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Eine Autorität des deutsch-polnischen Regionalismus. Hans Jürgen Karp – Erinnerungen

Hans-Jürgen Karp war kein Mensch, der Schlagzeilen machte. Seit über einem Vierteljahrhundert gaben die Geschichte des Ermlands und der katholischen Kirche seiner öffentlichen Tätigkeit die Richtung vor. Er war voller Empathie, eine ungewöhnliche Persönlichkeit, er war der Typ des engagierten Historikers, der aus mikrohistorischer Perspektive die Dinge in ihrem breiten europäischen Kontext zu sehen und in regionaler Dimension freundschaftliche Beziehungen zwischen Polen und Deutschen herzustellen vermochte. Vor über einem Jahr starb Hans-Jürgen Karp im Oktober 2023 im Alter von 88 Jahren.

Professionell war er mit dem Herder-Institut Marburg verbunden, dessen stellvertretender Direktor er in den 1990er Jahren war. Hier erschienen seine wichtigen Publikationen zu den europäischen Grenzen im Mittelalter, zum Nachlass des Stanisław Hozjusz, eines der hervorragendsten Humanisten der Zeit der Gegenreformation, und zur Haltung der katholischen Kirche zu Krieg und Zwangsarbeitern. Sein letztes Projekt am Herder-Institut markierte sein besonderes persönliches Interesse für Polen und die deutsch-polnischen Beziehungen: „Deutsche Geschichte und Kultur im heutigen Polen. Fragen der Gegenstandsbestimmung und Methodologie“ (Konferenzschrift, hrsg. von H.-J. Karp, Marburg: Herder-Institut, 1997).

1956 trat er dem Historischen Verein für Ermland bei, 1989 übernahm er dessen Leitung, 2018 wurde er verdientermaßen dessen Ehrenvorsitzender. In derselben Zeit war er Mitherausgeber der „Zeitschrift für die Geschichte und Altertumskunde Ermlands“, die bereits seit den 1950er Jahren und lange Zeit als einziges deutschen Periodikum Zusammenfassungen der Beiträge in polnischer Sprache abdruckte. Auf Hans-Jürgen Karps Initiative wurden schon vor langer Zeit polnische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowohl in die Vereinsleitung als auch in die Zeitschriftenredaktion aufgenommen. Er kam stets auf die Idee zurück, dass der Verein im heutigen Europa auch formal zu einer deutsch-polnischen Organisation werden sollte.

Seit 35 Jahren, nämlich seit ich 1988 ein Gespräch mit Hans-Jürgen Karp über die Ermländer in der Bundesrepublik Deutschland auf Polnisch veröffentlichte, waren wir ständig im Kontakt. Wir arbeiteten auf verschiedenen Feldern intensiv zusammen, hauptsächlich als Kooperationspartner des Historischen Vereins für Ermland (HVE) und der Allensteiner Kulturgemeinschaft „Borussia“. Die Ermländer aus Deutschland wollten als erste der früheren Einwohner Ostpreußens nicht nur ihre alte Heimat besuchen, sondern interessierten sich lebhaft für die Veränderungen in Polen nach 1989. Sie wollten, dass polnische Geschichtsschreibung und polnische Belletristik der deutschen Leserschaft zugänglich sein sollten. So veröffentlichten deutsche Ermländer-Zeitschriften Texte von Allensteiner Dichtern wie Kazimierz Brakoniecki, Alicja Bykowska-Salczyńska und Zbigniew Chojnowski.

Die Krönung meiner Zusammenarbeit mit Hans-Jürgen Karp war der Wettbewerb und die daraus hervorgegangene Publikation „Nachkriegsalltag in Ostpreußen. Erinnerungen von Deutschen, Polen und Ukrainern“ (Münster: Aschendorff, 2004). Ich war glücklich, als nach Jahren der Mühen dank des Engagements von Hans-Jürgen Karp meine Doktorarbeit „Der politische Katholizismus im Ermland. Eine Studie zur deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte 1871–1914“ in deutscher Übersetzung erscheinen konnte (Münster: Aschendorff, 2016).

Hans-Jürgen Karp beteiligte mich an der Arbeit des HVE. Ich konnte aus der Nähe beobachten, wie er sich für stets neue Initiativen engagierte und sich die Fragen stellte: Wie soll es weitergehen? Werden wir Nachfolger finden? Lässt sich die Idee umsetzen, den bis in das Jahr 1856 zurückreichenden Regionalverein zu einer wirklichen deutsch-polnischen Organisation zu machen und dem bilateralen Dialog im heutigen Europa eine neue Form zu geben? Häufig führten wir unsere Gespräche auch im privaten Kreis mit unseren Ehefrauen Christa und Elżbieta fort, als wir nicht nur in Erinnerungen schwelgten, sondern gemeinsam versuchten, die Welt zu verbessern.

Das letzte Mal sprachen wir im September 2023 miteinander. Hans-Jürgen Karp war voller Sorge, aber auch voller Hoffnung auf eine gute Weiterentwicklung. Am 29. Oktober starb er. Wir haben einen sehr guten Historiker und einen aktiven Initiator des deutsch-polnischen Dialogs verloren, vor allem aber einen guten, sensiblen und empathischen Menschen.

Aus dem Polnischen von Andreas R. Hofmann

 

Robert Traba

Robert Traba

Prof. Dr. Robert Traba, Historiker, Politologe und Kulturwissenschaftler, Begründer und Vorsitzender der Kulturgemeinschaft Borussia in Olsztyn/Allenstein sowie von 1997-2017 Herausgeber der Vierteljahresschrift „Borussia“.

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