Mit Maryna und Michał Czapliński spricht Aureliusz Marek Pędziwol
Für Michał Czapliński war nicht die Versöhnungsmesse in Kreisau der Durchbruch, denn damals war er, nach der einwöchigen Vorbereitung, „am Ende“. Der Moment des Durchbruchs war für ihn die Nachricht, dass Bundeskanzler Kohl nach Polen zurückkehrt, um seinen durch den Fall der Berliner Mauer unterbrochenen Besuch fortzusetzen. „Dass er zurückgekommen ist, war wirklich eine bedeutsame Wertschätzung des jahrelangen Prozesses der Zusammenarbeit“, sagt seine Frau Maryna.
Aureliusz Marek Pędziwol: Wann ist Kreisau in eurer Leben gekommen?
Maryna Czaplińska: Im Dezember 1988 erhielt die Breslauer Abteilung des Klubs der Katholischen Intelligenz einen Brief von Pater Adam Żak, einem Jesuiten, mit der Frage, ob wir wüssten, was mit dem ehemaligen Gut von Helmut James von Moltke in Kreisau los sei. Wie sich später herausstellte, hatte in Wirklichkeit Freya von Moltke den Brief inspiriert, sie wusste genau, was hier los war, wollte aber einfach bei den Polen Interesse für diesen Ort wecken.
Michał Czapliński: Pater Żak erzählte später, dass der Brief, den er an den Breslauer Klub der Katholischen Intelligenz schickte, der letzte sein sollte, den er zu schicken vorgehabt hatte. Das war der letzte Hoffnungsschrei, denn vorher hatte nie jemand das geringste Interesse gezeigt. Und wenn, dann höchstens nach dem Motto „da lässt sich sowieso nichts machen“.
Und dann kam der historische 4. Juni 1989, richtig?
Maryna Czaplińska: Noch nicht. Davor hat es viele andere Dinge gegeben. Zuerst fuhr Michał mit Joanna Wieczorek zum ersten Mal nach Kreisau, um zu schauen, was hier los war. Sie fanden einen Volkseigenen Landwirtschaftsbetrieb und verfallene Gebäude vor. Und damals lernten sie wohl auch Priester Bolesław Kałuża kennen.
Michał Czapliński: Ich weiß nicht mehr genau, wie das war. Aber vorher sind noch ein paar interessante Dinge passiert. Erstens waren wir der Meinung, dass Kreisau der Zensur unterlag. Es war nicht auf den Landkarten.
Aha!
Michał Czapliński: Es gab ein Kreisau in der Nähe von Legnica, aber Kreisau in der Nähe von Schweidnitz war auf keiner Karte. Auf keiner. Erst mein Vater fand es in einem gigantischen Atlas von Polen aus dem Jahr 1956, der, nachdem wir ihn auseinandergefaltet hatten, den gesamten Fußboden des Zimmers einnahm. Auf der Rückseite fand er seine eigene Notiz, dass Kreisau ein Ort der deutschen Widerstandbewegung war. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er das geschrieben hatte. Wahrscheinlich in den siebziger Jahren.
Weil wir nicht wussten, wie wir nach Kreisau gelangen konnten, nahmen wir Kontakt mit dem heute nicht mehr existierenden Klub der Katholischen Intelligenz in Schweidnitz auf. Ich traf mich mit diesen Leuten, und sie brachten mich hierher. Ich glaube, ich war allein. Vielleicht war mein Bruder Krzysiek dabei. Später begegnete ich im Rahmen der Erweiterung der Kontakte, Professor Karol Jonca. Und ich glaube, er war es, der mich an Priester Kałuża verwies, mit dem er seit schon mindestens zwanzig Jahren in Kontakt war.
Habt ihr überprüft, ob Kreisau tatsächlich der Zensur unterlag?
Michał Czapliński: Nein, aber ich habe auf vielen Karten gesucht, und Kreisau auf keiner gefunden. Ich dachte, dass das vielleicht ein ganz kleines Dorf ist. Aber Grodziszcze war drauf, vor allem auch Wieruszów, das gar nicht größer war als Kreisau. Solche Geschichten waren das.
Der zweite Handlungsstrang sind meine Reisen nach Wałbrzych, zum Woiwodschaftskonservator für Denkmäler. Damals hatten wir noch die Verwaltungsstruktur aus Gierek-Zeiten, es gab 49 Woiwodschaften, und Kreisau gehörte zur Woiwodschaft Wałbrzych. Herr Kubik, der damalige Konservator von Wałbrzych, war ausgesprochen hilfsbereit, wohlwollend und sehr offen. Über die Widerstandsbewegung wusste er zwar überhaupt nichts, oder er tat so, als wisse er nichts, aber das einstige Gut der von Moltkes war für ihn ein wichtiges Denkmal, denn es war wohl der einzige schlesische Adelsgutshof, auf dem alle Gebäude erhalten waren.
Und dann kam der 4. Juni?
Maryna Czaplińska: Bevor wir zum 4. Juni kommen, muss gesagt werden, dass wir über den Kreisauer Kreis absolut gar nichts wussten. Deshalb fuhr Michał nach Berlin, und über seinen Freund Ludwig Mehlhorn knüpfte er Kontakt zu Stefan Steinlein. Wir luden auch Professor Wolfgang Ullmann nach Breslau ein, damit er uns im Klub der Katholischen Intelligenz etwas über den Kreisauer Kreis erzählt. Doch er konnte nicht kommen, schickte aber seine Studenten, das waren Stefan Steinlein und Wolfram Bürger. Sie waren es, die uns erzählten, was das überhaupt war. Und auch, dass es auf der Welt viele Menschen gibt, die sich mit der deutschen Widerstandbewegung beschäftigen, sowohl in Deutschland als auch in den Niederlanden und den Vereinigten Staaten. Und da entstand die Idee, etwas zu organisieren. Wir beschlossen, eine Konferenz zu veranstalten, um den Stand der Dinge zu ermitteln, und sozusagen …
Michał Czapliński: Eigentlich ging es darum, zu schauen, wie viele wir sind.
Maryna Czaplińska: … zu schauen, wie viele wir sind. Die Konferenz hatte schon vorher stattfinden sollen, aber das war noch in der Volksrepublik. Das war noch in der Zeit vor den Wahlen und vor der Entstehung von Mazowieckis Regierung, und für eine internationale Konferenz musste man die Zustimmung des Innenministeriums bekommen. Auf diese Weise kamen am 4. Juni 1989 etwa fünfzig Teilnehmer aus aller Welt in Breslau zusammen.
Wer waren die wichtigsten Gäste? War Freya dabei?
Maryna Czaplińska: Nein, Freya war nicht dabei. Wir wussten überhaupt nicht, dass es die Familie gab. Aber es war ein Spion von Freya dabei.
Michał Czapliński: Wir wussten ganz allgemein etwas, kannten aber keine Einzelheiten. Als Kontaktperson war Mark Huessy eingeladen.
Maryna Czaplińska: Ja, aber zu diesem Zeitpunkt, am 4. Juni, hatten wir mit der Familie keinerlei Kontakt und wussten nicht, dass Mark ihr Abgesandter ist. Von der Familie haben wir erst durch ihn erfahren. Und vor den Vorbereitungen zur Messe hatten wir auch keinen Kontakt mit der Familie.
Später erzählte uns Mark eine Geschichte, die mit dem 12. November, dem Tag der Versöhnungsmesse, zusammenhing. Die Kanzlei von Bundeskanzler Kohl hatte den in Oxford studierenden Enkel von Helmut James angerufen und ihn zu der Messe eingeladen.
Und war er da?
Maryna Czaplińska: Nein. Er bedankte sich höflich und sagte, er müsse mit seiner Großmutter, also mit Freya, darüber reden, die damals in den Vereinigten Staaten lebte. Er rief sie an, und sie sagte zu ihm: „Lieber James, der deutsche Kanzler kann uns nach Bonn einladen. Nach Kreisau aber fahren wir, wenn die Polen uns einladen.“
Als Mark uns diese Geschichte erzählte, wurde uns erst bewusst, dass wir sie hätten einladen müssen. Und so kam es auch, sie wurden eingeladen und kamen zur offiziellen Gründung der Stiftung „Kreisau“. Das war im Juli 1990, glaube ich.
Also schon ein paar Monate nach der Messe. Wie habt ihr die Messe selbst erlebt?
Michał Czapliński: Priester Kałuża bat mich, die Organisation zu übernehmen. Er befasste sich mit den wichtigen Dingen wie der Liturgie, ich machte alles andere. Im Grunde konzentrierte ich mich darauf, den Altar zu bauen.
Sprich Tischlerei und Zimmerei?
Michał Czapliński: Ja, Tischlerei und Zimmerei. Ich musste sicherstellen, dass alles sichtbar war, dass man Zugang hatte. Jedenfalls fühlte ich mich zuständig für das Gesamtkonzept. Dafür, wo was stehen soll. Für den Aufbau des Altars, die Ausstattung des Altars, für seine Überdachung, für das Gerüst, auf dem die Fernsehsender stehen sollten, für den Aufbau eines Zeltes für die VIPs. Und das alles in Koordination mit den staatlichen Diensten. Ich habe mich eine ganze Woche lang damit beschäftigt. Tag und Nacht.
Und wie hast du das überstanden?
Maryna Czaplińska: Durch ein Wunder. Es war wirklich wahnsinnig viel Arbeit. Man musste die Leute versorgen, und noch andere Dinge erledigen. Ich fuhr zwischen Breslau und Kreisau hin und her und koordinierte alles. Das war wirklich sehr stressig. Michał hat eine wichtige Sache gar nicht erwähnt: Er arbeitete damals beruflich in der Firma Covex. Der Inhaber Tadeusz Trela gab, als er erfuhr, was wir vorbereiten, Michał nicht nur eine Woche Urlaub, sondern teilte ihm auch noch seine Mitarbeiter für die Konstruktionsarbeiten zu.
Habt ihr damals die historische Bedeutung dieses Ereignisses begriffen?
Maryna Czaplińska: Ich auf keinen Fall. Es waren dort wirklich wahnsinnig viele Menschen, ein riesiges Durcheinander. Natürlich war da auch die große Freude darauf, dass etwas Ungewöhnliches bevorstand, dass VIPs kommen werden, dass die Messe stattfinden wird.
Doch welche Folgen das im Bewusstsein der Menschen hatte, davon konnte ich mich erst Monate später überzeugen, als ich einen ehemaligen Kommilitonen besuchte, der in der Nähe von Hirschberg wohnte. Nach der Messe hatte sein Nachbar – ein älterer Herr, der nach dem Krieg von hinter dem Bug umgesiedelt worden war – angefangen, darüber nachzudenken, ob er sich nicht an die Sanierung des ehemals deutschen Hauses machen sollte, in dem er wohnte. „Jetzt kommen sie wohl nicht mehr zurück, das ist jetzt wohl mein Haus“, hatte er unserem Freund gesagt.
Michał Czapliński: Ich hatte durchaus das Gefühl, dass dieser Moment bahnbrechend ist. Damals benutzten wir den Begriff „Zivilgesellschaft“ nicht, aber ich hatte das Gefühl, dass das die Krönung der Bemühungen um die deutsch-polnische Versöhnung ist, der sich meine Eltern, Marynas Eltern und unsere Freunde von der Breslauer KIK verschrieben hatten. Dass das Gestalt annimmt. So habe ich das empfunden. Aber nicht am Tag der Messe selbst, weil ich damals fürchterlich erschöpft und eigentlich am Ende war, sondern später, als ich erfuhr, dass Kohl doch zurückkommt. Wenn ich mich recht erinnere, war das für mich der entscheidende Moment.
Kohl war aus Polen abgereist, weil in Berlin die Mauer gefallen war.
Maryna Czaplińska: Ja, er unterbrach damals seinen Besuch. Und wir dachten tatsächlich die ganze Zeit: kommt er zurück? kommt er nicht zurück? Für uns war die Tatsache, dass er zurückkam, wirklich eine bedeutsame Wertschätzung des Prozesses der langjährigen Zusammenarbeit, zahlreicher Treffen, Konferenzen und der gemeinsamen Hilfspakete-Aktionen, die die Deutschen in den 1980er Jahren zusammen mit Polen organisiert hatten. Über solche persönlichen Verbindungen und die Zusammenführung kleiner Fäden ist es uns gelungen, etwas aufzubauen, was man inzwischen – Entschuldigung für den Ausdruck – in einem industriellen Format betreiben kann.
Der Bundeskanzler durfte seinen Freund Alfons Nossol nicht enttäuschen, oder?
Maryna Czaplińska: Bestimmt nicht. Diese Person ist eine Schlüsselfigur. Er war es, der Feuer und Wasser zusammengebracht hat, die deutsche Minderheit mit den Menschen, die aus dem Osten in diese Gebiete gekommen waren und nun hier lebten. Er hat wirklich exzellente Arbeit geleistet.
Obwohl es vorher beinahe zu einem Konflikt gekommen wäre, als sie zuerst für die Versöhnungsmesse Sankt Annaberg vorschlugen.
Michał Czapliński: Nossol war, genau wie Kardinal Kominek, eine Person aus der Hierarchie, die überaus genau die Tiefgründigkeit und Komplexität der deutsch-polnischen Beziehungen verstand. Ich denke, dass auch heute noch das sehr vereinfachte Verständnis von diesen Beziehungen als ein unaufhörlicher Konflikt dominiert, das von einer politischen Option zusätzlich verflacht wird. Das war kein unaufhörlicher historischer Konflikt. Wir wissen, dass diese deutsch-polnische Geschichte viele ganz unterschiedliche Aspekte hat. Politische und menschliche. Und er war einer der wenigen Menschen überhaupt und der sehr wenigen innerhalb der Kirche, die das genau verstanden.
Und seine Idee, die Messe auf dem St. Annaberg abzuhalten, war gar nicht so schlecht. Doch ich verstehe, dass sie für Leute, die nicht in dieser komplexen Thematik stecken, absolut nicht nachvollziehbar war.
Seit der Versöhnungsmesse sind 35 Jahre vergangen. Habt ihr irgendwann einmal daran gezweifelt, ob das alles überhaupt Sinn hatte?
Maryna Czaplińska: Niemals. Wenn wir sehen, was hier jetzt geschieht: niemals.
Auch nicht zu der Zeit, als es Konflikte mit Erika Steinbach oder wegen Erika Steinbach gab?
Maryna Czaplińska: Umso sinnvoller schien mir die Arbeit der Stiftung. Das ist, was passieren muss. Große Politiker verändern gewiss verschiedene Dinge in der Geschichte, aber nichts ändert in den Köpfen der Menschen so viel wie eine persönliche Erfahrung. Wenn man das tut, wenn man jung ist, bleibt das bis zum Lebensende. Und das ist das, was hier wirklich abläuft. Das heißt, dass sich in den Köpfen der Menschen verschiedene Dinge ändern und ihre Welt erweitert wird.
Du hast auch nie gezweifelt?
Michał Czapliński: Ich glaube nicht. Mit dem Strom zu schwimmen, ist langweilig. Man muss gegen den Strom schwimmen, weil das wesentlich interessanter ist. Außerdem ist ein Skandal immer etwas Positives. Etwas, das den unterschiedlichen Ansichten entschieden entgegensteht. Verständigung entsteht nur dann, wenn Stereotype aufgebrochen werden.
Ist euch ein Ereignis aus den letzten 35 Jahren besonders in Erinnerung geblieben? Nicht die Messe, oder ihre Jahrestage, sondern etwas anderes, was vielleicht hier passiert ist? Oder in den deutsch-polnischen Beziehungen? Habt ihr so etwas?
Maryna Czaplińska: Ich denke eher an das, was nicht passiert ist. Ich bin nämlich fest davon überzeugt, dass die polnischen Politiker – die deutschen wahrscheinlich in geringerem Maße – sich nicht darüber im Klaren sind, wie sehr man diesen Ort für den politischen Dialog nutzen könnte. Der Grund dafür ist, dass von Warschau aus gesehen Kreisau irgendwo an der Landesgrenze liegt.
Aber die Menschen, die ich durch allerlei List aus Warschau hierherlocken konnte, haben immer nur ungläubig mit dem Kopf geschüttelt und gesagt, dass sie sich nicht vorstellen konnten, dass es so einen Ort gibt und dass das so funktioniert. Aus der Warschauer Perspektive ist es nämlich sehr schwierig zu erkennen, dass dieser Ort wertvoll ist und Potenzial hat.
Und das ist es, was mir hier sehr fehlt. Das Potenzial dieses Ortes ist wesentlich größer, es wird nicht genutzt.
Und wie war es mit dir?
Michał Czapliński: Ich denke eigentlich genauso. Unser Leben ist mit diesem Ort verbunden. Es waren so viele Erlebnisse, dass wir nicht mehr sagen können, welches wichtiger ist, und welches weniger wichtig. Deshalb kann ich kein solches Ereignis benennen.
Was würdet ihr hier in Kreisau gern noch sehen?
Michał Czapliński: Ich würde am liebsten noch erleben, dass die Regierungen endlich systematische Unterstützung beschließen, eine konkrete Geldsumme für die Erneuerung dieser Infrastruktur, die überaus solide aufgebaut wurde, allerdings ist das bereits dreißig Jahre her. Dass diese Infrastruktur bei so viel Verkehr noch immer funktioniert, beweist, welche fantastischen Fähigkeiten die Handwerker zur damaligen Zeit hatten, aber innerhalb von dreißig Jahren nutzen sich selbst Panzer ab, ganz zu schweigen von einer Jugendbegegnungsstätte.
Hinten am Palais habe ich bereits Stellen gesehen, wo der Putz abfällt.
Maryna Czaplińska: Man muss gar nicht hinter das Palais gehen, es ist auch von der Seite zu sehen, dort, wo Pflanzen die Wand bedecken. Außerdem, so wie Michał sagt, bedeutet die Benutzung der Waschräume und Zimmer von jährlich 30.000 „Personenübernachtungen“ – Entschuldigung für den Ausdruck – über dreißig Jahre lang, wirklich eine gewaltige Materialabnutzung und es wäre gut, das zu bezuschussen.
Aber das ist ein generelles Problem von Nichtregierungsorganisationen, in Polen jedenfalls. Sie brauchen Unterstützung von staatlicher Seite, weil sie dem Staat wesentlich mehr geben, als sie von ihm nehmen. Das ist mein Traum, dass der Staat die NGOs angemessen behandelt und unterstützt. In verschiedener Hinsicht, natürlich in finanzieller, aber auch durch den Dialog mit ihnen und indem aus ihren Erfahrungen gelernt wird.
Der Staat oder beide Staaten? Oder vielleicht auch die EU? Schließlich ist Kreisau ein europäisches Zentrum.
Maryna Czaplińska: Es ist ein europäisches Zentrum, das natürlich auch EU-Gelder erhält. Aber ich denke, dass man auf der Ebene des polnischen Staates beginnen müsste. Nichtregierungsorganisationen in Deutschland funktionieren ein bisschen nach anderen Prinzipien, dort gibt es finanzielle Unterstützung, insbesondere was Jugendbegegnungsstätten betrifft.
In Polen sieht das wirklich schlimm aus, die Regierung vergisst, dass sie es Nichtregierungsorganisationen zu verdanken hat, dass sie die Wahlen gewonnen hat, dass sie das der Unterstützung der Zivilgesellschaft zu verdanken hat. Diese Gesellschaft hat sie auch beim Hochwasser gerettet. Das sieht die Regierung auch nicht. Das ist wirklich schwach. Lediglich einen Bevollmächtigten für die Zivilgesellschaft auf Ministerebene zu berufen, reicht nicht aus. Das ist nur ein Element des ernsthaften Umgangs, ein Feigenblatt. Mir scheint, dass es hier viel mehr zu tun gibt.
Michał Czapliński: Die Zivilgesellschaft ist die Essenz der liberalen Demokratie. Wenn der Staat das also nicht sieht, nicht als seine Essenz begreift, dann steht es schlecht um diesen Staat. Ich habe auch den Eindruck, dass die derzeitige Koalition noch nicht ganz an das glaubt, was sie sagt.
Aus dem Polnischen von Antje Ritter-Miller
Maryna Czaplińska – Mitglied des Stiftungsrates der Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung
Michał Czapliński – Mitglied des Ehrenrates der Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung