Die Zeiten der unbestrittenen Vorherrschaft von „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) in der polnischen Politik sind endgültig vorbei. Die Regierungspartei bleibt zwar stärkste Kraft, doch mit seit Monaten zwischen 32 und 37 Prozent schwankenden Zustimmungswerten wäre sie heute bereits nicht mehr in der Lage, auf sich allein gestellt eine Parlamentsmehrheit zu bilden. Ein Jahr vor den Wahlen ist schwierig zu sagen, welche Faktoren ihren Einfluss geltend machen werden. Die Wirtschaft stottert, die hohen Kreditzinsen können die Inflation immer noch nicht einfangen, die Energiekosten steigen. Die Regierung versucht, die wachsende Unzufriedenheit mit kostspieligen Unterstützungsleistungen zu beschwichtigen. Das sind jedoch ausschließlich Ad-hoc-Maßnahmen, mit denen die politische Initiative nicht zurückzugewinnen und die Legitimation der Regierung nicht wiederherzustellen ist. Und ohne das, so will es scheinen, hat Jarosław Kaczyńskis Partei vorerst keine Aussichten auf eine dritte Legislaturperiode.
Ende der großzügigen Umverteilung?
Grundlage der PiS-Regierung war seit 2015 das Versprechen, Lebensstandard und Einkünfte von weiten Teilen der Gesellschaft zu heben. Dies wurde auf die denkbar einfachste Weise umgesetzt, nämlich durch Direkttransfers aus dem Staatshaushalt und Anhebung des Mindestlohns. Das war von Anfang an ein zynisches Projekt, ganz darauf ausgerichtet, Wählerstimmen zu kaufen. Doch in ihrer Rechtfertigungspropaganda stellte die Regierung ihre Politik als Bruch mit der ungerechten sozioökonomischen Transformation und Befreiung vom neoliberalen Diktat hin.
Die Regierung kannte keine Hemmungen, sich ihrer „Findigkeit“ zu rühmen, ihrer Widerstandsfähigkeit gegen Druck von innen wie außen, ihrer absoluten Fähigkeit, die Realität den eigenen Wünschen anzupassen. Selbst die Institutionen des liberalen Staates zu zerstören, war dieser Logik untergeordnet: Die außerordentlichen Änderungen bei der Zusammensetzung des Verfassungsgerichts waren angeblich unerlässlich, um das Programm 500+ zu retten [die monatliche Zahlung von 500 Złoty pro Kind an Familien stand im Zentrum der Sozialpolitik von PiS nach 2015; A.d.Ü.].
Als es jedoch mit dem wirtschaftlichen Aufschwung zu Ende ging und erste Probleme auftraten, wurde dieser Anschein von Omnipotenz zum Bleigewicht am Bein. Viele der bisherigen Nutznießer der PiS-Politik wollen nunmehr nicht zur Kenntnis nehmen, dass die Wirtschaft durch Pandemie und Krieg schwer beschädigt ist und Inflation und Energiekrise nicht nur polnische Probleme sind. Sie meinen, eine fähige Regierung dürfe sich davon nicht daran hindern lassen, ihre früheren Verpflichtungen umzusetzen.
Diese ganz auf den eigenen Vorteil orientierte Wählerschaft wird auf zehn bis fünfzehn Prozent geschätzt und gibt im Bestand der Wählerschaft der politischen Rechten den Ausschlag. Ohne diesen Wähleranteil bleibt die Kaczyński-Partei bei ihrer Stammwählerschaft von etwa dreißig Prozent hängen und verliert die Chance auf eine eigene Parlamentsmehrheit. Im Wahlkampf geht es also vor allem darum, Möglichkeiten zu finden, für Wechselwähler attraktiv zu sein, für solche Wähler, denen es nicht um Ideologie, sondern um materielle Vorteile geht. Es wird jedoch bei den Wahlen in einem Jahr schwierig werden, diesen Wählern ein hinreichend attraktives Angebot zu machen. Übrigens lässt sich in der Krise bemerken, wie in der Gesellschaft die Skepsis gegenüber der großzügigen Umverteilungspolitik wächst, die ungeheuer kostspielig ist und auf Kosten der miserablen öffentlichen Dienstleistungen geht, während die Inflation die Lage noch verschlimmert.
Ein Feindbild für alle Fälle
Ein zusätzlicher, den wirtschaftspolitischen Spielraum verengender Faktor sind die Spannungen innerhalb des Lagers der Vereinigten Rechten. Gralshüter der antiliberalen Doktrin ist zurzeit die Partei des Justizministers Zbigniew Ziobro. Dessen kleine Partei „Solidarisches Polen“ verfügt nur über eine geringe Anhängerschaft, errang aber über die Wahllisten der PiS-Partei ein gutes Dutzend Mandate, ohne die Kaczyński keine Mehrheit im Sejm hat. Mit diesem As im Ärmel kann Ziobro also ständig den PiS-Vorsitzenden und Ministerpräsident Mateusz Morawiecki drangsalieren und eine pragmatischere Ausrichtung der Regierungspolitik blockieren. Für gewöhnlich erreicht er seine Zwecke, zumal Kaczyński nach wie vor nicht davon abzulassen bereit ist, die hochgesteckten Ziele der Rechten zu verfolgen.
Infolgedessen steigert sich das Regierungslager immer mehr in seine antieuropäischen Positionen hinein, was schließlich dazu geführt hat, dass Brüssel Mittel aus dem Wiederaufbaufonds der EU blockiert. Daran konnte auch Morawieckis Flexibilität nicht viel ändern, als er in den Verhandlungen mit der Europäischen Kommission eine Reihe von in seinem Lager unpopulären „Meilensteinen“ in Kauf nahm, insbesondere bezüglich der umweltpolitischen Transformation. Zankapfel bleibt jedoch das von Ziobro autorisierte System zur Disziplinierung von Richtern, dass nach Auffassung der Europäischen Kommission Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit widerspricht. Und auch wenn aus Sicht von PiS das vorrangigste politische Ziel jetzt die Stärkung der Wirtschaft sein sollte, hat sich Kaczyński nicht zu Zugeständnissen in der Richterfrage bereitfinden können. Denn das bedeutete für ihn wohl, die Identität seines Lagers in einer ideologischen Kernfrage zu verwischen, wovon Ziobro profitieren würde.
Auf die Aussetzung der Finanztransfers durch die Europäische Kommission reagierte PiS mit Verärgerung und der Ankündigung einer noch konfrontativeren Europapolitik. Die Führungsriege stellt die EU jetzt als den Erzfeind hin, von dem eine Bedrohung polnischer Souveränität ausgehe. Alle diese Äußerungen richten sich natürlich an das inländische Publikum, auch wenn es vorläufig schwerfällt zu entscheiden, ob dies der Anfang einer langfristigen antieuropäischen Kampagne ist oder ob sich darin nur die Rechte mit ihren üblichen Floskeln aus Frustration über die ausbleibenden Überweisungen aus Brüssel Luft verschafft.
Ein wohlkalkulierter Vorgang war dagegen die Veröffentlichung des Berichts über die Kriegsreparationen, der jetzt offiziellen Forderungen an Deutschland zur Grundlage dienen soll. Die Rechte instrumentalisiert die Reparationen schon lange: Lech Kaczyński, damals noch Stadtpräsident von Warschau, spielte die Karte erstmals 2004. Mit der Zeit hat sich jedoch eine eigentümliche Konvention im Umgang damit herausgebildet. Die meisten Polen halten diese Forderungen für moralisch gerechtfertigt, glauben aber nicht, dass jemals tatsächlich Entschädigungen ausgezahlt werden. So verhält es sich auch diesmal, während aber das Gefühl moralischer Überlegenheit noch durch die heftige Empörung über die Berliner Ukrainepolitik bestärkt wird. Es ist jedoch wenig wahrscheinlich, dass ein solcher Versuch, das Vakuum nach der Blockade der EU-Mittel durch Symbolpolitik zu füllen, der PiS-Partei wesentliche Vorteile einbringen wird.
Vielleicht Kriegspartei?
Kaczyński hat seine eigene Quadratur des Kreises fertigzubringen. Wenn er die gemäßigteren und am stärksten sozialpolitisch orientierten Wähler für sich gewinnen will, muss er sich mehr Flexibilität und Pragmatik zu eigen machen. Ideologische Kompromisse könnten jedoch den hartgesottenen Kern der Wählerschaft abtrünnig werden lassen, um den Ziobro wirbt. Natürlich kann die Partei „Solidarisches Polen“ da nicht allzu viel ausrichten; wenn die Partei auf sich gestellt bei den Wahlen antritt, kann sie realistisch gesehen gerade einmal ein bis zwei Prozent erreichen. Doch bei einer einigermaßen ausgewogenen Kräfteverteilung könnte ein solcher Verlust die Hoffnungen von PiS endgültig zunichtemachen, weiter an der Regierung zu bleiben. Für das Problem Ziobro gibt es also keine einfache Lösung.
Dieser Widerspruch macht sich ständig bemerkbar; der PiS-Politik mangelt es daher immer mehr an Konsistenz. Die rhetorische Radikalisierung und Instrumentalisierung deutschfeindlicher Ressentiments wurde gerade konterkariert durch den unerwarteten Rücktritt von Jacek Kurski, Chef des öffentlichen Fernsehens, der Autor und Gesicht der demagogischsten Propaganda zeitens der Dritten Republik war. Die Regierung gibt einerseits zu verstehen, Priorität habe für sie, eine Rezession zu verhindern und Energiesicherheit über den Winter zu sichern, andererseits aber betreibt sie Angstmacherei mit dem angeblichen Souveränitätsverlust, der es Polen verbiete, die Hand nach den Silberlingen der EU auszustrecken. Allein, beides lässt sich kaum noch logisch miteinander vereinbaren.
Seit einer gewissen Zeit stellt die Regierung Versuche an, das Problem zu umgehen, indem sie die unverrückbaren Grundsätze des Regierungshandelns neu definiert. Die Gelegenheit dazu lieferte die russische Aggression gegen die Ukraine, die zumindest in der ersten Phase den Polen ein beträchtliches Gefühl der Unsicherheit einflößte. Bei der Unterstützung des sich verteidigenden Nachbarlandes gab es einen Konsens zwischen den wichtigsten politischen Kräften, ebenso wenig ist die Vertiefung der Bündnisbeziehungen zu den USA parteipolitisch umstritten. Da naturgemäß nun einmal die Exekutive allein zuständig für die Umsetzung dieser Politik ist, nutzt die PiS-Partei dies nunmehr dazu, sich als alleiniger Garant für Sicherheit darzustellen. Die Regierung betont daher den Ausbau der militärischen Kapazitäten Polens, den sprunghaften Anstieg der Verteidigungsausgaben und spektakuläre Ankäufe von Militärgerät. Polens wachsendes militärisches Potential soll Gegenstand des Nationalstolzes werden, die Fähigkeiten des Staates demonstrieren und die Verantwortungsbereitschaft seiner Führung unter Beweis stellen.
Allerdings sieht es nicht so aus, als könne die Militarisierung der kollektiven Mentalität der Rechten helfen, ihrer Regierung neue Legitimität zu verschaffen. Nach dem ersten von der russischen Aggression ausgelösten Schock schwindet die Existenzangst in der polnischen Gesellschaft allmählich wieder. Aktuell machen sich sehr viel stärker die steigenden Lebenshaltungskosten und die Angst vor Armut bemerkbar. Hinzu kommt noch die heikle Frage der Flüchtlinge aus der Ukraine. Der anfangs starke Reflex der Solidarität schwächt sich seit einiger Zeit ab, und es ist leider damit zu rechnen, dass in Anbetracht der wirtschaftlichen Probleme immer mehr antiukrainische Einstellungen zum Vorschein kommen werden. Dies ist eine mögliche Ursache heftiger Spannungen im Regierungslager, weil sich dem gern die nationalistische Karte ausspielenden Ziobro die Möglichkeit bieten wird, Kaczyński und Morawiecki zusätzlich unter Druck zu setzen. Auch ist davon auszugehen, dass fremdenfeindliche Stimmungen der ultrarechten „Konfederacja“ (Konföderation) Auftrieb verschaffen werden. Das Image von PiS als Kriegspartei muss deswegen keineswegs auf lange Sicht politische Vorteile bringen.
Tusks beschränkter Wirkungsgrad
Die polnische Politik ist seit 2015 auf ihre Art unbeweglich und vorhersehbar geworden. Die tiefen ideologischen Gräben haben im Prinzip parteiübergreifende Politik und wechselndes Wahlverhalten zum Erliegen gebracht. Es bestehen übrigens keine gemeinsamen Kommunikationskanäle, jedes politische Lager bedient sich seiner eigenen veröffentlichten Meinung, seiner eigenen medialen Plattformen und seiner eigenen Begrifflichkeiten. Der politische Konkurrenzkampf läuft also darauf hinaus, die eigene Anhängerschaft zu mobilisieren und Wechselwähler möglichst davon abzuhalten, für die Gegenseite zu stimmen.
So sind Donald Tusks Aktivitäten der letzten Monate zu interpretieren. Der Vorsitzende der Bürgerplattform (PO) bereist das Land mit der immer gleichen, undifferenzierten Botschaft von der großen Katastrophe der PiS-Regierung. Gelegentlich macht er eine Anzahl von sozialen Versprechungen, die zu Anfang wahrscheinlich noch die im allgemeinen liberalen PO-Wähler in überrascht haben dürften. Das lief jedoch ohne größere Kontroversen ab, weil in der oppositionell gestimmten Wählerschaft die Überzeugung vorherrscht, der Zweck heilige die Mittel und jede Methode zur Schwächung von PiS eine gute Methode sei. Obwohl es Tusk sicher klar ist, dass die Bürgerplattform keine besonderen Chancen hat, die Stimmen der sozial orientierten Wähler zu gewinnen, die von der PiS-Partei enttäuscht sind. Sein eigentliches Ziel ist es, diese Enttäuschung aufrechtzuerhalten und diese Wähler vom Wählen abzuhalten.
Wesentlichere Schwankungen der Wählergunst ließen sich in den letzten Jahren nur zwischen den Oppositionsparteien selbst verzeichnen. Die Rückkehr Tusks in die Landespolitik im letzten Jahr ließ jedoch die alte Hierarchie mit einer dominierenden PO wiedererstehen. So wundert es nicht, dass die Bürgerplattform sich jetzt vorwiegend auf ihre Stärke und Kompetenz beruft. Ihre Führung betont unentwegt, einziges politisches Ziel müsse es sein, schnellstmöglich die desaströse PiS-Regierung zu beenden. Mit diesem Ziel im Sinn müsse die Opposition ihre ideologischen Differenzen zurückstellen und sich unter Tusks Führung vereinen. Die kleineren Parteien verweigern sich dieser Ratio bislang noch, weil sie darin einen Versuch sehen, sie zu gehorsamen Vasallen zu machen. Daher hat Tusk seine Blickrichtung nun ein wenig geändert und versucht des Öfteren, sich über die Köpfe ihrer Führungen hinweg an die Wähler der anderen Oppositionsparteien zu wenden. Er setzt also auf die im Zuge der bevorstehenden Wahlen sich vollziehenden natürlichen Wählerströme, indem er die Bürgerplattform als einzige reale Machtoption innerhalb der Opposition hinstellt.
Zu diesem Zweck streicht er in jüngster Zeit stärker heraus, welche kulturelle Dimension die Auseinandersetzung mit PiS besitze, und spricht sich unmissverständlich für das Recht auf Abtreibung aus. Von jedem Kandidaten der PO solle jetzt geradewegs eine Erklärung zur Unterstützung dieser Politik verlangt werden. Damit ist der langjährige Balanceakt der Bürgerplattform zwischen moralischem Konservatismus und mehr progressiven Sensibilitäten beendet. Das kulturelle Pendel schlägt in Polen immer mehr nach links aus, was nicht zuletzt auf die Pädophilieskandale in der katholischen Kirche und das äußerst restriktive gesetzliche Abtreibungsverbot zurückzuführen ist, das vor zwei Jahren von dem von PiS kontrollierten Verfassungsgericht eingeführt wurde. Diese beiden Fragen sind heute in sehr hohem Grade für die politischen Einstellungen in der jungen Generation bestimmend.
Doch wird Tusks Rechnung aufgehen? Die Bürgerplattform verfügt über eine stabile Wählerschaft, kommt jedoch damit nicht über 27 oder 28 Prozent hinaus. Das ist immer noch weniger, als der Anteil der stark geschwächten PiS-Partei, und dabei ist doch anzunehmen, dass es Kaczyńskis Partei gelingen wird, im Wahlkampf einen gewissen Teil der in der letzten Zeit frustrierten Wählerschaft nochmals zu mobilisieren. Tusk ist bei den Wählern ohne Zweifel stark vorbelastet, seine klare Rhetorik wirkt nur bei ausgesprochenen PO-Anhängern. Die kollektive Erinnerung an seine Regierung bleibt bestenfalls ambivalent. Auch die Tusk seit Jahren verleumdende PiS-Propaganda hat das Ihrige geleistet. Hinzu kommt, dass die Leute von seinen persönlichen Auseinandersetzungen mit Kaczyński, die schon seit 2005 andauern, allmählich genug haben.
Es ist kein Zufall, dass der viel jüngere und in seiner kämpferischen Rhetorik sparsamere Rafał Trzaskowski in puncto persönlicher Beliebtheit den Parteiprinzipal bei weitem aussticht. Nur ist er außerstande, dieses Kapital einzusetzen, weil er für sich nicht den richtigen Platz in der Öffentlichkeit findet. Theoretisch ist er geradezu dazu prädestiniert, einen wirklichen Versuch zu machen, die Opposition zusammenzuführen. Praktisch fehlt ihm dazu das politische Instrumentarium.
Gemeinsam oder jeder für sich
Es ist im Übrigen nicht sicher, ob ein gemeinsamer Oppositionsblock die optimale Lösung für die Wahlen wäre. Die Anhänger dieser Idee meinen nicht zu Unrecht, das von einer ganzen Reihe von Niederlagen zermürbte Anti-PiS-Elektorat bedürfe eines greifbaren Beweises, dass Blatt könne sich nun endlich wenden. Eine vereinigte Opposition böte eine solche Chance. Allein die Aufsummierung der Prozentanteile der Oppositionsparteien sollte diesen bei Umfragen den ersten Platz sichern, was entsprechenden Enthusiasmus in der Öffentlichkeit hervorrufen und helfen sollte, weitere Wähler zu mobilisieren. Auch die geltende Wahlordnung begünstigt die Zusammenschließung der Kräfte. Doch auch die Skeptiker haben einsehbare Argumente. Demnach sei die Oppositionslandschaft zu heterogen, so dass es schwerfallen würde, alle Orientierungen ohne Reibungen auf einer Wahlliste zusammenzuführen. Ein solches ideologisches Patchwork könnte Wähler mit einer bestimmten Gesinnung abschrecken, auch der unpopuläre Tusk sei Ballast, und zudem böte er sich als willkommener Vorwand an, um im Wahlkampf Streitigkeiten im eigenen Lager heraufzubeschwören. Deshalb sei es klüger, im Wahlkampf getrennte Wege zu gehen.
Dies ist vor allem die Haltung von Szymon Hołownias Partei Polska 2050 sowie der Polnischen Volkspartei (des PSL). Diese beiden Parteien arbeiten zusammen und haben bereits ihre Bereitschaft erklärt, ihre Kandidaten in einer gemeinsamen Wahlliste aufzuführen. Etwas im Abseits befindet sich die Linke, die ohne größeren Erfolg ein Bündnis mit der PO einzugehen versucht. Die Zukunft der Linken erscheint allerdings ziemlich unsicher, weil sie über keine Wähler verfügt, die sich uneingeschränkt mit Programm und Führung der Partei identifizieren. Was sicher Donald Tusk in sein Kalkül einbezogen hat, auch wenn er die Bürgerplattform stärker nach links orientiert.
Wie sich die Opposition endgültig aufstellen wird, bleibt jedoch noch abzuwarten. Die aktuelle Kräftekonstellation ermutigt nämlich nicht dazu, Entscheidungen zu überstürzen, die das heikle Gleichgewicht stören könnten. Es wird auch sehr auf die Umfragewerte von PiS ankommen. Wenn diese sich in den nächsten Monaten bedeutend verbessern sollten, was wenig wahrscheinlich ist, werden die Oppositionsführer gezwungen sein, sich zusammenzutun. Aber auch eine klare Schwächung der Rechten würde ähnliche Folgen haben, weil sich dann die Chance böte, eine Mehrheit zu gewinnen, die das Präsidentenveto überstimmen könnte.
Das ist vielleicht die zentrale Frage, weil nach dem möglichen Sieg der Opposition der eigentlich wenig politisch aktive Andrzej Duda zur Schlüsselfigur der Opposition würde. Seit Ausbruch des Ukrainekriegs befreit sich der Präsident immer mutiger von seiner früheren Abhängigkeit von PiS, doch ist immer noch schwer vorherzusagen, wie er auf eine komplette Umkehrung der politischen Konstellation reagieren würde. Sein Verhältnis zu seiner Herkunftspartei ist sehr kompliziert und bei weitem nicht eindeutig, zudem versucht das Staatsoberhaupt seit einiger Zeit mit Polska 2050 und PSL in Verbindung zu treten. Darin sind noch keine Umrisse einer politischen Konzeption zu erkennen, vielleicht geht es ihm einfach nur um weitestmögliche Akzeptanz.
Sicher wird viel von Dudas persönlichen Plänen abhängen; seine Amtszeit endet 2025. Sollte Duda eine Karriere in einer internationalen Organisation anstreben – seine in der letzten Zeit engen Beziehungen zu Washington könnten dabei behilflich sein –, sollte ihn das dazu bewegen, recht offen mit einer neuen Koalitionsregierung zusammenzuarbeiten. Es lässt sich aber nicht ausschließen, dass er sich in den Wettbewerb um die Führung der polnischen Rechten einschalten wird, selbst wenn ihn heute kaum jemand in dieser Rolle sieht. Dann werden die beiden Pole der Exekutive in eine zerstörerische Konfrontation miteinander geraten, und der Weg zum Wiederaufbau der demokratischen Rechtsstaatlichkeit wird unvergleichlich länger und holpriger ausfallen.
Aus dem Polnischen von Andreas R. Hofmann
Dem Autor Rafal Kalukin muss man auf jeden Fall eine klare bzw. verständliche Ausdrucksweise und ein systematisches Herangehen zugute halten.
Ansonsten ist die polnische Politik schwierig. Vor allem wirken auf einen befremdlich das Abtreibungsverbot und damit das Beschneiden des Selbstbestimmungsrechtes der Frauen sowie die deutschfeindlichen Äußerungen. Dabei ist es doch so, dass die Beziehungen zwischen Polen und Deutschland sowohl quantitativ als auch qualitativ eine positive Entwicklung erfahren haben. Auch dank des Wirkens verschiedener gesellschaftlicher Kräfte, wie der Deutsch-Polnischen und Polnisch-Deutschen Gesellschaften.
Ob es einen Linksruck geben wird, dürfte unter anderem von der weiteren ökonomischen Ausgestaltung im Land und darüber hinaus abhängen.