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Perspektiven der deutsch-polnischen Beziehungen – Welche Werte verbinden uns in Europa?

Die diesjährigen Gedenkfeiern zum Ende des Zweiten Weltkrieges, des blutigsten Konflikts in Europa und der Welt im 20. Jahrhundert, lenken den Blick wieder auf die Werte, auf denen das Zusammenleben von Menschen, Völkern und Staaten beruhen sollte. Von verbrecherischen Totalitarismen zertrampelt und verletzt, sollten sie durch die Anstrengungen der internationalen Gemeinschaft wiedergeboren werden und unsere Welt wieder in Ordnung bringen – diesmal dauerhaft.

Das Hauptziel bestand darin, einen neuen Krieg und die damit verbundenen Verbrechen zu verhindern. Zu diesen Werten gehören Frieden, Menschenrechte, Respekt im Zusammenleben der Völker und die menschliche Solidarität. Das Projekt, welches diese Bestrebungen auf dem „alten Kontinent“ verkörperte, waren und sind zweifellos die Europäischen Gemeinschaften, die sich Anfang der 1990er Jahre zur Europäischen Union entwickelten. Der Gedanke, die feindlich gesinnten Staaten, die noch nicht alle ihre Kriegswunden geheilt hatten, sollten sich um eine immer engere Zusammenarbeit bemühen, mag als unrealistische Träumerei scheinen. Aber war es nicht paradoxerweise unter solchen Umständen, in den Trümmern und auf den Friedhöfen, die einen Großteil Europas bedeckten, leichter, sich darum zu bemühen? Schließlich hatte jeder gesehen, was die Expansion in Verbindung mit massenhaften Verstößen gegen die elementarsten Rechtsgrundsätze zu bedeuten hatte.

Leider waren der Kontinent und die Welt schon wenige Jahre nach dem Ende des Krieges, den man den Zweiten Weltkrieg nannte, in zwei rivalisierende Blöcke geteilt. Denn die Befreiung von 1945 war kein universeller Triumph der Freiheit. Das Knistern des fallenden Eisernen Vorhangs mag den Pessimismus über das künftige Schicksal nicht nur Europas vertieft haben. Die Supermächte standen zeitweise am Rande eines offenen Konflikts, doch zu einem globalen Krieg kam es glücklicherweise nicht.

In Europa haben die beiden Blöcke die Integration ihrer Mitglieder vorangetrieben, aber die Ergebnisse waren so unterschiedlich wie die Grundsätze, auf denen diese Einigung beruhte. Obwohl die Schlagworte Freiheit, Demokratie, Entwicklung und Frieden sowohl im Westen als auch im Osten laut wurden, hatten sie in der Praxis einen ganz anderen Inhalt. In den westlichen Ländern herrschte der Wille, parlamentarische Demokratien aufzubauen, die europäische Integration voranzutreiben und die Minderheitenrechte zu achten. Der Ende der 1940er Jahre eingeleitete Prozess trug bald Früchte. Die Verwüstungen des Krieges wurden rasch beseitigt, die wirtschaftliche Entwicklung wurde angekurbelt und ging mit einer stetigen Verbesserung des Lebensstandards der Gesellschaften einher. Die USA spielten in diesem Prozess eine wichtige Rolle, da sie die demokratischen Bestrebungen nach dem Zweiten Weltkrieg unterstützten und der Garant für die Sicherheit in diesem Teil Europas waren.

Bis zum Zusammenbruch des Kommunismus waren die Länder Mittel- und Osteuropas von diesem Prozess ausgeschlossen, was nicht ihrem Willen entsprach. Die Region stand unter der Herrschaft Moskaus. Es sei darauf hingewiesen, dass dies nicht ohne die Beteiligung der Westmächte der Anti-Hitler-koalition geschah. Die Großen Drei folgten Stalins Anweisungen bezüglich des Schicksals des östlichen Teils des Kontinents und hielten seine vagen Zusicherungen, das Recht der Polen, Tschechen und Ungarn zu respektieren, ihren eigenen Entwicklungsweg zu wählen, für bare Münze. Sehr bald zeigte sich, dass der Kreml keinerlei Hemmungen hatte, den Ländern seiner Einflusssphäre sein politisches und wirtschaftliches System nahezu offen aufzuzwingen.

Dreißig Jahre nach dem bolschewistischen Putsch in Russland behauptete Moskau die Macht der Kommunisten weit über seine Vorkriegsgrenzen hinaus. Der Begriff „Volksdemokratie“ wurde schnell zu einem Euphemismus. In der Tat verleugneten sie die Demokratie als solche und die Freiheit in ihrem tiefsten Wesen. Jahrzehntelang bezeichneten die Europäer aus diesem kommunistischen Teil die Abkommen der Großen Drei und insbesondere die Jalta-Konferenz auf der Krim als einen Akt des Verrats des Westens an seinen eigenen Werten. In ihren Augen war dies ein weiteres Beispiel (vergessen wir nicht die Münchner Konferenz!) dafür, wie sich die Supermächte über die Köpfe kleinerer Staaten hinweg einigen.

Trotz der repressiven Maßnahmen, die gegen die tatsächliche und vermeintliche Opposition ergriffen wurden, gelang es Moskau und den ihm unterstellten Kommunisten des Ostblocks nicht, die Völker effektiv zu unterwerfen. Das liegt daran, dass es ihnen misslungen ist, die Feindseligkeit gegenüber grundlegenden Werten – Freiheit, das Recht des Einzelnen und der Nationen auf freie Selbstbestimmung, die Sehnsucht nach Gerechtigkeit in den Beziehungen zwischen Staat und Bürgern und zwischen Staat und Staat – in den Seelen zu verankern. In verschiedenen Abständen brachen Massenaufstände aus, die zu Symbolen des Widerstands und der Ablehnung der kommunistischen Herrschaft durch diese europäischen Völker wurden. Daten wie 1953 in der DDR und der Tschechoslowakei, 1956 in Polen und Ungarn, 1968 in der Tschechoslowakei und Polen und schließlich 1970, 1976 und 1980 in Polen symbolisieren aufeinander folgende Etappen im Kampf um die Autonomie der Gesellschaften und Individuen. Sie zeugen von der Sehnsucht nach den Grundwerten, auf denen die westliche Zivilisation aufbaut.

Diese Proteste wurden zwar unterdrückt, waren jedoch Ausdruck der „Macht der Ohnmächtigen“ (Vaclav Havel), welche die diktatorischen Machthaber nicht auslöschen konnten. Die Zugehörigkeit zur westlichen Welt, notwendigerweise idealisiert, war das Ziel, das sie verfolgen wollten. Die Frustration über das unerträgliche Leben in einer politischen Diktatur wurde durch die Unzufriedenheit mit der ständigen Kritik an der Regierung noch verstärkt.

Gleichzeitig war Westeuropa ein Ort, an dem politische Emigranten aus dem östlichen Teil Europas ihre Aktivitäten entfalten, Pläne für die Zukunft schmieden und die Möglichkeiten eines demokratischen politischen Systems nutzen konnten. Trotz der Versuche, den Osten vom Westen zu isolieren, ist es Moskau und den Kommunisten in den mittel- und osteuropäischen Ländern nicht gelungen, die Verbindung zwischen den Gesellschaften der beiden Blöcke vollständig zu unterbrechen. Dies stärkte den Kampfgeist und die Hoffnung auf Veränderungen im Osten. Die Gründung der Gewerkschaft Solidarność in Polen im Jahr 1980 und ihre mehrmonatigen Aktivitäten fanden in der gesamten freien Welt Widerhall. Das war gelebte Basisdemokratie. Die polnischen Aktivisten, die für einen friedlichen Wandel eintraten, wurden zu einem Vorbild für andere Oppositionsbewegungen. Obwohl die polnischen Machthaber auf Druck der UdSSR das Kriegsrecht verhängten, misslang es ihnen, die Opposition auszulöschen und die Gesellschaft zu bekämpfen. Wenige Jahre später beschleunigte sich die Geschichte auf unglaubliche Weise und überraschte sowohl die Sowjetologen als auch die Oppositionellen selbst.

Der „Herbst der Nationen“ von 1989 und der Zusammenbruch der UdSSR brachten den Ländern Mittel- und Osteuropas die Freiheit. Sie erlangten ihre Souveränität und das Recht, ihren eigenen Weg zu wählen, zurück. Auf den Trümmern der UdSSR entstanden neue unabhängige Staaten wie Belarus und die Ukraine. Die drei kleinen baltischen Länder, die 1940 von der UdSSR besetzt wurden, kehrten auf die europäische Landkarte zurück. Es begann ein schwieriger Prozess der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Transformation. Die meisten Eliten und Gesellschaften erkannten, das westliche Modell sei das Ziel war und die damit verbundenen Werte – liberale Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, bürgerliche Freiheiten – müssten die Grundlage bilden. Der Konsens über diese Werte war stark genug, auch wenn er von Land zu Land unterschiedlich ausfiel, um die sehr schwierige Phase des Übergangs vom Kommunismus zu Demokratie und Marktwirtschaft zu überstehen.

Nicht überall ist es gelungen, die Ziele zu erreichen. Die Kriege auf dem Balkan erinnerten auf dramatische Weise an die alten Gespenster. Belarus und der Ukraine gelang es nicht, eine solide Grundlage für die weitere Entwicklung zu schaffen. Minsk wurde relativ schnell zu einer Diktatur, Kiew hingegen, das mit enormen Problemen zu kämpfen hatte, begann sich dank des Engagements der Bevölkerung dem Westen anzunähern. Der Preis war enorm, aber die heutige Ukraine zeigt uns ihre Bereitschaft, ihn im Namen einer guten Zukunft zu zahlen.

 Die Länder Mitteleuropas, die sich an der Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert in der NATO und in der EU wiederfanden, standen vor anderen Herausforderungen, die mit der Notwendigkeit, an vorderster Front für die Unabhängigkeit zu kämpfen, nicht vergleichbar, trotzdem ebenfalls ernst waren. Wie kann die Demokratie gestärkt, wie kann sie gegen das Erstarken autoritärer und antiwestlicher Kräfte verteidigt werden? Denn die formale Zugehörigkeit zu westlichen Strukturen allein reicht nicht aus und ist keine Garantie gegen Bedrohungen der Demokratie, aber auch des Friedens. Wir waren sehr besorgt über den Zustand der Ersteren, doch wir hätten nicht gedacht, unsere Generationen würden sich um die Aufrechterhaltung des Letzteren sorgen müssen… Dies ist eine bittere Schlussfolgerung zum 80. Jahrestag des Endes eines Krieges, der sich zumindest in Europa nie wiederholen sollte…

Die Erinnerung an diese wichtigsten Ereignisse, die aus Zeitgründen nur sehr gerafft wiedergegeben werden konnte, war notwendig, um vor diesem Hintergrund über die heutigen deutsch-polnischen Beziehungen und die Herausforderungen, vor denen wir stehen, nachzudenken. Die Lage in der Welt und in Europa ist gerade in den letzten Jahren sehr kompliziert geworden. Seit vielen Jahren wird Europa von einer Reihe von Krisen geplagt, die den Sinn der europäischen Integration in den Augen vieler Menschen untergraben haben. Dies waren und sind Finanz-, Migrations- oder Identitätskrisen. Hinzu kamen der flächendeckende Krieg in der Ukraine, unserem unmittelbaren Nachbarn, und das Erstarken populistischer Kräfte in ganz Europa. Noch um die Jahreswende 1989/1990 wäre das Aufkommen von Populisten, also von Einzelpersonen sowie Gruppen, die das politische System der Nachkriegszeit in Europa im Namen der angeblichen Befreiung der unterdrückten Mehrheit offen in Frage stellen, undenkbar gewesen. In den letzten Jahren waren die Europäer mit der Gefahr eines neuen Krieges, mit Unsicherheit und dem Gespenst einer Wirtschaftskrise konfrontiert. Vielen von uns fällt es schwer zu akzeptieren, dass ohne Anstrengungen, Entschlossenheit und Opfer das, was wir für unsere einzigartige und positive Lebensweise halten, nicht aufrechterhalten werden kann. Vor unseren Augen hören die USA auf, der Hegemon zu sein, der uns unbestrittene Sicherheit, Unterstützung für die Demokratie und Stabilität auf den Wirtschaftsmärkten garantiert. Wir wiederholen immer wieder, Europa sei demografisch und wirtschaftlich stark. Allerdings ist dies eine Macht, an die Europa bis zu einem gewissen Grad selbst glauben muss, um sie zu schaffen. Eine Voraussetzung dafür ist die weitere Integration, wovon unsere Gesellschaften anscheinend erst einmal überzeugt werden müssen.

Polen und Deutschland müssen nach Jahren intensiver Beziehungen und deren späterem Abbruch die Grundlagen ihrer Nachbarschaft und die Ziele ihrer Zusammenarbeit neu definieren und auf die Herausforderungen ihres Umfelds angemessen reagieren. Die Bedrohungen für unsere Beziehungen sind an dieser Stelle nicht zu übersehen. Die wechselnden Regierungen in Polen und Deutschland waren nicht immer in der Lage, eine gemeinsame Basis zu finden, und es gab Zeiten der Stagnation und sogar eine deutliche Abkühlung der gegenseitigen Beziehungen. Besonders deutlich wurde dies während der Regierungszeit der nationalkonservativen Partei in Polen. Die Vorwürfe an Berlin waren weitgehend unbegründet, auch wenn man bedenken muss, dass unsere Interessen nicht immer übereinstimmen und übereinstimmen müssen. Das ist normal in den Beziehungen zwischen Ländern. Andererseits war die antideutsche Haltung Warschaus für Deutschland selbst recht bequem. Die eine Seite nahm an der anderen Anstoß, die andere reagierte entweder nicht oder pflegte ihre Vorbehalte.

Wir haben zu leicht vergessen, was wir an Gutem erreicht haben. Schließlich sind friedliche und freundschaftliche Nachbarschaft, ein reger wirtschaftlicher Austausch, die Zugehörigkeit zu den gleichen Strukturen fast schon historische Errungenschaften. Das hatte bald katastrophale Folgen für die beidseitigen Beziehungen; gegenseitige Stereotype und Vorurteile wurden reaktiviert. Der Vertrauensverlust in den politischen Beziehungen hatte zur Folge, dass die zwischenmenschlichen Beziehungen stark beeinträchtigt wurden, wovon besonders die aktiven Teilnehmenden an der deutsch-polnischen Annäherung betroffen waren. Die deutsch-polnischen Gesellschaften oder die Redaktion des Deutsch-Polnischen Magazins DIALOG bildeten hier keine Ausnahme. Das war sehr schmerzlich, denn es führte zur Verschwendung unserer wertvollsten Ressourcen: aufopferungsvollen Menschen, die mit viel Enthusiasmus für das Gemeinwohl arbeiten.

Das Erbe der Herrschaft der Vereinigten Rechten in Polen, die mit der Bildung der neuen Regierung im Dezember 2023 endete, wirkt sich weiterhin auf die gegenseitigen Beziehungen aus. Auch wenn antideutsche Äußerungen und unrealistische, auf Beifall im eigenen Land abzielende Forderungen, einschließlich der unverhohlenen Instrumentalisierung der Geschichte, aus dem politischen Diskurs verschwunden sind, können wir nicht davon ausgehen, wieder zur Situation vor 2015 zurückzukehren. Wir haben viele Themen zu besprechen, viele Dinge können nicht mehr warten, bis sie behandelt werden. Man erwartet vom westlichen Nachbarn einen kreativeren Ansatz (Radosław Sikorski) in Fragen, die die bilateralen und multilateralen Beziehungen betreffen.

Warschau und Berlin haben in den letzten Monaten viel getan, aber es ist mehr Entschlossenheit erforderlich, insbesondere auf deutscher Seite. Die polnisch-deutschen Regierungsgespräche von Anfang Juli 2024 sollten einen Durchbruch, eine neue Öffnung darstellen. Dies ist dennoch nicht geschehen. Es ist nicht meine Absicht, diese Situation zu kritisieren. Die Verschlechterung der internationalen Lage (die Eskalation des Krieges in der Ukraine, der neue Präsident in den USA und seine Vorstellung von Politik), die Zunahme der innenpolitischen Probleme in unseren Ländern haben eine neue Öffnung der deutsch-polnischen Beziehungen erschwert. Wir warten nun darauf, dass die neue deutsche Regierung an die Macht kommt. Dessen ungeachtet ist mit Genugtuung festzustellen: Die normalen Gesprächs- und Austauschformate auf verschiedenen Ebenen und Stufen, von der Regierungsebene bis zur grenzüberschreitenden Ebene, sind relativ schnell wieder aufgenommen worden. Die Atmosphäre der Kontakte zwischen unseren Ländern hat sich verbessert. Die Bürgerinitiativen haben in diesem Prozess eine wichtige Rolle gespielt. Sie waren und sind die eigentliche historische Errungenschaft unserer Nachbarschaft.

Polen und Deutschland stehen vor enormen Herausforderungen, sowohl als Nachbarn als auch als Partner in Europa. Nach einer Zeit des Abwartens (Parlamentswahlen in Deutschland, Präsidentschaftswahlen in Polen) wird die Zeit für konkrete und rasche Aktivitäten kommen. Deutschland muss erkennen, dass es seinen östlichen Nachbarn noch mehr braucht als bisher. Von Polen hängt die Sicherheit Deutschlands ab, deren Nachhaltigkeit nicht an der Oder, sondern am Bug, an der Ostflanke der NATO und an der Ostgrenze der EU gestärkt wird. Die Zusammenarbeit in diesem Bereich sollte intensiviert werden. Dies wird die Maßnahmen an der Grenze unterstützen, wo Russland und Weißrussland jetzt einen hybriden Krieg führen und Polen ein weiteres Jahr mit illegaler Migration konfrontiert ist.

Gemeinsam müssen wir der umkämpften Ukraine weiterhin helfen und einen Plan für ihre schrittweise Integration in die europäischen Strukturen ausarbeiten. Dies wird nicht einfach sein und zu einer Reihe von Spannungen mit unterschiedlichen Ursachen führen. Angesichts der wohlverstandenen Interessen aller Beteiligten ist es jedoch ein Muss, Lösungen zu finden. Die Aktivitäten im deutsch-polnischen Grenzraum sollten möglichst breit unterstützt werden. Der „Kulturzug“ ist ein gutes Beispiel für eine attraktive Überwindung deutsch-polnischer Barrieren, wobei die Verbesserung des täglichen Bahnbetriebs, vor allem auf deutscher Seite, dringender Aufmerksamkeit bedarf. Das Erlernen der polnischen Sprache in Deutschland muss unterstützt werden. Die Förderung der nachbarschaftlichen Kultur auf beiden Seiten der Oder muss ausgebaut werden.

Historische Fragen in den gegenseitigen Beziehungen müssen noch diskutiert werden. Mit der Enthüllung eines provisorischen Denkmals im Zentrum Berlins, das den polnischen Opfern des Zweiten Weltkrieges und der deutschen Besatzung gewidmet sein sollte, ist das Thema natürlich nicht abgeschlossen. Dies ist vielmehr der Auftakt zu weiteren Maßnahmen in diesem Bereich. Wir dürfen nicht zulassen, dass die katastrophalen und schrecklichen Folgen des Krieges vor 80 Jahren in Vergessenheit geraten. Die Erinnerung ist unsere Pflicht, denn nur sie kann uns davor bewahren, erneut von Kräften verführt zu werden, die einfache Rezepte zur sofortigen Lösung all unserer Probleme anbieten. Ein gemeinsames deutsch-polnisches Geschichtsschulbuch muss daher weiter gefördert werden, denn die Bildung betrifft unmittelbar die Zukunft unserer jüngsten Generationen. Wir müssen den jungen Menschen die Geschichte der europäischen Integration neu erzählen und sie davon überzeugen, es lohne sich, die Entwicklung fortzusetzen, weil sie – trotz der manchmal berechtigten Kritik an Teilen davon – ein großes Erfolgsprojekt ist, das aus den schlimmsten europäischen Katastrophen herausgewachsen ist.

Diese und andere Themen werden sicherlich bald auf dem Deutsch-Polnischen Forum, das für Anfang Juni dieses Jahres geplant ist, aufgegriffen werden. Es wird von Politikern, Experten und zivilgesellschaftlichen Organisationen gestaltet, ohne die eine sachkundige Diskussion über die aktuellen Beziehungen und ihre Herausforderungen nur schwer vorstellbar ist.

Es besteht kein Zweifel daran: Die eingangs erwähnten Werte – trotz der 80 Jahre seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs – haben nicht an Bedeutung verloren. Sie haben sogar noch an Bedeutung gewonnen, da wir sehen, dass sie uns nicht für immer gegeben sind und wir sie wieder verlieren können. Wenn wir das tägliche Leid in der Ukraine mitfühlend betrachten, sehen wir einmal mehr, wie zerbrechlich der Frieden ist, wenn wir uns in Europa nicht zusammenschließen und eine gemeinsame Position einnehmen, um unsere Werte und unsere Lebensweise zu verteidigen, die für viele Menschen in der ganzen Welt so attraktiv sind. Sicherlich sollten Polen und Deutschland aktive Akteure in Europa sein; die Qualität der bilateralen und innereuropäischen Beziehungen wird von ihrer Zusammenarbeit und ihrem Engagement abhängen. Es ist nicht nur unsere Zukunft, die heute gestaltet wird.

Krzysztof Ruchniewicz

Krzysztof Ruchniewicz

Prof. Dr. Krzysztof Ruchniewicz, Historiker, Direktor des Pilecki-Instituts, Beauftragter des polnischen Außenministers für die deutsch-polnische zwischengesellschaftliche und grenzüberschreitende Zusammenarbeit

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