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Falsche Konservative

Die polnische Rechte gewann die Wahlen mit der Parole, die Familie schützen und die nationalen Werte hochhalten zu wollen, letztere orientiert an Helden, die sie, die Rechte, selbst aussuchte. In beiderlei Hinsicht hat sie in den acht Jahren ihrer Regierung bewiesen, dass sie weder versteht, wie die Familien zu schützen sei, noch denjenigen Hoffnung zu geben, die ihr nicht trauen. Die PiS-Partei und ihre Anhänger werden allerdings wie Familie behandelt. Die Regierungspartei besetzt mit eigenen Leuten Posten in den staatseigenen Betrieben, sie stattet die ihr loyalen Jasager mit üppigen Pfründen aus. Sie ernennt die Chefredakteure von Regionalblättern, des öffentlichen Rundfunks und Fernsehens und die Vorstände von Aktiengesellschaften, die aus ihren stattlichen Gehältern ihrerseits die PiS-Partei finanziell unterstützen. Die Propagandamaschinerie läuft als Familienbetrieb, allein, sie gleicht mehr einem mafiösen Netzwerk als einer gesunden Familie, deren Angehörige sich über alles und jedes frei äußern können, ohne zur Unperson zu werden. Für Illoyalität gibt es bei PiS kein Pardon. Ansonsten wagt aber auch kaum jemand, den Mund aufzumachen, zumal die von der PiS-Regierung gewährten geldwerten Vorteile mögliche Gewissensbisse wirksam zum Schweigen bringen. Die PiS-Partei hat selbst den verstorbenen Papst Johannes Paul II. und einen sechzehnjährigen Jungen, Opfer eines Pädophilen, in ihre Propagandamaschinerie eingespannt. Der Junge, Sohn einer Oppositionsabgeordneten, nahm sich das Leben, nachdem die Medien ihn für praktisch jeden identifizierbar öffentlich exponiert hatten. Diese beiden Sachverhalte sprechen Bände über die Art, in der PiS das Land regiert. Da lohnt es sich, einmal genauer hinzusehen.

Eine Vision zum Schaden der Kinder

Nachdem regierungsunabhängige Medien Dokumente veröffentlicht hatten, die nachweisen, dass der polnische Papst Fälle von Kindsmissbrauch vertuscht hatte, indem er Priester von einer Gemeinde in die nächste versetzte, verabschiedeten Abgeordnete der PiS-Partei einen Beschluss zum Schutz des guten Namens Johannes Pauls II. Sie kümmerten sich nicht um die Opfer der pädophilen Priester, sie initiierten keine Debatte, wie die Kirche in Polen zu reformieren sei, sondern kehrten das den Kindern angetane Leid unter den Teppich, um den „besudelten Namen des Heiligen zu retten“, der so viel für die „Freiheit Polens“ getan habe. Diese familienfeindliche Haltung der Abgeordneten der PiS-Partei ist bezeichnend. So verhalten sich Mütter, deren Kinder davon sprechen, wie sie vom Vater missbraucht worden sind. Die schockierte Mutter beschuldigt das Kind, denn die Angst bringt sie dazu, der Rettung der Familie Vorrang zu geben und es auf keinen Fall auf eine Scheidung ankommen zu lassen. „Was werden nur die Leute sagen, und wie soll ich denn jetzt weitermachen?“, mit diesen Fragen quält sich die Mutter des Opfers. Da sie nicht mit der nötigen psychologischen Erkenntnisfähigkeit ausgestattet ist, macht sie das Kind zum weiteren Mal zum Opfer. Da an polnischen Schulen keine psychologische Erziehung betrieben wird, bildet diese Reaktionsweise einen Teufelskreis, der sich von Generation zu Generation fortpflanzt. Gegenwärtig rotiert er immer schneller. Der Bildungsminister hat für Psychologie im Schulwesen nur Verachtung übrig und setzt darauf, Kinder fern von Sünden zu halten. Er lässt in die Schulbücher ein religiöses Narrativ einführen; Andersartigkeit ist ihm zuwider. Die Kirche tut es ihm gleich, geübt wie sie darin ist, Schuld‑ und Schamgefühle zu wecken. So können sich Verhaltensmuster, die von einer Demütigung zu noch stärker erniedrigenden Verhaltensweisen führen, über Jahre hinweg fortsetzen. Die Wählerbasis, die nicht mit psychologischer Erkenntnisfähigkeit ausgestattet ist, wählt infolgedessen sehr gestörte Repräsentanten. Wie zu erkennen am Fall des Sohnes der Oppositionsabgeordneten Magdalena Filiks. Der Junge beging Selbstmord, nachdem ein „Journalist“ des öffentlich-rechtlichen Senders Radio Szczecin dessen persönlichen Daten öffentlich gemacht hatte. Angeblich aus Rache für die Politik der Abgeordneten, wie die Tageszeitung Gazeta Wyborcza berichtet. Auslöser war eine Überprüfung, die Magdalena Filiks in den Staatswäldern durchführte. Wie sie herausfand, hatten bei einer öffentlichen Ausschreibung „die von [Justizminister und Generalstaatsanwalt Zbigniew] Ziobro Ernannten“ elf Millionen Złoty ausgegeben, und die Empfänger waren hauptsächlich Kirchengemeinden, obwohl diese mit der Ausschreibung nichts zu tun hatten. Als nach dem Tod des Sohns der Abgeordneten eine Welle der Empörung über die die Öffentlichkeit verhetzenden, PiS-gesteuerten Medien durch die Internetforen ging, schritt die PiS-Partei zu einer noch größeren Öffentlichkeitsoffensive. Sie fand die Schuldigen bei der Opposition und in der „zu losen“ moralischen Einstellung der Mutter; sie schreckte also selbst beim Selbstmord eines Kindes nicht vor Lüge und Manipulation zurück.

In ihren acht Jahren an der Regierung hat es die PiS-Partei paradoxerweise dazu gebracht, Polen in die Ausgangsposition für einen zivilisatorischen Sprung zu bringen. In den nichtstaatlichen Medien, dem Gegengift zum polnischen Staatsfernsehen (TVP), behandeln Journalisten eine Unmenge von Themen, die vor acht Jahren noch nicht Gegenstand des öffentlichen Interesses waren: Verfassung, Minderheitenrechte, Skandale des Kindermissbrauchs in der Kirche, die Entmythologisierung Johannes Pauls II., Frauenrechte, den Bedarf an psychologischer Erziehung von den ersten Schuljahren an. Eine gewisse Hoffnung auf Veränderung im Lande lassen Meinungsumfragen aufkommen, die zeigen, dass die Zuschauer des TVP auch andere, regierungsunabhängige Informationsquellen hinzuziehen. Arroganz und Seelenlosigkeit, wie sie im Regierungslager herrschen, sind in ihrem Ausmaß selbst für konservative Wähler immer weniger erträglich, ganz wie die Kirche in Polen auch von außen kritisiert wird. Leider sind diese kritischen Stimmen wenig zahlreich und werden rasch von der Regierung zum Schweigen gebracht, aber die Kritik dringt doch in das öffentliche Bewusstsein vor und höhlt wie der Tropfen den Stein.

Wenn sich die PiS-Partei nicht ändert, wird sie das Schicksal der Kirche teilen, von der sich viele längst abgewendet haben. Dies ist ein schleichender Prozess, der aber doch immer deutlicher beim Katechismus und in den Kirchen sichtbar wird. Wo das Leiden der Kinder einfach verschwiegen wird, da gibt es keinen Gott.

Wenn auch nur ein Mensch, eine Frau, eine Mutter, ein weibliches PiS-Mitglied an das Rednerpult träte und sagte: Schluss mit dem Kindesmissbrauch, wir müssen die Kirche reformieren, unsere Vorstellungen gründlich ändern und uns an Werten ausrichten und sie nicht bloß ständig im Munde führen. Wenn nur eine Mutter, die Mitglied der Vereinigten Rechten ist, davon sprechen würde, dass die öffentlichen Medien einen Teenager, ein Opfer von Kindesmissbrauch, zu Tode gebracht haben, nur weil er Sohn einer unbequemen Abgeordneten war, würde eine noch nie dagewesene Lage eintreten. Dann wäre nicht auszuschließen, dass Polen von einer anderen Rechten regiert würde. Doch ist die polnische Rechte überhaupt dazu in der Lage, einen solche Wechsel zu vollziehen, so dass sie nicht mehr als rückwärtsgewandte, reaktionäre Gruppierung wahrgenommen würde? Und könnte sich dabei auch ihre Kernwählerschaft verändern, die ansonsten mehrheitlich unbenommen applaudiert, was auch immer ihre Partei unternimmt?

Saure Trauben und süße Zitronen

Dr. Joanna Modrzyńska, Politologin an der Nikolaus-Kopernikus-Universität Thorn, meint, einer Partei sei schwer zu trauen, die sich oft nicht an Vereinbarungen hält und ihr Wort bricht.

„Die PiS-Partei hat offenkundig großes politisches Kapital daraus geschlagen zu zeigen, sie habe für die Wähler zentrale Wahlversprechen tatsächlich erfüllt,“ sagt Joanna Modrzyńska. „In Polen sind es die Wähler gewohnt, dass Wahlversprechen gebrochen werden, so dass die Einführung des Sozialprogramms 500+ für Familien ganz wichtig für PiS war, um die Loyalität von zahlreichen Wählern zu kaufen, die andererseits kein Problem mit dem Streit um das Verfassungsgericht oder mit der hohen Inflation haben. Dann besteht in Polen noch das Problem, dass zwei Blasen entstanden sind, die der Regierungskoalition und die der Opposition. Das sind zwei inkompatible Blasen, hermetisch gegen rationale Argumente abgeschlossen und ein Bilderbuchbeispiel für  Rationalisierungen im Sinne der kognitiven Psychologie. Das funktioniert so, dass nicht erreichte Ziele in ihrer Bedeutung heruntergespielt werden, während in einer schlechten Lage immer noch ein Lichtblick gesehen wird. Auf diese Weise finden die Anhänger der Regierungskoalition stets eine Erklärung dafür, was die von ihnen unterstützten Politiker tun, während sie alles, was die Opposition macht, herabwürdigen. Daher hat es die polnische Rechte nicht nötig, sich zu ändern, zumindest solange sie weiter Wahlen gewinnt“, meint Joanna Modrzyńska. „Die Polarisierung der polnischen Politik hat dazu geführt, dass um die Wähler der Mitte eigentlich nicht mehr geworben wird, wie das sonst in europäischen Ländern üblich ist. Vielmehr laufen alle Wahlkämpfe darauf hinaus, nur die eigene Wählerschaft möglichst umfassend zu mobilisieren. Die Politiker haben die polnische Gesellschaft gespalten, indem sie an Emotionen appellieren und die öffentliche Debatte als erbarmungslosen Wettkampf betreiben. Für den durchschnittlichen polnischen Wähler sind daher Fälle von Vetternwirtschaft und Korruption nicht weiter wichtig, wichtig ist vielmehr, dass die eigene Seite obenauf ist. Gegen den gesunden Menschenverstand setzt sich die pure Emotion durch, das Bedürfnis, die andere Seite um jeden Preis zu demütigen, selbst wenn es sich dabei um ein Familienmitglied oder einen Freund aus der Kinderzeit handelt. Leider nimmt es lange Zeit in Anspruch, eine selbständig denkende Wählerschaft aufzubauen, was schon bei der frühkindlichen Erziehung Verhaltensänderungen erfordert. Zurzeit ist es für die Regierungskoalition keine Priorität, die polnische Politik qualitativ umzugestalten. Um an der Macht zu bleiben, bedient sie sich moderner Mittel, insofern lässt sie sich nicht als rückständig bezeichnen. Die Regierungskoalition hat ihre Hausaufgaben perfekt erledigt; sie hat die polnische Gesellschaft genauestens analysiert und diejenigen Schlüsse gezogen, wie sie immer wieder Wahlen gewinnen kann.“

Joanna Modrzyńska ist der Auffassung, der polnischen Gesellschaft sei kaum an Hochkultur, an unabhängiger Rechtsprechung oder daran gelegen, Mittel aus dem EU-Wiederaufbaufonds zu erhalten. Die meisten Polen bevorzugen Disco Polo, lesen kaum Bücher, gehen wenig ins Theater, und der Höhepunkt an Fortschrittlichkeit ist ein Großbildfernseher an prominenter Stelle im Haus, während sich Traditionen darauf beschränken, was sie bereits aus dem elterlichen Hause kennen, so wie das Stroh unter der Tischdecke an Heiligabend.

Professor Dariusz Dąbrowski, Historiker an der Kasimir-der-Große-Universität Bromberg, ist in dieser Hinsicht auch eher pessimistisch. „Es gibt wohl aus einem einfachen Grund keine Chance, die sogenannte polnische Rechte zu verändern: In Polen gibt es keine wirkliche Rechte. Die Parteien, die sich dafür ausgeben, sind in Wahrheit ein Konglomerat von ausschließlich oder so gut wie ausschließlich karrierebesessenen Leuten, die überwiegend aus sozialen Milieus stammen, die mit der Herkunft von konservativen Parteien wie in Großbritannien nichts gemeinsam haben. Nehmen wir zum Beispiel den ,Bankier der rechten PiS-Partei‘ Daniel Obajtek, den Chef des Erdölkonzerns Orlen. Wer ist er? Ein Bursche aus Pcim [Gemeinde in den südpolnischen Beskiden; A.d.Ü.], dem einige Durchstechereien angelastet wurden, bevor er seine Parteikarriere startete. Wer ist Zbigniew Ziobro? Der Sohn eines Arztes mit Verbindungen zur einstigen Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (PZPR). Wer ist Andrzej Duda? Er kommt zwar aus einer Professorenfamilie, aber seine weiteren Vorfahren waren Bauern. Ich neige nicht dazu, unkritisch die ,gute Abstammung‘ zu glorifizieren (es sei nur an die jüngste Affäre mit der Czartoryjski-Stiftung erinnert), doch bringt sie häufig ein Verhaltensmodell mit sich, das ein Verantwortungsgefühl für die Umgebung, für den Dienst an der Gemeinschaft und ihre verschiedenen Bedürfnisse begründet. Doch die Lobsänger des ,Konservatismus‘ aus der Vereinigten Rechten sind meistens Neureiche, die es auf Karriere um jeden Preis abgesehen haben. Noch schlimmer, die dazu neigen, eine Pöbelherrschaft zu errichten, denn die ist denen günstig, die regieren wollen, ohne Verantwortung zu tragen, die keineswegs ohne Eigeninteresse zum Wohle der Gesellschaft wirken wollen, sondern auf Raub und Diebstahl ausgehen, um ihren privaten Interessen und denen ihrer Partei zu frönen. Wenn wir einmal einen historischen Vergleich anstellen wollen, insofern die Nobilität des späten Imperium Romanum oder die Angehörigen der italienischen Mafia Konservative sind, dann sind in diesem Sinne die Vertreter der Vereinigten Rechten ebenfalls Konservative. Wo bleibt hier aber das britische Vorbild? Vermutlich in der unverhohlenen Verachtung, welche die Bonzen der Vereinigten Rechten für die ,niederen Sphären‘ bekunden. Gleiches gilt selbstverständlich für die Hierarchen der polnischen katholischen Kirche, welche den Bekennern des ,Konservatismus‘ nach Art der Vereinigten Rechten ein moralisches Alibi liefern.“

Dariusz Dąbrowski kann gar nicht genug betonen, dass die von der polnischen Rechten herausgestellten „konservativen Werte“ in Wahrheit nur Parolen sind, praktisch begrenzt auf Fragen von Gebräuchen und Kultur, überdies noch in verzerrter Interpretation, wie an der jüngsten Affäre um die hartnäckige Verteidigung Johannes Pauls II. deutlich wurde, der pädophile Straftäter im Klerus versteckte. „Haben nicht etwa gerade viele ,rechte‘ Politiker ihre kirchlichen Ehen aufgelöst und mit völligem Einverständnis des hohen Klerus erneut geheiratet?“, lautet Dąbrowskis rhetorische Frage. „Auch die Vergangenheit Polens zur Teilungszeit spielt eine negative Rolle. Im Sinne des Grundsatzes, dass schlechte Münze gute Münze verdrängt, gewinnt im Lande das russische Vorbild des Verhältnisses von Regierung zu Gesellschaft und Gesellschaft zu Regierung die Oberhand. Dazu gehört, dass staatliche Funktionsträger im Bewusstsein völliger Straflosigkeit handeln, besonders diejenigen in den oberen Etagen, während umgekehrt Misstrauen des gemeinen Volks gegen den Staatsapparat herrscht bei gleichzeitiger Bereitschaft, ihm als getreue Untertanen willig zu Diensten zu sein; denn schließlich ist Herrscher und Hof alles erlaubt.“

Nach Dąbrowskis Auffassung besteht keine Chance auf eine Modernisierung der polnischen Rechten. Wie übrigens umgekehrt nicht damit zu rechnen sei, dass in Polen eine starke Linke entstehen könnte. Abschließend Dąbrowski: „Ob die immer stärker beschleunigten zivilisatorischen Veränderungen es erfordern, sich auf die immer mehr in die Vergangenheit entschwindenden Trennlinien in Politik, Gesellschaft, Kultur und Brauchtum zu beziehen? Ich denke nein. Es zieht eine Auseinandersetzung der völlig einfallslosen korporativen Oligarchie mit dem verarmenden Rest der Gesellschaft herauf.“

 

Aus dem Polnischen von Andreas R. Hofmann

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Karina Obara

Karina Obara

Karina Obara ist Journalistin, Schriftstellerin, Dichterin, Essayistin und Malerin. Sie studierte Politikwissenschaften an der Nikolaus-Kopernikus-Universität in Toruń und europäische Journalistik am College of Europe in Warschau.

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