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Sanktionen fordern Ausdauer

Die demokratischen Regierungen müssen den Bürgern erklären, worum es im Krieg Russlands gegen die Ukraine geht, so der Ökonom Robert Kirchner.

 

Aureliusz M. Pędziwol: Wie wirkungsvoll sind Sanktionen als außenpolitisches Instrument wirklich?

Robert Kirchner: Die Erfahrungen damit sind sehr unterschiedlich. Einige Sanktionen haben gewirkt, andere weniger. Was Russlands Angriff auf die Ukraine betrifft, so sind acht Monate zu wenig, um die Frage eindeutig beantworten zu können. Die Sanktionen haben ihr vorrangiges Ziel nicht erreicht: Russland hat den Krieg nicht abgebrochen und sich nicht zurückgezogen. Andererseits haben Russland und Belarus, dass ebenfalls Sanktionen unterliegt, schwere wirtschaftliche Verluste erlitten. Das lässt sich trotz gegenteiliger russischer Äußerungen leicht erkennen.

Allerdings müssen wir ausdauernd sein und so handeln, dass die Menschen den Sanktionskurs auch gutheißen. Hierbei stehen wir natürlich vor Herausforderungen wie den steigenden Energiekosten. Die Politik muss dafür sorgen, den Leuten verständlich zu machen, worum es eigentlich geht, und ihnen helfen, mit den Erschwernissen fertigzuwerden. Als wohlhabende Länder des Westens haben wir dazu die Mittel.

Welche Sanktionen sind am wirksamsten?

Für Russland sind die Einnahmen aus Erdöl und Erdgas ein wichtiger Teil seines Zuflusses an Fremdwährung. Hier gilt es zuzuschlagen, was teils bereits geschehen ist. Das darf aber nicht so geschehen, dass man keine Kontrolle über die Preisentwicklung hat, denn sonst schießen die Preise durch die Decke.

…und das mit Sanktionen belegte Russland verdient viel mehr als zuvor.

Das war natürlich nicht die Absicht. Deshalb wird die meines Erachtens verspätete Ankündigung der G7, einen Preisdeckel für russisches Erdöl einzuführen, ein sehr wichtiges Instrument sein, um Russland daran zu hindern, wie in den vergangenen Wochen und Monaten Vorteile aus der Preisentwicklung zu ziehen.

Ist das machbar?

Ich denke ja. Viele Ökonomen schlugen solche Instrumente bereits im März vor, als der Krieg gerade angefangen hatte. Die Politik hat das lange entweder ganz ignoriert oder dem kaum Beachtung geschenkt. Als Wirtschaftswissenschaftler bin ich kaum imstande einzuschätzen, inwieweit dabei juristische Rücksichten eine Rolle spielten. Aber im Grundsatz bin ich der Meinung, dass es sich um eine erprobte Methode handelt, auf die Einnahmen einzuwirken.

Welchen Sinn haben beispielsweise die SWIFT-Sanktionen, wenn einige russische Banken davon ausgenommen sind?

Ich sprach bislang über Handelssanktionen, aber selbstverständlich gibt es verschiedene Arten von Sanktionen: finanzielle, gegen Einzelpersonen gerichtete oder auch die Einfrierung der Aktiva der russischen Zentralbank im Westen, die Russland völlig überrascht hat.

Finanzsanktionen richten sich gegen die Banken. Im übrigen aber nicht nur gegen diese. Westliche Banken sind auch sehr viel vorsichtiger geworden, mit denjenigen russischen Banken Geschäfte zu machen, die nicht sanktioniert werden, weil sie fürchten, dies könne ihnen eines Tages schaden. Durch Sanktionen entsteht Unsicherheit, ein sogenanntes Compliance-Risiko [d.h. die Befürchtung, gegen bestehende nationale und internationale Vorschriften wie auch ethisch-moralische Grundsätze zu verstoßen; Anm. Pędziwol], was die Effekte von Sanktionen verstärken kann.

Mit Handelssanktionen verhält es sich ähnlich. Es gibt davon nicht erfasste Güter, trotzdem werden diese wegen der Befürchtung nicht mehr geliefert, sie könnten später noch einbezogen werden. Oder wegen des Risikos einer falschen Auslegung der Bestimmungen. Oder die Finanzierung ist so schwierig geworden, dass es schlicht nicht mehr möglich ist, mit diesen Gütern zu handeln. All das verstärkt den Effekt von Sanktionen.

Wir sehen, dass die russische Wirtschaft tatsächlich bereits erkennbar unter den Sanktionen leidet. Dass die Russen bestimmte Daten nicht länger veröffentlichen, ist für mich ein unverkennbares Signal, dass sie etwas verbergen wollen, was nicht so günstig für sie aussieht.

Da Russland jetzt viel mehr als vor den Sanktionen verdient, kann es mit diesem Geld denn auch etwas anfangen?

Doch schon. Die Russen können frei über das Geld verfügen, das wir ihnen leider immer noch zahlen. Diese Mittel sind nicht eingefroren. Aber das gilt nur für den Augenblick, weil am 5. Dezember das EU-Embargo auf russisches Öl in Kraft tritt. Danach kann Russland sein Öl nicht mehr verkaufen, unabhängig vom Preis, zumindest nicht im Westen. Natürlich können die Russen es umleiten, was sie übrigens bereits tun. Doch China zahlt nicht so viel wie die EU. Es ist kein Zufall, dass der russische Öl‑ und Gasexport großenteils in die EU geht. Das Öl lässt sich also umleiten, aber Hauptabnehmer wird China sein. Wir können uns ungefähr vorstellen, wie dann die Preisentwicklung aussehen wird.

Es gibt doch noch Indien.

Ja, Indien gibt es auch noch, aber Indien wird auch sehr hartnäckig verhandeln.

Mit dem Gas ist es dann nicht ganz so leicht, denn dafür werden Pipelines gebraucht, und die kosten. Und am Ende der Röhre ist dann nur ein einziger Kunde. Viel Spaß also bei den Verhandlungen mit den Chinesen. Wir können uns an fünf Fingern ausrechnen, dass sich das für Russland nicht sonderlich bezahlt machen wird. Immer noch besser als gar nicht, besser als das Gas abzufackeln, was die Russen jetzt schon tun. Aber insgesamt wird das die Einnahmen nicht ersetzen können, die sie aus dem Export nach Europa beziehen.

Wie wichtig sind die Sanktionen gegen Politiker und Oligarchen?

Was mich betrifft, bin ich a) kein Politologe, und b) habe ich von außen kaum einen Einblick, wie das russische politische System funktioniert. Nach allem, was zu hören ist, spielen einige Oligarchen eine wichtige politische Rolle. Schließlich sind das einflussreiche Leute, die viel zu verlieren haben. Deshalb besteht die Hoffnung, dass sie versuchen werden, die russische politische Führung in eine andere Richtung zu bewegen. Es bleibt abzuwarten, inwieweit diese Maßnahmen erfolgreich sein werden.

Aber wir müssen ausdauernd sein. Ich glaube, es war möglicherweise falsch, was wir am Anfang gemacht haben. Der Westen schritt sehr schnell und solidarisch zu Sanktionen. Im Laufe weniger Wochen. Man ging davon aus, die russische Wirtschaft würde zusammenbrechen und wir würden rasch Ergebnisse sehen. Das ist aber noch nicht eingetreten. Anfangs waren die Leute ein bisschen zu euphorisch, und jetzt sind sie umgekehrt irgendwie allzu enttäuscht, weil die Ergebnisse nicht so sind wie erwartet. Umgekehrt haben wir jetzt unsere eigenen Probleme wegen des bevorstehenden Winters, die wir hier und jetzt lösen müssen.

Mit anderen Worten – die Sanktionen fallen auf uns selbst zurück?

Sanktionen haben für beide Seiten immer negative Folgen. Eine Sanktion funktioniert immer so, dass ich Schaden zufüge, aber auch bereit bin, den Schaden hinzunehmen, den ich selbst erleide.

Dies ist eben so zu tun, dass dem Gegner der größtmögliche Schaden entsteht, während man selbst so wenige Nachteile hinnehmen muss wie möglich. Einige Bevölkerungsgruppen leiden unvermeidlich unter den Folgen und benötigen Unterstützung, damit sie diese Politik dennoch unterstützen.

Meiner Auffassung nach besitzen wir dazu die Mittel. Wir können diesen Kurs fortsetzen, was übrigens nur auf kurze Zeit geschehen wird. Diesen Winter, vielleicht noch den folgenden, und danach werden wir uns von der Abhängigkeit von russischem Gas befreit haben. Russland wird uns dann nicht mehr erpressen können. Osteuropa hat uns das vorgeführt. Die baltischen Länder sind in dieser Hinsicht viel entspannter als Deutschland und andere Staaten, die sich von russischem Gas abhängig gemacht haben und jetzt gegensteuern müssen.

Die Europäische Union hat sieben Sanktionspakete gegen Russland verabschiedet. Großbritannien, Kanada, die Vereinigten Staaten haben ebenfalls Sanktionen verhängt. Was lässt sich dem noch hinzufügen?

Ich finde wichtig, die Gesetzeslücken zu schließen, weil wir immer wieder Versuche beobachten, die Einschränkungen zu umgehen.

Wie die Umregistrierung russischer Firmen in Kasachstan?

Es gibt viele derartige Vorgänge auf allen möglichen Ebenen. Wir müssen dem entgegenwirken, damit die Sanktionen real wirksam bleiben. Eine andere Maßnahme wären Preisdeckel, womit eine Methode zu finden wäre, Russlands Einnahmen zu drücken. Natürlich kann Moskau dann sagen, es werde nichts mehr liefern. Damit würden sie sich selbst erheblichen ökonomischen Schaden zufügen. Putin ist aber ganz offenkundig dazu bereit. Anders lässt sich meiner Meinung nach seine Politik seit der Annexion der Krim nicht verstehen.

Es handelt sich also nicht um eine Maßnahme ohne Risiko, doch ist sie erfolgversprechend, solange wir uns wirklich in Geduld fassen. Wenn es uns gelingt, einen Konsens der Bevölkerungen in den dreißig wirklich demokratischen Ländern der Erde herzustellen, der dafür sorgt, diese Politik weiterhin zu unterstützen. Das ist für mich das Allerwichtigste.

Ich möchte hier an die Petition des deutschen Handwerks erinnern, deren Unterzeichner die Beendung der Sanktionen fordern.

So wird es überall sein. Wir dürfen uns da nichts vormachen. Wir können zusammenzählen, wie häufig in einem dieser dreißig demokratischen Länder Wahlen stattfinden.

In Deutschland wurden Demonstrationen angekündigt, doch glücklicherweise fielen sie nicht so groß aus wie befürchtet. Dabei spielte eine gewisse Rolle, dass die Bundesregierung schnell mit dem dritten Entlastungspaket in Höhe von 65 Milliarden Euro reagierte. Die Leute erkannten, dass die Politik sie ernstnahm und sie Geld in der Tasche haben würden. Aber Deutschland kann sich das leisten. Wie ich schon sagte, meinen die Ökonomen außerdem, es werde nicht ewig so weitergehen. Wir müssen einfachen begreifen, dass sich der Angriff auch gegen uns richtet und wir darauf reagieren müssen.

Wie lange werden die Menschen in Deutschland oder überhaupt in Europa akzeptieren, dass das seinen Preis hat?

Eine gute Frage, da bin ich selbst gespannt. Ich denke, es ist wichtig, wie die Regierungen das vermitteln. Sie müssen ihren Bürgern erklären, dass wir mit den Sanktionen Schlimmeres verhindern wollen, was eintreten kann, wenn die Aggression Erfolg hat. Denn dann können wir uns überlegen, wer als nächster an der Reihe sein wird. Nicht nur in Europa. Es gibt vergleichbare Fälle andernorts in der Welt, wo Diktatoren sich ermutigt fühlen könnten, wenn sie erst sehen, dass jemand mit einer solchen Aggression ungestraft davonkommt. Die Regierungen müssen unablässig den Menschen erklären, was auf dem Spiel steht. Dann besteht meines Erachtens eine gute Chance, dass die meisten, wenn auch nicht alle, aber es müssen auch nicht alle sein, diesen Kurs solang wie notwendig unterstützen werden.


Robert Kirchner ist Volkswirtschaftler und arbeitet bei Berlin Economics, einem Consultingunternehmen, das in der Ukraine, Moldawien, Georgien, Armenien, Zentralasien (insbesondere Usbekistan) sowie im Kosovo als Wirtschaftsberater tätig ist. Sein bekanntestes Projekt ist das German Academy Team; dieses berät im Auftrag der Bundesregierung sieben Länder in Osteuropa, Zentralasien und auf dem Westbalkan in wirtschaftspolitischen Fragen.


AAureliusz M. Pędziwol Autor bei DIALOG FORUMureliusz M. Pędziwol, Journalist, arbeitet mit der polnischen Redaktion der Deutschen Welle zusammen. Er war 20 Jahre lang Korrespondent des Wiener WirtschaftsBlattes und für zahlreiche andere Medien tätig, darunter für die polnischen Redaktionen des BBC und RFI.

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