Eine Reihe von Großbränden in Polen, der Anschlag auf den slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico und die beunruhigenden Äußerungen des polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk, in der letzten Zeit seien einige Sabotageakte von den polnischen Nachrichtendiensten verhindert worden. Eigentlich stellt sich längst nicht mehr die Frage, ob, sondern nur noch, in welchem Maß Russland dahintersteckt.
Dennoch können wir das Ob nicht einfach außer Acht lassen. Denn letztlich lässt sich nicht ausschließen, dass es noch andere Ursachen als Anstachlung von außen geben könnte. Die ersten Reaktionen Donald Tusks und des neuen polnischen Innenministers Tomasz Siemoniak, der den bei den Wahlen zum Europäischen Parlament antretenden Marcin Kierwiński ersetzt, auf die Brandserie waren ausgesprochen abwägend. In Warschau war eine große Markthalle völlig niedergebrannt; in Schlesien brannten an einem Busbahnhof unter anderem zehn Busse aus; ferner brannte es auf mehreren Mülldeponien. „Wir gehen allen Möglichkeiten nach“, antwortete Siemoniak im Sejm auf die Frage von Abgeordneten nach diesen beunruhigenden Vorgängen.
Schließlich gibt es zahlreiche Erklärungsmöglichkeiten. In der Warschauer Markthalle gab es fast 1500 Verkaufsbuden, in denen überwiegend Vietnamesen, aber auch Türken, Ukrainer und nicht zuletzt auch Polen ihre Geschäfte machten. Der Verlauf des Brandes lässt Brandschatzung vermuten, aber es könnte ein rein kriminelles Motiv dahinterstecken. Großbrände auf Mülldeponien hat es in Polen auch in vergangenen Jahren schon des Öfteren gegeben, aber es handelte sich um von den Eignern angelegte Brände, um Kosten zu vermeiden.
Doch blieb es schließlich nicht bei den Bränden. Immer noch gehen in Polen die Spekulationen um, was es mit dem Anschlag auf Ministerpräsident Robert Fico in unserem südlichen Nachbarland Slowakei auf sich haben könnte. Mit einem Anschlag, der nach ersten Untersuchungen von einem Menschen begangen wurde, der mit einer kremlnahen Organisation in Verbindung steht, dessen Motive jedoch nicht völlig nachvollziehbar sind. Als die Ärzte um Ficos Leben kämpften, der wohlgemerkt als „trojanisches Pferd Putins“ bekannt ist und nicht davor zurückscheut, seine Gegner aus der liberalen Opposition mit den übelsten Beschimpfungen zu bedenken, hatten Kommentatoren keinen Zweifel: „Das Land ist vielleicht im Schock, aber in den sozialen Medien wird ein echter Bürgerkrieg geführt.“
Zwar gab die slowakische Polizei nach einigen Tagen bekannt, der Attentäter habe als Einzeltäter gehandelt, doch auch das schließt nicht aus, dass die Anstiftung für seine Tat aus Russland kam.
Zu welchem Zweck sollten russische Dienste Brände und andere (verhinderte) Sabotageakte anstiften? Aus welchem Grund sollte Robert Fico Ziel eines Anschlags werden und nicht beispielsweise ein Politiker der liberalen Opposition?
Der Zweck der Brandanschläge ist leicht zu durchschauen. Es geht darum, die Gesellschaft in Angst zu versetzen, Unsicherheit zu verbreiten, ob der eigene Staat fähig und in der Lage sein könne, seinen Bürgern Sicherheit zu gewährleisten. Oder auf einer operativen Ebene geht es darum festzustellen, über welche reaktiven Fähigkeiten die gegnerischen Dienste verfügen. Das wäre besonders wichtig, wenn ein ähnlicher Angriff von größerem Ausmaß geplant ist. Auch ist nicht auszuschließen, dass die Anschläge dazu dienen, die Dienste mit Aufgaben wie Ausrüstungsmusterung und Verfahrensroutinen beschäftigt zu halten, während sie doch eigentlich dazu eingesetzt werden sollten, bei der Reanimierung oder vielmehr Reaktivierung der Zivilverteidigung Unterstützung zu leisten.
Aber wozu soll ein Anschlag auf Fico gut sein, der gemeinsam mit Viktor Orbán als Unterstützer Russlands an einem Strang zieht? Mögliche Motive fügen sich hier aber bestens in Moskaus Modus operandi ein. Ein Anschlag auf den eigenen Mann, zusätzlich dadurch begründet, dass der Attentäter angeblich Regierungsvorhaben ablehnt, sich die öffentlichen Medien gefügig zu machen, klingt nach einem guten Plan zur Mobilisierung der antiliberalen Wählerschaft. Während die liberalen Wähler vielleicht politisch deaktiviert werden, wenn sie zu sehr darüber nachsinnen, wie es nur soweit hat kommen können. Ganz wie es bereits in Politthrillern beschrieben wurde, etwa in „House of Cards“ von Michael Dobbs, und zwar im letzten Band der Trilogie „The Final Cut“. Es gibt natürlich Unterschiede – selbst in der wildesten Phantasie ist schwer auszumalen, der slowakische Ministerpräsident könnte sich selbst als Anschlagsziel eingeplant haben, und es ist nicht erst seit heute bekannt, dass die Geschichte sich als Farce wiederholt und Dobbs’ Bücher eine stark inspirierende Ausstrahlung haben. Vorerst zwar nur in der Unterhaltungsindustrie, siehe die US-Kultserie „House of Cards“. Die Mobilisierung von Europaskeptikern und die Demobilisierung der proeuropäischen Wähler einige Woche vor den Wahlen zum Europäischen Parlament könnte schließlich weit über die Slowakei hinausgreifen. Wir leben im Europa der aufgehobenen Grenzen, mit allen daraus resultierenden Folgen.
Und wenn schon einmal von Grenzen und Grenzüberschreitung die Rede ist… Vor fast zwei Jahren sagte General Piotr Pytel, 2014/15 Chef des Militärischen Nachrichtendienstes, der nach dem Regierungsantritt von Recht und Gerechtigkeit 2015 aus dem Dienst ausgeschieden war, in einem langen Interview mit der „Gazeta Wyborcza“: „Russland ist bereits hier.“ Das Interview fand starke Resonanz in der polnischen Öffentlichkeit, doch vielleicht nicht so starke, wie Thema und Status des Gesprächspartners es verlangt hätten. Pytel legte Punkt für Punkt dar, wie sehr Jarosław Kaczyńskis politisches Lager den Intentionen des Kremls und der russischen Nachrichtendienste zuarbeiteten. Einige Monate nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine skizzierte Pytel zudem seine Vorstellungen von der gar nicht mehr so fernen Zukunft. „Ich erwarte terroristische Anschläge in Europa. Die FSB [Inlandsgeheimdienst der Russländischen Föderation; A.d.Ü.] hat ihre Fühler bis hinein in die islamistischen Terrororganisationen. Sie kann Anschläge unter falscher Flagge verüben.“ In Reaktion auf den Unwillen der PiS-Partei, eine Begnadigung für Polen gesetzlich zu verankern, die auf ukrainischer Seite unmittelbar an dem Kampf teilnahmen, fügte er hinzu: „Zu der langen Reihe von Verfehlungen von PiS gehört, dass die Partei fanatisch antiukrainischen Organisationen wie etwa dem ,Lager Großpolens‘ alle Freiheiten gewährt hat; was dort für ein Hass herrscht. Es gibt daneben Gruppen von Impfgegnern, die Falschinformationen gegen die Ukrainer ausstreuen. PiS unternimmt nichts dagegen, so als ob sich die Partei dieses Potential erhalten wolle.“
Ja eben, die Impfgegner. Beim Gedanken, Russland ist schon hier, darf nicht fehlen: Seit längerer Zeit, während wir dem als Staat völlig tatenlos zugesehen haben. Und wenn es nur bei dieser Tatenlosigkeit geblieben wäre.
Bereits mehrere Jahre vor der Covid-Pandemie hatten journalistische Recherchen unter Beteiligung von polnischen Medienorganisationen klargemacht, dass der Kreml die Impfgegner-Bewegungen und darüber hinaus wissenschaftsskeptische Gruppierungen nutzte, anleitete und finanzierte. Dahinter steckte ein geradliniges und leicht zu durchschauendes Ziel: die Polarisierung der Meinungen und auf diesem Wege die Destabilisierung der Gesellschaften des Westens. 2018 brachte die „Times“ einen aufsehenerregenden Beitrag, der detailliert die zynischen Bemühungen der russischen Nachrichtendienste beschrieb, in den sozialen Medien die Bewegungen der Impfgegner zu fördern. Dies war umso zynischer, als in Russland selbst wie in anderen postkommunistischen Ländern die Vorschriften zu den Impfungen ziemlich restriktiv sind und Impfkampagnen einigermaßen reibungslos durchgezogen werden. Die Propaganda gegen die Impfungen ist auf den Export zugeschnitten. „Ziel ist die Destabilisierung des Westens, und jedes Thema, an dem sich die öffentliche Meinung scheidet, vom Brexit bis zu genetisch modifizierten Nutzpflanzen, bietet sich dafür an“, schrieb die „Times“, die sich nicht nur auf eigene Recherchen stützte, sondern auch auf Ergebnisse der Universitäten von Maryland und John Hopkins sowie des „American Journal of Public Health“.
Po-la-ri-sie-rung. Polarisierung ist kein ausschließlich polnisches Problem: Ungarn, die Slowakei, vielleicht in geringerem Maß auch Tschechien, alle Länder der Visegrád-Gruppe, Länder, an denen Russland nach wie vor ein besonderes Interesse hat, kämpfen mit dieser Bedrohung.
Polarisierung, also die vom Kreml zum Krieg gegen den Westen abgesteckte Front, an der wir uns viel zu lange auszuharren bestimmt sind. „Die letzten acht Jahre wurden Polinnen und Polen durch die Regierung der Bürgerplattform ignoriert“, sagte Ministerpräsidentin Beata Szydło (PiS) bei ihrer Regierungserklärung im Herbst 2015. In das Jahr 2024 übertragen, können wir mutig hinzufügen: Die letzten acht Jahre wurden Polinnen und Polen durch die Regierung der Vereinigten Rechten gespalten.
Wie General Pytel, aber nicht nur er allein gezeigt haben, eine Regierung, die Gruppierungen von Impfgegnern mindestens tolerierte, und schlimmer noch sogar finanziell unterstützte. Allein die Zahlungen aus staatlichen Einrichtungen oder Unternehmen im Staatsbesitz an Verlage, in denen es vor und während der Pandemie normal war, journalistisches Material zu verbreiten, das die Sicherheit und Notwendigkeit von Schutzimpfungen in Frage stellte, und darüber hinaus an die dort beschäftigten Publizisten, die mit dem Regierungslager sympathisierten, Programme in den öffentlichen Medien weiterzugeben, infolge dessen sich das Wirkungsfeld wissenschaftsfeindlicher Propaganda erweiterte. Ergebnis waren die Jahr für Jahr übertroffenen Rekorde an Impfverweigerungen; im Jahr 2023 erreichten sie die Zahl von 90.000, wodurch der Anteil der ungeimpften Kinder im Alter von null bis neunzehn Jahren dramatisch anstieg. Noch gefährlicher sind die indirekten Auswirkungen, nämlich die Polarisierung. Die innere Zerstrittenheit der Gesellschaft, die im Zustand des endlosen Zanks erhalten wird. Dafür gibt es bei uns eine genügende Zahl von Themen.
Die Impfungen nehmen einen prominenten Platz ein, aber sie erschöpfen nicht die Bandbreite der Kontroversen. In den vergangenen acht Jahren war die Verschärfung des Abtreibungsrechts das Thema, das ohne Pause die sogenannten Pro-Life-Gruppierungen in Atem hielt, federführend dabei das Institut Ordo Iuris, dem gleichfalls mit beweiskräftigen Dokumenten nachgewiesen werden konnte, finanzielle Beziehungen zu russischen Kreisen zu unterhalten. Der Führer der Vereinigten Rechten und Chef in einer Person, Jarosław Kaczyński, konnte sich sechs Jahre lang nicht entscheiden, die Verschärfung des Abtreibungsrechts letztlich durchzuführen, bis zu dem halbherzigen Urteil des ihm unterworfenen Neo-Verfassungsgerichts in einem passend gewählten Moment, als es Polen mit einer möglichen Welle an Covid-Infektionen im Herbst 2020 zu tun bekam. Das mit Neo-Richtern besetzte Verfassungsgericht erkannte, die sogenannte eugenische Annahme, die den Schwangerschaftsabbruch bei einer schweren Schädigung der Leibesfrucht legalisierte, sei nicht mit der Verfassung zu vereinbaren. Das Urteil setzte buchstäblich Polen in Brand und trug maßgeblich dazu bei, dass das Kaczyński-Lager die Macht verlor. Und auch wenn das ein klassisches Beispiel dafür ist, wie sich eine Regierung selbst in den Fuß schießen kann, wobei es nicht an PiS-Politikern mangelt, die von einem Fehler sprechen, illustriert dieser Fall doch auch den Modus operandi des „teile und herrsche“. Bringe heiße Themen in Umlauf und siehe zu, wie sich die Leute untereinander bekriegen. Fache Streitereien an, treibe die Trolle von einer Seite der Barrikade auf die andere und schaue zu, wie sich unbedarfte User der sozialen Medien in den Krieg stürzen, um ihre negativen Gefühlsaufwallungen aus der virtuellen in die reale Welt zu übertragen.
Streit ist das Wesen der Demokratie. Das Wesen der Demokratie sind Auffassungsunterschiede. Doch tribalistischer Kampf, Verachtung, Herabsetzungen und Drohungen haben mit Demokratie nichts gemein.
Unabhängig davon, wer hinter den Bränden vom Mai in Polen steckt, unabhängig davon, ob jemand den slowakischen Attentäter direkt angestiftet hat, eins sollten wir stets bedenken: Russland ist schon hier. Infolge unserer Tatenlosigkeit kann es die Länder der Region jeden Tag in Flammen aufgehen lassen. Und es muss sich dabei die Hände nichtmals mit Benzin schmutzig machen.
Aus dem Polnischen von Andreas R. Hofmann