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Russische Propaganda in AfD und Linkspartei: ein Vergleich

Russische Propaganda spielt derzeit im deutschen Parteiensystem nur an den Rändern eine Rolle. Hier sprechen laute, protestfreudige Minderheiten. Trotz der merklichen wirtschaftlichen Folgen im eigenen Land befürwortet die überwiegende Mehrheit der Deutschen die Sanktionspolitik gegen Russland. Im Oktober zeigten die Zahlen des „Deutschlandtrends“ von Infratest Dimap, dass die Sanktionen für nur 24 Prozent der Befragten „zu weit“ gehen. 31 Prozent hielten sie für angemessen und 36 Prozent plädierten sogar für eine Verstärkung der Maßnahmen. Die demokratischen Parteien diskutieren eher über den Umgang mit den Folgen der Energieknappheit als über die grundsätzliche Aufrechterhaltung der Sanktionen gegen den russischen Terrorstaat. In Anbetracht eines durchaus beachtlichen Demonstrationsgeschehens, einer sich abzeichnenden Energiekrise und möglicher politischer Dynamiken ist es dennoch von Interesse, die russlandfreundliche Rhetorik am linken und rechten Rand des Spektrums in den Blick zu nehmen. Hier tun sich neben der verschwörungstheoretischen Kleinpartei „Die Basis“ insbesondere die AfD und Teile der Linkspartei hervor. Wie lauten deren „Argumente“ bzw. Parolen? Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede sind diesbezüglich zu verzeichnen? Wie geschlossen sind die Reihen in beiden Parteien? Eine nähere Betrachtung zeigt, dass die gezielte Desinformation und Diktaturpropaganda nicht nur auf deutschen Straßen, sondern auch in deutschen Parlamenten um Diskurshoheit kämpft.

Die Linkspartei zwischen Wagenknechts Schuldumkehr und Ramelows Realpolitik

Kurz nach dem Angriff auf die Ukraine gab sich die Partei „Die Linke“ selbstkritisch. In der Bundestagsdebatte am 27. Februar 2022 gab die Co-Fraktionsvorsitzende Amira Mohamed Ali zu Protokoll, dass der Angriff „durch nichts zu relativieren“ und „durch nichts zu rechtfertigen“ sei. Man habe „die Absichten der russischen Regierung falsch eingeschätzt“. Putins „Großmachtphantasien dürfen nicht Realität werden“, so Mohamed Ali. Im Plenum applaudierte dazu auch Sahra Wagenknecht, die prominenteste und dennoch amtlose Politikerin der Partei. Der Burgfrieden hielt jedoch nur kurz, denn Wagenknecht verfolgt in der Linkspartei seit jeher eine eigene Agenda, die im Sinne der Theoretikerin Chantal Mouffe auf eine radikale populistische Infragestellung des liberaldemokratischen Systems hinausläuft. Dabei macht das Wagenknecht-Lager auch vor Querfrontanleihen bei Themen der radikalen Rechten nicht halt. Beliebt ist etwa der Verweis auf angebliche Sprechverbote durch eine sich vermeintlich als woke gerierende und abgehobene politisch-mediale Elite. Das populistische Lamento von der „Tyrannei der Minderheit“ garantiert Talkshowauftritte en masse, womit die Diagnose von der quasidiktatorischen Cancel-Culture gleichsam widerlegt wäre.

Bereits in einer „gemeinsamen Erklärung“, ebenfalls vom 27. Februar 2022, betrieb das Wagenknecht-Lager in der Bundestagsfraktion der Linkspartei genau jene Relativierung, die Mohamed Ali am selben Tag eigentlich ausgeschlossen hatte. Zusammen mit sechs anderen Abgeordneten konstatierte Wagenknecht, die Politik des Westens trage „maßgebliche Mitverantwortung“ für „die entstandene Situation“. Putins absurdes Notwehrnarrativ wird so genährt.

Am 08. September 2022 hatten sich die Rollen dann endgültig getauscht. Sahra Wagenknecht sprach für die Linkspartei im Bundestag und ihre Fraktion applaudierte – inklusive der beiden Vorsitzenden Dietmar Bartsch und Mohamed Ali. Wagenknecht warf der Regierung vor, „einen beispiellosen Wirtschaftskrieg gegen unseren wichtigsten Energielieferanten vom Zaun zu brechen“. Diese Rhetorik der Schuldumkehr verfehlte ihre Wirkung nicht. Während sich Abgeordnete der Ampel-Koalition echauffierten („Radio Moskau“, „Putins langer Arm!“), vermerkt das Plenarprotokoll „Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der AfD“. Die aus den Reihen der Linkspartei zu vernehmende Argumentation lautet, dass es Putin bei seinem Angriff auf die Ukraine um „Sicherheitsinteressen“ gehe, die zwar mit völkerrechtswidrigen Mitteln durchgesetzt würden, aber eben zuvor auch verletzt worden seien durch die NATO und die EU. Auch Gregor Gysi, der außenpolitische Sprecher der Fraktion und offiziell ein Wagenknecht-Kritiker, argumentiert genauso – etwa im Gespräch mit der Deutschen Welle am 20.09.2022. Um dem Vorwurf der Relativierung a priori entgegenzutreten spricht Wagenknecht im Bundestag vom „Krieg in der Ukraine“ als „Verbrechen“. Gysi wiederum distanziert sich vom „Putin-Regime“. Auch Wagenknechts Wirtschaftskrieg-Rede im Bundestag wird später von Abgeordneten kritisiert, die aber zuvor noch klatschten, z.B. von Dietmar Bartsch. Dieses Undurchsichtige Hin und Her gehört bei der Linkspartei zum Programm, sehr zum Ärger ihres realpolitisch agierenden Thüringer Ministerpräsidenten Bodo Ramelow, der genau weiß, welche Diskurse den eigenen Ruf nachhaltig schädigen und dem putinaffinen Rechtsradikalismus der AfD in die Hände spielen.

Soweit die Gemengelage unter den exponierten Akteuren der Linkspartei. In der zweiten Reihe sind darüber hinaus Personen aktiv, deren Ablehnung von USA und NATO zu einer nicht nur angedeuteten Schuldumkehr führt. Zu nennen wäre etwa die Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen. Bei einer Demonstration im September 2022 führt sie aus, die Minister Annalena Baerbock und Robert Habeck von Bündnis 90/Die Grünen seien „der richtige Aggressor“. Der Abgeordnete Andrej Hunko vertritt ebenfalls Positionen der russischen Propaganda, etwa wenn er die völkerrechtswidrige Einverleibung der Krim durch Russland im Jahr 2014 als „sogenannte Annexion“ bezeichnet (Rede beim Antikriegstag in Bremen am 01.09.2022). Immer wieder ist in diesem Umfeld die Rede von der „Vorgeschichte“ des Krieges. Hunko schreibt im Vorwort zum aktuellen Buch des Russland-treuen Journalisten Ulrich Heyden, dass der Krieg „nicht im Februar 2022“ begonnen habe, sondern 2014 von Seiten der neuen ukrainischen Regierung begonnen wurde. Heyden arbeitet für den Kreml-Sender RT. Mitglieder der linken Bundestagsfraktion fungieren somit als Teil der russischen Desinformationskampagne. Auf Nachfrage eines Radiomoderators weigert sich Dagdelen, Putin einen Kriegsverbrecher zu nennen. Die NATO ziele „auf Raumgewinn“ (Deutschlandfunk, 01.07.2022).

Geschlossene Reihen: Die AfD als Putins Partei in Deutschland

Ähnliche Argumentationsweisen sind auch in der AfD zu vernehmen, allerdings mit dem Unterschied, dass eine dezidierte parteiinterne Kritik russischer Propaganda nicht vernehmbar ist. Die russlandfreundliche Position wird in der AfD nicht hörbar hinterfragt, sondern gehört im Gegenteil zum Markenkern. Der zweite Unterschied zur Linkspartei besteht darin, dass der vehemente Antiamerikanismus um eine Orientierung am russischen Ordnungsmodell angereichert wird. Dafür steht vor allem der einflussreiche Thüringer Parteichef Björn Höcke, dessen rechtsextremer Kurs die Partei dominiert.

In der Bundestagsdebatte am 27. Februar 2022 gab Alice Weidel, die Co-Parteichefin der AfD, die Richtung vor. Sie verwies auf „Sicherheitsinteressen aller“, die zu berücksichtigen seien. Der Westen habe „überheblich Russland den Großmachtstatus abgesprochen“. Diese vermeintliche „Kränkung Russlands“ stellte Weidel als Kriegsursache dar. Der zweite Parteichef, Tino Chrupalla, verwies an derselben Stelle darauf, „dass die Konfliktursachen mindestens acht Jahre zurückliegen und komplex sind“. Es dürfe „nicht unser Ziel sein, den einen Schuldigen auszumachen.“ Danach lobte Chrupalla den russischen Beitrag zur Deutschen Einheit. Schon diese Sätze Weidels und Chrupallas, gefallen kurz nach dem Einmarsch, lesen sich wie aus dem Handbuch für Propaganda und Desinformation, als seien sie von Kommunikationsspezialisten einer angreifenden Macht für die deutsche Öffentlichkeit erdacht. Die Tatsache der russischen Aggression wird durch Scheinkontextualisierung relativiert – bis hin zur Schuldumkehr, denn, so Chrupalla in seiner Rede: „Schuldzuschreibungen erzeugen keine Lösung“. Analog zu seiner Partei geriert er sich als Vertreter des Friedens. Im Gegensatz dazu habe Olaf Scholz mit seiner Rede „den Kalten Krieg reaktiviert“. Im Stile eines typisch antiliberalen Verschwörungstheoretikers fragt Chrupalla: „Wem nutzt das?“ Seine Rezipienten kennen die Antwort, die aus dieser Sicht immer etwas mit den USA und dem globalen Finanzkapitalismus zu tun haben dürfte. Weidel und Chrupalla hatten in der Vergangenheit Russland-Reisen unternommen und wurden von der dortigen Staatsführung wohlwollend empfangen. Nun vertritt die AfD die Rhetorik des Putin-Regimes auch in Kriegszeiten.

Analog zu Dagdelen von der Linkspartei wurde auch Weidel gefragt, ob sie Putin für einen zu verurteilenden Kriegsverbrecher halte. Nach unsicheren Ausflüchten beantwortete sie die Nachfrage der Moderatorin, ob Putin „ein Diktator und ein Massenmörder“ sei, mit einem überraschend deutlichen „Nein“ (Sendung „Maischberger“, 20.09.2022). Zur handelsüblichen Relativierung hätte genügt, auf Kriege der USA zu verweisen. Das Loyalitätsempfinden der AfD-Spitze gegenüber dem russischen Regime ist jedoch offensichtlich sehr stark ausgeprägt. Selbst das Leugnen von offensichtlichen Fakten wird in Kauf genommen.

Noch offensiver agiert Björn Höcke. Der Rechtsextremist, dessen Einfluss in der AfD in den letzten Jahren stetig gewachsen ist, sieht in Putins Russland einen Partner für die von ihm erträumte völkische Wiedergeburt Deutschlands. Höckes primärer Gegner sind die USA. Das lässt er seine Anhänger auf einer Protestveranstaltung in Gera am Tag der Deutschen Einheit unmissverständlich wissen: „Wir werden von einer raumfremden Macht in einen Krieg hineingetrieben, über eine fremdbestimmte Bundesregierung, der nicht der unsere ist.“ Demgegenüber seien Russland und Deutschland „natürliche Partner“, die aber seit 100 Jahren von den USA auseinandergetrieben würden. Putin habe „nach langem, langem Zögern hart und konsequent auf die Offensive einer raumfremden Macht reagiert“. Länder wie Russland, Serbien und Ungarn verteidigten Werte wie die „Ehe zwischen Mann und Frau“, „Volk und Nation“ oder den „Glauben“ als fundamentalen Bestandteil der „inneren Gesundheit eines Volkes“. Höcke polemisiert gegen „das neue Regenbogenimperium“, „Masseneinwanderung“ und „tödliche Dekadenz“. Dabei garniert er seine Rede mit offensichtlichen Anspielungen an die Nazizeit. „Unser Kampf“ lautet eine seiner häufigen Floskeln. Außerdem lässt der Geschichtslehrer Höcke seine Anhänger wissen: „Bei uns … ist fast alles gründlicher durchdacht und verbessert worden als irgendwo anders auf der Welt.“ Deutsche und Russen hätten „eine ähnliche seelische Prägung“. Da strebt ein faschistischer Akteur ganz unverblümt die Allianz des Hitler-Stalin-Paktes als Zukunftsmodell an.

In Thüringen ist Höcke ein Volkstribun und der zentrale Gegenspieler des linken Wagenknecht-Antipoden Ramelow. Höcke wird dabei gestützt von einer sich intellektuell gebenden Neuen Rechten, deren Protagonisten die antirussische Haltung der Alten Rechten aus gesellschafts- und machtpolitischen Erwägungen ins Gegenteil verkehrt haben. Im Kampf gegen den verhassten Liberalismus, die gewaltenteilige Demokratie und die angebliche „Gender-Ideologie“ sind alle Allianzen willkommen – auch mit dem putinfreundlichen Teil der Linkspartei. Die muss sich von solchen Propagandisten trennen, um eine demokratische Zukunft zu haben. Wagenknechts Querfrontrhetorik nutzt nur dem rechten Rand, der sich an Orbán und Putin orientiert.

Markus Linden

Markus Linden

außerplanmäßiger Professor für Politikwissenschaft an der Universität Trier, zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen u.a. Theorie und Empirie der Demokratie, Parteien- und Parteiensysteme, die Neue Rechte und Rechtspopulismus.

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