Die Ukrainer kämpfen an zwei Fronten, an der militärischen mit Russland und der diplomatischen mit den USA. Europa muss seine Unterstützung verstärken, sich selbst aber auf den schlimmsten Fall vorbereiten.
Wir rücken einem offenen Konflikt mit Russland immer näher. Die Frontlinie im Osten der Ukraine hat sich in den letzten beiden Jahren nicht sehr verändert. Das gab uns das irrige Gefühl, die Kriegsgefahr sei eingedämmt und der Krieg spiele sich irgendwo recht weit von den Grenzen Polens und anderer Länder im Osten der EU ab. Doch das ist nicht länger aktuell.
Wladimir Putin hält das Ass im Ärmel, dass er als autoritärer Herrscher von Amtszeiten unabhängig ist. Er muss sich nicht um seine Wiederwahl sorgen. Noch muss er als Schachspieler und politischer Taktiker eine spezielle Strategie verfolgen, um ans Ziel zu gelangen, die Wiederherstellung des russländischen Reiches. Er muss nur die Fehler seiner Gegner abpassen, um diese für seine Zwecke ausnutzen zu können.
Dabei rechnete er gewiss nicht damit, dass Donald Trump derart schnell und brutal Druck auf die Ukraine ausüben, Wolodymyr Selenskyj einen „Diktator“ nennen und einen Waffenstillstand zu russischen Bedingungen anstreben würde.
Wir können noch nicht genau wissen, inwieweit die Amerikaner ihre Volte als verhandlungstaktischen Bluff vollzogen haben und inwieweit, um Russland tatsächlich Zugeständnisse zu machen, weil sie auf geopolitische Gewinne in anderen Weltregionen setzen. Wir sehen vielmehr, dass Trump, der rücksichtslose, betrügerische Immobilienmakler der Neuen Weltunordnung, und Putin, der usurpatorische, neosowjetische Zar, untereinander die Welt in Einflusszonen aufteilen wollen. Als erstes gerät die Ukraine unter das Messer.
Es ist nur noch sehr wenig Zeit
Wenn die Amerikaner die militärische Hilfe für die Ukraine einstellen, wird diese den Krieg verlieren. So lautet der Konsens unter polnischen und deutschen Experten, denen ich bei verschiedenen Lehrveranstaltungen der letzten Monate zuhörte. Ganz Europa wird nicht in der Lage sein, kurzfristig den transatlantischen Beitrag auszugleichen. Zudem brennt nicht ganz Europa darauf, zur Hilfe zu eilen.
In jedem einzelnen EU-Land sind die Regierungen mit ihrer innerpolitischen Dynamik befasst. Die Polen wählen erst im Juni ihren Präsidenten. Bis dahin geht der Wahlkampf weiter. In dieser Zeit ist daher nicht mit couragierten Entscheidungen zu rechnen. Die Politiker in Warschau wissen, dass sich die Stimmungen gegenüber Ukraine und Ukrainern in den drei Kriegsjahren verändert haben. Der anfängliche Hurrapatriotismus ist schon lange verflogen. Mit eindeutig proukrainischen Deklarationen ist heute mehr zu verlieren, als zu gewinnen.
Ähnliches treibt die deutsche Gesellschaft um. Dort ist zudem die Angst vor dem Nuklearkrieg noch viel ausgeprägter. In den nächsten Monaten werden wir Zeugen einer mühseligen Koalitionsbildung sein. Selbst wenn sich die Unionsparteien und die SPD im Blitztempo einigen sollten, werden die Verhandlungen doch mindestens bis Ende April dauern. Bis dahin können USA und Russland längst eine Einigung über die Ukraine erzielt haben.
Zum Sich-die-Augen-Reiben ist also keine Zeit. Die Lage ist ernst. Dank der bisherigen Unterstützung konnten die Ukrainer ihr Gebiet verteidigen und dem Feind empfindliche Verluste beibringen. Ohne die Unterstützung können sie nur verlieren. Als Niederlage lässt sich vielerlei auffassen: Eine politische Destabilisierung des Landes, wenn Kyjiw gezwungen wird, einen ungünstigen Friedensvertrag zu unterschreiben. Im allerungünstigsten Fall könnte Russland die Kontrolle über die gesamte Ukraine übernehmen, zum Beispiel, indem es einen Präsidenten und eine Regierung installiert, die völlig von ihm abhängen.
Wir brauchen mehr Soldaten
Im vergangenen Jahr verkündete das Territoriale Führungskommando der Bundeswehr die Erstellung eines „Operationsplans Deutschland“. Das Dokument skizziert die Rahmenmaßnahmen für die Zivilverteidigung im Kriegsfall. Auf dieser Grundlage führen Fachleute der Bundeswehr Schulungen für Unternehmen durch. Sie sensibilisieren sie beispielsweise dafür, ihren Bestand an Lastwagenfahrern zu erhöhen. Denn diese werden im Fall eines bewaffneten Konflikts äußerst wichtig sein. Ähnliche Gesichtspunkte und Maßnahmen sind im Gesetz über Bevölkerungsschutz und Zivilverteidigung enthalten, das in Polen mit Jahresbeginn in Kraft trat.
Diese Beispiele lassen erkennen, dass die Regierungen beider Länder Pläne für den Fall eines direkten Kriegs mit Russland vorbereiten, auch wenn sie damit nicht hausieren gehen. Ähnliche Signale gibt es aus Schweden, Finnland und den baltischen Staaten. Es bleibt zu hoffen, dass Polen und Deutschland als im Konfliktfall am engsten miteinander kooperierende Nachbarn, allein schon aus Gründen der Logistik, wie auch die anderen Verbündeten in der NATO bereits jetzt ihre Pläne miteinander koordinieren.
Wir wissen noch nicht, ob und wenn ja, für wie lange und wie viele US-Soldaten noch in Europa verbleiben werden. Aber ihr Abzug wurde bereits signalisiert. Wir werden sie ersetzen müssen. Dabei wundert mich, dass noch zur Zeit von Kanzler Olaf Scholz die deutsche Politik und Medien öfter als in Polen das Thema anschnitten, ob die Wehrpflicht wieder eingeführt werden soll. Politiker in Warschau behaupten immer noch, für eine solche Diskussion sei es zu früh. Aber ist das auch so?
Wiederum berufe ich mich auf die Einigkeit, die zwischen polnischen und deutschen Sicherheitsexperten besteht. Denn in Berlin und Warschau ist man sich einig darüber, dass Russland etwa fünf Jahre braucht, um sein militärisches Potential wiederherzustellen und ein weiteres Land angreifen zu können. Wir sollten daher diese Aussichten mit dem in Verbindung bringen, was sich rings um die Ukraine tut. Wir sollten unsere Schlüsse ziehen. Und wir sollten bereits jetzt handeln.
Si vis pacem para bellum
Kyjiw kämpft heute an zwei Fronten, an der militärischen mit Russland und der diplomatischen mit den USA. Europa muss helfen. Es ist zweitrangig, welches Format sich dazu besser eignet. Weimarer Dreieck, bilaterale deutsch-polnische Beziehungen, Kooperation der nordischen Staaten, Konferenzen der größten oder der kleineren Länder. Mit dem klar gesetzten Ziel, der Ukraine zu helfen, sind jetzt jedes Format und jede Zusammenkunft wichtig.
In diesem Moment werden auch und vielleicht ganz besonders Maßnahmen gebraucht, die auf Trumps Administration einwirken können. Polnische Politiker lobbyieren bereits für die Ukraine in Washington. Ich gehe davon aus, dass auch die neue Bundesregierung eindeutige Unterstützung leisten wird.
Der Einsatz ist hoch, aber unterschiedlich für die einzelnen Länder. Die ukrainische Nation kämpft ums Überleben. Für Polen und die gesamte Region Ostmitteleuropa ist der Einsatz, das alles zu erhalten, was wir in den letzten 35 Jahren mit harter, ehrlicher Arbeit aufgebaut haben. Für die gesamte Europäische Union geht es um Frieden und die Chance der Weiterentwicklung. Es ist keine Zeit zu zögern. Die Rettung der Ukraine und der Kampf gegen den russischen Imperialismus haben absolute Priorität.
Aus dem Polnischen von Andreas R. Hofmann
Ich finde die Legislation-Peace Nexus Theorie von Franz Jedlicka (ein Friedensforscher) interessant, der auf die psychosozialen Kriegsursachen eingeht, die oft bereits in Gewalterfahrungen in der Familie ihren Ursprung haben.
Richard