Zum Inhalt springen

 „Für eure und unsre Freiheit“. Europäische Solidarität in Zeiten des Krieges

Der Krieg in der Ukraine hat uns ins Gedächtnis gerufen, dass die Bürgerrevolutionen der Jahre 1989 bis 1991 noch nicht beendet sind. Gegenwärtig beabsichtigt Putin einmal mehr, die Revolution der Menschenrechte aufzuhalten und ihre dynamische Entwicklung zu stoppen. Daneben ist er einer der Initiatoren des neuen nationalistischen Populismus in Europa und den Vereinigten Staaten. Das wichtigste Projekt dieser Strömung ist die Unterwanderung der zivilgesellschaftlichen Solidarität.

Wenn wir Menschen in Europa fragen, womit sie die Idee der Solidarität verbinden, wird ihre Antwort jetzt anders ausfallen als vor dem 24. Februar 2022. Viele werden sicher die Idee der Solidarität mit der kollektiven Unterstützung für die ukrainische Gesellschaft assoziieren, mit einer Nation, die von der Putin-Diktatur mit militärischer Gewalt angegriffen wurde. Zurecht gibt es Stimmen, die den russischen Staat als faschistisch einstufen. Der Krieg in der Ukraine ist die nächste Etappe auf dem Weg zur autoritären Radikalisierung von Putins Russland, zur wachsenden Gewalt, die sich nicht nur gegen die Nachbarn, sondern auch gegen die eigene Gesellschaft richtet. Alle Gegenstimmen werden brutal unterdrückt. Aus heutiger Sicht erkennen wir auch, wie wichtig es für die Vorbereitung der Invasion war, kritische Stimmen gegen die imperialistische und autoritäre Kremlpolitik auszuschalten: Der Mord an Boris Nemzow, die Vergiftung und Inhaftierung Aleksej Nawalnyjs, das Verbot der Organisation „Memorial“ und der Redaktion der „Nowaja Gaseta“. Solidarität ist jetzt eine Idee, die viele Bedürfnisse und Dimensionen der menschlichen Erfahrung widerspiegelt.

Im Mittelpunkt steht natürlich die zwischenmenschliche Solidarität in ihrer ganz konkreten, alltäglichen Dimension – mit Menschen, die wir kennen, Familie, Freunden, Nachbarn. Eine zweite, öffentliche Dimension ist die in Nationalstaaten angesiedelte Solidarität; sie ist gekennzeichnet durch einen gut funktionierenden Staat mit einem politischen System, das Sicherheit, universelle Bildung, ein funktionierendes Gesundheitswesen, soziale Gerechtigkeit, Umweltschutz, Meinungs‑ und Glaubensfreiheit gewährleistet. Daher gibt es auf Ebene des Nationalstaats keine Solidarität ohne pluralistische Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Einhaltung von Minderheitenrechten. Solidarität kann kein Privileg der Mehrheit im Nationalstaat sein. Und Solidarität als Privileg einer bestimmten ethnischen oder religiösen Gruppe oder der Machthaber ist ein gefährliches Versprechen der nationalistischen Populisten.

Europäische Integration als Ausdruck von Solidarität

Solidarität ohne internationale Dimension ist ein defizitäres, schwaches Konzept. Es gibt keinen Frieden auf dem Kontinent und keine guten Entwicklungsbedingungen für die Menschen, es gibt keine Möglichkeit zur Hebung des Wohlstands der europäischen Gesellschaften ohne internationale, europäische Solidarität, ohne eine Form von Solidarität, die sich den Nationalismen und autoritären Konzepten entgegenstellt. Zur europäischen Erfahrung von Solidarität gehört das Bewusstsein, dass Egoismen, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, religiöser Fanatismus, Nationalismus und Autoritarismus stets zu Kriegen geführt haben. Daher war die europäische Integration die Antwort auf zwei Weltkriege, sie war ein Versuch, das Konzept der Solidarität um viele öffentliche Bereiche zu erweitern: von der untersten, lokalen und regionalen Stufe über die Nationalstaaten bis hin zur zwischenstaatlichen Dimension. Die in der europäischen Integration zum Ausdruck gebrachte Solidarität ist der Versuch, eine offene Gesellschaft in allen ihren Dimensionen aufzubauen.

Dieses Konzept hatte im Fortgang von Integration und Zusammenarbeit zwei Konjunkturen und zwei Ursprünge. Die westeuropäische Integration war Ausdruck der Versöhnung Westdeutschlands mit den Franzosen, Italienern, den Beneluxländern und den Briten in den Nachkriegsjahrzehnten. Die Demokratisierung Südeuropas stärkte in den 1970er Jahren die westliche Gemeinschaft demokratischer Staaten. Der Kontinent wurde damals durch die jungen Demokratien der iberischen Halbinsel und Griechenlands konsolidiert, die sich von Militärdiktaturen befreiten. Der zweite Schlüsselmoment der europäischen Integration war die polnische Solidarność-Revolution sowie die übrigen mittel‑ und osteuropäischen Bürgerrevolutionen, die in den Jahren 1989 bis 1991 den Fall des Eisernen Vorhangs und des Warschauer Pakts bewirkten. In diesem Kontext sollten die Revolutionen der in die Sowjetunion eingeschlossenen Nationen nicht übergangen werden, die nicht allein um ihre Unabhängigkeit kämpften, sondern auch um Menschenrechte und die Demokratisierung ihrer Länder.

In nicht weniger als drei Revolutionen – der „Revolution auf Granit“ von 1990, der „Orangenen Revolution“ von 2004 und der „Revolution der Würde“ auf dem Euromajdan 2014 – schlossen sich die Ukrainer in großer Zahl dieser europäischen Tradition der Solidarität an. Die Ukraine wollte vom Start weg dem großen Kreis der demokratischen Nationalstaaten in Europa angehören, der offenen Grenzen und des Widerstands gegen alte und neue Formen von Autoritarismus, sie wollte kein Satellitenstaat Moskaus sein. Die Unabhängigkeit und Demokratisierung der Ukraine ist längst ein Kernelement der Dynamik der europäischen Integration. Daher ist es jetzt unsere, der Europäer Verpflichtung, die Unabhängigkeit der Ukraine zu verteidigen und Solidarität mit unseren demokratischen Schwestern und Brüdern östlich von Polen zu bezeigen.

Die Dynamik der europäischen Integration hat ihre äußeren und inneren Feinde. Die inneren Feinde sind diejenigen politischen Kräfte, die simplizistisch und falsch behaupten, die europäische Integration richte sich gegen die Souveränität der Nationen. Das Integrationsprojekt ist aber etwas völlig anderes; es ist das Werk polnischer, französischer, deutscher Patrioten, die verstanden haben, dass Nationalstaaten zu schwach sind, um sich den globalen Herausforderungen zu stellen. Die europäische Integration ist der sehr schwierige Versuch, ein Gleichgewicht zwischen größtmöglicher nationaler Souveränität und gemeinsamen europäischen Kompetenzen aufrechtzuerhalten, um die positive Entwicklungsdynamik der Nationen und des Kontinents zu stärken. Niemand in Frankreich noch in Deutschland beabsichtigt die Abschaffung der Nationalstaaten, und dennoch waren diese beiden Länder Motoren einer intensiveren internationalen Zusammenarbeit.

Frankreich verlor nach dem Krieg sein Kolonialreich. Doch dank der Integration wahrte es seinen Einfluss auf die europäische und globale Politik. Deutschland hätte sich nicht wiedervereinigen und dafür Unterstützung gewinnen können ohne europäische Integration. Die Europäische Union dient gleichsam der Kontrolle des vereinigten Deutschlands, gewährleistet ihm andererseits aber die Mehrung seines Wohlstands und politischen Einflusses. Die Vereinigung Deutschland innerhalb eines sich vereinenden Europa war auch eine Vision der polnischen demokratischen Opposition der 1980er Jahre. Diese Vision zur Lösung der deutschen Frage sollte darüber hinaus eine geopolitische Revolution auslösen, die Polen den Weg zur Rückkehr in den Westen öffnen würde. Daher verdanken auch wir Polen unsere volle Souveränität und die Konsolidierung unseres Nationalstaats der europäischen Integration, was uns gerade jetzt vor Augen geführt wird: Als neutraler Staat befänden wir uns wie die Ukraine im direkten Einflussbereich der neoimperialen Politik Moskaus.

Demokratie als größte Bedrohung für Autokraten

Wir sehen aktuell überdeutlich, dass Putin nicht nur davor zurückschreckt, eine NATO-Grenze zu überschreiten, auch wenn er dies immer noch tun mag, indem er einen Konflikt mit den baltischen Ländern heraufbeschwört, sondern es besteht auch eine mentale Blockade zur Überschreitung der Grenzen der Europäischen Union. Nicht nur die Verteidigung des Gebiets der Nationalstaaten stellt heute eine sicherheitspolitische Herausforderung dar. Das demokratische Europa muss eine ökonomisch und technologisch starke Gemeinschaft sein, um sich China und anderen technologisch innovativen, autoritären Staaten entgegenstellen zu können. Nur eine starke Europäische Union kann den Europäern Schutz vor dem chinesischen Imperialismus bieten, der die russische Invasion der Ukraine unterstützt und in Asien und Afrika alle demokratischen Entwicklungen bekämpft, indem er Modernisierung nach autoritärem Muster unterstützt.

Das Konzept einer Europäischen Union als globaler Kraft gegen den Autoritarismus sollte in polnischen sicherheitspolitischen Konzeptionen stärker zur Kenntnis genommen werden. Selbst eine starke NATO reicht auf sich gestellt dazu nicht aus. Die demokratischen Staaten Europas und der NATO sollten ihre politischen Konzeptionen neuerlich in wirtschaftlicher und technologischer Hinsicht überdenken. Wir müssen unsere technologische Entwicklung von China unabhängig machen. Wir haben mit China wie mit Russland genau denselben Fehler begangen: Wir glaubten, wir seien starke Partner und diese Staaten würden als Lieferanten von Rohstoffen und Technologie zur Entwicklung unseres Wohlstands und in gewissem Sinne gar zu unserer Sicherheit beitragen. Das war eine Illusion.

Den Begriff der Solidarität als Konzept zum Schutz der universellen Menschenrechte, unserer Staatengemeinschaft und der demokratischen Gesellschaften sollten wir auch daraufhin orientieren, den Einfluss Chinas zu begrenzen. Dies sollte sich in praktischer Solidarität mit der Bürgerrechtsbewegung in Hongkong zeigen und in Solidarität mit Taiwan, dem von uns nicht anerkannten, demokratischen chinesischen Staat.

Die Demokratisierung Mittel‑ und Osteuropas Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre fiel zusammen mit einer Welle der Demokratisierung in Nordafrika, Mittel‑ und Südamerika, Südkorea und Taiwan. Diese Vorgänge standen in einem Zusammenhang. Im Frühjahr 1989 waren wir Zeugen einer friedlichen Revolution in China, die am 4. Juni 1989 leider von der kommunistischen Partei blutig niedergeschlagen wurde, am selben Tag, an dem die Solidarność in Polen die Wahlen gewann. Der Umbruch in China wurde 1989 aufgehalten, doch seine Ideen sind zentral für die Politik Hongkongs, Taiwans und anderer asiatischer Länder.

Wenn wir uns auf Solidarität beziehen, müssen wir uns viele aufeinander reagierende Ebenen vorstellen, denn es gibt keine eindimensionale Solidarität. Wenn wir von Polen und seinem Bestand als funktionsfähigem Staat sprechen, beziehen wir uns zugleich auf die Ebenen von Lokal‑ und Regionalverwaltung, Nationalstaat und Europa. Solidarität muss eine lebendige Idee sein, die unser Leben in jeder Hinsicht bestimmt. So wie 1980 die Solidarność-Revolution die Erneuerung jedes funktionalen Bereichs der Gesellschaft bedeutete, ob nun auf Ebene der lokalen Selbstverwaltung oder im Hinblick auf die Herausforderungen, denen sich die polnische Nation zu stellen hatte.

Gesellschaftliche Grundlagen von Solidarität

Der Krieg in der Ukraine hat das Bewusstsein für die europäische Dimension von Solidarität bestärkt. Wir stehen vor der Herausforderung, eine Antwort auf die Frage zu finden, ob wir es schaffen werden, die sich heute in vielen europäischen Gesellschaften zeigende Solidarität in eine gezielte Politik für ganz Osteuropa umzuwandeln, insbesondere für die Länder außerhalb der Europäischen Union. Es geht dabei nicht allein um die Ukraine, sondern auch um die Zukunft von Belarus und die Integration der Kaukasus‑ und Balkanländer. Weiters stellt sich die Frage, wie lange wir unsere wohlwollende Einstellung zur ukrainischen Nation aufrechterhalten. Ich fürchte, viele Europäer werden sich an den Krieg gewöhnen, ihre Sensibilität und Empathie verlieren und ihre Aufmerksamkeit von den ukrainischen Kriegsopfern abwenden wollen.

Vielleicht irre ich mich. Der den Ukrainern von Russland aufgezwungene brutale Krieg hat auf russischer Seite eine Gewaltspirale in Bewegung gesetzt, der tagtäglich Zivilisten unsäglichen Verbrechen zum Opfer fallen. Diese Verbrechen lenken die Aufmerksamkeit der westlichen Öffentlichkeit auf den Krieg und bestärken unsere Solidarität mit den Ukrainern. Emotionen sind wichtig für Politik und praktizierte Solidarität. Es ist aber auch wichtig, dass damit kulturelle Kompetenz einhergeht, ein Wissen über die Ukraine, Belarus und die russische Imperialgeschichte. Das Wissen zu Mittel‑ und Osteuropa ist mangelhaft und eine in der europäischen Kultur zu schließende, klaffende Lücke.

Uns steht eine sehr lange Phase der Aufklärung auf diesem Gebiet bevor. Diese ist nötig, um sich dem brutalen Neokolonialismus Moskaus entgegenstellen zu können. Erst das macht es möglich, auch in diesem Teil Europas eine dauerhafte demokratische Friedensordnung aufzubauen. Wir sind verpflichtet, mehr zu tun als bisher. Wir müssen nicht nur Waffen in die Ukraine schicken, sondern auch Flüchtlingen helfen und sie aufnehmen. Wir müssen bereits jetzt über einen Wiederaufbauplan und dessen Finanzierung nachdenken, und wir müssen einen ganz Europa umfassenden Plan zur kulturellen und politischen Bildung entwickeln, die uns aus der Gewalt der alten Imperialismen befreien wird.

Das neue Europa wird unerschütterlich solidarisch sein, wenn seine Bürgerinnen und Bürger so viel wie nur möglich übereinander wissen. Bedenken wir, dass alle historischen Umbrüche einhergingen mit kultureller Kompetenz, mit der Erweiterung von Wissenshorizonten; es hätte nach dem Ersten Weltkrieg kein unabhängiges Polen gegeben ohne das Bewusstsein, Polen sei eine gewichtige europäische Nation, nicht nur eine Sprache, sondern eine Nationalkultur und eine politische Geschichte, zu der untrennbar das Verlangen nach Freiheit und Unabhängigkeit von den Imperien gehörten. Den US-Amerikanern, unter ihnen Präsident Wilson, ging es nicht nur um den Wiederaufbau des polnischen Staats nach dem Ersten Weltkrieg. Ihr Ziel war es, einen modernen Staat zu errichten, der nicht nur ein Gegenmodell gegen das zaristische und dann bolschewistische Russland sein sollte, sondern auch gegen das autoritärstaatliche Deutschland und Österreich-Ungarn. Ein demokratisches Polen sollte zudem ein wichtiger Bestandteil der demokratischen Nachkriegsordnung Europas sein. Die Rückkehr Polens auf die europäische Karte war nach 1918 dank internationaler Fürsprecher möglich, die die Geschichte Mitteleuropas verstanden. 1989 verhielt es sich ähnlich; die Befreiung Polens aus dem imperialen Einflussbereich Moskaus hing ab von der Unterstützung durch die politische Führung der Vereinigten Staaten, Großbritanniens, Frankreichs, Italiens und Deutschlands, die die Polen, ihre Kultur und Philosophie als zur Geschichte des demokratischen Europas gehörig sahen.

Kultur und Wissen sind neben Stimmungslagen wichtig, um ein bürgerschaftliches Bewusstsein zu schaffen. Damit das Konzept der Solidarität Durchsetzungskraft besitzt, muss es in systemische Lösungen umgesetzt werden. Es wird seinen Höhepunkt erreichen, wenn Europa eine Kraftanstrengung zum Wiederaufbau der Ukraine leistet. Wir wissen jetzt schon, dass die Zerstörungen von existenzgefährdender Art sind, daher werden zurecht Forderungen nach einem neuen Marshallplan laut. Wir sollten uns erinnern: Der Marshallplan nach dem Zweiten Weltkrieg ging aus einer auf die Gesamtregion, nicht auf einen einzelnen Staat ausgerichteten Politik hervor. So wird auch Hilfe nur für die Ukraine nicht ausreichen. Wir brauchen politische Konzepte für die Gesamtregion, dafür, wie es mit Belarus weitergehen soll, aber beispielsweise auch mit Moldawien, das dank seiner Solidarität mit der Ukraine viel Anerkennung in der Weltöffentlichkeit gefunden hat.

Für unsre und eure Freiheit

Der Krieg in der Ukraine hat uns ins Gedächtnis gerufen, dass die Bürgerrevolutionen der Jahre 1989 bis 1991 noch nicht beendet sind. Diktator Putin ist ein politischer Akteur, dessen Biographie zeigt, wie sehr diese Ereignisse miteinander zusammenhängen. In den 1980er Jahre diente Putin als KGB-Offizier in der DDR in Dresden, und er war damit befasst, aktive Maßnahmen gegen die Bürgerrevolution zu betreiben. Sein Chef, General Krjutschkow, leitete 1991 den autoritären Putsch gegen Gorbatschow ein. Krjutschkow und sein Untergebener Putin gehörten zu denen, die die europäischen Bürgerrevolutionen und darüber hinaus die Transformation der Sowjetunion in einen Raum demokratischer Staaten aufhalten wollten. Gegenwärtig beabsichtigt Putin in Erkenntnis der begrenzten Zeit, die ihm selbst noch zur Verfügung steht, einmal mehr, die Revolution der Menschenrechte aufzuhalten und ihre dynamische Entwicklung zu stoppen. Dies tat er schon früher in vielen Ländern und an vielen Orten, ob nun in der Russischen Föderation oder beim Überfall auf Georgien 2008 sowie auf die Krim und die Ostukraine 2014. Daneben ist er einer der Initiatoren des neuen nationalistischen, antisolidarischen Populismus in Europa und den Vereinigten Staaten.

Das wichtigste Projekt des neuen Populismus ist die Unterminierung der Solidarität der Zivilgesellschaften, ob nun innerhalb der NATO oder der Europäischen Union. Hier investiert Putin in alle wichtigen Anti-EU-Parteien. Der Maastricht-Vertrag von 1992 legte die Grundlagen für die Vertiefung der Union, für die Einführung einer Gemeinschaftswährung und die Erweiterung der EU nach Osten. Putin unterstützt die nationalistischen Populisten innerhalb der EU und bekämpft so nicht nur die europäische Solidarität, sondern auch die positiven Folgewirkungen der Bürgerrevolutionen von 1989.

Putin hat uns ins Gedächtnis gerufen, dass die Revolutionen der Jahre 1989 bis 1991 noch nicht beendet sind. Die heutige Generation junger Europäer, geboren nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, muss sich damit auseinandersetzen, ein Erbe zu verteidigen, das auf die Zeit vor ihrer Geburt zurückgeht. Idee und Erfahrung der Solidaritätsrevolution und anderer Bürgerrevolutionen sind sehr einfach: Ohne Demokratie gibt es keinen allgemeinen Wohlstand, gibt es keine wirtschaftliche und technologische Entwicklung, gibt es keine Sicherheit und kein ökologisches Gleichgewicht. Nur ein durchweg demokratischer Staat und eine offene Gesellschaft fördern Umweltschutz und wirtschaftlichen Wohlstand, der nicht nur das Privileg einer oligarchischen Gruppe ist. Dies alles richtet sich gegen jegliche Tyranneien, wie Putins Russland, aber auch Orbáns Ungarn mit seinem Einparteienmonopol.

Im August dieses Jahrs erhielt das Danziger Europäische Solidarność-Zentrum Besuch von Mark Brzezinski, dem neuen US-Botschafter in Polen. Brzezinski ist der Sohn von Professor Zbigniew Brzeziński, des 2017 verstorbenen ehemaligen Nationalen Sicherheitsberaters von US-Präsident Jimmy Carter. Professor Brzeziński ist in Polen eine Legende. Er wird verehrt für seine Politik der Unterstützung der Bürgerrechtsbewegung im Sowjetblock und ist einer der Helden der Dauerausstellung des Danziger Zentrums. Der Besuch seines Sohnes, des neuen US-Botschafters, im Europäischen Solidarność-Zentrum war daher von großer Symbolik. Zum Abschluss des Besuchs der Dauerausstellung hinterließ Botschafter Brzeziński im Gästebuch des Zentrums einen Gedanken, der auf die besten Traditionen des internationalen Freiheitskampfes zurückgeht: „Für unsre und eure Freiheit“ [seit dem Novemberaufstand 1830/31 von der polnischen Nationalbewegung verwendete Parole; A.d.Ü.].

Es gibt keine polnische, amerikanische, französische, deutsche oder ukrainische Unabhängigkeit, wenn sie nicht Bestandteil der Gemeinschaft demokratischer Nationen ist.

 

Aus dem Polnischen von Andreas R. Hofmann

Schlagwörter:
Basil Kerski

Basil Kerski

Basil Kerski ist Direktor des Europäischen Solidarność-Zentrums in Danzig, Chefredakteur des zweisprachigen Deutsch-Polnischen Magazins DIALOG und Vorstandsmitglied des polnischen PEN-Clubs. Er lebt in Danzig und Berlin.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Symbol News-Alert

Bleiben Sie informiert!

Mit dem kostenlosen Bestellen unseres Newsletters willigen Sie in unsere Datenschutzerklärung ein. Sie können sich jederzeit austragen.