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Trump versus Europa

Europa ist heute politisch stärker von den USA abhängig als während Trumps erster Amtszeit. Es bestehen kaum Chancen, dass sich das in den nächsten vier Jahren ändern könnte.

Europa hat sich heute mit zahlreichen Problemen auseinanderzusetzen, und Donald Trumps Präsidentschaft ist nur eines und keineswegs das größte darunter. Der Weltmarktanteil Europas ist beständig im Rückgang; europäische Firmen verlieren ihre Innovationskraft und sind damit weniger konkurrenzfähig gegenüber den protektionistischen Vereinigten Staaten und China. In der Europäischen Union laufen Debatten über strukturelle Veränderungen, die es gestatten würden, gemeinsame Schulden aufzunehmen und außenpolitische Entscheidungen effektiver zu treffen, doch diese Gespräche führen nicht zu dem gewünschten Ergebnis. Die EU würde gern ihren Einfluss auf den Balkan, auf Osteuropa und den Kaukasus erweitern, doch fehlt es ihr dazu an schlagkräftigen Argumenten und noch mehr an Entschlossenheit. Daher fällt es ihr schwer, es nicht bei verbalen Verlautbarungen zu belassen und sich in diesen Regionen mit anderen Mächten zu messen, die mit gleicher Lautstärke, aber aggressiver ihre Einflusssphären geltend machen.

Darüber hinaus wird in Osteuropa der Krieg zwischen Russland und der Ukraine geführt, auf den die größten westeuropäischen Länder, Deutschland, Frankreich, Italien und selbst Großbritannien, keinen entscheidenden Einfluss nehmen können. Zwar halfen sie der Ukraine mit einer großen Menge an Kriegsgerät und haben ihr erhebliche Finanzmittel zur Verfügung gestellt, um ihre Unabhängigkeit zu wahren, doch ihr politisches Gewicht bei der Aushandlung und Beendung des Kriegs wird sehr viel geringer sein als dasjenige der Vereinigten Staaten, Chinas und Russlands, möglicherweise selbst Indiens.

Vor Kriegsausbruch bemühten sich Deutschland und Frankreich darum, den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine auf der Grundlage der Minsker Abkommen zu lösen, die 2014 und 2015 ausgehandelt worden waren. Diese Politik orientierte sich an der Überzeugung, Russland sei Bestandteil der europäischen Kräfteordnung, und die Sicherheit der Ukraine sowie die europäisch-russischen Beziehungen könnten nur auf politischer und diplomatischer Ebene geregelt werden. Mit anderen Worten, Krieg sei nicht notwendig, um einen Ausgleich für die langwierigen Spannungen, Ressentiments und Konflikte zu schaffen, die zwischen der Ukraine und Russland sowie zwischen Russland und dem Westen angewachsen waren.

Die Vereinigten Staaten und Großbritannien sahen das anders. Sie enthielten sich des Engagements zur Lösung der Ukrainefrage auf Grundlage der Minsker Abkommen und vertraten die Auffassung, der einzige Weg zur Gewährleistung der europäischen Sicherheit sei die Erweiterung der NATO und die Aufnahme der Ukraine in das westliche Verteidigungsbündnis. Als am 24. Februar 2022 die russische Invasion der Ukraine begann, war die französisch-deutsche Vision einer europäischen Sicherheitspolitik auf absehbare Zeit vom Tisch, während die angelsächsische Sichtweise obsiegte, derzufolge Russland keinen Platz in der europäischen Kräftekonstellation habe und die europäische Sicherheit einzig durch größtmögliche Schwächung Russlands und seine Verdrängung aus der europäischen Politik gewährleistet werden könne.

Wird Donald Trump den Ukrainekrieg beenden?

Die verbreitete Annahme, 2025 werde das Jahr der Friedensgespräche und des Kriegsendes sein, lässt möglich erscheinen, die vor dem Krieg von Deutschland und Frankreich betriebene Europapolitik könne erneut ins Spiel kommen. Allerdings hat sich die Situation in der Zwischenzeit merklich geändert.

Erstens wird es keine Rückkehr zu den Minsker Abkommen geben, weil Russland einen sehr viel größeren Anteil ukrainischen Gebiets besetzt hält als vor dem Krieg. Es geht nicht mehr um den Status des Donbas, sondern um den Besitz von etwa zwanzig Prozent des ukrainischen Territoriums. Damit werden mögliche Gespräche zur Zukunft der Ukraine nicht allein darum geführt, ob sie einen Teil ihrer Souveränität abtritt, sondern um die Souveränität des gesamten Landes.

Zweitens werden die wichtigsten Partner bei den Gesprächen mit Russland und der Ukraine diejenigen Staaten sein, die auf die beiden Länder den größten Druck ausüben können, nämlich die USA, China und Indien. Diese drei intervenierten, als es in den Bereich des Möglichen rückte, dass Wladimir Putin in der Ukraine eine taktische Nuklearwaffe einsetzen könnte. Deutschland und Frankreich werden sicherlich einen Platz am Verhandlungstisch erhalten, doch ihre Rolle wird bescheidener ausfallen als vor Jahren, weil sich ihre Einschätzung der Lage nicht mehr sonderlich von der amerikanischen Sichtweise unterscheidet.

Da drittens die Umstände eine Rückkehr zur kontinentalen Politik nahelegen, doch vieles darauf hinweist, dass diese von der Trump-Administration umgesetzt werden wird, wird Europa noch stärker der US-Politik untergeordnet sein. Trump hat wiederholt erklärt, er sei bereit, mit Wladimir Putin die Bedingungen zur Beendung des Kriegs abzustimmen. Unabhängig davon, ob dies in den ersten Monaten seiner zweiten Amtszeit passiert oder erst im nächsten Jahr, weist nichts darauf hin, dass sich in dieser Zeit die Bedingungen an der Front zugunsten der Ukraine ändern könnten. Wenn der Krieg aber zu einem Zeitpunkt zu Ende ginge, in dem Russland etwa zwanzig Prozent des ukrainischen Territoriums besetzt hält, würde Moskau wieder zum Teil der europäischen Kräfteordnung werden. Damit ginge die französisch-deutsche Konzeption in Erfüllung, jedoch in umgekehrter Weise: Die Verständigung mit dem Kreml würde von den Vereinigten Staaten und China gutgeheißen, nicht von Europa, was nebenbei gesagt mit den langfristigen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen zusammenfallen würde, die den relativen Bedeutungsverlust Europas im Verhältnis zu den USA und den größten Ländern Asiens deutlich machen.

Wie wird Europa reagieren?

In Europa besteht der Konsens, dass unabhängig davon, ob Trump seine Versprechungen erfüllt und das Kriegsende zügig herbeiführt oder ob die Kämpfe noch monatelang weitergehen werden, die europäischen Verbündeten aufrüsten müssen, um Putin von dem nächsten Angriffskrieg abzuhalten. Damit einher gehen Appelle, einen wachsenden Anteil des Bruttoinlandprodukts für Verteidigungszwecke auszugeben: nicht mehr nur drei Prozent (so der polnische Präsident Andrzej Duda), nicht mehr vier Prozent (Trump in seiner ersten Amtszeit), sondern jetzt schon fünf Prozent (Trump Anfang Januar 2025). Manche meinen, Trumps Wahl sei ein notwendiger Weckruf für Europa gewesen, das sich jetzt vielleicht dazu aufrafft, mehr für die Verteidigung auszugeben und seine Grenzen entschlossener mit eigenen Kräften zu verteidigen.

Doch stärkt der sprunghafte Anstieg der Verteidigungsausgaben und die Fokussierung der europäischen Politik auf die Ukrainefrage keineswegs Europas Position gegenüber den größten Mächten. 2019 schrieben die US-amerikanischen Politikwissenschaftler Jennifer Lind und William Wohlforth in „Foreign Affairs“, dass zur Rettung der von den Vereinigten Staaten aus der Taufe gehobenen liberalen Ordnung diese eine konservativere Haltung einnehmen, ihre Reflexe, sich ausweiten zu wollen, unterdrücken und sich im Innern stärken muss, um den von außen kommenden Herausforderungen effektiver begegnen zu können. Das lässt sich heute auch auf die Europäische Union beziehen. Wenn diese ihren Bedeutungsverlust bremsen will, wären erste Schritte auf dem Weg zur Erstarkung eine engere Integration und der Wiederaufbau der eigenen industriellen und verteidigungspolitischen Grundlagen, wobei die EU sich gleichzeitig diplomatisch für die Beendung von Konflikten einsetzen müsste, die sie von den Prioritäten abhalten: von der inneren Stärkung und der Sicherung des eigenen Fortbestands in Anbetracht immer mächtigerer zentrifugaler Tendenzen.

Das wird jedoch nicht geschehen. In absehbarer Zukunft wird Europa nicht innovativer werden, wird seine Produktionsbasis nicht vergrößern und wird immer weniger bereit sein, sein kollektives Wirtschaftspotential einzusetzen. Das lassen weder die vielen zentrifugalen Kräfte zu, noch die Uneinigkeit der Mitgliedsstaaten hinsichtlich der von der EU einzuschlagenden Richtung. Es gibt so gut wie keine Hinweise darauf, dass eine Mehrheit der europäischen Länder plötzlich ihren Standpunkt ändern und einsehen würde, dass ihr Sicherheitsprobleme sich auf diplomatischer Ebene lösen ließen, selbst wenn der Ukrainekrieg eingefroren oder am Verhandlungstisch beendet würde.

Charakteristischerweise fordert Trump Europa nicht dazu auf, seine Sichtweise zu ändern. Denn er setzt auf die Schwächung der EU als Institution. Es geht ihm darum, den europäischen Import aus den USA zu erhöhen, nicht Europa selbst mehr produzieren und exportieren zu lassen. Er will, dass die Europäer ihren Handel mit China einschränken, während er ihnen den Zugang zum US-Markt erschweren will. Vor allem fordert er sie zu noch größeren Verteidigungsausgaben auf, die Russland aufhalten sollen, uneingedenk seiner Ankündigung, den Frieden in der Ukraine auszuhandeln.

Trump und Polen

Denn Trump sieht die Beziehungen zu Europa wie zur gesamten übrigen Welt als rein geschäftsmäßig. Er will den Ukrainekrieg beenden, aber nicht, weil er Frieden und die Wiederherstellung des Status quo ante will. Er will eine Verständigung mit Russland, um den Fokus und die Ressourcen seines Landes auf Asien umzulenken. Bis Ende September 2024 überwies oder genehmigte der US-Kongress Unterstützung für die Ukraine in Höhe von über 180 Milliarden Dollar. Trump meint, der Krieg hätte vermieden werden können, und mit dem Geld hätte die US-Armee verstärkt und ein stärkeres Engagement zur Eindämmung Chinas finanziert werden können.

Trumps Sichtweise unterscheidet sich also völlig von derjenigen der europäischen Regierungen, die Druck machen, um Kyjiw weiter zu unterstützen, und ankündigen, es dürfe nichts über die Ukraine ohne die Ukraine entschieden werden. Das gilt auch für Polen, das zwar fast fünf Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgibt; das sind 2025 zwanzig Prozent des Jahreshaushalts, aber aus Sicht von Trumps Politik wird das kein größeres Gewicht haben. Es wird seine Auffassung zur Ukraine und seinen Willen zur Beendigung des Kriegs am Verhandlungstisch nicht ändern. Es wird seine Meinung nicht ändern, Europa sei ein schwacher Kontinent, und seine Zölle aufzuerlegen, die auch der polnischen Wirtschaft schaden werden.

Bereits vor dem Krieg setzte sich Polen für die angelsächsische Konzeption ein und trat offen den Argumenten des deutsch-französischen Tandems entgegen. Heute, da sich die Rollen umkehren und Trump die Rückkehr Russlands in die europäische Kräfteordnung sanktionieren will, hat Polen darauf keine gute Antwort. Es hält sich an die bisherige Konzeption und erhöht seinen Verteidigungshaushalt massiv in der Meinung, einzig ein Sieg über Russland könne seine Sicherheit garantieren. Polen bereitet sich jedoch nicht auf das viel wahrscheinlichere Nachkriegsszenario vor, wie es Trumps Präsidentschaft erwarten lässt.

Aus dem Polnischen von Andreas R. Hofmann

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Łukasz Gadzała

Łukasz Gadzała

Łukasz Gadzała, Redakteur beim polnischen onlineportal onet.pl, Absolvent der Warschauer Universität und der University of Birmingham. Seine Interessengebiete sind die Politik der Großmächte und die Theorie der internationalen Beziehungen.

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