Hohndorf bei Habelschwerdt (Wyszki bei Bystrzyca Kłodzka) ist der Geburtsort des Dichters Robert Karger (1874–1946), der seine engere Heimat zum Thema seiner Werke machte. Er schrieb im Dialekt des Glatzer Landes, heute eine so gut wie ausgestorbene und schwer zu verstehende Sprache. Daneben war er Herausgeber und Verleger; zusammen mit August Walzel gab er den populären Regionalkalender „Guda Obend“ heraus. Das Internet weiß nicht sehr viel zum Leben dieses Autors mitzuteilen. Außer ein-zwei Gedichten ist nichts von ihm ins Polnische übersetzt worden. Obwohl bei Menschen der schreibenden Zunft, die aus dem Glatzer Land stammen, ein gewisses Interesse besteht, ist Karger doch fast unbekannt. So weiß kaum jemand, dass sein Geburtshaus in Wyszki immer noch steht. Es befindet sich allerdings heute in einem jämmerlichen Zustand. Es ist seit vielen Jahren unbewohnt, steht verlassen am Wegesrand und befindet sich im Zustand des schnell voranschreitenden Verfalls. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, wann zuerst das Dach einstürzt und dann der Rest des Hauses. Könnte es nicht ein lokaler Erinnerungsort werden?
Verankerung der deutschen Vorgeschichte im allgemeinen Bewusstsein
Es gibt schon lange Anstrengungen, die Geschichte der Gebiete zur popularisieren, die 1945 an Polen fielen. Neben etlichen Gesamtdarstellungen sind Studien zu spezielleren Themen erschienen. In den vergangenen Jahrzehnten, so lässt sich behaupten, ist viel geschehen, um die Regionalgeschichte und ihre deutschen Einwohner, deren Kultur und Sprache ins Gedächtnis zu rufen. Anscheinend wurde schon so gut wie jedes Thema abgehandelt, doch ist es nur hin und wieder gelungen, mit solchen Bemühungen dauerhaftes Interesse bei den heutigen Bewohnern zu wecken.
Könnte das einstige Haus einer für die Glatzer Kultur und Gesellschaft bedeutsamen Persönlichkeit wenigstens bei den 110 Einwohnern des Dorfs Wyszki Interesse wecken? Karger ist ein vergessener Dichter, und das nicht nur in Polen. Auch in Deutschland bedarf es bestimmter Anlässe, um an ihn zu erinnern. Seine Gedichte im Glatzer Dialekt werden in landsmannschaftlichen Schriften nachgedruckt. Vielleicht hat der Generationenwechsel es dazu gebracht, dass auch in Deutschland kein Interesse besteht. Wer versteht schon noch den Glatzer Dialekt gut genug, um darin verfasste Lyrik zu lesen? Ebensowenig wäre mir eine deutsche Publikation bekannt, die den Mundartendichter in die deutsche Hochsprache übersetzen würde.
Selektives Interesse
In Polen ist das Interesse an deutscher Regionalliteratur sehr selektiv. Im Falle des Glatzer Landes gab es in den 1990er Jahren einiges Interesse für den Theologen, Historiker und Schriftsteller Joseph Wittig (1879–1949). Eine Auswahl seiner Erzählungen und seine Geschichte seiner Heimatstadt Neurode (Nowa Ruda) wurden ins Polnische übersetzt. Der Schriftsteller Hermann Stehr (1864–1940) fand Interesse bei den Germanisten. Er ist in Bystrzyca Kłodzka, dem früheren Habelschwerdt begraben.
Damit stellt sich die Frage, ob wir uns um die Erinnerung an Robert Karger bemühen sollten, der zwar in derselben Zeit wie diese beiden anderen Literaten schrieb, doch weder große intellektuelle Ambitionen hatte noch an ihren überlokalen Bekanntheitsgrad heranreichte. Er gehörte zur regionalen Kulturlandschaft, die heute der Vergangenheit angehört. Seine schlichten Gedichte, die das Glatzer „Land der Kinderjahre“ besingen, sind jedoch immer noch berührend. Daraus spricht eine Liebe, eine Verbindung zur Heimat, ein Entzücken für ihre Natur, eine Wertschätzung ihrer Menschen – Gefühle, die Verständnis für diese verlorene Welt wachrufen können. Denn die heutigen Bewohner sehen mit ähnlichen Augen auf ihre Ecke der Welt und ihre Nachbarn.
Ein Erinnerungsort?
Kargers altes Haus war nach dem Krieg noch mehrere Jahrzehnte in einem guten Zustand. Die neuen Bewohner kümmerten sich darum, nachdem sie von den Grenzverschiebungen dorthin verpflanzt worden waren. Bis 1945 war der Dichter am Ort geehrt worden. Das wird von den Fotografien in dem Buch „Robert Karger und die Glatzer Heimat“ (Leimen, Heidelberg: Marx, 1974) bekundet. Diese zeigen das Haus von vorn und von der Gartenseite. Auf einem Foto ist Karger zu sehen, wie er vor dem Haus steht. Am Hausgiebel hing eine Gedenktafel für ihn, die nach dem Krieg abgenommen wurde. Doch finden sich auch Fotos aus den 1970er Jahren in dem Bändchen. Eines zeigt die Dachstube, in der sich Karger sein Arbeitszimmer eingerichtet hatte. Dort arbeitete er an der Redaktion des beliebten Kalenders. Die letzte Aufnahme zeigt das Haus von der Wegseite, umgeben von Blumen.
Von dieser Idylle ist heute nichts mehr geblieben. Das kleine Holzhaus neigt sich immer stärker zur Seite, es ist umwuchert von wild wachsenden Büschen, die jetzt zur Winterzeit kahl sind und den Blick auf die Hausruine freigeben.
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Aus dem Polnischen von Andreas R. Hofmann