Polen und die Vereinigten Staaten haben eine gewisse Gemeinsamkeit: Die Mehrheit der Wählenden glaubt immer noch daran, es gebe jemanden, der sie von Leid, Erniedrigung, Ausgrenzung erlösen und ihnen ihre Existenzängste nehmen wird. Die Zukunft unser aller Welt ist geprägt von Wunschdenken und leeren Versprechen seitens extrem selbstsicherer Anführer. Und dies ist keine optimistisch anmutende Richtung.
Im Internet kursiert ein Meme von Donald Trump in einem Gewand, ähnlich dem, das Jesus trug. Mit einem Kreuz um den Hals läuft Trump über das Wasser. Fast wie der Gärtner Mr. Chanse im einem Film nach dem Buch „Wystarczy być” (Es reicht, zu sein) von Jerzy Kosiński (Willkommen Mr. Chance, Regie: Hal Ashby, 1979). Der Protagonist, der im Kopf Reispudding statt Hirn hat, kennt die Welt nur aus dem Fernsehen. Dennoch verzaubert er alle dermaßen, dass er zum wichtigsten US-Präsidentschaftskandidaten wird. Mit seinen wortkargen Äußerungen enttarnt er letztendlich die Leere jener Welt, in der er lebt. „Das Leben ist ein Geisteszustand“; mit diesem Satz endet der Film.
„Gesalbter Gottes” heißt das Meme über Trump, der mit übernatürlichen Kräften gesegnet sein soll. Dieses Meme ist eine punktgenaue Antwort auf die Worte des frischvereidigten US-Präsidenten. In aller Öffentlichkeit verkündete er, Gott wollte, dass er überlebt, nachdem er am Ohr angeschossen wurde. Und seine gewonnene Wahl war auch Gottes Wille, weil er jetzt ein Wunder vollbringt: Er macht Amerika wieder groß. Mit diesen Aussagen salbte sich Trump gewissermaßen selbst zum Anführer einer neuen Religion, mit modernen Technologien als Liturgie. Als Apostel fungieren die bei der Vereidigung anwesenden Könige des Silicon Valley: Mark Zuckerberg, Jeff Bezos, Sundar Pichai und Elon Musk. Für seine Medienberichterstattung ist hingegen der Nachrichtensender Fox News zuständig, der als einziger die Wahrheit sagt, also solche Botschaften, die sich Trump wünscht.
Der andere „von Gottes Hand berührte” Anführer ist Jarosław Kaczyński. Der Verlust des Bruders bei der Flugkatastrophe von Smolensk verschaffte ihm einen Freibrief, damit er sich auf die göttliche Bestimmung berufen konnte. Gott stellte ihn nämlich wie den biblischen Hiob auf die Probe und trotzdem verlor Jarosław seinen Glauben nicht. Nur Kaczyński sei imstande, aus Polen den Messias Europas zu machen, um als Beispiel für andere Länder zu dienen. Seine Liturgie sind seit Anfang seiner „Herrschaft“ die monatlichen Begehungen der Smolensk-Katastrophe, bei denen die Gläubigen, sprich Wähler, oft vor lauter Rührung ohnmächtig werden, gereizt durch das extrem affektierte Gehabe des Redners bei der Kundgebung. Er wiederum versucht sie zu überzeugen, es gebe keinen anderen Weg für Polen als das Christentum. Eines sollte hinzugefügt werden: Für den PiS-Vorsitzenden ist das Christentum nur ein Schlagwort, mit dem er die Vorstellungskraft der Stammwählerschaft beeinflussen will. Sobald ein durchschnittlicher PiS-Anhänger Verweise auf die Religion hört, wird bei ihm automatisch die Furcht vor Gottes Zorn entfacht. Dabei wird das wichtigste Element des Christentums ignoriert, die Barmherzigkeit, vor allem gegenüber den Ausgegrenzten, Armen und Erniedrigten. Die Fremden, die von außerhalb, brächten gefährliche Bakterien und Parasiten mit, die für die Polen gefährlich seien, behauptete Kaczyński, und alles, was links von der PiS ist, bedeute Atheisierung und Zerstörung des Staates. Parolen, die im öffentlichen Raum zu sehen sind, wie „Jarosław, erlöse Polen“, zeigen den Geisteszustand der PiS-Stammwählerschaft. Die einzig wahre Botschaft kommt vom PiS-nahen TV-Sender Republika. Den aktuellen Studien zufolge ist das der zweitbeliebteste Sender bei den Polen, insbesondere bei den Rentnern. Die Wirklichkeit ordnen, die Welt erklären, das alles gehört der Vergangenheit an. Die Wähler wollen sich einzig und allein vergewissern, Recht zu haben. Um in der Welt voller Ungewissheiten zu überleben, muss man sich radikalisieren.
Wie wird man zu einem wahrhaftigen Radikalen?
Ein Rezept dafür kann eben der „Gottesgesalbte” ausstellen, dem es nicht so richtig bewusst ist, dass das von ihm verschriebene Medikament ein Bestandteil der Krankheit ist. Denn was ist nach acht Jahren der PiS-Regierung von ihr geblieben? Zahlreiche Affären, Millionen, die jene zur Macht Gesalbten veruntreut haben, kaum noch bestehendes öffentliches Vertrauen in die Institutionen des Staates. Intakt blieb indessen der starke Verteidigungsmechanismus: Man muss an etwas glauben, auf etwas zurückgreifen, sich auf ein mächtigeres Wesen als das fragile Menschenwesen berufen können.
Kaczyński ist sich dessen vollkommen bewusst. Selbst wenn er die letzten Wahlen und somit die Macht verloren hat, kann er in drei Jahren immer noch zurückkommen, sofern er im Glauben verharrt. Und solange er zu seinen Anhängern in der Sprache des Glaubens sprechen wird. Das tut er dann über seine Medien, wo dreiste Lügen geschickt verbreitet werden, die sich wunderbar in die Paranoia unserer Zeit einfügen. Die Menschen wollen keine Normalität, da sie heftige emotionale Reize gewohnt sind, wofür hauptsächlich soziale Medien und jahrelange Polarisierung gesorgt haben. Die Normalität ist zu fade und langweilig, also fordern sie Klarheit. Und es gibt keine größere Klarheit, als Gott im Munde zu tragen, während man mit der Justiz, den öffentlichen Geldern, der Moral und Menschlichkeit macht, was man will. Das ist Gottes Wille; dieser Spruch beendet nicht nur jede Diskussion, sondern nimmt uns jeden Funken Hoffnung darauf, es könnte mal anders sein. Schwer anzuzweifeln ist die göttliche Quelle, auf die sich jemand beruft, der darüber mit einer unermesslichen Überzeugung spricht. Ein intelligenter, von vielen Zweifeln geplagter Mensch würde derartiges niemals wagen. Aus diesem Grund gibt es für Trump und Kaczyński keine Alternative. Sie sind beide zu unmissverständlich in jenem Glauben, mit dem sie Menschenmassen zu beindrucken versuchen. Diese Menschen sind ihres Wertes, ihres Schicksals und ihres Glaubens unsicher und deswegen suchen sie nach Anführern, die „wissen, wie es ist“ und die „glauben, es sei definitiv so“.
Allerdings fragt man sich, an welchen Gott Trump und Kaczyński glauben. Als Mariann Edgar Budde, Bischöfin der episkopalen Diözese von Washington, im Gottesdienst zur Amtseinführung Trumps an ihn appellierte, Barmherzigkeit gegenüber Migranten und sexuellen Minderheiten zu zeigen, meinte er, sie sei abscheulich und verlangte eine Entschuldigung. Auch die polnischen Geistlichen fordern ein Ende der Polarisierung innerhalb der Gesellschaft, weil dies unchristlich sei. Kaczyński ignoriert diese Forderungen und verhält sich so, als ob er sie nicht gehört hätte. Während der Pressekonferenzen benahmen sich die PiS-Politiker ähnlich: Sie machten kehrt und gingen weg; auf schwierige Fragen antworteten sie gar nicht oder wechselten das Thema. Die PiS-Regierung hatte den Sejm für die Journalisten gesperrt; die PiS-Politiker belehren immerfort die neugierigsten Reporter und nehmen ihnen ständig etwas übel, wie kleine Kinder.
Trump fühlt sich genauso schnell beleidigt, wobei er sogar seine eigenen Social-Media-Kanäle dafür nutzt, um Rache an unbequemen Journalisten zu nehmen. Da möchte man am liebsten zum Hörer greifen und fragen: Ist ein Erwachsener zu sprechen? Der fast achtzigjährige US-Präsident urteilt über die Journalisten, tadelt sie, droht ihnen und zieht dabei eine Schnute, das Kinn wie bei einem schmollenden Jungen gehoben. Er schließt Behörden, missachtet das Heiligtum der Amerikaner, die Verfassung (er unterschrieb ein Dekret, welches das über 100 Jahre alte Gesetz zur Staatsbürgerschaft durch Geburt einschränkt). Das ist ein noch nie da gewesenes Verhalten eines Politikers, der das höchste Amt im Staat bekleidet.
Trump macht all das, weil er es kann
Trumps rechte Hand, zuständig für mediale Neuordnung ist jetzt Elon Musk und seine Plattform X. Dort wird den Gegnern der Trumpismus-Ideologie im rasanten Tempo der Prozess gemacht. Genau wie der PiS-nahe Sender TV Republika, wo tagtäglich auf die Gegner der von Jarosław Kaczyński festgelegten Weltordnung eingedroschen wird wie auf Sandsäcke. Mit den „Gottesgesalbten“ gibt es keinerlei öffentliche Diskussionen. Sie zwingen der Welt eine feudale Monarchie auf. Wer das ablehnt, wird zum Feind, der aus dem Spiel um Gunst auszuschließen ist. Gunst bedeutet hier den Zugang zu Erträgen, Positionen und Geld, zu besserer Behandlung. Nur ist dieses Versprechen falsch, da erstens allen Menschen recht getan ist eine Kunst, die niemand kann, und zweitens lügt Trump. Es reicht zu erinnern, wie er versprochen hat, den Krieg in der Ukraine zwei Wochen nach seinem Amtsantritt als Präsident zu beenden. Nichts dergleichen ist passiert. Stattdessen wünschte er, Kanada, den Panamakanal und Grönland zu bekommen, da er dort höchstwahrscheinlich die Rettung Amerikas angesichts der unvermeidbaren Klimakrise gefunden zu haben glaubte. Er musste eingesehen haben, wie wenig er gegen die globale Erwärmung tun kann, doch als Egotist hatte er nie vor, sich an das Pariser Klimaabkommen zu halten und die Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Dass sein Wahnsinn Methode hat, ist nicht auszuschließen. Wenn Amerika von immer mehr und immer stärkeren Feuern heimgesucht wird, wird er die grüne Lunge Kanadas benötigen, um seine Landsleute dorthin umzusiedeln. Grönland beherbergt wertvolle Rohstoffe. Nach Schätzungen der Experten sind es 12.100 Tonnen Titan sowie 11.500 Tonnen Phosphor. Überdies gibt es beachtliche Mengen an Niob, Tantal, Vanadium, Graphit und Platin. Diese Rohstoffe sind wegen der Energiewende und der dynamischen Entwicklung der modernen Technologien strategisch wichtig. Die US-Wirtschaft wird sie bald brauchen. Trump behandelt Menschen wie Kunden und Konsumenten und deswegen denkt er wahrscheinlich nicht daran, die wertvollen Gebiete mit Gewalt einzunehmen. Er ist eher überzeugt, jeden kaufen zu können. Alles ist nur eine Frage des Preises; so rechnet der Schlaumeier Trump und offenbart damit seine Verachtung diesen Menschen gegenüber, die nicht so viel Glück hatten wie er. Mehrmals betrog er den Staat, als er sich von Steuerzahlungen drückte, aber selbst das stört seine Anhänger nicht. Jarosław Kaczyński hatte dieselbe Denkweise im Sinne, als er vor acht Jahren seine Strategie vorbereitete, um die Wahl zu gewinnen. Er kaufte Wählerstimmen mit finanziellen Versprechen: dem Familienförderprogramm 500+, der 13. Monatsrente, hohen Positionen in staatlichen Unternehmen für Unterstützer und Anhänger. Die Stammwählerschaft der PiS-Partei sagte dazu: „Macht nichts, wenn sie klauen, viel wichtiger ist, dass sie mit uns teilen.“
An der Hilfe für die Ärmsten ist nichts Verwerfliches, problematisch ist nur, warum diese sozialdemokratische Forderung von PiS geklaut wurde: um die Gesellschaft zu manipulieren und nicht wegen der echten Sorge um die gefährliche Ausbreitung der Ungleichheiten. Gerade die intellektuelle Verarmung eines Großteils der Gesellschaft spielt in die Hände der „Gottesgesalbten“. Es ist doch unmöglich, gut ausgebildete, vermögende, leidenschaftliche Menschen zu manipulieren. Möglich ist dagegen, ohne Ende an die menschliche Habgier zu appellieren, die nach immer mehr und immer moderneren Technologien verlangt. Selbst dann, wenn der Mensch die Erde zerstört und in den Kosmos fliegt, um andere Planeten zu erobern. Trump und Musk versprechen nämlich, dies sei sehr bald machbar. Offensichtlich haben sie die Botschaft des Films von Adam McKay „Don’t Look Up“ nicht verstanden. Vor allem die letzte Szene nicht, in der die Präsidentin das Paradies auf dem anderen Planeten kaum genießen konnte, weil sie gleich nach Verlassen des Raumschiffs von einem großen Vogel gefressen wurde.
Die Verantwortung abzugeben, heißt Rückschritt in der Entwicklung
Donald Trump oder Jarosław Kaczyński sind Anzeichen einer Welt, die am Abgrund steht. Sie ziehen auch die Liberalen in diesen Abgrund mit, und die ratlosen Unterstützer des Mittelweges, die Sozialdemokraten, finden immer noch keine Sprache und keine Handhabe, um als Puffer für die polarisierte Welt zu fungieren. Ein Puffer, der imstande sein könnte, die wahnsinnigen Machthaber zu stoppen. Amerika kennt den Mittelweg nicht, weil dort der ewig lebende Mythos „Vom Schuhputzer zum Millionär“ weiterhin arme Menschen verführt, die ihrer Handlungsfähigkeit beraubt sind. Daher geben entweder die Republikaner oder die Demokraten den Ton an. Wenn keine überzeugende Kraft zwischen ihnen steht, wird der Raum von Trumps und den Tech-Oligarchen ausgenutzt.
Die Amerikaner übergaben offenbar die Verantwortung für sich selbst an jemanden, der weniger Angst hat als sie. Oder sich zumindest so anstellt, weil er ein geschickter Manipulator ist. Auch die Stammwählerschaft der PiS ist eher geneigt, den PiS-Medien zu glauben, als die Prüfoption für die Nachrichten zu nutzen. Die Geschichte hatte jedoch gezeigt: Diejenigen an der Macht, die ihre Position auf Lügen, Manipulationen und dem Fehlen jeglicher Empathie aufbauten, zerstörten nicht nur das Ethos der Gemeinschaft und Solidarität, sondern genauso den Wohlstand ihrer Länder.
Damit das nicht passiert, braucht man einen Ausgleich der Verantwortung. Ohne systematisch darüber aufzuklären, dass der König nackt ist und ganz und gar nicht von Gottes Hand berührt wurde, werden wir uns zurückentwickeln und unsere gegenwärtige demokratische Zivilisation zerstören. Dann helfen uns keine „Silicon-Valley-Spezialeinheiten“ und noch weniger Kaczyński und seine Leute von der Nowogrodzka-Straße in Warschau. Im Gegenteil: Die angeblichen „Gottesgesalbten“, die mit Gott auf den Lippen die Größe ihrer Völker preisen, werden immer öfter in anderen Ländern zu finden sein. Bis wir zu einem Fake Imperium werden, regiert von falschen Propheten, die jede moderne Technologie nutzen werden, nur um die menschliche Intelligenz zu verspotten.