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Gering geschätzte Handelsströme

In seiner der auswärtigen Politik gewidmeten Sejmrede vom 13. April 2023 räumte der polnische Außenminister Zbigniew Rau vier westlichen Partnern und Verbündeten besonderen Raum ein: den Vereinigten Staaten, Großbritannien, Frankreich und der Bundesrepublik Deutschland. Die ersteren drei besonders herauszustellen, war naheliegend, da es sich bei diesen dreien um Nuklearmächte und ständige Mitglieder im Sicherheitsrat der UNO handelt; diese Einordnung erscheint in Anbetracht der aktuellen welterschütternden militärischen Anspannungen berechtigt. Zbigniew Raus an vierter Stelle kommenden Überlegungen zum Verhältnis zu Deutschland waren dagegen vollständig von drei Themen dominiert. Erstens erinnerte Rau ausführlich daran, wie Polen sich damit verdient gemacht habe, Deutschland vor der aggressiven Politik Russlands zu warnen und herauszustellen, welche Gefahr für den Frieden in Europa durch den Bau von Nord Stream 2 drohe. Das zweite Thema war die Wiedergutmachung für die Polen durch NS-Deutschland im Zweiten Weltkrieg zugefügten Leiden und Schäden. Die Bundesregierung hatte bereits im Januar verlautbart, zu diesem Thema keine Gespräche führen zu wollen, weil sie es für abgeschlossen halte, doch versicherte Rau, Polen werde nicht davon ablassen, nach einer befriedigenden Lösung dieser Frage zu suchen. Er gab keine Erklärung, auf welche Weise dies geschehen solle, und bei der Gelegenheit verglich er die prospektive Zahlung deutscher Entschädigungen an Polen mit denjenigen, die in Zukunft von Russland zur Zahlung an die Ukraine zu verlangen seien. Zur Einleitung des dritten Aspekts stellte der Minister fest, es gebe in Europa „kein allgemeines Interesse daran, den Deutschen die Führung des Kontinents anzuvertrauen“. Nach dieser im Namen Europas abgegebenen Erklärung fügte er hinzu, Polen werde danach streben, sein Verhältnis zu Deutschland als „Beziehungen zwischen zwei einander gleichwertigen Partnern“ auszugestalten. In der gesamten Rede fand sich nur ein einziger, beiläufiger Satz zum Thema der deutsch-polnischen Wirtschaftsbeziehungen: „Von Jahr zu Jahr werden Rekorde in unseren Handelsumsätzen gebrochen.“ Wenn auch der Wahrheitsgehalt dieser Aussage in keiner Weise anzuzweifeln ist, präsentiert sie doch kaum ein vollständiges Bild.

Genau einen Monat vor Raus Rede, am 13. März 2023, veröffentlichte das Statistische Bundesamt in Wiesbaden ein Ranking der wichtigsten Handelspartner Deutschlands 2022. Dieses Ranking vermittelt sehr aufschlussreiche Informationen über die Position der deutschen Wirtschaft in Europa und der Welt. Bei dem 1,5 Billionen Euro umfassenden deutschen Import halten die chinesischen Zulieferer mit 191 Milliarden Euro den ersten Platz, das heißt mit einem Anteil von fast dreizehn Prozent. Es ist nicht zu verhehlen, dass die starke Position Chinas Anlass zu einiger Sorge gibt, denn von dort kommt der überwältigende Teil der Elektrotechnik (Laptops, Smartphones, Graphikkarten) sowie der seltenen Erden. Doch bereits auf dem vierten Platz, lediglich nach den Niederlanden und den USA, aber noch vor Italien und Frankreich, befindet sich Polen mit 77 Milliarden Euro, einem Anteil von mehr als fünf Prozent. Die größte Warengruppe mit fast fünfzehn Prozent aller Lieferungen aus Polen bildeten Fahrzeuge und Fahrzeugteile. Dazu ist natürlich zu sagen, dass es sich großteils um Erzeugnisse der in Polen ansässigen Niederlassungen deutscher Unternehmen wie Volkswagen, MAN Truck & Bus AG und Mercedes-Benz Manufacturing handelt. Das zeigt jedoch andererseits, wie eng die Zusammenarbeit in dieser Branche ist. Es bedeutet daneben mehr als zehntausend attraktive Arbeitsplätze, die die deutsche Autoindustrie in Polen geschaffen hat. Die übrigen großen Warengruppen, die Polen an Deutschland lieferte, waren mit jeweils sieben bis zehn Prozent Anteil am Gesamtumsatz Maschinen und Ausstattungen, Lebensmittel, elektrotechnische und chemische Produkte sowie Möbel. Rohstoffe machten kaum mehr als zwei Prozent aus.

Die vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Daten erlauben zudem, die Handelspartner Deutschlands nach den Gesamtumsätzen einzuordnen, also der Summe aus Import und Export. Demnach gelangte China mit 299 Milliarden Euro wiederum auf Platz eins. Auf Platz zwei die Vereinigten Staaten (248 Mrd. Euro), auf Platz drei die Niederlande (231 Mrd. Euro), auf vier Frankreich (186 Mrd. Euro), auf fünf Polen (167 Mrd. Euro). Noch hinter Polen befanden sich Länder, die auf eine viel längere wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Deutschland zurückblicken können: Italien (161 Mrd. Euro), Österreich (147 Mrd. Euro) und Belgien (123 Mrd. Euro). Die Handelsumsätze machen die wirtschaftliche Vernetzung Deutschlands mit China und den USA deutlich, belegen aber auch die überwältigende Bedeutung seiner Beziehungen zu den Ländern der Europäischen Union. Vier davon, Niederlande, Frankreich, Italien und Polen bilden einen Rahmen, der die heutige deutsche Wirtschaft in Europa bestimmt.

Bei den Umsätzen mit Polen erzielte Deutschland einen Überschuss, nämlich 77 Milliarden im Import gegenüber 90 Milliarden im Export, doch lässt sich das keinesfalls so sehen, als werde Polen einseitig von in Deutschland produzierten Waren überflutet. Doch dies war genau die Vorstellung, mit denen die EU-skeptischen Kräfte in Polen den Wählern vor Jahren Angst einzujagen versuchten.

Wenn die deutschen Außenhandelsstatistiken Polen eine bemerkbare und wichtige Position als Handelspartner zuschreiben, zeigen die vom polnischen Hauptamt für Statistik (GUS) veröffentlichten Zahlen, dass Deutschland bei den polnischen Außenhandelsumsätzen ohne Frage den ersten Platz belegt. Das wird besonders am Export deutlich, der 2022 zu 28 Prozent nach Deutschland ging. Tschechien lag an zweiter Stelle, seine Abnahme von Waren aus Polen war aber mit sieben Prozent vierfach geringer, die des an fünfter Stelle liegenden Frankreich mit einem Anteil von knapp 5,5 Prozent fünffach geringer. Ohne Nachfrage seitens deutscher Abnehmer wäre die weitere Entwicklung der Wirtschaft Polens kaum vorstellbar. Auch beim polnischen Import lag Deutschland auf Nummer eins, obwohl sein Übergewicht über andere Partner in diesem Falle nicht so deutlich war. Die von Polen in Deutschland getätigten Einkäufe lagen bei 21 Prozent des Gesamtimports, aber aus dem auf Platz zwei liegenden China bei mehr als vierzehn Prozent. Bemerkenswerterweise waren beim Import Deutschland und Polen in ähnlichem Grade mit China verbunden, nämlich mit 13 Prozent im deutschen Fall und 14 Prozent im polnischen. Der Import aus China ist offenkundig für alle europäischen Wirtschaften gleichermaßen eine Herausforderung.

Unabhängig von der gesonderten Frage von Nord Stream 2 war es doch eine Ungeschicklichkeit des polnischen Außenministers, die Abhängigkeit Deutschlands von der russischen Wirtschaft herauszustellen. Die deutschen Importe aus Russland bestanden zu 75 Prozent aus Rohstoffen, fossilen Brennstoffen und Schmiermitteln. Sie lagen 2022 bei 35 Milliarden Euro, also weniger als der Hälfte des Imports aus Polen, so dass sich Russland im Ranking auf Platz 14 befand und nur zwei Prozent des deutschen Gesamtimports lieferte. Im Licht der GUS-Zahlen nahm Russland dagegen bei den polnischen Importen 2022 immer noch Platz drei ein, gleich nach China, und sein Anteil am Gesamtimport lag bei über 5,5 Prozent. Zum Glück war der Export nach Russland aus beiden Ländern nur von marginaler Bedeutung, nämlich in beiden Fällen bei annähernd einem Prozent.

Deutschland auf Platz eins im gesamten Außenhandelsumsatz Polens und Polen auf Platz fünf (sowie Platz drei im Vergleich allein der europäischen Länder!) in den Außenhandelsumsätzen Deutschlands belegen, dass zwischen beiden Wirtschaften dauerhafte, wechselseitige und wichtige Verbindungen bestehen. Das ist doch wohl ein unvergleichlich besserer Ausgangspunkt für Überlegungen zur Weiterentwicklung der deutsch-polnischen Beziehungen als das, was Außenminister Zbigniew Rau in den Mittelpunkt seiner Ausführungen gestellt hat.

 

Aus dem Polnischen von Andreas R. Hofmann

 

Dariusz Filar

Dariusz Filar

Professor an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Danzig, Redakteur und Publizist des „Przegląd Polityczny“.

Ein Gedanke zu „Gering geschätzte Handelsströme“

  1. Ohne an dieser Stelle ins Detail gehen zu wollen, sind die deutsch-polnischen bzw. polnisch-deutschen Beziehungen allgemein und insonderheit auf der wirtschaftlichen sowie handelspolitischen Ebene schlicht und ergreifend zu befürworten.
    In meinem Umfeld sehen das die Menschen so ähnlich, v. a. auch die Deutsch-Polnischen Gesellschaften.

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