Liebe Freunde der Deutsch-Polnischen Gesellschaften,
ich möchte mit Ihnen und Euch Informationen aus meiner Beratungstätigkeit für die polnischen und tschechischen Grenzgänger teilen.
Mich und meine Kollegen erreichen seit der Schließung der polnischen und tschechischen Grenzen für Berufspendler unzählige Beratungsanfragen. In Deutschland wurden in dieser Woche wahrscheinlich tausende Kündigungen ausgesprochen. Nach den mir vorliegenden Informationen ist der Lebensunterhalt dieser Gruppe überhaupt nicht geklärt, wenn nichts geschieht kommt eine soziale Katastrophe auf uns zu.
Die Maßnahmen der polnischen und tschechischen Regierungen heißen für die Grenzgänger die in Polen leben und in Deutschland oder Tschechien arbeiten oder die in Tschechien leben und in Deutschland arbeiten folgendes: Nur wer für eine längere Zeit (bei tschechischen Grenzgängern 21 Tage) am Arbeitsort eine Unterkunft besorgt und dort übernachtet, kann weiter zur Arbeit erscheinen. Bei der Rückkehr an den Wohnort muss die Person eine Quarantäne in Kauf nehmen, die dann auch alle Haushaltsangehörigen trifft. Doch die Unterbringung in Deutschland ist nur für eine sehr kleine Gruppe der Grenzgänger eine realistische Lösung – viele betreuen zum Beispiel Kinder und müssen jeden Abend zu Hause sein. Die Ausnahmen – Tschechien erlaubt etwa Angehörigen der Gesundheitsberufe weiterhin zu pendeln – betreffen nur wenige Personen.
Grenzgänger, die jetzt nicht zu Arbeit erscheinen können, wissen nicht, wovon sie in den nächsten Monaten leben werden:
– Kein Lohn: Wenn der Arbeitnehmer nicht zur Arbeit erscheinen kann, entfällt die Pflicht des Arbeitgebers zur Zahlung des Lohns. Es ist unerheblich, dass den Arbeitnehmer keine Schuld dafür trifft, dass der Arbeitsweg versperrt ist.
– Krankengeld nur in wenigen Fällen: Wenn der Arbeitnehmer krankgeschrieben ist, besteht ein Anspruch auf das Krankengeld (in Deutschland außerdem die Lohnfortzahlung in den ersten 6 Wochen nach der Krankschreibung). Das ist jedoch nur eine Lösung, wenn tatsächlich eine Arbeitsunfähigkeit vorliegt. Es betrifft also nur eine kleine Gruppe unter den Grenzgängern.
– Bei Quarantäne kein Krankengeld, keine Entschädigung, kein Lohn (?): Eine Quarantäne begründet nach den bisher vorliegenden Informationen keinen Anspruch auf Krankengeld in Deutschland. Arbeitnehmer, die von einer deutschen Gesundheitsbehörde unter Quarantäne gestellt werden, haben einen Anspruch auf Entschädigung für den Verdienstausfall nach dem Infektionsschutzgesetz. Es ist jedoch äußerst fraglich, ob die polnischen oder tschechischen Entscheidungen ebenfalls einen solchen Anspruch begründen. Insbesondere, da nicht klar ist, wer dann die Kosten trägt, da das Gesetz dies dem jeweiligen Bundesland auferlegt, das die Quarantäne ausgesprochen hat. Weiterhin ist sehr fraglich, ob ein Lohnfortzahlungsanspruch nach § 616 BGB besteht. Eine Prüfung läuft.
– Kurzarbeitergeld nur in wenigen Fällen: Das Kurzarbeitergeld in Deutschland wird nur gezahlt, wenn die Voraussetzungen im Betrieb vorliegen – Absatzprobleme, Lieferantenausfälle oder epidemische Krankheiten im Betrieb. Die geschlossenen Grenzen sind kein Grund für die Zahlung von Kurzarbeitergeld. Im Gegenteil, wer Kurzarbeit erhält muss dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Ob das der Fall ist, wenn wegen der Grenzsituation keine Möglichkeit besteht, zur Arbeit zu erscheinen, wird gerade rechtlich geprüft. Im schlimmsten Fall sind Grenzgänger aus Polen und Tschechien vom Kurzarbeitergeld ausgeschlossen.
– Kein Arbeitslosigkeit am Arbeitsort (z.B. aus Deutschland): In Deutschland besteht kein Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe, solange das Arbeitsverhältnis besteht.
– Arbeitslosengeld / Sozialhilfe am Wohnort nach Kündigung: Wenn das Arbeitsverhältnis wirksam gekündigt wird, besteht ein Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe im Land des Wohnortes. Das ist jedoch die schlechteste Lösung. Die Ansprüche sind sehr niedrig und bürokratisch zu beantragen. Jetzt ist die schlechteste Zeit, um eine neue Stelle zu suchen.
Es scheint, dass die Politik noch nicht bemerkt hat, dass die Sicherung des Lebensunterhalts dieser Gruppe nicht gesichert ist. Eine Lösung auf politischer Ebene scheint mir der einzige Ausweg aus dieser Situation.
Ein weiterer Punkt ist die Gesundheitsgefährdung: Viele Grenzgänger sind gezwungen, eine Unterkunft in Deutschland zu suchen, um ihre Existenz zu retten. Die Umstände in den Unterkünften werden es nicht erlauben die Verhaltensregeln zur Ausbreitung des Corona-Virus einzuhalten – zu viele Menschen auf engem Raum. Es wäre viel sicherer, wenn sie nach der Arbeit nach Hause zurückkehren könnten.
Ein weiteres Problem, dass auf die Arbeitsämter und –agenturen zukommt, sind die vielen Menschen, die jetzt Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe beantragen. Auf Grund der geschlossenen Grenzen werden in Deutschland derzeit tausende Kündigungen ausgesprochen (meine Schätzung). Tschechische Grenzgänger, die in Deutschland gearbeitet haben, brauchen das Formular PD U1, das von der Arbeitsagentur in Deutschland ausgestellt wird. Damit beantragen sie beim tschechischen Arbeitsamt Arbeitslosengeld. Diese Prozedur kann nach meinen Informationen ein bis zwei Monate dauern. Es ist die Mitwirkung des Antragstellers erforderlich. Vielleicht ist es erforderlich eine Task-Force zur Bearbeitung zu bilden.
Wie kann die Politik reagieren?
-> Grenzgängern, die auf Grund der Grenzschließungen nicht zur Arbeit kommen können, wird Kurzarbeitergeld gezahlt. Dieses Instrument wurde unter der deutschen Bezeichnung jetzt auch in Tschechien eingeführt. Wenn es keinen anderen Weg gibt, muss die Finanzierung politisch gestemmt werden, am besten mit Hilfe der EU.
-> Es wird ein Moratorium für Kündigungen ausgesprochen. Wenigsten die 3-wöchige Ausschlussfrist für Kündigungsschutzklagen sollte gelockert werden. Es könnten auch Ausschüsse gebildet werden, die Kündigungen begutachten und deren Anrufung die Ausschlussfrist hemmt.
-> Die deutsche Seite könnte Grenzgängern ermöglichen, sich regelmäßig auf Corona testen zu lassen. Dies würde zeigen, ob die Befürchtungen vor einer von Deutschland ausgehenden Verbreitung berechtigt sind. Polen und Tschechien könnten im Gegenzug die Grenzsperrungen für Pendler zurücknehmen. In allen drei Ländern funktionieren die Ausgangssperren und Kontaktverbote. Die Wege von Grenzgängern sind beständiger und leichter nachverfolgbar als etwa bei Touristen. Schließlich schafft der Druck, zeitweise eine Unterkunft in Deutschland zu nehmen, ein neues Ansteckungsrisiko.
Die Politik sollte eine klare Botschaft aussenden: Niemand wird genötigt, für den Beruf ins Nachbarland zu ziehen und dort abgeschnitten von seiner Heimat und Familie zu leben – auch wenn es nur wenige Wochen sind. Es kann auch niemand gezwungen werden, für die Arbeit sich und seine Familie einer Quarantäne auszusetzen.
Eine Lösung kann wahrscheinlich nur auf europäischer oder wenigstens bilateraler Ebene gefunden werden. Hoffentlich siegen der gute Wille und die Einsicht in die Notwendigkeit zusammenzuhalten über die nationalen Reflexe.
Ich wünsche Ihnen und Euch alles Gute, ganz besonders für ihre Gesundheit.
Herzliche Grüße
Sebastian Klähn
Vizepräsident der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Sachsen e.V. und Koordinator der EURES-TriRegio
Es gibt Regelungen für Arbeitnehmer an der deutsch-französischen Grenze. Vielleicht könnten diese übernommen werden?
Manchmal hat man den Eindruck, dass in Polen und Tschechien Nationalisten in den entscheidenden Stellen sich freuen, wenn man einen Grund zur Grenzschließung gefunden hat.