Die Aussichten auf eine Rückkehr Donald Trumps ins Weiße Haus zeichnen sich immer deutlicher ab. Der Augenblick scheint besonders geeignet, um darüber nachzudenken, welche Folgen eine weitere Amtszeit Trumps für die Entwicklung des Kriegs in der Ukraine haben könnte.
Nach der ersten Jahreshälfte liegt Donald Trump in fast allen Meinungsumfragen vorn. Wichtiger noch, der gewesene Präsident führt in den Meinungsumfragen vor dem amtierenden Präsidenten in fast allen entscheidenden Bundesstaaten, den sogenannten swing states. Das heißt noch nicht, dass Trump auf jeden Fall ins Weiße Haus zurückkehren wird, doch das ist eine realistische Möglichkeit. Wenn es sich einmal so verhält, ist damit zu rechnen, dass in naher Zukunft die Entscheidungen und Strategien von Trumps Administration starke Auswirkungen auf die weiteren Entwicklungen in Europa haben werden, so auch auf den Krieg in der Ukraine.
Donald Trump und die Ukraine
Während der ersten Amtszeit Donald Trumps (2017–2021) war die Ukrainepolitik der USA eine Funktion mehrerer Faktoren: der amerikanischen Russlandpolitik, der persönlichen Ressentiments Trumps und seiner festen Überzeugung, dass nicht die Amerikaner, sondern die Europäer mehr zur Unterstützung der Ukraine tun sollten, und zwar finanziell wie bei den Waffenlieferungen.
Zu Anfang und noch während des Wahlkampfs von 2016 hatte Trump keine ausgeprägte Meinung zum Konflikt um die Ukraine. Einmal äußerte er, die Europäer sollten mehr tun, um der Ukraine nach der Annexion der Krim zu helfen. Ein andermal sagte er, er sei bereit, die Krim als Gebiet Russlands anzuerkennen. Er behauptete einmal, die Aufnahme der Ukraine in die NATO sei eine gute Lösung, dann wieder, ihr den Weg in das Bündnis zu verschließen.
Doch als Trump bereits im Amt war, wurde die Ukrainepolitik der USA großteils den persönlichen Interessen des Präsidenten untergeordnet. Seine politischen Gegner warfen ihm vor, der Kreml habe hinter seinem Wahlsieg gestanden und habe kompromat [russ. für „kompromittierendes Material“; A.d.Ü.] gegen ihn in der Hand, das Moskau einsetze, um stillschweigendes Einverständnis mit den russischen Absichten zu erzwingen. Trump wies diese Vorwürfe als unbegründet zurück und versuchte seinerseits, Beweise für die Korruption von Joe Bidens Sohn Hunter zu finden. Da Hunter Biden einen Sitz im Vorstand des ukrainischen Erdölunternehmens Burisma hatte, wollte Trump die ukrainische Regierung dazu nötigen, gegen ihn ein Untersuchungsverfahren einzuleiten. Um sicher zu gehen, dass die Ukraine seine nachdrückliche „Bitte“ auch verstanden hatten, stoppte Trumps Administration 2019 die Militärhilfe für Kyjiw. Diese Entscheidung löste in Teilen der US-Politik Empörung aus und zog Trumps erstes Amtsenthebungsverfahren (impeachment) nach sich.
Trump interessierten die von dem Erpressungsversuch gegen Kyjiw verursachten rechtlichen Probleme nicht. Er sah die Ukraine nur als einen weiteren schwierigen Gegner, nicht anders als alle diejenigen, die im zuvor in seiner Karriere als Geschäftsmann in die Quere gekommen waren, und verwendete gegen sie Praktiken, wie er sie früher bei der Leitung seines Immobilienunternehmens eingesetzt hatte. Während jedoch in New York seine Methoden der Kontrolle von Gerichten und Regelwerken unterlegen hatten, spielte Trump international die Rolle des Gesetzgebers, Regulators und Appellationsgerichts in einer Person.
Diese Eigentümlichkeiten Trumps könnten den Eindruck erwecken, der gewesene Präsident lasse sich in seiner Ukrainepolitik ausschließlich von Revanchewunsch und innenpolitischen Gesichtspunkten leiten. Das wäre jedoch eine zu weitgehende Vereinfachung. Es wird häufig übersehen, dass Trump in der Außenpolitik seinen Instinkten und Überzeugungen folgt. Seit er sich in der 1980er Jahren erstmals zu diesen Themen geäußert hat, vertritt er die Auffassung, die USA ließen sich vom Rest der Welt über den Tisch ziehen, müssten für alles bezahlen, während ihr Handelsdefizit wachse, und sie führten kostspielige, den Staatshaushalt erschöpfende Kriege. Mit anderen Worten, Trump behauptet, die USA sollten sich wie ein straff geführtes Unternehmen verhalten und nicht wie eine karitative Einrichtung.
Daher bestand er während seiner Präsidentschaft gerade darauf – worin er sich von anderen US-Präsidenten nicht wesentlich unterschied –, dass die Europäer größere Verteidigungsanstrengungen machen und die Ukraine stärker unterstützen müssten und diese Kosten nicht weiter auf die USA abwälzen dürften. Nach dem Beginn des vollen Angriffskriegs im Februar 2022 vertrat er die Auffassung, die europäischen Länder müssten für „ihren Schutz zahlen“, und er werde Russland „ermuntern“, die Länder anzugreifen, die das versäumten. Das bedeutet natürlich nicht, dass Trump Putin in Europa freie Hand lassen will, nur dass er ständig den Einsatz erhöht und die Europäer zwingen will, eine noch teurere Versicherungspolice zu kaufen – mit den entsprechend umfangreicheren Einkäufen von Rüstungsgütern in den USA.
In diesem Kontext ist die Frage zu betrachten, inwieweit die USA der Ukraine weiter Hilfe zukommen lassen würden. Während die Trump botmäßigen Republikaner im Abgeordnetenhaus lange Zeit die Militärhilfe für die Ukraine blockierten, stellte Trump schließlich selbst fest, er sehe keine Hindernisse, Waffen an die Ukraine zu liefern, wenn Kyjiw dafür zahle. Das heißt nicht, dass bei einer erneuten Präsidentschaft Trumps die Hilfslieferungen weitergehen werden. Es bedeutet lediglich, dass Trump signalisiert, dass er nicht „aus prinzipiellen Gründen“ gegen die Ukrainehilfe ist, sondern nur gegen eine Hilfe, die er nicht in seinem oder US-amerikanischen Interesse sieht.
Donald Trump 2.0 und die Ukraine
Was würde also eine Rückkehr Donald Trumps in das Weiße Haus für die Ukraine bedeuten?
Erstens lassen inoffizielle Informationen der führenden US-Medien verlauten, Donald Trump wäre im Unterschied zu Joe Biden damit einverstanden, dass die Ukraine die Krim und den Donbas verliert. Während die Krim seit über zehn Jahren von den Russen besetzt ist und die Ukrainer keine reale Chance haben, sie zurückzuerobern, ist nicht bekannt, welche Konzessionen in der Donbasfrage Trump und seine Administration zu machen bereit wären. Wäre Trump einverstanden, den ganzen Donbas, selbst die gegenwärtig nicht von Russland besetzten Teile, dem Kreml zu überlassen? Oder ginge es darum, den Krieg längs der aktuellen Frontlinie einzufrieren? Und auf welche Reaktionen würde die Umsetzung eines solchen Plans in den USA stoßen?
Der republikanische Senator und Trumps Anwärter auf den Posten des Vizepräsidenten J. D. Vance sagte im Gespräch mit der „New York Times“, in Sachen Ukraine bräuchten die USA einen Dreipunkteplan; nämlich 1. Einfrierung des Kriegs längs der Frontlinie; 2. Neutralität der Ukraine; 3. Zusicherung langfristiger Hilfe an Kyjiw. Nach Vance’ Auffassung seien diese Ziele realistischer als die von der Biden-Administration gegenwärtig verfolgten.
Aus Äußerungen Trumps und seiner Ratgeber geht hervor, dass sie bei einer Rückkehr ins Weiße Haus kein Interesse daran haben, die von der Biden-Administration vorgegebenen Ziele weiter zu verfolgen. Sie wollen an Kyjiw nicht die großen Summen senden, weil sie überzeugt sind, diese Mittel sollten investiert werden, um China aufzuhalten, nicht Russland. Sie wollen, dass das US-Engagement im Ukrainekrieg ein klar und realistisch umrissenes Ziel habe, das der Biden-Administration fehle.
Der Ansatz Trumps, Vance’ oder auch Elbridge Colbys, eines der Autoren der außenpolitischen Doktrin während der Trump-Präsidentschaft, hat mehr mit China zu tun als mit Russland. Denn sie erblicken in Asien eine tödliche Gefahr für die USA, während sie Russlands Politik als viel weniger wichtig für die eigenen essentiellen Interessen sehen. Colby, der bei einem Wahlsieg Trumps erneut eine wichtige Rolle in dessen Administration spielen könnte, geht davon aus, dass die USA gegenwärtig mehr Verpflichtungen auf sich nehmen, als sie zu tragen in der Lage sind, daher bedürften sie einer Revision ihrer Außenpolitik und realistischere Prioritätensetzungen.
Diese Revision würde natürlich in größerem Maße das US-Engagement in Europa betreffen. Dabei handelt es sich nicht um einen völligen Rückzug, sondern um eine Änderung des Ansatzes. Die größte Gefahr für die USA, so Colby, bestehe in China, und um dessen Entwicklung aufzuhalten, müssten die USA ihr Engagement in Europa einschränken und daher die Hauptlast der Verteidigung des Kontinents den Europäern selbst überantworten. „Ist das eine ideale Lösung? Nein. Aber wir leben nicht in einer Welt idealer Lösungen“, bilanziert der Trump-Berater in einem unlängst in der „Financial Times“ veröffentlichten Beitrag.
Sollte Donald Trump wieder in das Weiße Haus gelangen, wird Europa seinen Platz in dieser Welt der wenig idealen Lösungen finden müssen.
Aus dem Polnischen von Andreas R. Hofmann