Zum Inhalt springen

Die Zukunft der deutsch-polnischen Beziehungen entscheidet sich in der Ukraine

Die deutsch-polnischen Beziehungen sind vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine leider sehr angespannt. Aus polnischer Sicht ist die Haltung Deutschlands ausgesprochen zwiespältig.

Einerseits sieht Warschau die deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine als echten Durchbruch. Andererseits machen die dabei obwaltende grüblerische Selbstbeschau, die ständigen Beschlussänderungen, die Zögerlichkeit und der mangelnde Mut zur Entscheidung einen niederschmetternden Eindruck. Doch den schlimmsten Eindruck hinterlässt, dass Deutschland nicht nur von einer raschen Niederlage der Ukraine ausging, sondern anscheinend die Unterwerfung des Landes auch zu akzeptieren bereit war.

Während ich einerseits die hysterisch deutschfeindliche, ja hasserfüllte Kampagne der polnischen Regierung ausgesprochen kritisch sehe, gebe ich mich doch andererseits keiner Täuschung hin, was ich aus Berlin zu hören bekäme, hätten die Russen nach einer Woche Kiew eingenommen. Wir würden dann aus Berlin hören, Russland verdiene natürlich bestraft zu werden, aber man dürfe es auch nicht gegen sich aufbringen, und man müsse sich daher vernünftig und maßvoll verhalten. Jede Kritik an Deutschland würde als übertrieben abgetan, denn ohne Angela Merkel und Olaf Scholz hätte es keine europäische Einigkeit bei den Sanktionen gegeben. Die Sanktionen wären vielleicht ein bisschen strenger als diejenigen gegen Belarus nach der Unterdrückung der Demonstrationen der Regimegegner von 2010. Aber bloß nicht übertrieben.

Die gegen Russland nach seinem Überfall auf die Ukraine 2014 verhängten Sanktionen, ein Angriff, der in Westeuropa sehr häufig auf die Einnahme der Krim reduziert wird, was, so wie ich es verstehe, vergessen machen soll, dass es schon damals zu blutigen Kämpfen im Donbas kam, in denen vielleicht mehr als zehntausend Ukrainer umkamen, waren jämmerlich schwach, wie wir ehrlicherweise festhalten müssen. Genau deshalb ist der Krieg 2022 ausgebrochen. Schließlich hatte Moskau acht Jahre vorher die Erfahrung gemacht, dass die Strafe für die Entfesselung eines Kriegs in Europa mehr oder weniger dieselbe ist wie für die Zerschlagung einer Demonstration der Opposition.

Wenn die Russen wie geplant Kiew innerhalb von wenigen Tagen eingenommen hätten, wäre Nord Stream 2 vielleicht für einige Monate eingefroren worden, aber ganz sicher hätte Russland nicht zur energiepolitischen Erpressung des Westens schreiten müssen, und Berlin würde unterdessen ganz bestimmt immer noch sagen, dass es sich zwar nicht gehöre, was in der Ukraine geschehe, aber auf der anderen Seite sei Russland immer noch ein verlässlicher Partner der EU bei den Energielieferungen, und Nord Stream 2 sei ein reines Wirtschaftsprojekt.

An dieser Stelle schlage ich ein kleines Gedankenspiel vor. Alles Vorstehende wurde geschrieben von einem polnischen Journalisten, Kommentator und Fachmann, der in den polnischen Medien die paranoide deutschfeindliche Propagandakampagne von „Recht und Gerechtigkeit“ in Polen scharf kritisiert, und der von den Krakeelern des Regierungslagers wegen seiner Arbeit für eine einem deutschen Konzern gehörende Redaktion als deutscher Agent bezeichnet wird. Ich bitte, sich einmal die Frage zu beantworten, welches Vertrauen zu Deutschland wohl Leute haben, die Deutschland weniger wohlgesonnen sind, wenn schon jemand wie ich Deutschland in seiner Ostpolitik nicht mehr traut.

Ob nun die deutsche Ukraine‑ und Russlandpolitik mit der Naivität der deutschen politischen Führung zu erklären ist, mit einem Komplex wegen des Zweiten Weltkriegs, mit dem Schuldgefühl wegen des Kriegs (wobei Deutschland bedenken sollte, dass NS-Deutschland nicht nur Russen, sondern auch Ukrainer ermordet hat), mit der Korruption bestimmter deutscher Politiker oder aber mit einer merkwürdigen geopolitischen Verblendung, ist in Polen weder der veröffentlichten Meinung noch der Politik so ganz klar. Klar ist dagegen, dass Polen der Bundesrepublik nicht trauen kann. Da der Vertrauensmangel sich auf eine solche Grundsatzfrage wie die Sicherheit erstreckt, sind seine Konsequenzen gar nicht abzusehen.

Es ließe sich natürlich behaupten, die polnischen Reaktionen seien übertrieben, weil Polen schließlich nicht so sehr von Russland bedroht sei. Doch ist diese Annahme paradox; denn wenn es tatsächlich so wäre, bedeutete dies, dass Berlin, und wer weiß vielleicht auch Moskau, viel mehr als Warschau selbst Polen als Teil des Westens sieht. Wenn Polen sicher ist, dann doch schließlich nur deshalb, weil es Teil des Westens ist. Es ist nicht auszuschließen, dass sowohl Berlin als auch Moskau das polnische Engagement für die Ukraine nicht so richtig verstehen, weil sie wirklich davon überzeugt sind, es gehe allein um die Ukraine. Nur geht es erstens wirklich nicht allein um die Ukraine, denn Russland hat weitreichendere Ambitionen, wie bereits im Dezember 2021 offenbar wurde, als Russland forderte, Polen, Tschechien, die Slowakei, Rumänien, Bulgarien und die baltischen Länder zu de facto NATO-Mitgliedern zweiter Klasse zu machen. Zweitens bewerten nicht nur Polen, sondern auch Länder, die im Gegensatz zu Polen Verbündete NS-Deutschlands waren (zum Beispiel Rumänien), die Bedrohung durch Russland anders als Berlin. Und drittens würde eine Denkweise, die die deutsche Politik (überall außerhalb von Kiew natürlich) dahingehend zu erklären versuchte, dass es doch „nur“ um die Ukraine ginge, fatale Erinnerungen an eine dunkle Vergangenheit wecken.

Ich habe leider nicht den Eindruck, als wäre irgendjemandem in Berlin bewusst, wie brüchig das Vertrauen in Deutschland heute in Ostmitteleuropa ist. In Polen hat auch die Opposition, die sich im Unterschied zu der rechtsgerichteten Regierung nicht alle Augenblicke in deutschfeindlichen Parolen ergeht, längst das Vertrauen zu Berlin verloren.

Das Volumen des deutschen Außenhandels war 2021 mit Polen dreimal größer als mit Russland. Ostmitteleuropa insgesamt hatte mit Deutschland ein um das Achtfache größeres Handelsvolumen als Russland. Die Länder unserer Region sind Bündnispartner Deutschlands in NATO und Europäischer Union. Simple Logik sollte der Bundesrepublik nahelegen, es müsse ihr daran gelegen sein, nicht als Trojanisches Pferd Russlands angesehen zu werden. Wie sich die außenpolitischen Beziehungen in unserer Region entwickeln werden, hängt jetzt stark von der Haltung Deutschlands zum Krieg in der Ukraine ab. Diese Einstellung zu dem von Russland entfesselten Krieg wird in Warschau und anderen Hauptstädten noch lange nachhallen, wenn die Kanonen in der Ukraine längst wieder schweigen. Ich bin mir leider nicht so sicher, dass das von irgendjemandem in Berlin verstanden wird.

Ich sehe übrigens eine Chance und eine Gefahr am Horizont. Die Chance besteht darin, Deutschland könne seine Ukrainehilfe ausweiten. Jedes Stück militärischer Ausrüstung, das von Deutschland in die Ukraine geschickt wird, trägt dazu bei, Deutschlands Ruf in der Ukraine selbst wie auch in anderen Ländern zu verbessern, die von der bisherigen Haltung Berlins schwer enttäuscht sind.

Daneben besteht allerdings auch eine Gefahr. Diese steckt sich in der leider sehr oft zu hörenden Behauptung, für den Krieg trage einzig und allein Wladimir Putin die Verantwortung.

Doch ist Wladimir Putin, der zu Anfang seiner Regierung kaum Erster unter Gleichen war, dann aber bei Streitigkeiten zwischen den verschiedenen Kremlfaktionen zum Alleinentscheider aufstieg und heute die volle Gewalt in Händen hält, doch nicht ganz Iwan der Schreckliche. Vergleichen wir ihn aber mit Stalin, dann ist er der Stalin des Jahres 1952, nicht der des Jahres 1937. Der Unterschied ist fundamental. Der Stalin von 1937 konnte jeden umbringen lassen. 1952, als er den große Autorität genießenden und daher für ihn gefährlichen Marschall Georgij Schukow loswerden wollte, bekam er von dem übrigens Schukow abgrundtief hassenden Marschall Iwan Konew zu hören, die Armee werde nicht akzeptieren, Schukow den Prozess zu machen. So wie Stalin, ist Putin Autokrat und Alleinherrscher. Wie jener vermag er Kriege zu entfesseln und Gegner zu ermorden. Im Verhältnis zu seinem Umfeld ist er jedoch bereits der Stalin des Jahres 1952. Das weiß er selbst genau so gut wie seine Paladine. Da sie das wissen, aber den Krieg nicht kritisieren (wofür ja nicht gleich der Tod droht) und sich nicht gegen den Krieg stellen, wenn schon nicht öffentlich, dann durch einen diskreten Rücktritt, nehmen sie also eine Mitverantwortung für den Krieg auf sich.

Es ist völlig offenkundig – ob nun als nächster russischer Präsident ein auf Dauer bestimmter Kandidat oder eine Interimsfigur gefunden wird, der aus einem Kompromiss zwischen den verschiedenen Kremlfaktionen hervorgeht, er wird auf jeden Fall aus der bereits bestehenden Herrschaftselite kommen. Anders gesagt, das Ende von Putins Herrschaft ist nicht gleichbedeutend damit, mit Russland ließe sich wieder wie mit einem normalen europäischen Staat unterhandeln. Denn der nächste russische Präsident wird zu den jetzigen Kriegsunterstützern gehören.

Auch an die russischen Oligarchen und Unternehmenschefs sollten wir keine Hoffnungen knüpfen, denn es wäre doch naheliegend, dass diese in Anbetracht ihrer schwindenden Vermögen gegen den Krieg protestieren; doch sie tun nichts dergleichen.

Der Krieg gegen die Ukraine wird auch von der Russischen Orthodoxen Kirche unterstützt, die, schlicht gesagt, im Grunde genommen wie schon zu zarischen und sowjetischen Zeiten, ganz und gar dem Staat botmäßig ist. Genauer gesagt den russischen Geheimdiensten. Selbst wenn die Orthodoxe Kirche in der russischen Politik an Gewicht gewinnen sollte, wäre das noch kein Grund, mit ihr ins Gespräch zu kommen.

Doch am schlimmsten ist vor allem, dass die Russen selbst den Krieg unterstützen. Alle Umfragen des unabhängigen und seriösen Meinungsforschungszentrums Lewada belegen, dass die allermeisten Russen den Krieg befürworten. Wladimir Putins Zustimmungswerte sind sogar gewachsen, so wie dies bereits nach dem Überfall auf die Ukraine von 2014 der Fall war. Leider liefern die Meinungsumfragen auch deswegen keinerlei Anlass zu Optimismus, weil selbst die junge Generation ganz überwiegend den Krieg befürwortet, zwar in geringerem Maße als die Älteren, doch bewegen sich auch ihre Zustimmungswerte noch um die 60 Prozent.

Natürlich gibt es anständige Russen, daher wäre jede Verallgemeinerung und Behauptung einer russischen Kollektivschuld unangebracht. Doch genauso wenig, wie wir uns der Illusion hingeben könnten, in NS-Deutschland seien die meisten Menschen so wie der emigrierte Willy Brandt oder der in der inneren Emigration befindliche Konrad Adenauer gewesen, so können wir im russischen Fall zwar die Anständigen im Sinn haben oder im günstigsten Fall sogar unterstützen, doch dürfen wir uns nicht dahingehend täuschen, sie bildeten die Mehrheit. Anständige Menschen sind, ob wir wollen oder nicht, in Russland in der Minderheit. Die meisten stören sich nicht im Geringsten an der Ermordung der Ukrainer.

All dies in Rechnung gestellt, ist die Rede von „Putins Krieg“ entweder Ausdruck völliger Unkenntnis Russlands und Unverständnisses des wesentlichen Problems oder eine Folge der subtilen Beeinflussung durch die russischen Geheimdienste, die es darauf anlegen, die Menschen im Westen zu überzeugen, Wladimir Putin sei alleinverantwortlich für den Krieg. Wer sich nämlich eine solche Sicht aneignet, der wird sich zweifelsohne auch davon überzeugen lassen, mit einem Russland ohne Putin ließe sich zu business as usual zurückkehren. Das aber ist nicht möglich.

Die Deutschen sollten das besser als so manche anderen begreifen. Die deutsche Demokratie und ihre veränderte Einstellung zu den Nachbarländern sind nämlich aus zwei gleichzeitig ablaufenden Prozessen entstanden – erstens der Durchsetzung demokratischer Verhältnisse durch die Westmächte, insbesondere die Vereinigten Staaten, und zweitens durch die Wirkung derjenigen Anteile der deutschen Kultur, die zwar in NS-Deutschland an den Rand gedrängt worden waren, aber gleichwohl den Boden bildeten, der für die Demokratie fruchtbar war. Doch wie der in der Emigration in London lebende russische Beobachter Wladimir Pastuchow festhält, wird Russland Demokratie weder von außen beigebracht werden, denn schließlich wird niemand Russland besetzen, noch wird diese dort aus sich selbst heraus wachsen, weil dazu der Nährboden fehlt. Kurz gesagt, mit ziemlicher Sicherheit wird Russland in absehbarer Zukunft ein mehr oder minder autoritäres Land bleiben, ergo auch ein imperialistisches Land.

Das zu ignorieren und weiter von „Putins Krieg“ zu schwadronieren, ist ein Rezept erstens für die nächste außenpolitische Fehlleistung Deutschlands, zweitens für eine weitere Beschädigung seiner Glaubwürdigkeit als Bündnispartner in Ostmitteleuropa nach der Katastrophe von 2022.

Es ist an der Zeit, sich von seinen Illusionen zu befreien, nicht über Wladimir Putin, sondern über Russland. Das heißt nicht, sich gegen Russland zu wappnen sei gleichbedeutend damit, ewig Angst vor Russland zu haben. Russland kann sich ändern wie jedes Land. Doch weist vorerst noch nichts darauf hin. Und die Russlandpolitik sollte erst dann geändert werden, wenn sich Russland ändert, und nicht nur das Bühnenbild, vor dem Moskau das ewig gleiche Schauspiel aufführt.

 

Aus dem Polnischen von Andreas R. Hofmann

Witold Jurasz

Witold Jurasz

Journalist bei der Onlineplattform Onet.pl und der Tageszeitung Dziennik Gazeta Prawna, Vorsitzender des Zentrums für Strategische Analysen, ehemaliger Mitarbeiter der Investitionsabteilung der NATO, Diplomat in Moskau und Chargé d’affaires der Republik Polen in Belarus.

2 Gedanken zu „Die Zukunft der deutsch-polnischen Beziehungen entscheidet sich in der Ukraine“

  1. Ein wichtiger Beitrag, dem man in Deutschland nur weite Verbreitung wünschen kann. Nach dem Zerfall der Sowjetunion hat man in der schon durch den Fall der Mauer überrumpelten Bundesrepublik Deutschland nie ausreichend Interesse und Empathie für die östlichen Nachbarn gezeigt und den virulenten russischen Imperialismus, der sich auch im Umgang Moskaus mit dem nördlichen Ostpreußen und dessen horrende Benennung nach Stalins engem Weggefährten Kalinin zeigt, nicht wahrgenommen, geschweige denn sich damit auseinandergesetzt, wozu man bis heute offensichtlich nur begrenzt in der Lage ist. Dies zeigte auch Angela Merkels Alleingang mit Putin und Biden über die Köpfe der östlichen Nachbarn hinweg bei der zeitweiligen Durchsetzung von Nordstream 2, was dem Ansehen Deutschlands nicht nur in Polen sondern bei allen ostmitteleuropäischen Nachbarn vor allem auch im Baltikum und in der Ukraine sehr geschadet hat oder die Lieferung von 5000 Helmen zu Beginn des Krieges.

  2. Das ist das erste Mal, dass ich hier einen so schwachen Bericht lese. Bei der Verwendung von so vielen Konjunktiven, kann man auch gleich zur Wahrsagerin auf dem Jahrmarkt gehen. Ich hoffe, das wird nicht zur Regel auf diesem ansonsten meiner Meinung nach sehr wertvollen Portal…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Symbol News-Alert

Bleiben Sie informiert!

Mit dem kostenlosen Bestellen unseres Newsletters willigen Sie in unsere Datenschutzerklärung ein. Sie können sich jederzeit austragen.