Donald Tusks Regierung hat sich daran gemacht, die von PiS geführte Vorgängerregierung juristisch aufzuarbeiten. Doch damit geht es nicht so voran wie von den Wählern erwartet. Was läuft also falsch? Und was kann die Regierung tun, um diese Fehler zu vermeiden? „Wenn es im nächsten Jahr nach dem Austausch des Staatsoberhaupts nicht Verhaftungen und Verurteilungen einschließlich Mandatsaberkennung hagelt, könnten die Wähler zu der Auffassung gelangen, die Regierung sei ineffizient“, meint Hubert Stys.
Sie sollte wirkungsvoll und entschlossen vonstattengehen. So sollte die Abrechnung mit PiS aussehen, wie sie die Oppositionskoalition versprach, die im Oktober letzten Jahres die von Jarosław Kaczyński geführte Partei aus der Regierung verstieß. Die Koalitionsvereinbarung zwischen Bürgerkoalition (KO), Polska 2050, Polnischer Volkspartei (PSL) und Neuer Linken sah vor, diejenigen juristisch zur Verantwortung zu ziehen, die sich daran gemacht hatten, den Verfassungsaufbau des Landes rechtswidrig zu verändern, die gegen Konstitution und Gesetze verstoßen und die Rechtsstaatlichkeit verletzt hatten. Die Vereinbarung sah außerdem vor, dass die Vereinigte Rechte dafür die Konsequenzen tragen müssen würde, dass sie zeitens ihrer Regierung öffentliche Institutionen zu Parteieigentum gemacht und öffentliche Mittel veruntreut hatte. Um die Schuldigen zur Verantwortung zu ziehen, sollte der neue Sejm Untersuchungsausschüsse bilden. Mit jedem Tag seit Antritt der neuen Regierung erfahren wir immer mehr vom Nepotismus der PiS-Partei in öffentlichen Institutionen und staatseigenen Betrieben sowie von ihrer politischen Korruption. Ebenso ungeheuerlich ist das Ausmaß, in dem die Vereinigte Rechte die staatlichen Medien dazu benutzte, Hass zu verbreiten, der sich gegen einfache Bürger ebenso wie gegen Oppositionspolitiker und Nichtregierungsorganisationen richtete. Hinzu kommen Dokumentenfälschungen und Amtsmissbrauch.
Damit die Arbeit nicht vergeblich war
Die aktuelle Regierung hat ein starkes Mandat zur juristischen Aufarbeitung der PiS-geführten Regierung. Dieses stammt von zwölf Millionen Wählern. Wir sollten uns daran erinnern, dass die Wahlbeteiligung bei diesen Sejmwahlen mit 72,9 Prozent die höchste seit Bestehen der Dritten Republik war. Doch seither wurde von den Koalitionsversprechen nur dasjenige zur Bildung von Untersuchungsausschüssen eingehalten. Im Sejm wurden drei solche Ausschüsse eingerichtet: zur Visaaffäre, zum Einsatz des Pegasus-Programms und zur sogenannten Briefwahl, welche den Steuerzahler beinahe siebzig Millionen Złoty (16,39 Millionen Euro) gekostet hat.
Aber immer noch wurde kein wirksames Verfahren vor dem Staatsgerichtshof eröffnet, und die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen ziehen sich in die Länge. Die der Missbräuche und Straftaten Beschuldigten lassen sich per ärztlichem Attest entschuldigen oder entkommen über die Grenze. Einige genießen inzwischen Immunität als Abgeordnete im Europäischen Parlament, gewählt von den Anhängern der Rechten. Unterdessen deckt die Staatliche Wahlkommission (PKW) auf, wie PiS die Wahlen handhabte: Sie lehnte den Finanzbericht der Partei für die letzten Parlamentswahlen ab. 3,6 Millionen Złoty (840.000 Euro) – so viel verausgabte nach Angaben der PKW die Kaczyński-Partei für den Wahlkampf 2024. Jetzt droht PiS ein Verlust von 57 Millionen Złoty (13,35 Millionen Euro) an Subventionen, aber Jarosław Kaczyński hat schon begonnen, seine Wähler zu Privatspenden zu überreden, wobei er die PKW als rachelüsternes Organ hinstellt. Selbstverständlich bekennt sich niemand aus dem Umfeld der vorherigen Regierung zu den der PiS-Partei gemachten Vorwürfen – zu den Tatsachenentstellungen, Unterschlagungen und der Vetternwirtschaft. Selbst wenn die aktuelle Regierung Beweise in Dokumentenform beibringt und Zeugen der missbräuchlichen Amtsführung findet.
Hubert Stys, promovierter Experte für Sicherheitspolitik von der WSB Merito-Universität Toruń, ist überzeugt, dass die juristische Aufarbeitung der PiS-Regierung mit Ernsthaftigkeit betrieben werden muss, soll die Demokratie in Polen eine Zukunftschance haben. Das sei gewiss keine leichte Aufgabe, bedenke man die Sprengfallen, welche die Vorgänger für die Bürgerplattform (PO) hinterlassen haben.
„Die Regierungskoalition macht eine Reihe von Fehlern, die ihr politisch abträglich sind“, so Stys. „Angefangen mit der schlechten Leitung des Untersuchungsausschusses bis zu dem Vorgehen der Staatsanwaltschaften, der Gerichte und der Medienberichterstattung. Anscheinend könnte das alles besser und effizienter vonstattengehen. Zum Glück hat die Koalition die Chance, die Kriminellen und Geldpreller vor Gericht zu stellen und die kompromittierten PiS-Leute aus der Politik zu entfernen. Tusk macht den Eindruck, dazu entschlossen zu sein, aber seine Glaubwürdigkeit und Handlungsfähigkeit stehen auf dem Spiel.“
Nach Auffassung von Stys gibt es erschwerende Umstände, nämlich den aktuellen Präsidenten Andrzej Duda (PiS) und die PiS-Leute in der öffentlichen Verwaltung, darunter im Landesgerichtsrat und im Verfassungsgericht. Möglicherweise verzögere die Koalition die Gerichtsverfahren, damit die Mühe couragierter Staatsanwälte und Richter nicht umsonst ist, so wie im Fall von Maciej Wąsik und Mariusz Kamiński, die nach kurzer Untersuchungshaft beide in das Europäische Parlament gewählt wurden. Der Koalition würden die entschlossenen Wadenbeißer fehlen. Michał Szczerba und Dariusz Joński, die beiden PO-Abgeordneten, die den PiS-Skandalen nachgehen, seien zu wenig, um PiS in den Medien bloßzustellen. „Übrigens waren die Staatsanwaltschaften von Anfang an zu gering an Zahl, um die Maschine reibungslos laufen zu lassen. Die Ungeschicklichkeit des Vorgehens gegen Marcin Romanowski [PiS, 2023 stellvertretender Justizminister; A.d.Ü.] war dann allzu offenkundig, vom Sejm bis hin zu seiner Immunität als Mitglied des Europarats; alles lief zu langsam und ineffektiv ab. Die PO und die gesamte Regierungskoalition müssen mehr von ihren Gegnern lernen. Effizienz, Unentrinnbarkeit der im Eilverfahren verhängten Strafe, staatliche Handlungsfähigkeit gegen Diebstahl – dass sind von den Wählern stets und überall geschätzte Qualitäten. Die Untersuchungsausschüsse des Sejms waren in dieser Hinsicht ein Ventil, das wird schon von einer einzigen Äußerung Kaczyńskis zu einem Ausschussmitglied während seiner Einvernahme auf den Punkt gebracht: ,Das hätten Sie wohl gern.‘ Natürlich stellen die Abschlussberichte und die Strafanträge an die Staatsanwaltschaft schon ein greifbares Ergebnis dar. Zum Glück sind jetzt in starkem Umfang die Landesfinanzverwaltung und die Oberste Kontrollkammer eingeschaltet. Und dadurch können wir auf weitere konkrete Ergebnisse hoffen. Wenn es im nächsten Jahr nach dem Austausch des Staatsoberhaupts nicht Verhaftungen und Verurteilungen und eine Lichtung der ersten Sitzreihen von PiS einschließlich Mandatsaberkennung hagelt, könnten die Wähler zu der Auffassung gelangen, die Regierung sei ineffizient. Und das heißt, sie wird Schwierigkeiten haben, Wähler zu gewinnen.“
Beschwichtigen und besänftigen
Anna Siewierska-Chmaj, Professorin für Politische Wissenschaften an der Universität Rzeszów, meint, Donald Tusk sei nicht allein dank der Wähler der Bürgerkoalition an die Regierung gelangt, sondern auch dank der Stimmen all derjenigen Polen, die des Mafia-Staats der PiS-Partei überdrüssig waren. Und gerade diese Wähler seien am stärksten von der Langsamkeit und Ungeschicklichkeit der Regierung bei der Aufarbeitung der zahlreichen Skandale aus der Zeit der Vereinigten Rechten enttäuscht.
„Zwar ist das langsame Tempo der Untersuchungsverfahren nicht zuletzt auf die Einhaltung des Buchstabens des Gesetzes zurückzuführen, was nachvollziehbar ist, doch für die eklatanten Fehler und Nachlässigkeiten bei der Vermittlung der ganzen Sache gibt es keine Erklärung“, meint Siewierska-Chmaj. „Die Polen schätzen Effizienz, aber schon wieder ist ein ungeheuerlicher Unterschlagungen Verdächtiger, Michał Kuczmierowski, über die Grenze entkommen, gibt Interviews und macht sich bei der Gelegenheit über die Regierung lustig. Es wird immer schwieriger, noch die Entschlossenheit zu vermitteln, die PiS-Skandale gerichtlich aufarbeiten zu wollen, denn es bleiben greifbare Ergebnisse aus, oder diese werden nicht gehörig kommuniziert. Wenn Ministerpräsident Tusk es nicht vermag, seine Effizienz bei der juristischen Aufarbeitung der Vorgängerregierung unter Beweis zu stellen, könnte ein Teil der Wähler aus Enttäuschung überhaupt den nächsten Wahlen fernbleiben.“
Dariusz Dąbrowski, Professor für Geschichte an der Kasimir der Große-Universität Bydgoszcz, vertritt die radikale Auffassung, die Aufarbeitung der Lügen, des Betrugs und Missbrauchs müsse richtig wehtun. Das gelte für die vorangegangene, aber auch für jede nachfolgende Regierung. Jede Regierung müsse wegen Gesetzesverfehlungen zur Verantwortung gezogen werden, nicht im Sinne von Vergeltung, sondern namens des Gesetzes. „Dies wurde neulich während einer Sondersitzung der Regierung in Danzig anlässlich des Gedenktages an die Augustabkommen (Solidarność) von 1980 eingefordert.“
„Wenn wir uns die ungeschickte und enttäuschende Vorgehensweise der Regierung bei der Aufarbeitung der von den Vertretern der Vereinigten Rechten begangenen Straftaten anschauen, drängt sich leider der Eindruck auf, dass sie lauter leere Versprechungen gemacht hat“, meint Dąbrowski. „Davon zeugte die Vorgehensweise der Untersuchungsausschüsse, die auf die Bremse traten und manchmal sogar Wasser auf die Mühlen der Anhänger der Vorgängerregierung gossen, wenn wir uns anschauen, wie sie zuließen, dass Jarosław Kaczyński sich bei seiner Anhörung über die Ausschussmitglieder lustig machte. Es ist irritierend, wie brave Gefolgsleute der Vorgängerregierung auf ihren Posten verbleiben konnten (wie im Falle der Staatsanwältin Marta Choromańska), oder auch wie um die Vereinigte Rechte verdiente Einrichtungen ohne Sinn und Zweck weiter finanziert werden (im Haushaltsentwurf für das Institut des Nationalen Gedächtnisses ist die Horrorsumme von 650 Millionen Złoty [152,28 Millionen Euro] vorgesehen, für das Kolbe-Institut 92 Millionen Złoty [21,55 Millionen Euro]. Wem ist das Institut zu etwas nutze?). Sollte es etwa darum gehen, Pöstchen zu erhalten, nunmehr für die eigenen Leute, oder darum, Instrumente der ideologischen Beeinflussung zu übernehmen?“
Dąbrowski befürchtet, die neue Regierung Donald Tusks, ähnlich wie übrigens bereits in seinen früheren Amtszeiten als Ministerpräsident, werde nach dem Motto verfahren, die auf Seiten der Vereinigten Rechten stehenden großen Anteile der Gesellschaft einfach nur beschwichtigen und besänftigen zu wollen. „Mir schwebt auch vor, wie die Regierung davor zurückscheut, sich auf einen Konflikt mit der katholischen Hierarchie einzulassen. Aber das ist nicht der richtige Weg. Die juristische Aufarbeitung muss, selbstverständlich im Einklang mit dem Gesetz, in entschlossener Weise durchgeführt werden, selbst bei drakonischen Urteilen gegen die Schuldigen. Das ist der einzige Weg zum Großreinemachen und um den Leuten in der Gesellschaft Mut zu machen, die für die Regierung und im weiteren Sinne für den Staat sind. Die Missbräuche klar aufzuzeigen und zu bestrafen, könnte auch denjenigen Teil der Anhänger der Vereinigten Rechten, der das Denken noch nicht ganz aufgegeben hat und dem am polnischen Interesse liegt, vom Sinn einer Reform des Staats überzeugen, nachdem dieser lange Zeit demontiert worden ist. Eine effiziente Anwendung der Gesetze im Geiste von Ehrlichkeit und Gerechtigkeit ist unerlässlich. Es ist zu zeigen, dass es keine unantastbaren Parteileute gibt. Aber dann kommt mir ein beunruhigendes Zitat aus einem Lied der polnischen Punkrockgruppe Dezerter in den Sinn: ,Regierung und Opposition – die beste Koalition‘. Ich habe daher kein besonders gutes Gefühl, was Umfang und Gründlichkeit der juristischen Aufarbeitung angeht.“
Aus dem Polnischen von Andreas R. Hofmann
Es ist ein Text eher einer Dichterin als einer Journalistin. Schade , dass sich der deutsche Leser kein wahres Bild machen kann.