Piotr Leszczyński spricht mit Tadeusz Jędrzejczyk über den Sinn und die Gefahren der Nutzung von Kernenergie
Piotr Leszczyński: Die Regierung von Premier Mateusz Morawiecki hat beschlossen, ein Kernkraftwerk zu bauen. Geplant sind sogar drei solcher Projekte. Jacek Sasin, stellvertretender Premier und Minister für Staatsvermögen kündigte vor einigen Tagen an, der US-Konzern Westinghouse werde höchstwahrscheinlich als strategischer Partner den staatlichen Auftrag zum Bau eines Kernkraftwerks erhalten. Werden wir also preiswerteren und emissionsärmeren Strom in Polen haben?
Tadeusz Jędrzejczyk: Bevor ich versuche, die Frage zu beantworten, erlaube ich mir die Rahmenbedingungen dieses gewaltigen Engagements darzustellen, das Polen eingegangen ist. Eines wirklich enormen Einsatzes, denn der Investitionswert ist mit dem Jahresbudget von ZUS (Sozialversicherungsanstalt) vergleichbar. Im Grunde ist das der zweite Anlauf für den Bau eines Kernkraftwerkes, wenn wir die unvollendete Investition in Żarnowiec (Nordpolen) berücksichtigen. Eine der außerökonomischen Ursachen für das Scheitern des damaligen Vorhabens war der gesellschaftliche Widerstand. Er war völlig verständlich, wenn wir seine Beweggründe beachten. Erstens wurde der Widerstand nicht nur zur Zeit des stürmischen, demokratischen Umbruchs 1989 stärker, sondern vor allem nach der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl. Das Aufbegehren gegen die Investition made in UdSSR hatte seinen Ursprung sowohl im fehlenden Vertrauen in die russische Ingenieurskunst als auch eine geopolitische Dimension: Wir wollten uns aus den Fesseln befreien, die unser Land mit dem „Großen Bruder“ verbanden. Dieser Punkt ist paradoxerweise aktuell geblieben: als Abhängigkeit von der russischen Kohle, darunter derjenigen aus dem annektierten Donbas, und vom via Deutschland gekauften Erdgas. Diese Abhängigkeit zu beenden, steht uns immer noch bevor und das wird, infolge von jahrelangen Versäumnissen, schmerzhaft sein. Zweitens werden wirtschaftliche Veränderungen oft ignoriert. Das Ergebnis der Reformen nach 1989 war eine zeitweilige Rezession, doch zugleich eine schnelle Einführung modernerer, energiesparender Technologien, welche den Strombedarf vorübergehend verringern ließen. Anschließend ist der Bedarf allmählich gestiegen. Ein neues Kernkraftwerk war für die Wirtschaft nicht notwendig.
Allerdings hat sich die Situation derzeit verändert.
Der Bedarf an Strom wird wachsen, trotz erheblichen Spielraums für die Umsetzung von Sparmaßnahen, sowohl in Unternehmen wie in privaten Haushalten. Schauen wir etwa auf die Heizung. Wärmepumpen und energetische Sanierungen stellen eine sehr effektive, moderne und gesundheitlich unbedenkliche Lösung dar. Sie ersetzen Kohle- und Gasverbrennung. Wenn wir effiziente Veränderungen in diesem Bereich vornehmen würden, könnten wir praktisch in einem Jahrzehnt positive Effekte spüren, zum einem bei den Ausgaben und zum anderen bei unserer Gesundheit. Die nächste Herausforderung, die gerade zunimmt, wird neben der Heizung die energieintensive Klimatisierung während der immer längeren und extremeren Hitzewellen sein. Bei einem allgemeinen Rückgang des Energieverbrauchs aus allen vorhandenen Quellen wird der Strombedarf nach derartigem Umwandlungsprozess ganz bestimmt steigen. Ähnlich verhält es sich mit dem Verzicht auf Diesel- und benzinbetriebene Fahrzeuge oder mit dem Wandel in der Industrie und Landwirtschaft. Der gegenwärtige Krieg wird sich wahrscheinlich als Katalysator für diese Prozesse herausstellen, obwohl er gleichzeitig solche Probleme verursacht, die einer unmittelbaren Reaktion bedürfen. Beim näheren Betrachten der Energiefrage sieht man am besten, wie gerade dort, wo die Versäumnisse am größten gewesen sind, diese zeitweiligen Probleme am schmerzhaftesten spürbar sind.
Und der gesundheitliche Aspekt?
Stimmt, Energie hat ihre Bedeutung im Bereich der öffentlichen Gesundheit, daher mein Interesse an dem Transformationsprozess. Ich beginne mit der Bestätigung eines klaren Vorteils. Sofern es zu keiner Störung oder einem Sabotageakt kommt, ist die Atomenergie wirklich besser für die Bevölkerungsgesundheit als die Verbrennung von Millionen an Tonen der Stein- und Braunkohle. Sogar dann, wenn entsprechende Schutzvorkehrungen unternommen werden, die eine deutliche Senkung der CO2- und Treibhausgasemissionen, der gefährlichsten Abgasbestandteile, gewährleisten. Zweifellos verbleiben die Kubikkilometer von Kohlendioxid in der Atmosphäre als unser gar nicht so kleiner „Input“ in die globale Klimakatastrophe. Die radioaktiven Abfälle sind sowieso ein Problem, das jedoch viel einfacher zu lösen ist. Die Wiederverwertung und Lagerung der Abfälle ist durchaus teuer und verpflichtet zur ständigen Überwachung über Tausende von Jahren. Dennoch, nachdem notwendige Maßnahmen ergriffen werden, wird es kein gesundheitliches Risiko für die Menschen geben, selbst wenn sie in unmittelbarer Nähe von einer Endlagerungsstätte leben sollten.
Die Art und Weise, wie Energie erzeugt wird, ist nach wie vor ausschlaggebend für unsere Gesundheit und beeinflusst uns weit mehr als nur das Problem mit den Abfällen. Es geht dabei auch um die Wahl von konkreten Vorkehrungen, die sich dann auf soziale Bedingungen auswirken. Die privaten Haushalte tragen stets die Energiekosten, indem sie die Stromrechnungen bezahlen, was Einfluss auf das Einkommensniveau hat und von grundlegender Bedeutung für den Großteil der Gesellschaft ist. Die Entscheidung für die eine oder andere Art der Energieerzeugung macht beträchtliche Investitionen seitens der öffentlichen Haushalte erforderlich, hat also Auswirkungen auf die Höhe der Steuerverbindlichkeiten und der Staatsverschuldung. Ein ärmeres Land kann keine gesundheitsfördernden öffentlichen Dienstleistungen auf einem angemessenen Niveau erbringen. Hohe Steuern führen wiederum zum langsameren Wachstum, Kapitalflucht und Abwanderung aus dem Land. Nicht ohne Bedeutung ist die Folgewirkung der erwähnten politischen Entscheidung auf die Politik. Die Wahl der Kernkraft ist keinesfalls politisch neutral; sie begünstigt ein bestimmtes poltisch-wirtschaftliches System.
Lassen Sie uns also die grundlegenden Aspekte einer solchen Entscheidung zusammenfassen. Gleich zu Anfang der russischen Invasion in die Ukraine war die polnische Regierung damit einverstanden, dass ein russisches Flugzeug mit angereichertem Uran für ein ungarisches Atomkraftwerk über unserem Luftraum durchfliegen konnte.
Das war kein Zufall. Es war auch kein Zeichen der Freundschaft zwischen der Leitung der regierenden Vereinigten Rechten und der Orbán-Regierung. Fast zwei Drittel der verfügbaren und ermittelten Uranvorkommen entfallen schlicht und einfach auf Kasachstan und Russland. Zum Vergleich: Russland liefert jedes zehnte Barrel Rohöl dem Weltmarkt und kann im Rahmen von OPEC+ wirksam am Angebot drehen, und somit den Rohstoffpreis bestimmen. Anders gesagt, ist die Dekarbonisierung, das heißt eine systematische, effiziente und zielgerichtete Umstellung bei der Verbrennung von Kohle, Gas und Erdöl, der einzige Weg zu mehr Energieunabhängigkeit, vorausgesetzt, wir tauschen sie nicht gegen die Abhängigkeit von Uranimport. Hervorzuheben ist schließlich Folgendes: Die erneuerbaren Energien (EE) als eine Alternative zur Kernkraft bedeuten nicht die Abhängigkeit von einem einzigen „Großen Bruder“, sondern die gegenseitige Abhängigkeit von einigen oder sogar einigen Dutzend Partnern, die Energie einerseits verkaufen und andererseits diese auch in unseren Kraftwerken kaufen. Man könnte zwar erwägen, die polnischen Uranerzvorkommen abzubauen, allerdings wäre dabei eines zu bedenken: Der Uranabbau erfordert, wie überall auf der Welt, solche Projekte zu starten, wie das Braunkohlewerk in Turów oder das sehr teures Verfahren zur Rohstoffgewinnung aus tiefergelegenen Vorkommen.
Und die ökonomische Dimension?
Die Kosten für Strom aus Uran sind schon heute wesentlich höher (drei bis vier Mal höher im Vergleich zu der im industriellen Maßstab produzierten Windenergie oder Photovoltaik) als der Strom, den man aus den erneuerbaren Energien gewinnt. Angesichts der intensiven Forschungs- und Entwicklungsarbeiten an den EE auf der ganzen Welt ist anzunehmen, dass diese Preisschere nur noch mehr auseinandergeht.
Selbstverständlich bedarf die EE-Entwicklung weiterer Investitionen in das europäische System der „Energiebrücken“. Erst dann wird der etwaige Windmangel an der Ostsee durch die adriatische Brise kompensiert. Eine wolkenreiche Woche in Polen könnte durch das sonnige Wetter in Süddeutschland oder Österreich ausgeglichen werden. Dieses Argument erklärt die Abneigung der PiS-Regierung gegen die erneuerbaren Energien, weil dies europäische Zusammenarbeit voraussetzt, was eindeutig im Widerspruch zur nationalen Ideologie steht. Kennzeichnend war ebenfalls die Begeisterung der Partei Razem (Zusammen) für das Kernkraftprojekt in Polen. Obwohl diese Partei der Linken angehört und weit von der PiS entfernt ist, wenn es um national-katholische Prinzipien geht, hat sie eine ähnliche Haltung zu den auf Staatseigentum basierenden Lösungsansätzen wie die Regierung. Heute, aufgrund des Krieges in der Ukraine und der Energiekrise sowie der Entscheidung für die Kerntechnologie aus den USA ist übrigens kaum zu erwarten, dass sich eine der politischen Kräfte deutlich gegen diese Investition ausspricht. Die Kritik beschränkt sich, zumindest vorerst, auf die mangelnde Transparenz des Entscheidungsprozesses und fehlende Hinweise auf die Finanzierungquelle des Vorhabens.
Das strategische Ziel der Transformation ist zudem die Kreislaufwirtschaft. Diese Begründung wird jedoch von den Befürwortern des wirtschaftlichen und ökologischen Ist-Zustands missbraucht. Sie würden zum Beispiel niemals fordern, die Kosten für die Reinigung der Atmosphäre von Schadstoffen wie Methan oder CO2 in Betracht zu ziehen. Sie erheben ebenfalls keine Einwände gegen die Müllberge, welche um die Städte herum wachsen. Diese Haltung lässt keine anderen Argumente gelten. Für den Ausbau von Photovoltaik- und Windkraftanlagen sind Investitionen in die Übertragungsnetze unerlässlich. Allerdings sind sie im Hinblick auf die Kernenergie genauso nötig. Die Übertragungsnetze verursachen ohnehin fortlaufende Kosten, unabhängig von der Energiequelle. Deswegen sind solche Maßnahmen auch für die EE zeitaufwendig, doch sind sowohl ihr Volumen wie ihr Tempo keineswegs schlechter als das traditionelle Kernkraft-Konzept, das erst in zehn bis zwölf Jahren realisiert werden sollte. Meistens ist die Inbetriebnahme solch großer Investitionen mit vielen Problemen verbunden, und für gewöhnlich ist dabei mit mehrjährigen Verzögerungen zu rechnen.
Das Hauptargument für die Kernenergie in Polen ist die „Unbeständigkeit“ der erneuerbaren Energien.
Gewiss kann schon jetzt an einem langen Sommertag mit starkem Wind 30 bis 40 Prozent der benötigten Energieleistung sichergestellt werden. Im Winter wiederum, an einem bewölkten, kurzen Tag ohne Wind wird die Leistung noch ein paar Jahre lang mit Mühe 5 bis 10 Prozent erreichen. Es steht daher fest: Um die Netzstabilisierung zu gewährleisten wird es nötig sein, neben dem erwähnten umfangreichen System der „Energiebrücken“ (die da sind, aber nach wie vor in unzureichenden Zahl) Lösungen wie größere oder kleinere Energiespeicher zu schaffen. In Anbetracht des enormen Kostenunterschiedes ist das dennoch ein preiswerterer Ausweg. Darüber hinaus können viele Produktionsprozesse an die schwankende Energienutzung angepasst werden. Sobald ein flexibler Marktarif, abhängig vom Energieangebot auftaucht, könnten solche Maßnahmen (schon jetzt vorhanden und teilweise angewendet) im größeren Umfang in den Unternehmen eingeführt werden, bei gleichbleibenden, niedrigen jährlichen Stromrechnungen.
Zusammengefasst: Kernkraft ist eine technologisch veraltete und teure Lösung, die ein weitreichendes Eingreifen des Staates in die Wirtschaft bedingt. Im Endergebnis werden wir nicht nur höhere Rechnungen für den Stromverbrauch zu Hause bezahlen müssen, auch die polnischen Unternehmen werden auf dem europäischen Markt weniger wettbewerbsfähig.
Und was ist mit der Wirtschaftspolitik der Regierung?
Wegen der notwendigen Investitionshöhe erfordert die Kernenergie entweder eine direkte Finanzierung aus öffentlichen Mitteln, oder einen für den Investor rentablen garantierten Stromverkaufspreis. Dieser Preis wäre schon heute viel höher als die gegenwärtigen Marktpreise und, nachdem die Investition abgeschlossen ist, wird er genauso hoch bleiben. So oder so wird die Kernenergie ohne starkes staatliches Engagement und die Preisgabe des freien Marktes zugunsten von etatistischen und protektionistischen Interventionen nicht eingesetzt werden können. Infolgedessen kommt zu den monströsen staatlichen Bergwerken, Raffinerien und konventionellen Kraftwerken die nächste staatliche oder streng vom Staat überwachte Institution. Diese werden wir alle halbobligatorisch finanzieren müssen; Die Alternative wäre den Wettbewerb zu stärken, die mittelgroßen und kleineren Akteure mitmachen zu lassen, lokale, teileweise energieautarke „Energieinseln“ aufbauen. Kurz gesagt: größerer Wettbewerb, niedrigere Preise und mehr Wachstum.
Uns bleibt noch, die Sicherheitsfragen zu erörtern.
Das EE-System ist aufgeteilt und prosument (Konsument:in und Produzent:in in einem), hat dabei ein ausgebautes Stromspeichernetz innerhalb der privaten Haushalte und größeren und kleineren Unternehmen sowie eine durchschnittliche Größe der Netzanlagen. Dementsprechend ist dieses System um vieles widerstandsfähiger gegen die Angriffe als zwei oder drei Atomkraftwerke in Polen. Überdies ziehen potenzielle Angriffsfolgen kein Risiko für radioaktive Kontamination nach sich.
Hier ein Beispiel: Frankreich, das Land mit dem größten Kernkraftanteil an Stromerzeugung, stand am Rand des Strom-Blackouts, bedingt durch die Flut an geplanten Instandsetzungen sowie die Notwendigkeit, einige unplanmäßige Reparaturen in den Atommeilern durchzuführen. Der versprochene, lange und stabile Betrieb der Kernkraftwerke ist erreichbar, schließt aber keine Störungen aus, auch nicht den Bedarf an ständigem Monitoring und Reparaturen dieser komplizierten Anlagen.
Tadeusz Jędrzejczyk, Mitglied im Rat des Danziger Klimawandel-Forums, Mitorganisator von Umweltprojekten der European Public Health Alliance, Experte für öffentliche Gesundheit, MBA-Absolvent, Mitarbeiter der medizinischen Universität Danzig im Bereich der umweltbedingten Gesundheitsfaktoren. 2014 bis 2016 Direktor des Nationalen Gesundheitsfonds.
Piotr Leszczyński, Redakteur beim forumdialog.eu und Herausgeber der Zeitschrift „Przegląd Polityczny”.