Bis zu zwanzig Jahren malt er an einem Gemälde. Schicht für Schicht. Mit erstaunlicher Vitalität füllt er riesige Leinwände mit Strukturen, Zeichen und Farbtiefe. Adam Shaw, der amerikanische Maler mit polnisch-jüdischen Wurzeln, hat sein Leben der Kunst verschrieben. Wer ein Gemälde von ihm betrachtet, kann seinen Blick nicht mehr losreißen, bis er eine Art innere Befreiung erlebt. Besonders gut kennen das seine Sammler aus Deutschland, die sich in seine Kunst verliebt haben.
Nach elf Stunden Flug komme ich am späten Nachmittag aus London in Kalifornien an. Adam wartet auf dem Flughafen in San Francisco mit einem Gemälde auf mich, auf das er meinen Vornamen gemalt hat. Es ist ein kleines Gemälde, das sich problemlos in den Händen halten lässt. Doch es fällt ins Auge. Die vielen Schichten Ölfarbe, die monatelang aufgetragen wurden, lassen Strukturen, Einkerbungen und eine mehrdimensionale Oberfläche entstehen. Die enorme Farbigkeit ist das Alleinstellungsmerkmal des Künstlers, den man getrost einen der hervorragendsten amerikanischen Maler mit polnisch-jüdischen Wurzeln nennen kann. Doch er spricht kein Wort Polnisch. Er kann die Sprache nicht. Wir fahren in sein Haus in Grass Valley im Hochgebirge Sierra Nevada. Von San Francisco sind es drei Stunden mit dem Auto.
Warum kann er kein Polnisch, wenn seine Großeltern polnische Juden waren? Adam erinnert sich, dass sie mit einem schweren Akzent Englisch sprachen. Und dass sie nicht von ihrem Herkunftsland reden wollten. Den Grund dafür hat er nie erfahren.
„Meine Großeltern väterlicherseits kamen irgendwann in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts von Polen in die Staaten, aber sie lernten sich, soweit ich weiß, erst in New York kennen“, erzählt er. „Großvater kam über Südamerika hierher. Großmutter reiste direkt nach New York. Er hieß Louis Schefkowitz, und sie Rose Rothmann. Ihr Vater hieß Abraham Rothmann und wurde 1933 Staatsbürger der USA. Er hatte drei Kinder. Außer Rose waren da noch Hyman und Joe. Das ist wirklich alles, was ich über sie weiß.“
Über Polen sei zu Hause geschwiegen worden. Als hätte das Land im Leben der Einwanderer überhaupt keine Rolle gespielt. Weder eine gute noch eine schlechte. Es existierte in ihrer Geschichte nicht. Ein schwarzes Loch. Er habe mit dem Gedanken gespielt, das Herkunftsland seiner Vorfahren kennenzulernen, aber nie einen Schritt in diese Richtung unternommen. Er hat keine Dokumente durchgeblättert, keinen Druck auf seine Großeltern ausgeübt, damit sie erzählen. Er respektierte ihr Schweigen. Er unterdrückte seine Neugier. Alle emotionalen und seelischen Kräfte richtete er auf sein Schaffen. Bis ich einen Tag nach seinem 67. Geburtstag anreise und ihn zu löchern beginne. Da muss er das stundenlange Malen bleiben lassen und sich mit mir unterhalten.
So erinnert sich Adam Shaw an den Beginn seiner Malkunst:
„Ich habe schon immer gezeichnet und Hefte mit Gekritzel und Wortbildern gefüllt, aber meine ersten Ölgemälde entstanden, als ich Student an der State University of New York in New Paltz war. Ich wollte Kunst besitzen, aber ich wollte mir keine Plakate hinhängen, deshalb beschloss ich, sie einfach selbst zu malen. Das waren größtenteils Imitationen von Miró, Kandinsky und Klee und abstrakte Punktmalerei oder einzelne Pinselstriche mit Verspritzungen und Punkten. Danach habe ich jahrelang nicht wirklich gemalt. Bis ich nach San Francisco zog und an meiner Magisterarbeit über Poesie arbeitete. Immer wenn ich eine Schreibblockade hatte, malte ich, um meine kreative Energie fließen zu lassen. Im Gegensatz zur Literatur, in der ich in mehreren Sprachen (Latein, Griechisch, Italienisch, Russisch) sehr gründlich ausgebildet war, war ich beim Malen freier, denn obwohl ich viel Kunst gesehen und Kunstgeschichte studiert habe, habe ich mich nie zum Maler ausbilden lassen. Ich habe studiert, um Dichter zu sein. Ich konnte beim Malen also auf eine Art und Weise kreativ sein, die mich beim Lernen nicht störte, und ohne das Gefühl zu haben, dass mir der ganze westliche Kanon über die Schulter schaut.“
Inspirationen und Schatullen
Er wurde in New York geboren und ist hier aufgewachsen. Die schönsten Momente seiner Kindheit verbindet er mit Ausflügen der Schulklasse in das Museum of Modern Art und das Metropolitan Museum of Art. Als er etwa zehn Jahre alt war, sah er Broadway Boogie Woogie von Mondrian, Sternennacht von van Gogh, er sah James Ensor, Gauguin und Picasso.

„Aber das, was mich wirklich umhaute, war, die gigantischen Leinwände von Robert Motherwell und Franz Kline zu betrachten, ihre riesigen, mutigen Linien“, erinnert sich Shaw. „Überhaupt haben mich die abstrakten Expressionisten stark beeinflusst. Das Ausmaß und die Kraft ihrer Werke begeisterten mich. Natürlich hatte ich keine Ahnung, dass ich Maler bin oder sein werde, aber jetzt sehe ich mich, wie ich vor diesen riesigen Leinwänden stehe. Damals war mir noch nicht bewusst, was diese Werke bedeuten. So war es einfach. Die Stille, die Präsenz und die Kraft hatten eine enorme Wirkung auf mich.“
Jahre später, als er Malen lernte, war er wie besessen von vielen herausragenden Künstlern. Es fing an mit Willem de Kooning, dann kam Zao Wou-Ki. Aber er kehrte zurück zum Studium der Kunstgeschichte und verliebte sich in Cézanne, Matisse und Soutine. Dann kamen Corot, Chardin, Vermeer, Bosch, Botticelli, Raffael, Tizian, bis er schlussendlich Rembrandt verfiel. Und wenn er sich in einen Künstler verliebte, verschlang er jedes seiner Gemälde, studierte jeden Quadratzentimeter und baute eine Bibliothek mit tausenden Bänden über Kunst auf. Von Diego Velázquez, über Goya bis hin zu Diebenkorn, Mark Tobey, Tàpies und Kiefer. Leidenschaftlich studiert er auch chinesische Landschaftsbilder und japanische Holzschnitte – Hiroshige und Hokusai sind seine absoluten Lieblinge. Ihre Werke beeinflussten sein Gefühl für Komposition und den Sprachgebrauch in seinen Gemälden, von denen Betrachter am stärksten beeindruckt sind.
Es haben ihn also viele Künstler beeinflusst. Aber er wollte immer etwas anderes tun, etwas originelles und unnachahmliches.
Und er tat es. Jedes seiner Gemälde ist eine Erzählung, die andere Erzählungen assoziiert. Sie sind Schachtel-Werke mit hunderten Bezügen, Spuren, Mustern und ganz unterschiedlichem Licht. Nach längerer Betrachtung kann man sich kaum des Eindrucks erwehren, dass auf seinen Gemälden selbst die Farbe Schwarz Licht ist. Es sieht aus, als hätte die unermüdliche, hartnäckige Suche nach dem Leuchten schließlich die beabsichtigten Resultate gebracht. Der Künstler hat das Licht aus dem Dunkel hervorgeholt. Und es belebt. In Codes, in Strukturen, in tanzenden Farbatomen. Kosmos, Sterne, Naturwunder, in den Raum versendete Signale, das Atmen von Planeten, die Reinigung der Sinne. Die Liebe zum Sein. Er macht Ausstellungen, Installationen und Skulpturen. Hunderte Sammler in beiden Amerikas, in Deutschland, und Großbritannien studieren seine Werke jahrelang. Und jedes Mal entdecken sie neue Inhalte und Bedeutungen, dass sich Welten und Farben durchdringen, sowie den außergewöhnlichen Geist des Künstlers selbst.
Er spürt, dass er seine Bestimmung erfüllt. Er hat sein Leben einer Sache verschrieben, die größer ist als er. Er lässt sich von dieser inneren Stimme führen. Seine Mission ist es, dem Leben durch Kunst Bedeutung zu verleihen. Er verlässt sein Atelier, das voll ist mit Gemälden, fast nie. Werke, die für Ausstellungen vorgesehen sind, lagert er in einem anderen nahegelegenen Gebäude. Wir sehen sie uns alle lange und genau an. Nach ein paar Stunden fühle ich mich, als hätte ich mehrere Museen auf einmal besucht. Unter seinen Werken ist nicht ein einziges schwaches Werk. Viele entstanden über mehrere Jahre, manche in über zwanzig Jahren. Schicht für Schicht. In der Sonne getrocknet, im Atelier, vor dem Haus. Selten mithilfe von chemischen Mitteln, die den Trocknungsprozess von Ölfarben beschleunigen. Adam will, dass die Elemente – Sonne und Luft – mit ihm zusammen an einem Gemälde arbeiten. Er malt ständig. Er ist ein Titan der Malerei. Dafür zahlt er mit Einsamkeit und einem chronischen Husten. Die Dämpfe der Ölfarben, die er seit Jahrzehnten einatmet, haben in seinen Lungen Spuren hinterlassen. Sich voll und ganz dem Schaffen zu ergeben, bei dem die starke künstlerische Botschaft Priorität hat, bedeutet auch, auf häufige Begegnungen mit Menschen zu verzichten. Seine Liebe zu den Menschen drückt er aus, indem er für sie malt. Ein Gemälde aber findet seinen Weg immer dorthin, wohin es ihn finden soll. Ein Sammler verliebt sich darin so, wie Adam sich einst in die Werke seiner Meister verliebte.
Er lebt mit seinem Hund Moe und der Katze Lila May
„Ich lebe unter den Augen meiner Tiere!“ Gefühlvoll streichelt er seinen Hund, der fast immer bei ihm ist. „Der ständige Blickkontakt mit ihnen, der Kontakt mit ihrem allgegenwärtigen, riesigen, liebenden Selbst, ist die Freude meiner Existenz.“
Sie sind seine besten Freunde. Und so verhalten sie sich auch. Sie schlafen mit ihm in einem Bett. Sie folgen ihm auf Schritt und Tritt und begleiten ihn sogar bei seiner täglichen Meditation. Denn Adam Shaw ist zwar amerikanischer Jude mit polnischen Wurzeln, führt aber ein buddhistisches Leben. Zudem ist er Philosoph, Dichter, Meditationslehrer, Bildhauer und Mentor für Maler, die sich auf der Suche nach eigenen Wegen von seinem umfangreichen Werk inspirieren lassen. Was gibt er ihnen mit? Alles, was er weiß und in der Kunst fühlt. Und er ist sehr großzügig.

„Die Malerei, das Erschaffen von Kunst, ist für mich alles“, gesteht er. „Das klingt wie eine Hyperbel, ist es aber nicht. Andererseits bedeutet das gar nichts. Es ist wie der Unterschied zwischen Leben und Tod. Aber solange ich lebe, ist die Malerei meine Daseinsberechtigung. Welchen anderen Grund als einfach zu existieren, kann es für jemanden geben, der sich nach dem Bedürfnis ausrichtet, Kunst zu erschaffen, der danach besessen ist? Wahrscheinlich würde niemand sagen, dass der Grund für seine Existenz in der Tatsache besteht, dass er Klempner, Hausmeister, Zimmermaler, Pilot, Beamter, Jurist oder sogar Arzt ist. Nicht dass etwas schlechtes daran wäre, solche Dinge zu tun. Aber Künstler zu sein unterscheidet sich darin, dass du dein Leben dem Schaffen von Dingen widmest, die nutzlos zu sein scheinen, im Alltagsleben sogar überflüssig. Und du verbringst fast deine gesamte Zeit damit, dir Kompositionen auszudenken, aus der Leere Schönheit entstehen zu lassen, um ein Produkt zu erschaffen, das keine Ware des Grundbedarfs ist, aber das Leben des Käufers und des Betrachters verändern kann. Niemand, der bei Verstand ist, würde so etwas tun, wenn er die Wahl hätte. Aber ich finde in dieser Hingabe mein Glück und meinen Lebensinhalt.“
Parallel zu der schweren körperlichen Arbeit an seinen großformatigen Gemälden, arbeitet Adam auch innerlich. Er ist sich darüber im Klaren, dass er ohne dies keine gute Kunst machen könnte. Das Leben hat ihm einige Grenzerfahrungen gebracht, die zu der Tiefgründigkeit seiner Malerei beitragen.
Im Jahr 2017 wurden die Folgen des Klimawandels sehr real, als ein Großbrand in Sonoma County und Napa County wütete und tausende Häuser zerstörte. Über die Hälfte der Häuser in der kleinen Ortschaft Glen Ellen, wo er damals wohnte, brannte bis auf die Grundmauern nieder. Adam war damals nicht zu Hause. Wie durch ein Wunder überstand sein Haus – mit über 300 Gemälden und 100 Skulpturen – den Brand.
„Aber man hatte mir gesagt, dass mein Haus abgebrannt sei, deshalb war in meinem Kopf alles zu Ende“, erinnert er sich an die Zeit des Brandes. „Als ich dann erfuhr, dass mein Haus und mein Lebenswerk den Brand überstanden hatten, war ich unendlich dankbar. Aber die Wahrheit ist auch, dass etwas in mir enttäuscht war. War ich enttäuscht, weil ich in dem Brand nicht alles verloren hatte?! Ja, weil der Gedanke, dass ich alles verloren habe, dazu führte, dass ich mich gewissermaßen frei fühlte, als hätte ich ein weißes Blatt und könnte neu anfangen.“
Diese charakteristische Haltung – der Geist eines Anfängers – ermöglicht es ihm, seinen frischen Blick und seine Kreativität zu erhalten. In dem riesigen Amerika hat er sich für ein Leben inmitten von wilder Natur entschieden. Das gibt ihm die Möglichkeit, seine kreativen Batterien aufzuladen und lässt ihm Abstand zu der Welt, die er mit wachsender Unruhe beobachtet.
Die Vereinigten Staaten nimmt er als spektakuläres geografisches Phänomen wahr. Dieses Amerika ist atemberaubend, weitläufig und mannigfaltig. Nie kann man auch nur einen Bruchteil von ihm einfangen, selbst wenn man sein ganzes Leben hier verbringen würde. Und obwohl jede Region, jeder Staat, jede Gemeinschaft einen anderen Geschmack haben kann, sind die kulturellen Gräben schmaler als die geografischen.
„Abgesehen von der Bildung der Amerikaner oder ihrem Fehlen und ihrer Meinung zur staatlichen Fürsorge den Bürgern gegenüber (die einen sind dafür, die anderen dagegen), ist Amerika ein Sein ohne Bewusstsein“, so Adam. „Alles hier braucht Läuterung. Vor allem die grassierende Polarisierung. Die Linke und die Rechte verachten sich gegenseitig. Und das führt zu so vielen Ebenen des Negativen, des Hasses, der Wut und der Empörung, dass es sich hier kaum ruhig atmen lässt. Donald Trump hat sich in das alles ideal eingepasst. Er ist eine Art Galionsfigur bei der Idealisierung von Ignoranz. Er ist ein so unglaublicher Ignorant, dass er gar keine wirkliche Person ist. Er ist die Konsequenz. Die Konsequenz einer leeren, geistlosen ungesteuerten Kultur. Ehrlich gesagt ist Trump das direkte Resultat der Existenz von Andy Warhol. Warhols Erhebung einfacher Gegenstände in den Rang der schönen Kunst war das erste Warnsignal dafür, dass etwas nicht stimmt. Seine Fähigkeit, die Menschen davon zu überzeugen, dass das Bild eines Dollarzeichens beispielsweise ein Bild der Jungfrau Maria ersetzen kann oder die reine Vision von der leidenschaftlichen Hingabe, wie bei de Kooning oder anderen abstrakten Expressionisten – die Vision dessen, was heilig ist, wird ersetzt gegen das, was nicht nur prosaisch, sondern auch oberflächlich ist. Er war ein Kanarienvogel in der Kohlegrube, der den Tod der westlichen Kultur signalisierte. Und Trump ist lediglich die unvermeidliche, erbärmliche Konsequenz einer Intelligenz, die alles verflacht und bis zur Niveaulosigkeit plattplaniert.“
Hat er Angst vor Trump?
„Ich fürchte mich sowohl davor, dass er verliert, als auch davor, dass er gewinnt“, sagt Adam, sichtlich besorgt nicht nur um das Schicksal Amerikas, aber auch Europas, dass sich seiner Meinung nach berechtigterweise vor Problemen mit Trump fürchtet. „Er ist ein so starker Blitzableiter für Wut und Gewalt, dass wenn er verliert, es auf den Straßen zu Blutvergießen kommen kann. Und wenn er gewinnt sind – angesichts der Tatsache, dass die gesamte Republikanische Partei (die fünfzig Prozent der Amerikaner ausmacht) geschockt ist von der Kraft seiner Anhänger – die Pfeiler der Demokratie in Gefahr.“
Wir bedauern beide, dass Menschen wie Trump sich nicht dafür interessieren, Gemälde zu betrachten. Sie studieren sie nicht und sie schätzen ihre Botschaft nicht. Schade. Wenn es so wäre, gäbe es einen Funken Hoffnung, dass sich in ihnen ein Wandel vollzieht. Bislang aber hat kein Politiker öffentlich zugegeben, dass je ein Gemälde, das er gesehen hat, eine ganze Welt gerettet hätte. Die Sammler von Adam Shaws Werken sagen hingegen, dass die Gemälde, die sie von ihm gekauft haben, ihr Leben verändert haben. Als hätten sie in ihnen zu leben und auf einer zutiefst spirituellen Ebene zu arbeiten begonnen, so dass sich spontan Lebenssinn und Lebenslust eingefunden haben.

Als ich auf dem Rückweg nach Polen bin, kann ich nicht aufhören, über seine polnisch-jüdischen Wurzeln nachzudenken. Dieser Mann, dessen Kunst einen so unglaublichen Einfluss auf viele zeitgenössische Künstler hat, auch auf meine Malerei und meine Lebenseinstellung, gehört zu einem Teil zu Polen. Ich kann nicht schlafen. Alles in mir fordert mich dazu auf, mich auf die Suche zu machen. Genealogische Nachforschungen werden notwendig. Mithilfe von Aleksandra Kacprzak, die sich mit der Suche nach den Wurzeln polnischer Emigranten befasst, untersuchen wir Adams Fall. Es zeigt sich, dass seine Vorfahren aus Ostpolen stammen. Seine Großeltern mussten sich bereits als Kinder gekannt haben, weil sie in dem gleichen Dorf lebten. Großmutter Rose (Ruchla) Rothmann wurde am 14. Oktober 1902 in Zaręby Kościelne geboren und hatte eine Zwillingsschwester, die Liba hieß und schon als Kind starb. Großvater Louis (bei seiner Geburt wurden ihm die Vornamen Srul Leibko und der Nachname Szewcowicz gegeben) wurde am 24. Dezember 1903 in Bystrogrzęda (das Dorf existiert nicht mehr), in der Nähe von Zaręby Kościelne geboren (wo sich eine Synagoge befand). Das sind etwa drei Autostunden von Warschau. Er war Schuster. Nach New York kam er über Buenos Aires im Jahr 1922. Rosa kam mit ihrem verwitweten Vater Abraham Rothmann und zwei Geschwistern.
Bis zum Zweiten Weltkrieg lebten Polen und Juden in Zaręby Kościelne friedlich zusammen. Es gab hier eine jüdische Schule mit einem Laientheater. Fast die gesamte jüdische Gemeinschaft von Zaręby Kościelne wurde am 28. September 1941 von Deutschen ermordet. In den Wäldern in der Nähe des Dorfes Mianówek. Von dem jüdischen Friedhof, auf dem Adams Vorfahren begraben wurden, gibt es fast keine Spur. Der Friedhof wurde während des Krieges zerstört.
„Tja, scheint so, als lebe ich, weil mein Großvater, ein bescheidener Mensch, der Träume hatte, den Mut fand, rechtzeitig in die Welt zu ziehen, mit ein paar Dollar in der Tasche“, sagt Adam bewegt, als wir uns über den Ozean in Verbindung setzen und unsere Gesichter auf dem Bildschirm sehen. „Ob er vorausahnte, was in Europa geschehen würde?“
Ich schaue in seine glasigen, hellblauen Augen. Er weiß, dass er mit dieser Frage wird leben müssen, ohne eine Antwort. Er sucht sie nicht. Er lässt seinen Gefühlen, die hinter dieser Frage verborgen sind, freien Lauf. Über seinem Kopf erscheint ein Licht. Es kommt von der Sierra Nevada.
Aus dem Polnischen von Antje Ritter-Miller
Mehr Informationen über den Künstler: https://www.adamshawstudio.com