Das deutsch-französisch-polnische Trio ist heute nicht mehr richtunggebend für Europa. Die Ursachen dafür liegen in der innenpolitischen Schwäche jedes dieser Länder sowie in Ermangelung jeglicher Ideen für ein gemeinsames Ziel.
Das Weimarer Dreieck hat theoretisch gesehen ein großes Potenzial als ein Forum, wo die Zukunftskonzepte für Europa diskutiert werden. Praktisch erfüllt es diese Rolle gar nicht. Aus Sicht Frankreichs ist das nur eines von möglichen Formaten einer europäischen Zusammenarbeit, weil ihm andere große Staaten wie Spanien, Italien oder Großbritannien nicht angehören. Deutschland betrachtet es als ein Forum, das eher aus Not reaktiviert wurde und dafür da ist, um den Dialog aufrechtzuerhalten, ohne jegliche Richtung oder ohne klares Ziel. Polen wiederum sah darin jahrelang eine Chance, um in die „erste europäische Liga“ aufzusteigen, dann wurde das Forum als gegenüber den nach 2015 stattfindenden Veränderungen in Polen feindselig eingestellt betrachtet; heute wird es von Polen noch als ein Forum angesehen, bei dem Deutschland in Sachen Russland und Ukraine Druck ausüben kann.
Anders gesagt, lässt die Art und Weise, wie die einzelnen Staaten des Weimarer Dreiecks über Europa denken, das Forum zu einem Ort werden, wo lediglich obligatorische Treffen und ein kaum zuträglicher Dialog stattfinden. Dies ist für keine der Seiten voll und ganz befriedigend. Trotz aller Unterschiede sind Gespräche notwendig. Daran gibt es keine Zweifel.
Allerdings ist ein Schwund der wesentlichen Interaktionen im Rahmen des Dreiecks wahrnehmbar. Das hat zwei unmittelbare Gründe: interne Probleme aller drei Staaten sowie das Fehlen gemeinsamer Ziele und der Bereitschaft, solche zu erarbeiten.
Machtlosigkeit beginnt im Land selbst
Es ist nicht Neues, dass die Außenpolitik von der Innenpolitik bestimmt wird. Jedes Land wird in seinem Handeln auf internationaler Ebene nicht nur von der Politik der anderen Länder eingeschränkt, sondern auch von Rahmenbedingungen der Innenpolitik, Wahlterminen, öffentlicher Unterstützung, dem Geldbeutel und der Zustimmung (oder Ablehnung) gewisser Lösungen innerhalb der politischen Klasse. Deutschland, Frankreich und Polen befinden sich heute in einer Situation, in der all diese Faktoren ihre Haltung in Europa noch stärker als in den letzten Jahren beeinflussen.
Nach dem Aus der Ampelkoalition bereiten sich alle Parteien im Bundestag gegenwärtig nur noch auf die Neuwahlen vor, die am 23. Februar 2025 stattfinden sollen. Die ehemaligen Koalitionsparteien SPD, die Grünen und die FDP kamen in wirtschafts- und Industriefragen nicht überein, und die Zustimmungswerte für die gesamte Koalition war vor ihrem Bruch niedriger als für die größte Oppositionsfraktion von CDU/CSU. Darüber hinaus macht die Wirtschaft schwere Zeiten durch: Sie kämpft mit magerem Wachstum, fehlenden Innovationen und der steigenden Konkurrenz aus China. Nicht ohne Grund kündigte Volkswagen kürzlich an, drei Fabriken in Deutschland zu schließen. Unter diesen Umständen kommen aus Deutschland viel weniger Ideen zur Lösung der europäischen Schlüsselfragen. Zumal die europäischen Partner wissen: Die Tage von Kanzler Scholz sind gezählt und in Europa wird für das nächste Jahr ein neues Kapitel erwartet.
Frankreich ist in einer ähnlichen Lage und die ist für eine längerfristige Planung ungünstig. Die Partei Emanuel Macrons hat bei den Parlamentswahlen im Sommer eine Niederlage erlitten und die Mehrheit verloren. Seitdem sind Macron bei vielen Entscheidungen die Hände gebunden; er muss viel mehr Zeit darauf verwenden, mit der Regierung eine Einigung zu finden. Dies ist jetzt schwieriger, weil der Krieg in der Ukraine und die Pandemie-Folgen zu einem enormen Anstieg des Haushaltsdefizits und der Staatsverschuldung beigetragen haben. Demzufolge bedarf es erheblicher Haushaltskürzungen, mit denen die Linke nicht einverstanden ist und deren Zukunft von der Unterstützung seitens der größten Rivalin Macrons, Marine le Pen abhängt.
Wenn auch bisher die Probleme im Land Macron nicht daran gehindert haben, eine aktive europäische Politik zu betreiben, haben wir in den letzten Monaten mit einem gegenteiligen Phänomen zu tun. Der französische Präsident ergreift nicht mehr so oft das Wort in Sachen Ukraine oder der Reformen der Europäischen Union. Er wurde im eigenen Land in die Defensive gedrängt und das fällt auf seine Position in Europa zurück.
In Polen wiederum wird einerseits der Machtwechsel in Deutschland abgewartet, und andererseits wird die Präsidentschaftswahl vorbereitet. Der Kanzlerwechsel sollte es Warschau erleichtern, Gespräche über strittige Fragen zu führen, das heißt über die EU-Reformen, Migration und Energiewirtschaft. Das Wahlkampffieber hingegen treibt die Regierungsparteien in Richtung einer solchen Politik, die eine möglichst deutliche Unterscheidung von Deutschland und seiner Politik gegenüber Russland, Migration oder Energiewirtschaft zum Ziel hat. All das schließt zurzeit Maßnahmen aus, die auf den Willen hinweisen könnten, das Weimarer Dreieck zum Leben zu erwecken.
Worüber reden?
Eine Seite des Problems sind die ganzen innerstaatlichen Faktoren. Genauso wichtig ist der bislang nicht vorhandene Konsens zwischen den drei Seiten des Weimarer Dreiecks über zentrale europäische Fragen.
Es geht vor allem um die Ukraine. Die europäischen Staaten, hauptsächlich Deutschland und Frankreich, haben längst jedweden Einfluss auf die Lage in der Ukraine verloren. Polen dagegen, obwohl extrem stark aufseiten der Ukraine engagiert, konnte seit Beginn des Krieges nie eine realistische Wirkkraft gegenüber der ukrainischen Regierung entfalten und rangierte als ein passiver Zuschauer der Geschichte. Heute sind alle drei Staaten Geiseln des anhaltenden Krieges und haben kaum Einfluss auf seinen Verlauf.
Allerdings sendet Deutschland leise Zeichen, man möge zu Gesprächen mit Moskau zurückkommen, Frankreich munkelt, die NATO solle eine offizielle Einladung an Kyjiw richten, und Polen drängt derweil auf die Notwendigkeit, Russland weiter zu isolieren. Berlin bereitet sich auf die Rückkehr Donald Trumps ins Weiße Haus vor, und Frankreich möchte seine Einflusssphäre auf Osteuropa ausweiten.
Möglicherweise sieht Polen seinen Platz eher im Kreis der baltischen Staaten und nicht im Weimarer Dreieck. Unlängst erklärte Donald Tusk, die Haltung der estnischen Premierministerin Kaja Kallas gegenüber Russland und der Ukraine stimme mit der polnischen völlig überein; somit positioniert sich Polen näher an die europäische Peripherie als an das Zentrum.
Ein anderes Thema ist die zukünftige Entwicklung der Europäischen Union. Frankreich beharrt auf Reformen in der europäischen Fiskalpolitik, also der Aufnahme neuer Gemeinschaftsschulden, welche die Konkurrenzfähigkeit der europäischen Wirtschaft stärken und den europäischen Sicherheits- und Verteidigungssektor fördern sollten. Frankreich befürwortete übrigens (zusammen mit Spanien) den neulich veröffentlichten Bericht des ehemaligen Chefs der Europäischen Zentralbank Mario Draghi. Darin schreibt er über das Erfordernis einer regelmäßigen Emission gemeinsamer EU-Anleihen. Macron sieht in dieser Lösung einen nächsten Schritt auf dem Weg zur engeren Wirtschaftsintegration und die Umsetzung seiner politischen Ambitionen.
Deutschland geht auf solche Vorschläge vorsichtiger ein. Die Deutschen halten eine stärkere Finanzdisziplin für notwendig und glauben im Recht zu sein, weil Deutschland ohnehin einen großen Teil der mit Anleihen-Emission und Schuldenbedienung verbundenen Kosten tragen würde. Zudem betrachtet Deutschland die ambitionierten geopolitischen Pläne Macrons skeptischer; es schwankt zwischen der Verbundenheit mit der NATO und den militärischen Lösungsansätzen im Rahmen der EU. Deutschland ist nicht geneigt, sich allzu stark von den USA zu distanzieren.
In dieser Hinsicht ist Polen näher an Frankreich dran, doch vorrangig begründet durch die gemeinsame Finanzierung der Rüstungsinvestitionen. Wenn Warschau heute auf den Westen blickt, dann eigens um seine Befürchtungen bezüglich Russlands Politik zu kommunizieren, und um zu überzeugen, welch enormen Interesses und Investitionen die EU-Ostflanke bedarf. Der Westen, darunter Frankreich und Deutschland, ist aktuell ein Ort, wo die Menschen zu mehr Interesse am Osten bewegt werden müssen. Aus Sicht Polens verlagert sich das politische Gewicht Europas dauerhaft gen Osten, und nach diesem Standpunkt richtet es seine Politik aus.
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In einer Situation, in der die Ziele und Bedürfnisse der Weimarer Partner so weit auseinanderliegen, wäre es für sie momentan schwierig, eine gemeinsame Position in den wichtigsten Fragen zur Zukunft der Europäischen Union auszuarbeiten. Frankreich ist verwirrt, Deutschland unsicher und Polen selbstsicher geworden. Jedoch will Polen diese Selbstsicherheit insbesondere für die Verteidigung des Kontinents nutzen und nicht für Maßnahmen zu seiner technologischen, wirtschaftlichen oder industriellen Entwicklung. In allen drei Ländern ist eine Verstärkung der Weimarer Kooperation nicht zu erwarten angesichts der massiven Einwirkung der Innenpolitik auf die Außenpolitik. Aktuell könnte das Weimarer Dreieck als ein Forum für Konsultationen auf einer niedrigeren Ebene agieren, oder sogar als Ort für ehrliche Gespräche zwischen den drei Anführern. Es ist freilich keine Triebkraft für Europa, und wird es in vorhersehbarer Zukunft nicht mehr sein, weil jeder Teil des Trios es lieber mag, eine Solopartie zu spielen oder nach Partnern in anderen Konstellationen zu suchen.
Der Auto Lukasz Gadzala ist mir schon mehrfach ob seiner realistischen Sichtweise positiv aufgefallen.
Wie mit dem Projekt WEIMARER DREIECK weiter verfahren werden könnte oder sollte, bedarf aus meiner Sicht einer Diskussion mit interessierten Zeitgenossen (Vereinigungen, Gesellschaften, einzeln), die meistens auf ehrenamtlicher Basis tätig sind. Auf anderen Gebieten gibt es bereits Bürgerforen oder Bürgerregionen, die sich zugunsten der Sache für ein Mitbestimmungsrecht stark machen.
Wobei ich eine größere Erweiterung des WEIMARER DREIECKS zunächst kritisch sehe, weil dies schnell zu einer gewissen Unübersichtlichkeit führen kann. Jedoch im Kontext mit Verhandlungen zwischen den USA und Russland im Sinne einer friedlichen Koexistenz – also nicht in Gestalt eines militärischen Wettbewerbes – könnte das WEIMARER DREIECK, ob erweitert oder nicht, wieder eine Rolle spielen.
Um auf Parteien zu sprechen zu kommen, so verorte ich mich selbst eher bei der SPD als bei der CDU.
Tatsächlich hat sich meinen Beobachtungen nach diesen Fragen vielfach die SPD gewidmet, nicht die CDU.
Die Tatsache, dass das Weimarer Dreieck im Moment nicht so funktioniert, wie man es sich wünscht, ist kein Argument gegen das Format als solches. Innenpolitische Schwächen kommen und gehen. Ideen wären vorhanden. Vor dem Hintergrund der internationalen Herausforderungen wird das WD gebraucht – als ein Format das den Westen und den Osten der EU verbindet. Alternativen bergen die Gefahr einer Spaltung. Das wäre das letzte, was wir angesichts der kommenden Trump Administration brauchen. Ein flexibles, erweitertes WD (vielleicht um Italien, Spanien und ggf. die Ukraine) könnte ein Format sein, dass Europa bei den Verhandlungen zwischen den USA und RUS, die wohl kommen werden, im Spiel hält.