Am 18. Mai 2025 finden in Polen die Präsidentschaftswahlen statt. Nur die Linke lässt eine Frau kandidieren, die sehr moderne Auffassungen zu den Dingen einer sich in rasendem Tempo verändernden Welt vertritt und von vielen jungen Frauen unterstützt wird. Auch von Männern, die sich für den Feminismus einsetzen. Aber dabei handelt es sich immer noch um eine verschwindende Minderheit. Wieso gibt es in der polnischen Gesellschaft keine tragfähige Basis für progressive Kräfte?
Es gibt zwei Arten, die Kandidatur der gegenwärtigen Senatorin Magdalena Biejat zu interpretieren. Die erste ist – der Linken ist klar, dass sie ohnehin keine großen Wahlchancen hat, wen auch immer sie antreten lässt, also kann sie wenigstens eine Frau ins Rennen schicken. Eine von einnehmendem Wesen, Mutter zweier Kinder, sozial engagiert. So lässt sich vielleicht eine patriarchale Gesellschaft allmählich an progressive Ansichten gewöhnen. Die zweite Interpretation hat mit der ersten zu tun: Da es die einzige Frau unter den Präsidentschaftskandidaten ist, macht allein das schon Eindruck. Vielleicht personifiziert Magdalena Biejat einen Wunsch vieler Frauen, die nicht in der Lage sind (es nicht schaffen, sich fürchten, dazu nicht die Mittel besitzen oder von der ständigen Auseinandersetzung mit dem Patriarchat erschöpft sind), für ihre Ambitionen zu kämpfen. Die höchsten Staatsämter aufgrund ihrer Kompetenzen zu erlangen, praxisorientiert, methodisch und mit der Unterstützung anderer Frauen.
Magdalena Biejat, geboren 1982, gelingt der Gang durch die Institutionen gar nicht schlecht. Sie hat einen Abschluss in Soziologie von der spanischen Universidad de Granada. Anschließend mit Unterstützung von Nichtregierungsorganisationen ein Postgraduiertenstudium am Warschauer Collegium Civitas und am Institut für Politische Studien. Sie übersetzte spanischsprachige Literatur. Sie arbeitete für NGOs, unter anderem die Helsinki-Stiftung für Menschenrechte, die Stephan-Báthory-Stiftung und die Fundacja Stocznia (Stiftung Werft – Arbeitsstelle für soziale Forschungen und Innovationen). In dieser Organisation leitete sie Forschung und Beratung. Zudem arbeitete sie ehrenamtlich mit Obdachlosen. Sie ist Vegetarierin und spricht sich für die Modernisierung des morschen polnischen Erziehungssystems aus. Sie verlangt die Einrichtung von vegetarischen Schulkantinen und den Bau von billigen Mietwohnungen. Sie ermuntert Frauen, ihr Leben in die eigene Hand zu nehmen, was die Lage vieler polnischer Familien verbessern könnte, in denen meist die Männer das Sagen haben, die von der Wiege an zu kleinen Machos erzogen werden.
Biejat war Abgeordnete im Sejm der neunten Legislaturperiode (2019–2023), saß in der Kommission für Sozial‑ und Familienpolitik und war stellvertretende Vorsitzende der Koalitionsfraktion der Linken. Seit 2023 ist sie Senatorin der elften Legislaturperiode. Im letzten Jahr kandidierte sie erfolglos für das Amt des Warschauer Stadtpräsidenten. Wenn sie im Mai in das höchste Staatsamt gewählt werden sollte, würde das Sensation machen, aber das ist wenig wahrscheinlich.
An der Seite eines Mannes
„Viele Frauen, nicht nur bei der Linken, wollen eine Führungsrolle übernehmen, wollen Abgeordnete, Senatorinnen werden oder Leitungsrollen in der Lokalverwaltung besetzen, und das funktioniert auch“, sagt Iwona Zielińska, Journalistin, früher Chefredakteurin bei der „Gazeta Wrocławska“ (Breslauer Zeitung) und der „Gazeta Lubuska“ (Lebuser Zeitung). „Nur ist ihr Problem, dass sie dann im Hintergrund, im Schatten von Männern arbeiten, die wirklich Karriere machen. Weil Frauen aufgabenorientiert und verantwortungsbewusst sind. Selbst die progressiven Kräfte, die sie unterstützen, helfen ihnen nicht dabei, in der Öffentlichkeit zur Geltung zu kommen. Wer sie der Öffentlichkeit vorstellt, sind gewöhnlich die Männer. In diesem Falle die der Linken. Deren Philosophie ist reichlich zynisch: ,Wir propagieren eine Frau, wir zeigen damit, dass wir so fortschrittlich sind, wie es unser Wahlprogramm sagt. Wir wissen, dass sie nicht gewinnen wird, aber sie ist jung, hübsch, nett, umgänglich und kann dazu beitragen, der Linken von dem Geruch der alten kommunistischen Apparatschiks zu befreien. Daraus beziehen wir unseren Vorteil. Unsere Wähler werden für sie stimmen, die übrigen wird sie ohnehin nicht gewinnen, aber von der Linken setzt sich ein sympathisches Image selbst bei denen fest, die sie nicht mögen.‘ Und diese übrigen, die nicht an der Wahl teilnehmen, selbst diejenigen, die nicht konservativ sind, werden für denjenigen stimmen, hinter dem eine entschlossene und bedeutende politische Kraft steht. Er ist populär und populistisch. Er sieht nett aus, egal ob im Jackett oder im Pullover. Aber er lügt doch? Aber welcher Politiker lügt denn nicht? Derjenige macht das Rennen, der überzeugender lügt. Wir sind fortschrittlich, entschlossen, offen für gesellschaftlich unpopuläre Theorien, aber nur in Deklarationen und bei Versammlungen. Realität, Alltag, wenn sie zu revolutionär sind, das passt uns nicht. Auch eine Frau im Anzug bleibt doch immer eine Frau. Und der Platz einer Frau nicht nur in Polen ist im Hintergrund, letztlich an der Seite eines Mannes. Die Kraft ist vielleicht auch eine Frau, aber sie wird von Männern benutzt. Egal, was sie für Ansichten haben.“
Dariusz Dąbrowski, Geschichtsprofessor an der Kasimir-der-Große-Universität Bydgoszcz (Bromberg), spricht von einem betrüblichen Paradoxon. Denn in Polen erhielten die Frauen zwar das passive und aktive Wahlrecht zu einem frühen Zeitpunkt, nämlich am 28. November 1918, als Folge einer vorübergehenden Linkswendung der Regierung auf Initiative einiger der sozialistischen Gründerväter der Zweiten Republik, Ignacy Daszyńskis und Józef Piłsudskis, doch mehr als einhundert Jahre später macht sich die Ungleichheit von Männern und Frauen in der Politik immer noch geltend.
„Die Gründe dafür würde ich in der außerordentlich misogynen Haltung der Kirche sehen, die immer noch großen Einfluss auf die Weltsicht eines glücklicherweise zurückgehenden, aber immer noch bedeutenden Teils der Gesellschaft hat“, erklärt Dąbrowski. „Ein zweiter wichtiger Faktor ist die patriarchale Einstellung bestimmter Gesellschaftsgruppen, darunter besonders der weniger Gebildeten und der Bewohner weniger sozial und mental entwickelter Regionen. Historisch gesehen bleibt die Tatsache, dass unter den ersten acht polnischen Frauen im Parlament acht aus dem Bildungsbürgertum, der Gutsbesitzerklasse und der Wissenschaft kamen, die übrigens stark miteinander verzahnt waren. Nur eine der acht, Franciszka Wilczkowiakówna, stammte aus einer Familie von Arbeitern und Bauern, kam aber aus Großpolen und war darüber hinaus lange in Westdeutschland gewesen. Doch in den östlichen und südöstlichen Teilen Polens gibt es immer noch Überbleibsel aus Zeiten, da die Gutswirtschaft die Denkweisen bestimmte und die Frau dem Mann untergeordnet zu sein hatte. Diese Verhältnisse sorgen auch dafür, dass der Katholizismus weiter so bestimmend ist.“
Die Linke: Wir sind auch noch da
Nach Auffassung Dąbrowskis sollten, wenn wir von Fortschritt als solchem sprechen, Reformen des Wahlverfahrens so durchgeführt werden, dass sie ein rational aufgebautes Kuriensystem einführen würden, das sich beispielsweise auf gerechte und gut durchdachte Kriterien von Bildung und Einnahmen stützt.
„Offenkundig gibt es verschiedene Auffassungen zum Begriff des Fortschritts“, mein Dąbrowski. „Ich bin ein entschiedener Gegner der Einführung von übermäßig ausgeglichenen Geschlechterparitäten. Paradoxerweise würde sich ein solcher Schritt gegen die Prinzipien von Gleichheit und sozialer Gerechtigkeit richten. Und könnte man das als fortschrittlich bezeichnen?“
Radosław Sioma, Professor für Literaturgeschichte an der Nikolaus-Kopernikus-Universität Toruń (Thorn), zweifelt nicht, dass die polnische Gesellschaft mehrheitlich konservativ ist. Das werde vom Ausgang der Sejmwahlen und dem schwachen Wahlergebnis der Linken belegt.
„Es gibt mehrere Gründe dafür, angefangen von einer gewissen hermetischen Abgeschlossenheit der Linken über deren innere Spaltungen bis hin dazu, dass die Linke über keine eigenen Medien verfügt und von verschiedenen neoliberalen ,Weisen‘ als extremistisch und bolschewisierend diffamiert wird“, so Sioma. „Aber gerade dieser Konservatismus bringt es dazu, dass weniger Frauen in der Politik aktiv sind und sehr viel seltener als Männer höchste Staatsämter bekleiden. Das ist aber keine polnische Besonderheit. In gewissem Sinne ist die polnische Gesellschaft nicht für eine Präsidentin bereit, trotz der nicht zu bezweifelnden Vorteile, denn die aktuelle Kandidatin der Linken wäre sicher nicht schlechter in dem Amt als ihre männlichen Kollegen. Es gibt viele Gründe anzunehmen, dass sie sehr viel besser wäre.“
Hubert Stys, promovierter Fachmann für Sicherheitspolitik an der Bankhochschule (WSB) Merito Thorn, hält fest, in welchem Grad die polnische Politik von Männern dominiert wird. Auch wenn wichtige Positionen von Frauen bekleidet wurden – Ewa Kopacz (Ministerpräsidentin 2014–2015), Elżbieta Witek (Sejmmarschällin 2019–2023), Beata Szydło (Ministerpräsidentin 2015–2017), erlangten sie diese nicht im Vollzug einer selbständigen politischen Laufbahn, vielmehr wurden sie mittels Protektion durch eine männliche Parteiführung lanciert. Handelt es sich hierbei um einmalige Phänomene oder doch eher um die Konsequenz kultureller und sozialer Bedingungen, die immer noch die Realität bestimmen?
„Die Linke in Polen befindet sich seit zwanzig Jahren völlig in der Defensive, und daran ändert sich nicht viel“, bemerkt Stys. „Zehn Prozent für Marek Borowski oder dreizehn Prozent für Grzegorz Napieralski klingen jetzt, kurz vor den Wahlen von 2025, wie Science Fiction. Ich fange gar nicht erst an mit der Polarisierung und dem polnischen Tribalismus. Ich will nur erwähnen, dass die Linke immer noch nicht auf tragfähige, mitreißende Parolen gekommen ist, stattdessen kämpft sie von Wahl zu Wahl um das reine Überleben. Schlimmer noch, sie hat bisher keine Führungsgestalten hervorgebracht, die wirklich um eine zweite Amtszeit kämpfen könnten. Czarzasty, Biedroń oder Nowicka bringen die Partei heute nicht voran. Dziemianowicz-Bąk, Żukowska, Kotula – das ist eher noch Zukunftsmusik, überdies mit vielen Fragezeichen versehen. So betrachtet, kommt einem Magdalena Biejats Kandidatur wie ein Trick aus der Kiste vor. Sie wird nicht mit außerordentlichen politischen Erfolgen assoziiert, aber man lässt sie bequemerweise kandidieren, weil es bei den Wahlen nur darum geht zu zeigen, dass es die Linke auch noch gibt. Was eine progressive Agenda und Frauenrechte anbelangt, so ist der Kandidat der Bürgerkoalition ziemlich transparent und für Wähler der Linken akzeptabel. Was zudem bedeutet, dass eine Agenda für Frauen erfolgreich von einem Mann umgesetzt werden kann. In Polen ist Unterstützung für Modernität und Toleranz letztlich gleichbedeutend mit Stimmen für die christdemokratisch-liberale Mitte.“
Wie Stys prognostiziert, wird der Präsidentschaftswahlkampf im Mai heftig sein und von den Kandidaten der beiden führenden Parteien dominiert werden. Die Kandidatin der Linke wird keinen bedeutenden Stimmenanteil einfahren. Die ganze Aufregung wird sich wieder einmal zwischen den männlichen Kandidaten abspielen, für die erneut deprimierenderweise eine Mehrheit der Frauen stimmen wird.
Aus dem Polnischen von Andreas R. Hofmann