Nachdem die polnische Regierung die Änderungsvorschläge seiner Partei im Haushaltsentwurf nicht berücksichtigte, hatte der Co-Vorsitzende der Partei Razem (Zusammen) Adrian Zandberg den Ausstieg aus der Regierungskoalition bekanntgegeben. Seines Erachtens hat Premierminister Donald Tusk die Wählerinnen und Wähler betrogen, da er die Wahlversprechen nicht eingelöst hat. „Wir haben uns auf eine gleichberechtigte Koalition geeinigt, und nicht auf ein Vasallenverhältins“, verkündete Zandberg. Wie wird sich die Entscheidung dieser kleinen Partei auf das Schicksal der Koalition und das Verhalten der Wählerschaft auswirken? Und wird die politische Rechte davon profitieren?
Die Razem-Partei verließ die Koalitionsfraktion der Linken unter dem Vorsitz von Włodzimierz Czarzasty. In der Fraktion bleiben die Nowa Lewica (Neue Linke), PPS (Polska Partia Socjalistyczna, Polnische Sozialistische Partei) und die Unia Pracy (Arbeitsunion). Worum ging es dabei?
Razem verlangte mindestens 20 Milliarden PLN für die Reform des Gesundheitssystems und Gehaltserhöhungen im öffentlichen Dienst, die zehn Prozent über der Inflationsrate liegen sollten. Beide Bereiche wurden über die Jahre enorm vernachlässigt, worauf Razem in ihrem Wahlkampf versprochen hatte, die Lage des Gesundheitssystems, der Beamtenschaft sowie der Lehrkräfte radikal zu verbessern. Die Koalitionspartner haben diesen Vorschlägen nicht zugestimmt, weil ihrer Einschätzung nach der Staatshaushalt derart hohe Ausgaben nicht stemmen können würde.
Zandberg gab zu, der Haushaltsplan für das nächste Jahr würde die Menschen zu stark belasten und das war letztendlich ausschlaggebend für das Zerwürfnis zwischen den Parteien Razem und Neue Linke. Er meinte, er sei Politiker geworden, nicht um eine tolle Arbeit zu finden und dann still zu halten, sondern weil er seiner Wählerschaft versprach, die Kernideen, an die er glaube, nicht aufzugeben. Und er glaube vor allem an die rasche Modernisierung des ramponierten Gesundheitswesens (unter anderem die monatelangen Warteschlangen bei Fachärzten oder die lange Wartezeit auf lebensrettende Operationen). Zudem sollen die im öffentlichen Dienst Beschäftigten endlich genug verdienen, um sich selbst zu versorgen. „Von der Führung der Neuen Linken haben wir sehr deutlich gehört, sie wollen uns vorschreiben, wie wir über den Haushalt abstimmen sollten. Dafür konnte es keine Zustimmung unsererseits geben“, behauptete Zandberg. „Als sich vor einem Jahr die Koalitionsfraktion der Linken zusammengetan hatte, bestehend aus der Neuen Linken, Razem, PPS und Arbeitsunion, einigten wir uns auf eine sehr einfache Regel: Jede der Fraktionsparteien werde selbstständig Entscheidungen treffen, wie sie über die Gesetzesentwürfe abstimme und niemand werde dem anderen Parteidisziplin auferlegen. Wir haben uns auf eine gleichberechtigte Koalition geeinigt, und nicht auf ein Vasallenverhältins“, stellte er fest.
Frauen als Gesicht der Partei
Es scheint, als ob Adrian Zandbergs Entschluss nur eine Frage der Zeit war. Noch vor den Wahlen prophezeiten viele Kommentatoren, die Koalition der Linken würde mit der ideologischen Haltung der Partei Razem nicht umgehen können. Die Spaltung innerhalb der polnischen Gesellschaft ist sehr tief und wird überwiegend von dem Zweiparteiensystem dominiert: Platforma Obywatelska (PO, Bürgerliche Plattform) und Prawo i Sprawiedliwość (PiS, Recht und Gerechtigkeit), mit einem Hauch von Linksorientiertheit auf einer Seite und Konfederacja (eine rechtsextreme Partei) auf der anderen. Gewissermaßen quer durch diese Spaltung bewegen sich die dreitausend Razem-Mitglieder sowie einige Prozent der Gesellschaft, also die Wählerschaft der großstätischen Mittelschicht, eher junge Menschen, die sich mit keiner der Seiten identifizieren, jedoch einen grundlegenden Wandel der Welt verlangen. Dies müsste ihrer Meinung nach eine vollkommene, mehr als sozialdemokratische Veränderung sein, angelehnt an revolutionäre Wohlstandsideen. Dabei sollten die Ausgegrenzten, die wenig verdienen und der Fähigkeit beraubt sind, sich vorwärtsgerichtet zu entwickeln, Hilfe bekommen, um ihre Lebenslage zu verbessern. Lösungen sieht Razem in Steuererhöhungen für Reiche, was den Haushalt stärken würde und so bessere Bildung, öffentliche Leistungen und höhere Löhne ermöglichen könnte. Überdies und am besten sofort sollten ohne Rücksicht auf politische Prozesse die langsam verlaufenden sozialen und systemischen Veränderungen angegangen werden. Allerdings verfügt Razem über keinerlei Durchsetzungskraft, somit kann sie sich nicht in den Selbstverwaltungen etablieren und als Remedium fungieren gegen jene zwei große, verfeindete politische Blöcke, die in Polen vorherrschen. Wenn die Partei aus der Regierungskoalition ausscheidet, um nur als eine parlamentarische Gruppe zu arbeiten, wird sie wohl in einem politischen Vakuum verschwinden; sie wird keinen Einfluss mehr auf Entscheidungsprozesse haben. Was bleibt, ist die Rolle eines politischen Kommentators.
Die Lage der Partei Razem erinnert kaum an die der Linken in der Slowakei oder im Osten Deutschlands. In der Slowakei genießt die in der Regierungskoalition größte Partei SMER des Ministerpräsidenten Robert Fico Unterstützung seitens der weniger wohlhabenden Menschen aus der Provinz, aus den östlichen und zentralen Landesteilen. In Deutschland wiederum mobilisierte die Bewegung Sahra Wagenknecht jene Bewohner des ehemaligen Ostdeutschlands, die sich für „Wendeverlierer“ halten.
Die Entscheidung von Adrian Zandberg zog weitere Konsequenzen nach sich. Die Partei verließen mehrere Mitglieder, unter anderem die stellvertretende Senatsmarschallin Magdalena Biejat, die Senatorin Anna Górska sowie die Abgeordneten Joanna Wiche, Dorota Olko und Daria Gosek-Popiołek. Sie blieben zwar in der Fraktion der Linken, erklärten jedoch, sie würden keiner Partei beitreten. „In unserer Partei trennte uns grundsätzlich die Vorstellung, wie wir in der Politik agieren wollen. Wir sind der Meinung, es sollte alles getan werden, um die uns umgebende Wirklichkeit zu verändern, hier und jetzt. Nicht in einem Jahr, nicht in zwei, nicht in der nächsten Legislaturperiode – heute“, betonten sie in der gemeinsamen Erklärung, veröffentlicht in den sozialen Medien.
Dr. Joanna Modrzyńska, Politologin an der Nikolaus-Kopernikus-Universität (UMK) Toruń konstatiert Folgendes: In der Hauptinformationsquellen wird meist als Ursache für das Ausscheiden von Razem aus der Regierungskoalition angegeben, Donald Tusk habe die Wählerschaft betrogen und wird die Wahlversprechen nicht einlösen. Wenn man indes die Aussagen des Razem-Vorsitzenden Adrian Zandberg verfolgt, scheint es, als ob der Hauptgrund dafür die Ablehnung des Haushaltsentwurfs für 2025 war. Razem wollte nämlich wesentliche Änderungsvorschläge einbringen. Dennoch entsteht der Eindruck, hinter diesen Aktivitäten stecke Einiges mehr.
„In letzter Zeit verschwand Razem fast gänzlich in dem größeren politischen Projekt genannt Neue Linke“, glaubt Joanna Modrzyńska. Immer öfter werden Frauen, vornehmlich Sejmabgeordnete, zum Gesicht der Partei. Deshalb könnte das mediale Ausscheiden aus der Koalition für Adrian Zandberg zu einem Ausgangspunkt vor dem Wahlkampf und der Präsidentschaftswahl im Spätfrühling 2025 werden. Aktuell ist die Rede lediglich von potenziellen Kandidaten aus den zwei wichtigsten Parteien auf der polnischen politischen Bühne, aus der PO und der PiS. Deswegen könnte der Ausstieg aus der Koalition ein Versuch sein, die Wählerstimmen zu gewinnen, sich von den ersten sichtbaren Misserfolgen der Regierungskoalition zu distanzieren sowie von den Parteiaustritten einiger Politikerinnen abzulenken, die in der Koalition geblieben sind. Unter ihnen ist Magdalena Biejat, die oft als Kandidatin für die kommende Präsidentschaftswahl benannt wurde, also genau genommen als eine unmittelbare Konkurrentin Adrian Zandbergs in dieses Rennen startet. Außerdem ist den letzten Umfragen zu entnehmen, welch marginale Rolle die Partei Razem spielt, und manchmal wird sie nicht einmal in Betracht gezogen, da die Wählerinnen und Wähler meistens allgemein nach ihrer Unterstützung für die Neue Linke gefragt werden. Vielleicht hat sich Zandberg aus diesem Grund für die Flucht nach vorne entschieden und den fast theatralischen Ausstieg aus der Koalition als seine letzte Chance gesehen, auf der polnischen politischen Bühne in Erscheinung zu treten.
Nach Auffassung von Joanna Modrzyńska wird dieses Ereignis kaum Einfluss auf die Unterstützung für rechtsgerichtete Parteien haben, obschon es ein Auslöser sein könnte, um die fehlende Einigkeit und, was damit zusammenhängt, den Verlust der Legitimation für die jetzige Koalition deutlich zu machen.
Professor Michał Wróblewski, Soziologe an der UMK hatte das Ausscheiden der Partei aus der Fraktion der Linken vorausgesagt, weil er die Spannungen richtig einschätzte, die in den letzten Wochen zu beobachten waren.
„Razem steht jetzt vor einer sehr schweren Aufgabe, jene Wählerschaft zu konsolidieren, die es der Partei den Wiedereinzug in den Sejm bei den nächsten Wahlen ermöglicht“, erklärt der Soziologe. Diese Partei kann auf die Stimmen der von der Regierungskoalition enttäuschten, progressiven Wählerschaft zählen, doch muss ihre Botschaft eindeutig und konsequent sein. Die linken politischen Gruppierungen hatten in den Umfragen stark verloren, als sie sich eher positiv gegenüber der Regierung positionierten. Das ist die Folge der politischen Polarisierung und des Stimmengewinns bei den zwei größten Parteien. Einzig wenn sich Razem von der Regierung und der PiS unterscheidet, hat sie überhaupt Chancen, ausreichend Unterstützung zu bekommen. Das ist am Beispiel der Konfederacja gut zu sehen. Diese Partei steht konsequent am Rande des politischen Kampfes zwischen der KO und der PiS, was sie in Anbetracht der wachsenden Spaltung zu einer Partei der dritten Wahl macht. Razem sollte als Partei eine quasi linke Entsprechung für Konfederacja sein; sie sollte nicht zögern, eine klare, manchmal sogar übertreiben radikale Botschaft zu formulieren.
Aus Sicht von Dr. Patryk Wawrzyński, Politologe an der Universität Szczecin, beweise die Handlungsweise von Razem, welch komplizierter Kompromisse ein gemeinsames Agieren einer so breiten Koalition bedürfe, die ab Herbst 2023 an der Macht ist. So weit gehende Zugeständnisse sind nicht für alle Politiker annehmbar und es fällt ihnen schwer, für ihre Wählerschaft glaubhaft zu bleiben, wenn sie auf die Umsetzung ihrer zentralen Forderungen verzichten. Gleichzeitig legt der Austritt eines Teils der Leitung aus der Partei nahe, dass die pragmatische Einhaltung des Regierungskurses genauso wichtig sein kann, selbst auf Kosten eigener Forderungen und Überzeugungen. Sowohl die eine als auch die andere Option wäre der Wählerschaft mit der Loyalität gegenüber linken Werten recht gut zu erklären, doch könnten sich beide als der nächste Schlag gegen die linken Parteien und ihre Popularität erweisen.
Rivalität zwischen Fraktionen
„Allem Anschein nach könnte der Bruch in der Razem-Partei, und, was damit einhergeht, in der parlamentarischen Linken zu einer noch stärkeren Unterstützung für die Koalicja Obywatelska (KO, Bürgerliche Koalition, stärkste Fraktion in der Regierungskoalition) beitragen; die KO gewinnt seit vier Jahren erfolgreich die progressive Wählerschaft“, findet Patryk Wawrzyński. „Die fehlende Einigkeit in der polnischen Linken würde, zumindest kurzfristig, die Zustimmung weiterer Wählerinnen und Wähler für die Bürgerlichen Koalition (KO) von Ministerpräsident Donald Tusk erhöhen. Für diese Wähler wird die KO die sichere Wahl sein, vielleicht nicht so progressiv wie die Linke, dafür aber wird sie die Umsetzung von immerhin einigen der liberalen Forderungen gewährleisten. Zugleich wird sie als Garant dafür fungieren, dass die Rechte nicht zurück an die Macht kommt. Wie die Entscheidung eines Teils der Razem-Politiker zeigt, kann dies zu einer maßgebenden politischen Motivation werden.“
Nach Ansicht von Wawrzyński sei es keine Überraschung, weshalb die KO zum Nutznießer dieser Situation werden kann. Für die KO könnte eine starke Linke eine reale Bedrohung darstellen und sie hätte einige Prozentpunkte in der Gunst ihrer Wählerschaft zugunsten der Linken verlieren können. Da die Linke in die Falle der Rivalität zwischen den Fraktionen geraten ist, lässt sie zu einer nicht mehr sicheren Wahl werden, und gleichzeitig wird sie dadurch weniger attraktiv für jene Wählerinnen und Wähler, die von Politikern Effizienz erwarten. Adrian Zandberg ist heute das Gesicht der ideologischen Treue, und Magdalena Biejat der pragmatischen Herangehensweise an die politische Wirkkraft, auch zum Preis von ideologischen Kompromissen.
„Der Entschluss der Razem-Partei gefährdet die Stabilität der Regierungskoalition nicht, weil diese Partei eher unbedeutend für die Koalition war, trotzdem kann er der Popularität der Linken ernsthaft schaden“, fügt Wawrzyński hinzu. „Andererseits kann so eine Handlung das Image der Rechten stärken und Argumente für die Politiker von PiS liefern. Sie werden die Kritik der Linken an der Tusk-Regierung nutzen, um sich wiederholt als Gegner der „totalen Opposition“ in der Zeit von 2015 bis 2023 zu präsentieren. Das soll die eigene Wählerschaft festigen, ebenso wie die frühere Debatte um den geplanten Bau des CPK (Zentralflughafen). So, wie die programmatische Allianz der Abgeordneten Marcin Horała (PiS) und Paulina Matysiak (Razem) wird jetzt die Kritik an der Regierung seitens weit voneinander entfernten Milieus bei der rechten Wählerschaft das Gefühl verstärken, die Ablehnung der Tusk-Regierung sei keine Frage der politischen Sympathien, sondern das Ergebnis der objektiven Schwäche der Koalition. Wenn schon die Regierung von politischen Kreisen kritisiert wird, die weit von der PiS entfernt sind, heißt das, es sei keine ausschließliche Frage der politischen Agitation. Die Bedeutung eines solchen Zusammenwirkens der kritischen Stimmen wurde bei der Wahl 2023 deutlich, als die heutige Regierungskoalition davon profitierte, wie aktiv die PiS nicht nur von der Koalition, aber auch von der Konfederacja kritisiert wurde. Vor diesem Hintergrund wird die weitere Strategie der Partei Razem womöglich von Belang sein für die Präsidentschaftswahl im nächsten Jahr. Die Wiederherstellung der Führungsrolle bei der Gestaltung des regierungsfeindlichen Narrativs durch die PiS könnte einen Einfluss auf die Entscheidungen der unentschlossenen Wähler haben. Bei der so starken Spaltung, mit der wir in Polen zu tun haben, können schon einige Prozentpunkte von den Wählerinnen und Wähler ohne politische Präferenzen über den Ausgang der Wahl entscheiden, besonders wenn die Mobilisierung jener jungen Generation sinkt, die der Tusk-Regierung beim Gewinnen geholfen hat. Je mehr programmatische Allianzen über alle Spaltungen hinweg zustande kommen, desto schwieriger wird es, junge, unentschlossene Wählerinnen und Wähler zu überzeugen, wie notwendig es ist, die Demokratie vor PiS zu schützen. Dann wird die Präsidentschaft in Reichweite des PiS-Kandidaten liegen.