünen Teile der Basis militärischen Interventionen skeptisch gegenüberstehen.

Reibungspunkte sieht Paris ebenfalls mit der FDP – und stellt sich auf  schwierige Diskussionen ein, sollte Parteivorsitzender Christian Lindner Finanzminister werden. Denn während jener strikt am europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) festhält, dem zufolge Staaten, deren Haushaltsdefizit bei über drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegt, mit Sanktionen belegt werden, setzt sich Präsident Macron für eine Reform der Schuldenregeln und eine Schuldenvergemeinschaftung in Europa ein.

Derartige finanzpolitische Auseinandersetzungen könnten einen Schatten auf das deutsch-französische Duo werfen, analysiert die Juristin und Politikwissenschaftlerin Marie Krpata in einem Interview mit der regionalen Tageszeitung Le Progrès. Gemeinsame Offensiven wie das milliardenschwere Corona-Hilfspaket zu entwickeln, die die Verbundenheit der beiden Staaten zum Ausdruck bringen, wäre dann nämlich noch schwieriger. Darüber hinaus könne eine strenge Sparpolitik Deutschlands bedeuten, dass finanzielle Hilfen für angeschlagene EU-Mitgliedsstaaten blockiert werden.

So uneinig sich die französische Regierung und die Liberaldemokraten bei der europäischen Schuldenpolitik sind, bei einem Thema könnten sie zu Verbündeten werden: bei der Atomenergie. Da sich bereits abzeichnet, dass Letztere zum größten Knackpunkt in den deutsch-französischen Beziehungen werden könnte, wurden im Oktober Vertraute von Präsident Macron nach Berlin entsandt, um Einfluss auf die Verhandler zu nehmen – insbesondere auf die der FDP. Man wollte verhindern, dass Grüne und SPD in den Koalitionsvertrag eine Klausel einbauen, die Kernenergie als Alternative zu fossilen Energieträgern sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene ausschließt.

Schließlich hat Macron gerade erst angekündigt, bis 2030 eine Milliarde Euro in den Bau von neuen Reaktoren zu investieren. Frankreich sieht in der Atomenergie den einzigen Weg, um wettbewerbsfähig zu bleiben und sein Ziel der CO2-Neutralität bis 2050 zu erreichen.  Als „Operation Rettung der Kernkraft“ bezeichnete das Online-Portal Franceinfo vielsagend den Aufenthalt der französischen Politiker in Berlin. Ob sie erfolgreich waren, wird sich in einigen Wochen zeigen.

Es scheint, als sei trotz vieler Gemeinsamkeiten keine der drei Ampelparteien ein idealer Verhandlungspartner für Frankreich. Das heißt jedoch nicht per se, dass der erhoffte frische Wind für Europa ausbleiben wird. Denn genug Ideen gibt es auf beiden Seiten allemal. Vermutlich werden unsere französischen Nachbarn, die aufgrund ihres präsidialen Regierungssystems nicht daran gewöhnt sind, Bündnisse zu schließen und Kompromisse zu finden, schlichtweg lernen müssen, etwas mehr wie ihre deutschen Kollegen zu denken.

Und letztendlich werden es die französischen Präsidentschaftswahlen im April 2022 sein, die über die Zukunft des deutsch-französischen Tandems entscheiden werden. Schon vor Beginn des offiziellen Wahlkampfes geht es in Frankreich hoch her. Ob Jean-Luc Mélenchon, der Leader der linkspopulistischen Bewegung La France insoumise (Unbeugsames Frankreich), der parteilose Eric Zemmour oder Marine Le Pen vom rechtsradikalen Rassemblement National (RN) – einige Kandidaten scheinen sich mit immer radikaleren Positionen überbieten zu wollen.

Für die Volksparteien und Emmanuel Macrons La République en Marche wird es nicht leicht werden, sich in dieser aufgeheizten Stimmung Gehör zu verschaffen. Deutschland habe eine stabile Demokratie gewählt, sagt Politikwissenschaftlerin Marie Krpata. Nun sei abzuwarten, wie sich die Franzosen entscheiden. Ein europakritischer Wahlsieger könnte die gesamte EU ins Wanken bringen.

 

 

Quellen Zitate:

https://www.lepoint.fr/monde/merkel-fait-des-adieux-emus-a-la-france-apres-16-ans-au-pouvoir-04-11-2021-2450554_24.php

https://www.francetvinfo.fr/replay-radio/le-brief-politique/comment-paris-essaye-de-peser-sur-l-accord-de-coalition-allemand-pour-sauver-le-nucleaire-francais_4785289.html

https://www.leprogres.fr/politique/2021/09/27/legislatives-en-allemagne-quels-changements-pour-la-france-et-l-union-europeenne

https://www.lemonde.fr/international/article/2021/10/16/en-allemagne-la-coalition-reunissant-le-spd-les-verts-et-les-liberaux-du-fdp-est-en-bonne-voie_6098606_3210.html

 

Lisa Müller

Lisa Müller

Lisa Müller ist eurotopics-Korrespondentin für Frankreich sowie die französischsprachigen Teile Luxemburgs, Belgiens und der Schweiz. Sie studierte Kommunikationswissenschaften und deutsch-französischen Journalismus in Freiburg und Straßburg.

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