Als „Wilder Osten“ war Polen bereits im 19. Jahrhundert Gegenstand kolonialer Sehnsüchte Deutschlands (Kopp 2012). Sowohl Preußen und das deutsche Kaiserreich, als auch der NS-Staat versuchten wiederholt siedlungskoloniale Ambitionen im Osten Europas zu verwirklichen. Dies zeigte sich von der Germanisierungspolitik Bismarcks, über das Besatzungsgebiet „Ober Ost“ während des Ersten Weltkriegs bis zum „Generalplan Ost“ Nazideutschlands. Diese Kontinuitäten antislawischer Politik und Überzeugungen bildeten die Voraussetzung für die deutschen Massenverbrechen in der Region während des Zweiten Weltkriegs. Koloniale und rassistische Denk- und Handlungsmuster gegenüber Osteuropa wirken weiterhin auf vielfältige Weise bis in die Gegenwart nach.
Call for Contributions
(P)ostkolonialismus – Postkoloniale Perspektiven auf Polen, die Ukraine und Osteuropa
Pilecki-Institut Berlin, 24./25. Oktober 2024
Frist für Einreichungen: 14. Juli 2024
Bereits Ende der 1990er Jahre zeigten Forschende wie Larry Wolff oder Maria Todorova bezugnehmend auf Edward Saids Orientalism auf, wie Osteuropa in der westlichen Vorstellung als „anders“, als „Europe but not Europe“ konstruiert wurde. Koloniale Denktraditionen spiegeln sich auch in Bezug auf erinnerungs- und geschichtskulturelle Debatten. Nicht erst seit dem 24. Februar 2022 und dem damit verbundenen Diskurs um den russländischen Angriffskrieg in der Ukraine treten die damit einhergehenden Leerstellen der deutschen Erinnerung an den nationalsozialistischen Vernichtungskrieg im Osten Europas deutlich zutage. Zwar ging das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz als Symbol für den industriellen Massenmord an den europäischen Jüdinnen und Juden nach und nach in das deutsche Geschichtsbewusstsein ein. Wenig Beachtung finden hingegen der in den von der Wehrmacht besetzten Gebieten der Ukraine und Belarus verübte „Holocaust by Bullets“ oder die Vernichtung des polnischen Judentums in den Todeslagern der „Aktion Reinhardt“. Andere (ost)europäische Opfergruppen, zum Beispiel die im Rahmen der „Intelligenzaktion“ ermordeten Pol:innen, die aus der Sowjetunion verschleppten Zwangsarbeiter:innen oder Sinti:zze und Rom:nja, spielen in der deutschen Erinnerungskultur kaum eine Rolle (Davies 2023).
Ziel der zweitägigen Veranstaltung (P)Ostkolonialismus – Postkoloniale Perspektiven auf Polen, die Ukraine und Osteuropa des Pilecki-Instituts Berlin ist es, Kontinuitäten kolonialer Denktraditionen in Deutschland bezüglich Polen, der Ukraine und weiterer Länder Osteuropas, deren Wirken in der deutschen Gewaltgeschichte sowie deren Einfluss auf gegenwärtige Erinnerungskulturen zu beleuchten und zu hinterfragen. Dabei sollen die Potentiale und Herausforderungen post- und dekolonialer Zugänge hinsichtlich der Thematisierung von Wissenslücken und Leerstellen in der Erinnerung diskutiert werden. In Vorträgen, Paneldiskussionen und interaktiven Workshops sollen Forschende und Vermittelnde miteinander ins Gespräch kommen.
Wir laden Forschende und Praktiker:innen aus der historisch-politischen und/oder kulturellen Bildungsarbeit ein, Vorschläge entlang der folgenden Fragestellungen einzureichen:
- Inwieweit können Zugänge der postkolonialen Theorie zu neuen Perspektiven und einem besseren Verständnis der Beziehungsgeschichte Deutschlands mit Polen, der Ukraine und Osteuropa beitragen? Welche Chancen und Herausforderungen ergeben sich dadurch?
- Welche kolonialen Denkmuster lassen sich z.B. in Geschichtsnarrativen und Erinnerungskulturen sowie künstlerischen Auseinandersetzung wie Literatur, Film, u.a. erkennen? Und wie lassen sich diese aufbrechen?
- Wie kann der zumeist auf den akademischen Kontext beschränkte Diskurs zu diesem Thema in die praktische Arbeit im Bildungs- und Museumsbereich eingebunden und einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden? Welche Herausforderungen ergeben sich dabei?
- Inwiefern können postkoloniale Perspektiven die in Deutschland vorherrschenden Wissenslücken und erinnerungskulturellen Leerstellen bezüglich der Verflechtungsgeschichte zur besprochenen Region adressieren?
- Welche Konzepte und Methoden können in Forschung und in der Vermittlungsarbeit zum Aufbrechen kolonialer Denktraditionen zu Osteuropa eingesetzt werden? Welche Möglichkeiten ergeben sich hierbei durch künstlerische Zugänge?
- Inwiefern können dekoloniale Zugänge in der Erinnerungs- und Bildungsarbeit zu Begegnungen auf Augenhöhe beitragen?
Vorschläge für Vorträge (max. 20 min.), Paneldiskussionen (60—90 min.) und Workshops (ca. 90—120 min.) können u.a. theoretisch-methodische Reflexionen, innovative historische und kulturwissenschaftliche Forschungsansätze sowie vielversprechende Konzepte für die Bildungs- und Vermittlungsarbeit, die museale Ausstellungspraxis oder künstlerische Auseinandersetzungen umfassen. Veranstaltungssprachen sind Deutsch und Englisch.
Das Pilecki-Institut Berlin übernimmt Anreise- und Übernachtungskosten für Sprecher:innen. Teilnahmegebühren werden nicht erhoben.
Bitte senden Sie Ihre Vorschläge in Form eines Abstracts in deutscher oder englischer Sprache (max. 300 Wörter) zusammen mit einer Kurzbiographie (max. 200 Wörter) unter dem Betreff „(P)Ostkolonialismus“ bis zum 14. Juli 2024 an events@pileckiinstitut.de.
Kontakt für Fragen: Lukas Wieczorek, Dr. Elisabeth Katzy
E-Mail: l.wieczorek@pileckiinstitut.de e.katzy@pileckiinstitut.de
Tel: +49 151 646 734 67, +49 157 805 822 30