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Polen 2025

Ein Gespenst geht wieder um in Europa, diesmal das Gespenst des Trumpismus. Und in Polen hinterlässt es auch bereits unübersehbare Spuren. Für den Anfang beflügelte es die rechten Bewegungen, die gleich nach Trumps Sieg ihre Teilnahme an der globalen Revolution des „gesunden Menschenverstandes“ erklärten. Ohne sich dabei im geringsten dessen zu bekümmern, dabei nur einen vasallitären Status zu haben, obwohl sie doch die nationale Souveränität so sehr schätzen.

Doch der Trumpismus wurde vom Start weg zum Bezugspunkt auch für die polnischen Liberalen. Zuerst stellten sie mit nicht geringem Schrecken fest, wie leicht er in den USA die demokratischen Barrieren überwinden, triumphierend an die Macht zurückkehren und seine rechte Reconquista beginnen konnte. Kurz darauf jedoch begannen sie selbst, der Faszination seiner brutalen Kraft, seiner arroganten Herrschsucht und seines ostentativen Egoismus zu erliegen. Nunmehr adaptieren sie eilig einige Bestandteile der MAGA-Ideologie in ihre Programme, wobei sie einige ihrer Werte klammheimlich aussetzen.

Der sich entfaltende Präsidentschaftswahlkampf nimmt dadurch immer erstaunlichere Züge an. Vermeintlich handelt es sich immer noch um ein Plebiszit zwischen dem offenen, rechtsstaatlichen und fest in Europa verankerten Polen und einem traditionellen, autokratischen und auf Erweiterung seiner Souveränitätsrechte bedachten Polen. Und gleichfalls um eine weitere persönliche Auseinandersetzung zwischen den Schirmherren dieser beiden Modelle, Donald Tusk und Jarosław Kaczyński, obwohl keiner von diesen beiden selbst kandidiert. Doch schon allein der Blick auf die äußere Fassade des Wahlkampfes lässt etwas völlig anderes erkennen.

Die Rivalität ähnelt zunehmend einem Wettbewerb hiesiger Trump-Imitatoren. Mit einer immer länger werdenden Schar von Kandidaten der unterschiedlichen Faktionen des rechten Flügels, vereint in der Bewunderung für das gemeinsame Idol im Weißen Haus und möglicherweise in dem Wunsch, Elon Musk möge seinen gnädigen Blick auf sie richten. Selbst der Anführer dieser Schar, Karol Nawrocki von der PiS-Partei, hat sich an die neuen Regeln angepasst, indem er sich von der jagiellonischen Politik [das heißt einer nach Westen saturierten und nach Osten defensiven bis expansiven Politik, wie sie der polnisch-litauischen Herrscherdynastie der Jagiellonen (1386–1572) zugeschrieben wird; A.d.Ü.] verabschiedet hat, die bislang seiner Partei einen eindeutig proukrainischen Kurs vorschrieb. Inzwischen herrscht dagegen wegen der weiteren Unterstützung von Kyjiws Kriegsanstrengungen und der ukrainischen Diaspora an der Weichsel Skepsis. Andere Kernbestandteile des rechten Wahlkampfes ist die Ablehnung des Migrationspakts und des Europäischen Green Deal.

Aber auf dieser Welle schwimmt nicht allein die mehr oder weniger radikalisierte Rechte. In einem gewissen Sinne lässt sich sagen, es zeichne sich ein neuer Gesellschaftskonsens ab. Schließlich jongliert Rafał Trzaskowski von der Bürgerkoalition mit ähnlichen Themen und Parolen und versucht mit gemischtem Erfolg, sie in seinem ansonsten liberalen Profil unterzubringen. Und zugegebener Weise ist diese Taktik bislang erfolgreich, weil der KO-Kandidat immer noch bei den Wahlen favorisiert wird. Allein, wie wird sich das in Zukunft auf die Strategie seines Lagers auswirken? Wird es nach den Wahlen schlicht wieder zur Besinnung kommen, das Land rechter Phantastereien verlassen und zu den Wurzeln der eigenen Werte zurückkehren können?

Umso eher, als wir es mit mehr zu tun haben als der blinden Nachahmung aktueller transatlantischer Moden. Die Bewerber agieren völlig rational, da sie auf in der Gesellschaft vorherrschende Stimmungen reagieren. Polen hat sich nämlich in den vergangenen anderthalb Jahren stark verändert, sein Schwerpunkt hat sich nach rechts verlagert. Von der großen demokratischen Mobilisierung, die den Parlamentswahlen vom Oktober 2023 vorausging, ist insgesamt wenig übriggeblieben. Verfassung, Rechtsstaatlichkeit, Europa – das hat sich ebenfalls in nichts aufgelöst. Selbst die Frauenrechte mit dem bis unlängst regelmäßig vorgebrachten Postulat des Rechts auf Abtreibung sind aus der Prioritätenliste der Leute gestrichen. Umfrageergebnissee zeigen dagegen eine beträchtliche Zunahme äußerst individualistischer und egoistischer Haltungen, was besonders die ukrainische Diaspora zu spüren bekommt, der ein immer verbreiteteres Misstrauen entgegenschlägt. Diese Änderung geht hauptsächlich auf eine unterschwellige Angst zurück, ist eine mehr oder minder bewusste Reaktion auf eine wachsende Ungewissheit, ein Gefühl, die Kontrolle darüber zu verlieren, was aus Land und Leuten wird.

So sind die Zeitläufte, wenn auch für das Abflauen der demokratischen Mobilisierung zu einem beträchtlichen Teil die chaotische Politik der neuen demokratischen Mehrheit verantwortlich ist, die im ersten Jahr ihrer Regierung die meisten an sie gesetzten Erwartungen enttäuscht hat. Allen voran die Erwartungen, etwas gegen die steigenden Lebenshaltungskosten zu tun und für Qualität und Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen sowie für die öffentliche Sicherheit zu sorgen. Unterdessen dümpeln Politik und Gesellschaft weiter im Morast gegenseitiger Beschuldigungen. Das öffentliche Leben leidet am Zerfall der Institutionen, am Dualismus der Rechtsordnung und an der um sich greifenden Willkür derer an der Macht. Diese konnten zudem bislang viele der notwendigen institutionellen Reformen nicht durchführen. Ihre Handlungsmöglichkeiten waren eingeschränkt durch Präsident Andrzej Dudas Veto, auch wenn dieses ein allzu gern vorgeschobener Vorwand war, um wichtige Entscheidungen hinauszuschieben, nicht allein bei Fragen der institutionellen Reform.

Der Ministerpräsident selbst betrieb gern politische Spielchen, womit er sogar erstaunlich oft Erfolg hatte, ohne dass seine gegen die Opposition gewonnenen Scharmützel die liberale Regierung wirklich legitimer gemacht hätten. Heute muss er auf die um sich greifende Enttäuschung reagieren und dabei von einem Vertrauensvorschuss zehren, der nur noch darauf zurückgeht, dass seine Vorgänger von den Wählern im allgemeinen noch kritischer beurteilt werden. Allein, die unguten Erinnerungen an die PiS-Regierung werden nicht ewig vorhalten; das seinerzeit vom Kaczyński-Lager gegebene populistische Versprechen erweist sich als weiterhin quicklebendig.

Die von Trzaskowskis Wahlkampf eingeschlagene Richtung scheint das zu bestätigen. Was nichts daran ändert, dass sein Sieg paradoxerweise die einzige Chance ist, das zumindest dem Namen nach liberale Projekt zu retten. Andernfalls wird es zum Zerfall der jetzt schon höchst zerstrittenen Koalition kommen, mit Blick auf die nächsten zwei Jahre zu einem noch stärkeren Abdriften einer Minderheitsregierung, möglicherweise zu vorgezogenen Neuwahlen, aber letztlich wird es immer einen populistischen Rückfall nach dem Muster Trump geben. Wenn auch ein bloßer Sieg bei den Präsidentschaftswahlen keinen Umbruch garantiert, wenn die Regierung im Anschluss nicht endlich bessere Arbeit macht. Es ist höchste Zeit, eine Regierungsstrategie und die wichtigsten Entwicklungslinien zu definieren und im Ernst damit anzufangen, die Rechtsordnung wiederherzustellen und dafür zu sorgen, dass diese möglichst breit gesellschaftlich legitimiert ist. Der politischen Polarisierung ist höchstwahrscheinlich nicht zu entkommen, auch wenn es der polnischen Politik gut anstehen würde, mehr auf Gemeinschaftsdenken und Zusammenhalt zu setzen. Ohne diese Voraussetzungen wird es nicht gelingen, die Gesellschaft widerstandsfähig gegen die Bedrohungen von außen zu machen.

Das Risiko tiefgreifender Erschütterungen wächst von Monat zu Monat. In jüngster Zeit dräuen insbesondere wirtschaftliche Erschütterungen wegen der von Trump angedrohten Handelskriege am Horizont. Die intensiv mit EU-Mitteln unterfütterte polnische Wirtschaft ist gerade in eine Phase schnellen Wachstums eingetreten, obwohl das Rekorddefizit im Staatshaushalt und die Unumgänglichkeit hoher Verteidigungsausgaben die Möglichkeiten einschränken, flexibel auf die globalen Unwägbarkeiten zu reagieren. Die optimistischen Prognosen könnten auch von der fortdauernden Stagnation in Deutschland konterkariert werden.

Noch neuralgischer verhält es sich natürlich mit der Sicherheitspolitik. In vielerlei Dimension: Gegenmaßnahmen gegen mögliche Versuche der Wahlbeeinflussung; Verhinderung der immer häufigeren Diversions‑ und Sabotageakte; stark verspäteter Wiederaufbau der Zivilverteidigung; nicht an letzter Stelle Fortsetzung der komplexen Entwicklung von Verteidigungsfähigkeiten für den Fall eines russischen Angriffs auf die NATO.

Mit der schwierigsten Herausforderung sieht sich jedoch die polnische Außenpolitik konfrontiert, die trotz starken Gegenwindes immer noch versucht, ihre traditionelle transatlantische Balance zu halten. Was schon in wesentlich ruhigeren Zeiten gelegentlich auf Schwierigkeiten stieß und in der Realität wachsender politischer Konflikte, eines drohenden Handelskriegs und der schon unverhohlenen ideologischen Feindseligkeit zwischen Europa und den USA geradezu als hoffnungslose Aufgabe erscheint. Umso mehr, als Warschaus Handlungsmöglichkeiten augenscheinlich schrumpfen, was sich in den erwogenen Szenarien für Friedensgespräche zur Ukraine niederschlägt, bei denen Polen als eigenständiger Akteur überhaupt nicht mehr in Erscheinung tritt. Das ist nämlich die Logik des von Trump aufgezwungenen Mächtekonzerts.

Die Regierung Tusk versucht sich unterdessen an der Quadratur des Kreises und laviert zwischen den Herausforderungen zur Stärkung der europäischen Einheit und der demonstrativen Bezeigung von Bündniseifer im Verhältnis zu den USA. Naturgemäß passen diese politischen Konzepte aber nicht recht zusammen. Einerseits bemüht sich Polen, sich bei den Verteidigungsausgaben ein Image des Klassenprimus in der NATO zu verschaffen, was eine Reaktion auf eine reale Bedrohung ist, aber auch Vorteile in den Gesprächen mit Washington über die weitere Dislozierung von US-Truppen an der NATO-Ostflanke mit sich bringen soll. Andererseits spricht sich Warschau für den Aufbau europäischer Verteidigungsfähigkeiten aus, die am besten durch gemeinsame Schuldenaufnahme finanziert werden sollen. Was an und für sich schon Widerstand provoziert, den Polen nicht zu entwaffnen hilft, weil es kein Geheimnis ist, dass Polen das meiste geliehene Geld für den Ankauf von US-Waffen ausgeben möchte. Das ist ein ziemlich halsbrecherischer Ritt zwischen Skylla und Charybdis; gerechtfertigt durch die schwierigen Umstände, aber Tusk wird es dennoch schwerfallen, eine langfristige politische Agenda auf Widersprüchen aufzubauen.

Er versucht, die Initiative in der europäischen Politik an sich zu ziehen, indem er die Gelegenheit nutzt, die das Führungsdefizit aufgrund der politischen Krisen in Deutschland und Frankreich bietet. Aber das ganz auf die Sicherheitspolitik fokussierte Programm der polnischen Präsidentschaft übersieht im Grunde die in den europäischen Debatten zentrale Frage der Konkurrenzfähigkeit. Die polnische Stimme ist hierzu nur schwach zu hören, einmal abgesehen von Warschaus Forderungen, die Klimaziele zurückzuschrauben. Allein, dass es nichts, natürlich mit Ausnahme der Erhöhung der Verteidigungsausgaben, zum Ausgleich anbietet, und übrigens selbst auch erst dabei ist, Rückstände aufzuarbeiten, um die eigene Wirtschaft von fossilen Brennstoffen unabhängig zu machen.

Der polnische Regierungschef muss selbstverständlich zugleich die Stimmungen im eigenen Land im Blick behalten, insbesondere während des Präsidentschaftswahlkampfs. Obwohl nicht auszuschließen ist, dass seine immer entschiedenere Kritik an Projekten wie dem Europäischen Green Deal und dem Migrationspakt aus einer allgemeineren Diagnose rührt. Tusk war immer schon ein pragmatischer Politiker und gab nicht unbedingt neue Trends vor, sondern hat sich diesen stets geschickt angepasst. Und nunmehr könnte er genauso zu der Überzeugung gelangen, da der globale Hegemon nun einmal einen neuen Trend gesetzt hat, müsse Polen sich dem fügen, irgendwie die schweren Zeiten durchstehen und nach Möglichkeit dabei etwas für sich herausschlagen. Die Frage ist, ob Warschau überhaupt eine Konfrontation für möglich hält, bei der die Europäische Union gezwungen sein könnte, sich Trump entgegenzustellen und die eigenen Geschicke ganz in die eigenen Hände zu nehmen. Das wäre für Polen natürlich die schlechteste Option, die aber leider keineswegs ausgeschlossen ist. Doch man sollte sich darauf gehörig vorbereiten. Und sei es nur, um im Falle eines verschärften Konflikts die Reflexe zu bewahren und nicht der Versuchung zu erliegen, schnelle Vorteile zu erlangen, indem man für die USA das Trojanische Pferd in Europa spielt. Das wäre bei der heutigen Lage der Welt unverzeihlich.

 

Aus dem Polnischen von Andreas R. Hofmann

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Rafał Kalukin

Rafał Kalukin

Rafał Kalukin ist politischer Kommentator der polnischen Wochenzeitschrift "Polityka".

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