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Normalität in den deutsch-polnischen Beziehungen

Mit dem Aktionsplan, der bei den letzten deutsch-polnischen Regierungskonsultationen in Warschau vorgestellt worden ist, bekommen jene, die sich für mehr grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Polen einsetzen, neuen Rückenwind. Umgekehrt sind die Regionen und Kommunen jetzt eine entscheidende Säule bei dessen Umsetzung – gerade, wenn die Zeitenwende jetzt regional und kommunal heruntergebrochen werden muss. Hiervon ist der deutsche Generalkonsul in Breslau Martin Kremer überzeugt. Seiner Meinung nach kann auch Tschechien jetzt im Dreiländerraum vom Einzugsbereich eines neuen ostmitteleuropäischen Transformations- und Wachstumskorridors profitieren.

 

Aureliusz M. Pędziwol: Herr Konsul, Sie sind noch vor der Zeitenwende nach Polen gekommen…

Martin Kremer: Das stimmt, ich bin seit drei Jahren da. Zunächst in Warschau, als Gesandter, und seit August 2022 als Generalkonsul in Breslau. Vorher war ich im Auswärtigen Amt sechs Jahre lang Referatsleiter für Mitteleuropa.

Haben Sie sich schon damals auf Polen vorbereitet?

Ja, weil Polen das größte Land in Ostmitteleuropa ist und schon immer einer der wichtigsten Partner Deutschlands war. Wir haben deshalb auch in den letzten Jahren nach Möglichkeiten gesucht, wie wir eine gemeinsame Positiv-Agenda betreiben können. Jenseits der „großen Politik“ in den Hauptstädten gab es immer auch die vermeintlich „kleine“ zivilgesellschaftlich geprägte Politik der Regionen und Kommunen. Grenzregionen sind die Nahtstellen Europas: je enger die Verflechtungen, desto stärker ist die Europäische Union.

Sie haben auch eine persönliche Bindung zu Polen, nicht wahr?

Mich verbindet mit Polen meine bessere Hälfte, meine Frau, die aus Breslau stammt – und natürlich unser Sohn, der von Anfang an in beiden Kulturen aufgewachsen ist.

Haben Sie sich auch mit anderen Ländern der Region beschäftigt?

Ja, natürlich, besonders mit Tschechien. Tomáš Kafka, bis vor kurzem Botschafter in Berlin, ist ein enger Freund von mir.

Wie mit Polen?

Auf eine Weise ja. Durch den Strategischen Dialog ist uns Tschechien besonders nah (Der Strategische Dialog zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik wurde 2015 mit der Unterzeichnung einer gemeinsamen Erklärung durch die Außenminister beider Länder initiiert – Anm.).

Noch bis vor kurzem hätte ich gesagt, dass die deutsch-tschechischen Beziehungen jetzt viel besser seien als die deutsch-polnischen vor acht Jahren. Wie sehen Sie das?

Ich möchte so antworten: vielleicht haben wir es zwischen Deutschen und Tschechen grundsätzlich besser geschafft, mit der Vergangenheit umzugehen. Wir haben zwar unterschiedliche Ausgangspunkte, aber wir haben uns darauf verständigt, dass diese Unterschiede nicht die praktische Zusammenarbeit und den Weg in die Zukunft beeinträchtigen sollen. Vielleicht ist dies die beste Art, mit einer schweren Geschichte umzugehen, in der wir Deutschen viel Leid verursacht haben.

Meinen Sie die Deutsch-Tschechische Erklärung, die Bundeskanzler Helmut Kohl und der tschechische Premier Václav Klaus 1997 in Prag unterzeichneten?

Genau die meine ich. Wir haben so eine Grundlage dafür geschaffen, dass viele unterschiedliche Akteure und Ebenen gemeinsam agieren, eine Perspektivenvielfalt entstanden ist, die einen Nährboden für gute Ideen und mutige Schritte bietet.

Kehren wir doch zu ihrem Abenteuer mit Breslau und mit ganz Schlesien zurück. Was bedeutet diese Region für Sie?

Breslau und ganz Schlesien und Niederschlesien sind für mich der Südwesten, der ein Schmelztiegel, ein Laboratorium für das ganze Land geworden ist. Hier haben wir unterschiedliche Kulturen und Geschichten, die phantastisch zusammenwirken. Deshalb ist diese Region auch wirtschaftlich so dynamisch. Die Grenznähe tut dann ein Übriges.

Woher noch kommt das?

Breslau ist eine ehemals deutsche Stadt mit einem starken piastischen Erbe. Hier in der Region leben wir täglich Europa. Wir liegen in der Mitte einer EU, deren Schwerpunkt sich spätestens seit dem russischen Angriff auf die Ukraine nach Osten verschoben hat.  Hier sind entscheidende Start-up-Zentren des Landes, die vielen deutsch-polnischen Erfolgsgeschichten in Wirtschaft und Kultur. Hier werden wir – neben der fortwährenden Unterstützung der Ukraine – auch aktiv den starken innovativen Teil im neu beschlossenen 40-seitigen Aktionsplan umsetzen.

Manche sagen, Schlesien sei der westlichste Teil Ostpolens. Die Leute, die sich nach dem Krieg dort niederließen, stammten großteils aus dem ehemaligen Ostpolen, wo die Polen neben Juden, Ukrainern, Belarusen und Litauern etwa ein Drittel bis zur Hälfte der Bevölkerung ausmachten.

Hier würde ich im Rückblick von einer großen Chance sprechen. Dank der neuen Schlesierinnen und Schlesiern, die hierhergekommen sind und diesen Reichtum an Traditionen zusammengebracht haben, haben wir in Breslau, wie man hier so schön sagt, das ganze Land in einer Stadt – mit einem natürlichen Bezug zum Nachbarn Deutschland.

Und was ich natürlich auch besonders finde, ist diese Nähe, die wir im Dreiländereck haben. Wir haben immer auch den Blick zu Tschechien im Auge. Und hier können wir tatsächlich in einem Dreiländerraum – Niederschlesien, Sachsen und die Region Liberec – etwas gemeinsam anstoßen.

Wird es gelingen?

Ich bin da zuversichtlich. In einem Verflechtungsraum unterliegen alle einem Imperativ der Zusammenarbeit. Gerade dadurch, dass diese Region im Strukturwandel ist und dass wir gemeinsam nach Wegen jenseits der Braunkohleförderung suchen sollen, haben wir wirklich eine Chance, denn wir können hier ausprobieren, was dann vielleicht für die gesamte Europäische Union zum Modell werden kann. Wir können da, in der Mitte Europas, einen Impuls für die weitere Integration geben.

In der grenzüberschreitenden Infrastruktur, aber auch in der Zusammenarbeit in den Bereichen Energie, Gesundheit oder Umwelt müssen wir noch konkreter, besser werden. Die Teilnehmer der im Sommer stattgefundenen Regierungskonsultationen und die Akteure in den Regionen haben immer wieder bekräftigt, dass die Zusammenarbeit bei Infrastruktur und Innovation der andere wichtige Themenblock neben der verstärkten Zusammenarbeit bei Sicherheit und Verteidigung sind.

Erwarten Sie nicht zu viel?

Meine These ist, dass wir hier, in der Mitte Europas, schon jetzt Motoren bei der grenzüberschreitenden und interregionalen Zusammenarbeit sind. Ich möchte hier nur das umfassende Kooperationsabkommen erwähnen, das Niederschlesien und der Freistaat Bayern vor kurzem abgeschlossen haben. Oder die Erneuerung des regionalen Weimarer Dreiecks durch Schlesien, Nordrhein-Westfalen und Hauts-de-France. Einiges, was wir in der deutsch-polnischen Polizeizusammenarbeit haben, ist auf einem weiterführenden Niveau als das, was wir im deutsch-französischen Bereich haben. Vieles, was wir in der regionalen Zusammenarbeit zwischen Sachsen und Brandenburg haben, ist mindestens so ehrgeizig angelegt wie im Vertrag von Aachen zwischen Deutschland und Frankreich.

Wie stellen Sie sich das vor?

Was wirklich wichtig ist und was wir jetzt angehen müssen, ist die grenzüberschreitende Infrastruktur. Wir können schon beispielsweise mit den so genannten niedrigschwelligen Projekten Kleinbrücken über die Neiße bauen und damit viel erreichen. Dort müssen wir jetzt auf der Grundlage des Aktionsplanes wirklich vorankommen. Und da bin ich auch optimistisch.

Grenzen dürfen in der Zukunft noch weniger ein Hindernis für die lokale und regionale Zusammenarbeit sein. Richtet man den Blick über die unmittelbare grenzüberschreitende Zusammenarbeit hinaus, steht sowohl in den polnischen als auch den deutschen und tschechischen Kohleregionen in den kommenden Jahrzehnten der Abschied von Kohleabbau und Kohleverstromung an. Ein umfassender Strukturwandel hin zu mehr regenerativen Energien, hin zu neuen Wertschöpfungsketten und Chip-Allianzen. Dies ist ein Thema, das für die ganze Region von zentraler Bedeutung ist. Dabei geht es darum, einen neuen Strukturbruch zu vermeiden, von Fehlern der Vergangenheit zu lernen, von wechselseitigen Erfahrungen zu profitieren.

Sie sind nicht nur für Niederschlesien zuständig, sondern auch für das Oppelner Schlesien, wo die deutsche Minderheit lebt. Während der Regierungszeit von PiS wurden Gelder für den Deutschunterricht gestrichen…

Hier hat die neue Regierung in Warschau zum Glück die Diskriminierung bei der Förderung des Deutschunterrichtes zurückgenommen. Dies war uns auch im gemeinsamen Aktionsplan sehr wichtig. Wir in Deutschland werden uns unsererseits weiter für die Förderung des Polnisch-Unterrichtes einsetzen.

Ich denke, es ein guter Ansatz, dass die Deutsche Minderheit jetzt im Rahmen der Schlesischen Selbstverwalter ein Wahlbündnis eingegangen ist. Gerade die junge deutsche Minderheit steht dabei für eine enge Verbindung zwischen dem modernen Deutschland und dem modernen Polen.

Die starke Bedeutung der deutschen Minderheit für die Region wird jetzt übrigens sowohl von dem neuen Oppelner Marschall Szymon Ogłaza, als auch von der neuen Oppelner Woiwodin Monika Jurek immer wieder hervorgehoben.

Sie haben zum drittel Mal den Aktionsplan erwähnt. Ist dieses Dokument wirklich so bedeutsam?

Es ist seit 2018 das erste Dokument dieser Art, das hier vom polnischen Außenministerium und vom Auswärtigen Amt unter den Ressorts abgestimmt wurde. Es ist damit die natürliche Grundlage für die künftige Zusammenarbeit auf der Hauptstadt- wie auch der Regionalebene. Wir stellen damit sicher, dass die Regierungskonsultationen nicht nur die formelle Wiederaufnahme eines Dialoges waren.

Was kommt als Nächstes?

Wir können uns jetzt in den Regionen auf ehrgeizige, konkrete Ziele und Projekte im Aktionsplan beziehen. Wir waren hier vor Ort in seine Ausarbeitung eng eingebunden; wir haben nicht wenige unserer wichtigen Projekte auch hineinbringen können. Was mir besonders wichtig war: Wir konnten dies gemeinsam mit unseren polnischen Partnern vor Ort machen.

Eigentlich hätte ich diese Frage schon am Anfang stellen sollen: Was für Aufgaben ein Generalkonsul in einem Land hat und inwiefern sich seine Funktion, seine Rolle von dem unterscheiden, was ein Botschafter macht?

Salopp gesprochen ist ein moderner Generalkonsul so etwas wie ein „kleiner Botschafter“ für die Region. Unser Amtsbezirk ist recht groß. Er umfasst Niederschlesien, Schlesien, die Wojewodschaft Oppeln sowie das Lebuser Land – und natürlich Großpolen, sehr wichtig auch was deutsche Investitionen anbelangt. Da kann der Botschafter aus Warschau in der Regel einfach nicht vor Ort sein.

Das ist ein Drittel Polens?

Stimmt. Dieser Teil Polens war immer schon sehr stark in der praktischen Zusammenarbeit mit Deutschland engagiert, was uns auch maßgeblich durch die vergangenen, nicht so einfachen Jahre gebracht hat. Man muss als Generalkonsul in Breslau – so sage ich gerne scherzhaft – besonders aufpassen, dass man nicht bei zu vielen Anlässen dabei sein möchte.

Trotzdem treffe ich Sie immer wieder bei sehr vielen Veranstaltungen…

Wir haben vielleicht noch nicht die Selbstverständlichkeit in den Beziehungen, die wir mit unserem westlichen Nachbarn haben – auch wenn sich die beiden Koordinatoren Dietmar Nietan und Professor Krzystof Ruchniewicz jetzt besonders um die grenzüberschreitende Zusammenarbeit kümmern und wir auch mit der Deutsch-Polnischen Regierungskommission ein erfahrenes, flankierendes Gremium haben. Insofern können der Generalkonsul und sein Team immer wieder viel Gutes mit anschieben. Das motiviert unwahrscheinlich und deshalb haben wir im Generalkonsulat auch den gewissen Stolz, dass wir die Auslandsvertretung in Polen sind, die besonders viele konkrete Projekte der Zusammenarbeit voranbringt. Denn für einen Neuanfang in unseren Beziehungen sind die Regionen und Kommunen jetzt unverzichtbar, und mit dem Aktionsplan haben wir jetzt den Rückenwind, um auch den Dreiländerraum mit Tschechien einzubeziehen.

Diesen Rückenwind haben uns schon die Regierungskonsultationen und der Aktionsplan gegeben, die eine Normalität in die deutsch-polnischen Beziehungen zurückbringen. Ich finde, dass diese Normalität ein wirklicher Schatz ist, den wir – um mit den Worten des früheren Botschafters Rolf Nikel zu sprechen – hüten und weiterentwickeln müssen.

Herr Konsul, herzlichen Dank für das Gespräch.


Der deutsche Jurist, Ökonom und Diplomat Martin Kremer (Jahrgang 1961) ist im Berliner Auswärtigen Amt seit 1988 beschäftigt. Er arbeitete an den deutschen Botschaften in London, Oslo und Warschau, sowie in der Zentrale, wo er mehrere Referate leitete, darunter auch den für Mitteleuropa. Seit August 2022 ist er Generalkonsul in Breslau (Wrocław).

 

Aureliusz M. Pędziwol Autor bei DIALOG FORUMAureliusz M. Pędziwol, Journalist, arbeitet mit der polnischen Redaktion der Deutschen Welle zusammen. Er war 20 Jahre lang Korrespondent des Wiener WirtschaftsBlattes und für zahlreiche andere Medien tätig, darunter für die polnischen Redaktionen des BBC und RFI.

 

Gespräch

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